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5. Zauberwald

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Ich lief und lief, wusste nicht mehr, wie lange ich gelaufen war, als ich plötzlich vor einer Stelle stehen bleiben musste, die genau meinen Seelenzustand widerspiegelte: trist und gleichzeitig wunderschön – ein kleiner Teich in Mondlicht getaucht. Spärliche Pflanzen und imposante Geröllbrocken in allen Größen und Formen am Fuße des Ufers schützten diesen wunderbaren Ort des ruhenden Wassers. Einer der Steine war gerade klein genug, dass ich auf ihn klettern konnte und meine Füße bequem auf den trockenen, mit Moos bewachsenen Boden stellen konnte. Der selbe Stein war hinten ein wenig höher, sodass ich mich anlehnen konnte. Er war geformt wie ein grob gehauener, steinerner Sessel.

Ich blickte mich weiter um: Dunkle, dicht stehende Tannen wuchsen um den Steinkreis, in dessen Mitte sich der Teich befand. Es war ein geheimnisvoller, mystischer, fast unheimlicher Ort, der mich dennoch nicht ängstlich werden ließ. Ich hatte das sichere Gefühl, dass ich hier bleiben und mich kein Lebewesen finden würde. Also starrte ich beruhigt und mit einem Gefühl, dass ich an diesem besonderen Ort beschützt wurde, in das Wasser des Teiches, das wie die Umgebung in Silber getaucht war. Kein Laut war zu hören. Keine Zweige knackten, keine Insekten summten, kein Wind wehte leise durch die Tannenzweige. Ich begann mich in meinen Gedanken und der Leere zu verlieren und saß da, saß einfach nur da...

Plötzlich spürte ich mein brennendes Gesicht, wachte auf, öffnete erschrocken meine Augen und schloss sie sofort wieder. Die Sonne schien direkt in die Mitte des Teiches und blendete mich. Vorsichtig berührte ich mein Gesicht, ob sich Schwellungen zeigten infolge von Verbrennungen – zum Glück nicht. Ich blickte auf den Boden, versuchte dem hellen Sonnenlicht auszuweichen, verließ den Steinkreis und versuchte, mich genauer zu orientieren.

Die dunklen Tannen um den Teich herum ließen kaum Helligkeit durch. Ich flüchtete in deren Schatten, um keinen Sonnenbrand zu riskieren. Natürlich hätte ich mich schnell selbst heilen können, es hätte mich kaum Kraft gekostet. Doch hatte ich nicht den Somanern ans Herz gelegt, dass ich meine Magie nur sinnvoll einsetzen wollte? Als ich daran dachte, überkam mich wieder die gesamte Pein, wegen der ich mich an diesem zauberhaften Ort befand. Wem sollte ich jetzt noch mit gutem Beispiel vorangehen? Ich war allein und konnte machen, was ich wollte, wenn ich niemand anderem schadete. Mir konnte ich in diesem mystischen Tannenwald sinnvoll helfen. Ich wusste nicht, wo ich mich befand, hatte Hunger und Durst und wusste nicht, wo ich Essen finden würde. Ich wusste nicht einmal, wo ich anfangen sollte zu suchen! Was sprach also dagegen, mich – das erste Mal, seit ich auf Soma war – zu verwöhnen?

Als ich meinen Weg durch den dunklen Tannenwald nahm, erreichte ich eine kleine Lichtung. Diese Lichtung war mit spärlichem Gras bewachsen. Darauf stolperte ich zu, ließ meine Kräfte, meine Magie wirken und blickte mich zufrieden um. Auf einer weichen Decke ließ ich mich nieder, aß das leckere gebratene Hühnchen, trank den süßen Rotwein, knabberte an dem herzhaften Käsebrot und den violetten, saftigenTrauben. Nach dem königlichen Mahl wartete ich, ob sich bei mir Schuldgefühle einstellen würden. Keineswegs konnte ich derartiges empfinden. Selbst dann nicht, als ich mir noch einen kleinen Schnaps zum Schluss herbeizauberte. Nein, warum auch?

Ebenso die weiche Matratze, auf der ich mich genüsslich ausstreckte, weckte nicht diese Gefühle in mir, die ich seit Jahren auf Soma empfunden hatte.

Am Abend ruhte ich am Teich und beobachtete im stillen, klaren Wasser den Aufgang des Mondes.

Ich seufzte: 'Heute ist Vollmond. Das heißt, es fängt der Sommer an. In drei Monaten ist Mittsommerfest.‘

Bestimmt hätte man mich aufgefordert, dieses Jahr das Feuerwerk zu übernehmen.

