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2. Trauer

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"Wieso hattest du eine solche Wut in dir?", wollte ich von To'rir wissen.

Der Drache schwieg lange.

Danach flüsterte er: "Dran'gorrs Trauer ließ meine Seele bluten und du hattest deine Seele für seinen Schmerz verschlossen!"

Ich schloss die Augen: "Für mich war es auch nicht leicht."

To'rir blickte gedankenverloren in die Weite des Himmels: "Du hattest jemanden, der noch einen Platz in deinem Herzen einnahm. Vater hatte niemanden. Yli'on und ich hörten ihn jede Nacht singen. Er hat in einer Weise gesungen wie noch nie ein Drache zuvor. Er liebt dich sehr und ist von Trauer und Schmerz erfüllt, dass du nicht bei ihm bist. Je trauriger wir Drachen sind, desto schöner, melodienreicher, bildhafter wird unser Gesang. Plötzlich verstummte sein Gesang. Im ersten Sommer nach Parims Tod. Wir flogen zu den Eisbergen, in denen er sich aufhielt, jedoch wir fanden ihn nicht mehr. Wir spürten nicht einmal seine Anwesenheit. Auch seinen Körper fanden wir nicht."

Ich verstand: "An diesem Tag hattest du mich das erste Mal aufgesucht. Du dachtest, dass ich ihn finden würde, weil er nur von mir gefunden werden wollte. Doch was ist heute geschehen? Du bist verändert."

To'rir stieß sein grollendes Lachen aus: "Heute vernahmen wir seine Gegenwart wieder. Er verbrachte eineinhalb Jahre tief unter den Eisbergen im warmen Inneren von Soma. Ein Drachenschlaf ist todesähnlich. Das Herz schlägt nur einmal am Tag und so schwach, dass wir jüngeren Drachen ihn mit unseren noch unvollkommenen Kräften nicht wahrnehmen können. Heute ist er erwacht und seine Seele blutet nicht mehr."

Mir krampfte sich mein Herz vor Wut zusammen. Dran'gorr hatte sich die ganze Zeit verkrochen, ließ seine Seele im Schlaf heilen und ich musste mit meiner blutenden Wunde leben! Ich konnte nicht einfach über ein Jahr in Vergessenheit abtauchen und wenn ich wieder auftauchte, erschien alles besser!

To'rir funkelte mich tadelnd an: "Urteile nicht so hart! Denk daran, wieviel tausend Jahre wir leben und wie verschwindend gering eure Lebensspanne ist. Noch ein Grund als Drache zu leben. Alena, ich verstehe dich nicht, wieso du an diesem Menschenkörper festhältst. Du wirfst das wertvollste Geschenk achtlos weg!"

Ich schüttelte den Kopf: "Lenk nicht ab! Ich konnte keinen Drachenschlaf halten und für eine kurze Zeit alles vergessen. Ich weiß, dass Drachen intensiver empfinden - ihr seid damit geboren worden, ihr wisst damit umzugehen! Das ist auch der Grund, warum ich als Mensch weiter leben möchte. Ich bin in diesem Körper geboren worden und weiß damit umzugehen!"

Ich zeigte an mir herunter: "Diese Hülle ist mir vertraut. Das Menschsein hat seine Vorteile..."

"Echt?", ertönte hinter mir die freundlich - lakonische Stimme, die ich die letzten Jahre kennen und lieben gelernt hatte.

"Dar'sal!", rief ich aus, als sich zwei kräftige, federbesetzte Arme um meine Hüfte legten und mich regelrecht umschlangen.

Ich legte beide Arme über seine und lehnte meinen Kopf an seine mit Federn geschmückte Brust.

"Lässt dich diese fliegende Echse nicht in Ruhe?", wollte Dar'sal wissen.

Ich musste gegen meinen Willen kichern, als To'rirs Augen einen wütenden Ausdruck annahmen und sich zu kleinen, blitzenden Schlitzen verengten.

Beschwichtigend griff ich ein: "Dar'sal! Ich weiß zwar, dass Bauarbeiter einen rüden Tonfall an den Tag legen, aber du könntest wirklich etwas höflicher zu dem D R A C H E N To'rir sein!"

Ich betonte das Wort „Drache", weil ich Dar'sal schon tausendmal gesagt hatte, dass To'rir es hasste, als Echse beschimpft zu werden. Er konnte es nicht verstehen, wie Dar'sal auf die Idee kam, ihn mit einem Staubkriecher zu vergleichen.

