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1. Schuld

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Da war ich nun! Es gab keinen Weg zurück! Ich hatte es selbst zugelassen, dass mir der Weg auf ewig verschlossen bleiben würde.

Damals sah es so aus, als ob es die richtige Entscheidung gewesen wäre, aber in diesen Momenten war ich mir nicht mehr sicher. Ich hätte damals noch zurück gekonnt - Parim und Ro'il'tara waren tot - ich hätte die Somaner beruhigt allein lassen können. Oder?

Die Somaner hätten mich nicht gebraucht!

Ich seufzte. Die Somaner hätten mich vielleicht nicht gebraucht, aber ich hatte Soma gebraucht, ein Abenteuer, einen Lebensinhalt. Vor allen Dingen fehlte mir Dar’sal, ich brauchte ihn - alles war anders geworden!

Jetzt fingen die kleinen Probleme an, der Alltag kam, vor all diesem war ich auf der Erde geflüchtet. Sollte ich wieder fliehen? Wohin? Mir wurde gesagt, dass ich in der falschen Dimension geboren wurde, dass ich auf Soma geboren hätte werden sollen. Jetzt zeigte sich, dass ich dadurch das Gleichgewicht der Welten gestört hatte. Durch diesen Irrtum bekam ich ZU viel Macht als ich nach Soma überwechselte. Allein damit war die Balance zwischen den Welten gestört. Ich hätte mir somit aussuchen können, auf welchem Planeten ich leben wollte und fing an, über mich selbst zu lachen. Zum Glück waren meine Gedanken insoweit isoliert, dass kein magiebegabtes Wesen meine abstrakten Intuitionen lesen konnte – ich hätte mich deswegen geschämt.

Ein Flattern in der Luft lenkte mich von meinen Gedanken ab. Ich blickte in den makellos blauen Himmel und konnte zuerst nicht erkennen, von wem und woher dieses Flattern kam. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und spürte, wie mich das noch weiche, junge Gras an der Wange kitzelte. Es war endlich Frühling. Der Winter vor einem Jahr war härter gewesen als der darauf folgende, doch wir hatten es der Geistesgegenwart der ehemaligen Untergrundbewegung zu verdanken, dass wir die Winter ohne größere Schäden überlebt hatten. Die vielen Vorräte, die sie in meiner Abwesenheit gesammelt hatten und die täglichen Jagdzüge in den Wintermonaten sicherten uns unsere täglichen Mahlzeiten.

Wieder dieses Flattern!

Ich richtete mich auf, setzte mich vorsichtig hin und spähte hinter mich. Gerade noch rechtzeitig sah ich, wie der majestätische Drache hinter mir landete, die Flügel an die Seiten ruhig bebend faltete und mir tief in die Augen blickte. Seine karmesinroten Schuppen funkelten im gleißenden Sonnenlicht. Seine Flügel wiesen eine etwas dunklere Farbe als sein Schuppenkleid auf - sie leuchteten in tiefstem Weinrot. Sein stolz erhobenes Haupt, das auf einem langen, schlanken, eleganten Hals thronte, wiegte leicht hin und her. Sein schmaler, kräftiger Körper endete in einem langen, dornenbesetzten, schmalen Schwanz, der sich zum Ende hin verjüngte und wie bei einer Katze aufgeregt hin- und herpeitschte. Sein ganzer Körper stand unter einer mühsam gebändigten Spannung, er tänzelte mit seinen Vorderbeinen wie ein nervöses Pferd. Seine goldenen Augen stachen tief in meine Seele.

Ich verschloss meine Seele sorgfältig gegen das beleidigende Forschen meines Sprösslings in meinem Inneren. Dafür erntete ich ein wütendes Blitzen aus den Augen des herrlichen Drachens.

"Du wunderst dich? Ich habe dich nicht eingeladen, in meine Seele zu blicken!"

To'rir senkte seinen Kopf auf meine Augenhöhe herab und berührte mit seiner warmen, weichen Schnauze meine Nasenspitze: "Unter unseresgleichen fragt man nicht danach!"

Ich stand ruckartig auf, sodass To'rir erschrocken ein paar Zentimeter zurückwich, sich sofort wieder unter Kontrolle hatte und mich an meiner Hüfte wütend mit seiner Schnauze anstieß.