'Pech! Sucht euch doch einen anderen Magier, mit dem ihr machen könnt, was ihr wollt und der sich alles gefallen lässt! Sollte er zu einem bösen Gesellen mutieren, erinnert ihr euch eben an Alena. Die hilft euch wieder aus der Patsche! Auf einen Somaner mehr oder weniger auf der Liste, die die von meiner eigenen Hand Ermordeten aufführt, kommt es nicht mehr an! Einmal Mörder - immer Mörder!'

Verbittert starrte ich in das silberne Wasser. Meine schwermütigen und böen Gedanken erschreckten mich. Ich erkannte mich nicht mehr! Das durfte ich nicht mit mir geschehen lassen! Ich musste endlich mit meinem Ärger, dem Brennstoff meiner Wut, fertig werden und meinen inneren Frieden finden. Doch wie, wenn mir keiner half, keiner helfen konnte? Wo sollte ich anfangen, wo aufhören? Ich sank in meinem Felsensessel zusammen, ließ den Kopf zurückfallen und starrte den Mond an. Dieser Mond war größer als der auf der Erde. Soma war größer als die Erde. Ich sinnierte weiter. Ob der Mond die Gezeiten auf Soma regelte wie es auf der Erde war? Bei den großen Meeren, von denen mir Dran'gorr erzählt hatte. Gab es dort Gezeiten? Mir wurde in diesem Moment bewusst, wie wenig ich von dem Planeten wusste, auf dem ich lebte. Ich hatte nie die Gelegenheit gehabt, Soma richtig kennenzulernen. Dar'sal und Yyro'ha hatten mir zwar ein wenig erklärt, aber gerade soviel, dass ich hier leidlich überleben konnte. Die Ereignisse überstürzten sich, seit ich hier war. Wochenlange Gefangenschaften, den Wiederaufbau einer Stadt, die Pflege und Heilung Bedürftiger und Kranker – das war mein Lebensinhalt gewesen!

'Doch nun bin ich frei und kann gehen, wohin ich möchte!', setzte sich ein verlockender Gedanke in meinem Gehirn fest.

Ich war frei und hatte keine Verpflichtungen mehr anderen gegenüber. Allerdings hatte ich auch keine festen Pläne. Angst überkam mich, weil ich nichts über diese Welt wusste. Wem konnte ich trauen, wem nicht? Wo war es schön, wo gefährlich? War hier überhaupt etwas gefährlich? Mit Sicherheit gab es auf Soma Gefahren, vor allen Dingen für eine allein reisende Frau! Ich wollte in diesem seltsamen Wäldchen bleiben und mich meiner Trübsal hingeben, intuitiv wusste ich, dass ich hier sicher war - dass mich niemand finden konnte.

Ich ging zu der Lichtung, auf der ich ein Zelt aufgestellt hatte. Sämtliche Tiere, ob groß, ob klein, ob gefährlich, ob harmlos würden einen großen Bogen um mich und mein Domizil machen - dafür hatte ich mit einem Schutzzauber gesorgt. Ich kuschelte mich in ein warmes, weiches Daunenbett und schlief erstaunlicherweise sofort ein.

Am Morgen begab ich mich zum Teich und wusch mein Gesicht. Der Teich war unheimlich tief - ich konnte den Grund nicht mit bloßem Auge erkennen. Das kalte Wasser erfrischte mich und verscheuchte das letzte Gefühl der Müdigkeit in mir. Ich kletterte auf den höchsten Felsen, stand einfach nur da und drehte mich um die eigene Achse. Von dieser Stelle aus konnte ich über die hohen Tannen hinwegsehen. Das Tannenwäldchen war nicht groß. Rings herum leuchtete grün die weite Ebene, die durch vereinzelte Sträucher und Büsche, sowie kleinere Ansammlungen von Bäumen verziert wurde. In der Ferne konnte ich das blaue Band eines Flusses gerade noch erkennen. Ich wusste immer noch nicht, wie ich hierher gekommen war. Nirgends war das Bergmassiv zu erkennen, von dem ich aufgebrochen war, als mich Dran'gorr weggeschickt hatte. Wie war ich so schnell hierher gelangt? Dunkel meinte ich mich erinnern zu können, wie ich beim Laufen auf weiche, graue Pfoten geblickt hatte, die sich schnell unter mir bewegten. Hatte ich die Form eines Wolfes angenommen? Ohne es zu bemerken oder gar zu wollen? Ich hatte mich an dem verhängnisvollen Abend meiner Flucht auch in einen Drachen verwandelt und nicht bewusst gesteuert. Ich seufzte. Egal wie - ich war hier.

Und ganz allein...