Ich funkelte ihn böse an: "Wir sind nicht von der gleichen Art! Ich bin ein Mensch und du ein Drache!"

To'rirs Kopf schnellte in die Höhe, sein Grollen ertönte, das nur ein Drache als Lachen erkennen konnte. Er verletzte mich dadurch und das wusste er genau. Der Drache blickte mir wieder in die Augen, legte seinen Kopf schief und seine Stirnwülste, die wie Augenbrauen über seinen Augen prangten, zogen sich noch weiter nach unten, sodass ich seine Wut nicht nur körperlich spüren, sondern auch sehen konnte.

"Du lebst zu lange unter den Somanern. Sie verderben dich und dein wahres Wesen!", warf er mir schonungslos vor.

Ich holte tief Luft und stieß den Atem zischend durch meine zusammengebissenen Zähne aus.

'Wieso muss er mich wieder so wütend machen?', fragte ich mich still.

Laut sagte ich: "Bitte keine endlosen Diskussionen mehr!"

Ich drehte mich um und ging mit weit ausholenden Schritten in Richtung Pax, der neuen Stadt, die wir dieses Jahr mit vereinten Kräften errichteten.

Wir, das waren ich und die Somaner, die ich von Parims Joch befreit hatte.

Das Flattern lederner Flügel über meinem Kopf hielt mich auf. Vor mir ließ sich To'rir elegant auf seinen Hinterbeinen nieder. Diesmal legte er seine Flügel nicht an seinen Körper an, er blieb in Drohhaltung mit weit gespreizten, vibrierenden Flügeln und in der Luft zitternden Vorderbeinen vor mir stehen. Die Flügel waren so groß, dass sie weit über mein Gesichtsfeld hinausgingen. Ich musste innerlich lächeln, als ich verstand, dass er verhindern wollte, dass ich einfach wegging, bevor er mit seinem Gespräch mit mir fertig war.

"Weglaufen ist keine Lösung!", fing er da auch schon an.

Ich verdrehte die Augen und der Ärger kroch in mir hoch: "Soll ich kämpfen? Ich bin zu müde dazu!"

To'rir ließ von seiner Drohhaltung ab, ließ sich auf seine Vorderbeine nieder, senkte seinen Kopf zu mir herab, seine Stimme war erstaunlich weich und sanft: "Das ist es, Alena. Du strahlst keine Lebensenergie mehr aus. Du bist schwach geworden. Du bist unglücklich. Ich mache mir Sorgen um dich! Ich weiß nicht, was dir fehlt, du bist seit diesem Winter traurig."

Ich riss die Augen auf. To'rir hatte mir noch nie gesagt, warum er die Somaner als schlecht für mich erachtete - von der Tatsache, dass sie keine Drachen waren, einmal abgesehen. Ich hatte seine Meinung auch nicht in seiner Seele lesen können, weil ich mich ihm versperrt hatte und daher auch nicht in sein Inneres eindringen konnte. Doch hatte ich auch nie eindringlich genug danach gefragt, warum er mich immer wieder aus den Reihen der Somaner holen wollte.

Ja, ich fühlte mich ausgelaugt, ein Stein hatte in diesen Tagen mehr Energie als ich im Leib. Aber es waren nicht die Somaner direkt, die mich diese gewaltige Energie kosteten. Ich war es. Ich half überall - fühlte mich verpflichtet durch die Macht, die ich hatte. Ich gönnte mir keine Pause, keine Ruhe, keine Zeit zum Atmen, da ich mit dieser gewaltigen Verantwortung, die ich mir übertragen hatte, nicht zurechtkam. Wenn ich schlief, konnte ich nicht helfen, daher musste ich im wachen Zustand überall meine Augen und meine heilenden Hände, meine Magie, meine Macht zum Guten einsetzen.

Den dritten Sommer erlebte ich jetzt auf Soma. Ich hatte mich noch nicht an die langen Jahre auf Soma gewöhnt. Nach der Zeitrechnung der Erde dauert ein Somajahr 18 Monate. Winter wie Sommer waren je sieben Monate, Frühling und Herbst kurze Übergangszeiten von je zwei Monaten.