Ich kletterte vom Felsen herunter - die Sonne schien in die Mitte des Teiches. Ich hatte nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verging, als ich auf dem Felsen stand. Das geschah mir in letzter Zeit oft, dass ich Dinge tat oder die sich um mich herum ereigneten und sich meiner Kenntnis entzogen. Das beunruhigte mich.

Was, wenn ich nicht seit zwei Tagen sondern seit zwei Monaten hier lebte und es nicht mehr wusste? Aber nein, das konnte ich ausschließen. Meine Fingernägel und mein Haar wären in dieser Zeit viel mehr gewachsen. Dennoch beunruhigte mich mein verschobenes Zeitgefühl. Ich beschloss, mir einen Kalender zu kreieren, um mein Zeitgefühl zu schulen und sicher zu sein, dass um mich herum noch alles linear ablief. Ich fand ein geeignetes Holzstück und ritzte mit einem kleinen Dolch das Datum ein, das meiner Meinung nach gerade war.

Für jeden Tag machte ich morgens eine Kerbe. Ich verließ mich auf dieses simple System, weil ein Kalender, den ich durch meine Magie herbeizauberte, vielleicht genauso orientierungslos wäre, wie ich, wenn ich die alten Kräfte in mir wirken ließ.

Jeder Tag lief in der ersten Woche, die ich in dem kleinen Wäldchen verbrachte, nach dem gleichen Schema ab: Morgens waschen, auf den hohen Felsen klettern, am Mittag essen, im Wald herumlaufen, abends essen, nachts am Teich sitzen.

Dreimal in der Woche badete ich mittags im Teich, weil das Wasser sehr kalt war und ich in der warmen Mittagssonne mein langes Haar trocknen konnte.

Es verging Woche um Woche.

Am Anfang machte ich mir noch keine Sorgen, als mein Haar immer heller wurde. Ich schob es auf die Sonneneinwirkung.

Eines morgens betrachtete ich mich im Sonnenlicht und fand, dass mein Haar merkwürdig aussah. Sämtliche Farbe war daraus gewichen. Nicht nur einzelne Strähnen, die ständig der Sonne ausgesetzt waren, auch mein dichtes Haar darunter war hell - zu hell! Fassungslos blickte ich auf die weißen Strähnen und schüttelte unwillig den Kopf.

Zwei Wochen später war mein gesamtes Haar weiß, sodass es glitzerte wie Schnee, der von der Sonne hell angestrahlt wurde. Aber meine Haut war jung und weich und hatte durch die Sonne einen Bronzeschimmer angenommen, auf der die feinen Härchen wie Gold glänzten. Ich hätte mich gerne in einem Spiegel betrachtet. Unerklärlicherweise konnte ich mich im Wasser des Teiches nicht spiegeln und einen Spiegel herbeizuzaubern, fand ich nun wirklich zu absurd - das hätte mir ein schlechtes Gewissen bereitet. Also verzichtete ich darauf.

Überhaupt - meine Neugier war verschwunden! Ich dachte nicht mehr nach, weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft. Warum ich jeden Tag auf den Felsen kletterte und mich nach allen Seiten umblickte, warum ich jede Nacht lange am Teich saß, bis der Mond unterging, das wusste ich nicht und wollte es nicht wissen. Es interessierte mich nicht mehr. Es war wie ein tägliches Ritual, das ich abhielt, weil ich sonst nichts zu tun hatte. Ich wollte Soma nicht mehr erkunden, ich wollte nicht mehr wissen, warum ich mich in dem Wasser des Teiches nicht spiegeln konnte und erst recht nicht, warum ein kleines Gewässer so tief war, dass ich nicht darin stehen konnte, wenn ich jeden zweiten Tag darin badete. Ich fand keine Wut, keinen Ärger mehr in mir.

Aber zu welchem Preis?

Ich hatte meine Lebensfreude, meine Neugier, meine Gefühle verloren! Ich hatte seit dem einen Abend, der mich in dieses Wäldchen getrieben hatte, kein einziges Mal mehr gelacht oder geweint. Ich atmete, aß, achtete auf mein Äußeres, ich schlief - mehr nicht.

Ich wartete.

Auf irgendetwas.

Ich wusste nicht auf was, mir war nicht einmal bewusst, dass ich überhaupt auf etwas wartete - bis ich eines morgens aufwachte und das sichere Gefühl hatte, dass es an diesem einen Tag geschehen würde. Etwas Großartiges!

Ich sprang aus meinem Bett, summte vor mich hin und da erst wurde mir bewusst, dass ich lebendig war, dass ich lebte und nicht nur vor mich hinvegetierte!