'Die Krankenpflege, der Aufbau der neuen Stadt, alles nimmt mich völlig ein! Yyro'ha, Dar'sal, Xera und Semmin helfen mir nach Leibeskräften, aber meine eigenen Ansprüche an mich als Magierin sind viel zu hoch! Egal, ob Tag, ob Nacht, ich bin ständig in Bewegung! Selbst der Schlaf bringt mir keine Erleichterung. Meine Träume verraten mir, dass ich nicht loslassen kann: Sogar in meinen Träumen kümmere ich mich um Kinder, Alte, seelische oder körperliche Kranke und Verletzte. Ich habe keinerlei Abwechslung, doch sollte ich die Somaner sich selbst überlassen? Meine in mir wohnende Macht verpflichtet mich geradezu, sie zum Guten einzusetzen. Aber weißt du was? Ganz tief in mir weiß ich den wahren Grund, warum ich unermüdlich versuche, mich zu geißeln: Ich habe Angst, zu enden wie Parim und Ro'il'tara. Sie hatten am Anfang auch die Macht besessen, hatten sie zu Beginn zum Guten eingesetzt, aber irgendwann schlug ihre Macht in Machtgier um, allmächtig herrschten sie über die Somaner und verloren fortan ihre Würde! Sie stahlen die Macht, indem sie andere Magier töteten und deren Magie in sich aufnahmen. Sie verschrieben sich der schwarzen Magie, wollten mehr und mehr und immer mehr und ich will nicht enden wie sie!'

'Wenn es ihnen einmal so wie dir ergangen war?', fragte mich To'rir in Gedanken.

Erschrocken blickte ich zu ihm auf. Ich saß im Gras zwischen den Pranken meines Drachensohnes gebettet. Ich hatte ihm unbewusst meine Seele geöffnet, hatte ihm in Gedanken meine Qual mitgeteilt. Durch die Verbundenheit unserer beider Seelen hatte To'rir nicht nur meine Gedanken gehört - er hatte auch mein Leid gespürt, Szenen gesehen, die sich im Inneren meines Kopfes abgespielt hatten, während ich ihm den Grund meiner Traurigkeit und Lebensmüdigkeit geschildert hatte. To'rirs Worte hatten eine Saite in meiner Seele zum Schwingen gebracht und ich forderte ihn auf weiterzusprechen.

To'rir rieb seine weiche, samtene Schnauze an meiner Wange: "Wenn sie so wie du am Ende ihrer Kräfte waren und für sich beschlossen hatten, dass sie ihre Macht nicht für die anderen mehr nutzen wollten? Wenn sie sich ausgenutzt gefühlt hatten? Wenn ihnen kein aufrichtiger Dank mehr entgegen gebracht worden war sondern Forderungen über Forderungen? Wären nicht die Somaner Schuld daran gewesen, dass sie sich so entwickelt hatten, wie du sie kennengelernt hattest? Wäre das nicht eine Erklärung, warum sie den dunklen Weg beschritten und so viel Leid verbreitet hatten? Bist du nicht auch in dieser Gefahr, so sehr du dir auch wünschst, nur Gutes zu tun? Ist die Trennung zwischen Gut und Böse nicht nur ein schmaler Grat, auf dem du balancierst? So, wie ich dich leiden sehe, halte ich das für möglich und deswegen mache ich mir Sorgen um dich."

Ich tauchte tief in seinen Augen ein: "Das wäre möglich. Das klingt logisch."

To'rir schnaubte ärgerlich, sein warmer, köstlicher Atem strich über meine Wange: "Logik! Wann lernst du endlich, dass du auf deine Gefühle hören sollst?"

"Meine Gefühle sind meine Macht - ich höre schon lange auf sie. Aber..."

"Kein Aber! Das Herz, die Seele kann nicht lügen! Der Verstand kann lügen, weil er geformt wurde. Die Seele in ihrer reinsten Form ist klarer und schöner als ein Diamant und kann nicht verdorben werden."

Ich lachte bitter auf: "Welche Theorie haben Drachen über die Seele schlechter Somaner?"

To'rir erhob sich ruckartig, sodass ich beinahe nach hinten gefallen wäre, hätte ich mich nicht reflexartig mit meinen Armen abgestützt. Ich stand auf und wandte mich dem roten Drachen zu, sah, wie seine Augen wütend kleine, goldene Blitze verströmten.

"Hat dir die Seele meines Vaters so wenig offenbart oder warst du schon zu lange bei den Somanern?"