Enttäuscht registrierte ich, dass um mich herum alles wie immer war. Nichts zu hören. Kein einziger Vogel, kein Insekt, kein Hase, Reh, Fuchs, was auch immer. Noch nicht einmal der Wind, der durch die Tannenzweige wehte. Wie immer...

Was hatte ich erwartet? Ich lief zum Teich, um mich zu waschen, als mir einfiel, dass ich an diesem Morgen noch keine Kerbe in meinem behelfsmäßigen Kalender geritzt hatte. Schnell rannte ich zurück: dies war der Tag, den die Somaner "Mittsommer" nannten. Der Tag, an dem die Sonne nie unterzugehen und die Nacht nur wenige Minuten zu währen schien. Der längste Tag und die kürzeste Nacht. Drei Monate war ich demnach in dieser Einsamkeit des Tannenwaldes. Aber was hatte mein Aufleben mit diesem Tag zu tun? Eine unerklärliche Freude packte mich tief in meinem Inneren und meine Magie wuchs stoßweise an. Ich hüpfte zum Teich, wusch mich besonders gründlich, kletterte auf meinen Felsen, hielt Ausschau, aber ich wusste nicht, wonach. Ich wartete, wusste aber nicht auf wen oder was. Ich hatte solche Angst davor, etwas zu verpassen, dass ich länger als sonst dort oben stand und spähte. Aber es tat sich nichts. Niemand kam. Das gleiche Bild wie immer.

Enttäuscht kletterte ich herunter und schlich zu der Lichtung. Da nichts geschehen war, wollte ich heute wenigstens etwas anderes essen als sonst. Ich erinnerte mich an Hamburger und Pommes. Die aß ich mit Genuss und trank eine süße Cola dazu. Ich grinste in mich hinein. Das hatte ich eine halbe Ewigkeit nicht mehr gegessen und schlemmte richtig! Nachdenklich lehnte ich mich auf meiner Matratze zurück und blickte in den Himmel. Das helle Licht blendete mich und ich schloss die Augen. Die Sonne schien an diesem Tag besonders hell und heiß und kurze Zeit später war ich schweißgebadet. Ich setzte mich auf und blickte an mir herunter. Seit meiner Ankunft hier trug ich ein schlichtes, braunes Kleid. Das goldene hatte ich bei meiner Flucht in Drachengestalt in der Höhle vor Pax zurückgelassen. Ich fand mich am kühlen Teich wieder, wo sich schon die ersten Schatten bildeten. Schnell wusch ich meinen Körper ab und setzte mich auf den Felsensessel. Ich fühlte mich an diesem Tag einsam wie nie zuvor. Nach dem unerklärlichen Hochgefühl am Morgen traf mich die Enttäuschung doppelt hart, dass wieder nichts geschehen war. Ich begann, mir Gedanken zu machen über all die Lieben, die ich verlassen hatte. An Dar'sal, der gebeten hatte, dass ich ihn nicht verlassen sollte. Mein eigenes Leid war groß, die Enttäuschungen gingen tief in mich hinein, sodass es mir egal gewesen war, ob und wie ich die Somaner verletzte, vor allem, die, die ich liebte und die mich liebten.

Es war zu spät.

Wie sollte ich jetzt noch zurück? Was sollte ich sagen, erklären?

Meine Freunde würden mich vielleicht noch verstehen, doch all die anderen, die sich mir anvertraut hatten? Ob sich meine Freunde Sorgen über mich machten? Bestimmt! Ob sie mich gesucht hatten? Das wusste ich nicht, schließlich war ich drei Monate an ein und demselben Platz gewesen und niemand hatte sich mir genähert! Hatte ich meinen Geist versperrt? Ich horchte tief in mich hinein. Nein, mein Geist war offen, aber dort befanden sich nur meine Gedanken. Noch nicht einmal Dar'sal hatte mich gerufen. Vielleicht waren er und die anderen wütend auf mich. Konnte ich es ihnen verdenken? Eigentlich schon, denn es war sehr verletzend, zu erfahren, was die Somaner über mich dachten. Das mussten sie verstehen, sonst sind es keine Freunde! Waren sie es überhaupt? Natürlich! Daran durfte ich nicht zweifeln, nachdem, was wir gemeinsam durchgemacht hatten. Da konnte kein Alltag etwas daran ändern. Das war tief in uns hinein gebrannt worden - die Narben währten ewig.

War es genauso natürlich, dass ich begann, an der Treue meiner Freunde zu zweifeln? Drei Monate währte meine Einsamkeit und ich wusste nicht, was geschehen war oder noch geschehen wird.

Fluch der Pardonnex - Weltträumerin (II)

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