Ich schwieg. Dran'gorr und Xyma'la, meine Drachenseele, waren so eng vereint gewesen, wie es noch nie zwischen einem Menschen und einem Drachen geschehen war und auch nie wieder geschehen würde. Doch hatte diese Vereinigung in meiner kleinen Menschenseele viel mehr Fragen als Antworten aufgeworfen und auch die Drachenseele in meinem Menschenkörper konnte dieses Potenzial nicht erfassen, da ich als Mensch und nicht als Drache geboren worden war. Es war nicht leicht, diesen Umstand in Worte zu fassen.

Ich schüttelte traurig den Kopf: "Ich bin kein Drache. Daher habe ich auch nicht das Potenzial für euer umfangreiches Wissen."

To'rir beruhigte sich. Er ließ sich schnell aus der Fassung bringen. Er wäre als Mensch oder Somaner ein rebellischer Teenager gewesen. Er war noch jung und ungestüm - anders als Dran'gorr.

"Die Seele", begann To'rir in einem Tonfall, der mich an die Predigt eines Vaters vor seinem Kind erinnerte, "kann nur durch den Verstand überdeckt werden. Bei Parim und Ro'il'tara stellte der Verstand eine Mauer dar, die sich um ihre Seelen herum gebildet hatte."

Ein schrecklicher Schmerz durchzuckte meine Seele und durchbohrte mein Herz.

Ich keuchte auf, krümmte mich unter dem Schmerz zusammen und stieß aus zusammengebissenen Zähnen wütend hervor: "Hätte ich die Mauer nicht zerstören können? Jede Nacht wache ich schweißgebadet auf, nachdem ich endlich eingeschlafen bin und das Entsetzen meiner Tat kurz vergessen habe. Wäre ihr Leben zu retten gewesen, wenn ich die Mauer um ihre reine Seele zerstört hätte?"

To'rir nickte ernst: "Das hättest du. Jahrzehnte, Jahrhunderte zuvor, aber nicht mehr zu dem Zeitpunkt, als du auf Soma gestrandet bist. Ihre Seelen sind unter der Mauer lange Zeit zuvor qualvoll erstickt, verblüht wie eine welke Rose. Selbst, wenn du die Mauer zerstört hättest, auch dann wären sie gestorben, nur langsamer, qualvoller. Du hast ihnen durch den schnellen Tod eine große Gnade gewährt."

Mein Puls raste noch, als ich versuchte mich aufzurichten. Die Schmerzen in meinem Inneren verebbten langsam.

"Ich dachte, eine Seele ist unsterblich?"

To'rir legte sich vor mir hin und ich nahm wieder Platz zwischen seinen Pranken, sog seine Worte ein, die sich wie Balsam über meine wunde Seele legten und den Schmerz linderten: "Die Essenz der Seele ist unsterblich, aber das Wesen, das, was Parim ausmachte, was zu seiner Seele gehörte, war unwiederbringlich verloren. Sein ‚Ich‘, das in seinem Körper durch ihn handelte, seine innere Identität, sein Geist, die Kraft der Seele, welche denkt und Vorstellungen bildet, zwischen Recht und Unrecht, zwischen Gut und Böse entscheidet, all das macht den Menschen in seiner Würde, in seinem Geist und seiner Gnade aus. Dies aber war bei Parim erloschen. Ohne seine Seele ist sein Körper nur noch wie ein 'Fisch ohne Wasser'. Kannst du dir einen Menschen, einen Somaner oder einen Drachen ohne Seele vorstellen?"

Ich verneinte. Ich lehnte meinen Kopf an seine mächtige Brust und spürte, wie sie sich hob und senkte, wenn er atmete, hörte das Rauschen der Luft in seinen Lungen. Mein Herzschlag war eins mit seinem.

"To'rir, warum konnte ich das nicht selbst erkennen?"

To'rir antwortete belustigt: "Weil du kein Drache bist!"

Ich seufzte. Ich fühlte mich seltsam getröstet, auch wenn dadurch das Blut von meinen Händen nicht gewaschen war, so war das nagende Schuldgefühl in meiner Seele gedämpft. Ich konnte mit der Schuld zweier Morde besser umgehen.

Fluch der Pardonnex - Weltträumerin (II)

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