"Jetzt nimmst du ihn wieder in Schutz und nachher beschwerst du dich, dass er dich nicht in Ruhe lässt, weil du kein D R A C H E werden willst!", verteidigte sich Dar'sal.

Mein rot anlaufendes Gesicht verhinderte nicht, dass To'rir mir einen bitterbösen Blick zuwarf und mir in den Kopf ein ‚Verräter' hineindachte. Seine Verachtung traf mich körperlich, so sehr missfiel dem Drachen die Situation.

"Mein lieber Drache! Werde nicht unfair! Du sagst, dass Drachen ein Kollektivbewusstsein haben und ihre Seele nicht voreinander verschließen. Da wir Somaner das nicht können, gleichen wir das durch Kommunikation aus. Also! Ich denke, dass deine Schwester von jedem meiner Worte, die du gehört hast, weiß."

To'rir senkte den Kopf und wäre er kein roter Drache gewesen, hätte er sicherlich einen roten Kopf erhalten.

"Verzeihung!", sagte er laut und ich war mir sicher, dass er es ernst meinte.

Er hatte für heute seine Lektion gelernt. Ich lachte. Ich wusste, dass die beiden sich sehr mochten, obwohl es nach außen hin nicht den Anschein hatte und sie sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu streiten begannen. To'rir bewunderte die Gestaltwandlung des Symbionten, die keinerlei magische Energie benötigte, weil sie zu seinem Wesen gehörte und Dar'sal bewunderte den Drachen ob seiner wunderschönen Gestalt und Kraft, wie sie nur ein Drache besitzen kann. Dar'sal verwandelte sich in einen Somaner und wieder versetzte es mir einen kleinen Stich, weil ich ihn in seiner engelsgleichen Gestalt viel zu gern und leider immer viel zu kurz bewundern konnte. Ich schüttelte meinen Kopf und wollte das traurige Gefühl von mir abschütteln.

"Wieso bist du hier? Hast du mich gesucht?", wollte ich von dem Symbionten wissen.

Dar'sal grinste: "Nur so. Ich mache heute früher Feierabend."

Ich blickte ihn erstaunt an. Das war ich nicht von ihm gewohnt. Dar'sal arbeitete genauso hart wie ich und nur Balon, der von Natur aus eher gemütlicher veranlagt war, schaffte es manchmal, uns beide zur Vernunft zu bringen, indem er darauf bestand, dass am nächsten Tag noch genug Arbeit auf uns warten würde. Und er hatte recht, denn mit dem Bau der neuen Stadt kamen wir erstaunlich gut voran, weil jeder, der zwei gesunde Arme und Beine hatte, nach Leibeskräften mit anpackte.

"Und Xera und Semmin?", wollte ich wissen.

Wir vier, Dar'sal, ich und die beiden Elfen, waren ein unzertrennliches Gespann.

"Feierabend", kam die kurze Antwort.

Überrascht blickte ich Dar'sal an und begann etwas zu ahnen: "Und die anderen?"

"Feierabend", Dar'sal konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen.

Langsam bildeten sich Lachfalten auf seinem sonst unbewegten Gesicht.

To'rir schnaubte und murmelte etwas von: "...typisch Somaner..."

Ich zuckte mit den Schultern: "Gut!"

Ich hatte mich schon in den frühen Morgenstunden zu diesem Platz geschleppt, wo mich To'rir und Dar'sal überrascht hatten. Ich wollte Zeit zum Nachdenken haben, wollte nicht, dass mich jemand in meinen Gedanken störte. Ich war mir dabei zwar ziemlich jämmerlich vorgekommen, aber gleichzeitig war mein eigenes Elend so groß, dass ich das Gefühl hatte, an diesem Platz allein und zurückgezogen sein zu müssen, um nicht innerlich zu zerbrechen. Schon bei dem Gedanken daran knirschte ich mit den Zähnen und ballte meine Hände zu Fäusten.

Dar'sal bemerkte meinen verbissenen Gesichtsausdruck und dass ich mit den Gedanken weit weg von ihm war.

Er allerdings wollte mich aufmuntern und fuhr mit fröhlichem Tonfall fort: "Bist du gar nicht neugierig, warum wir so früh mit dem Arbeiten aufhören?"

Natürlich war ich das! Doch, wenn ich früher neugierig gewesen war, dass ich innerlich fast zerborsten wäre, so konnte ich mich nach den Jahren auf Soma bewundernswert beherrschen. So dramatisch es klang, aber ich war nicht mehr so unschuldig wie früher - ich hatte dem Tod in die Augen gesehen und den Tod in den Augen meiner Feinde. Dadurch verlor ich meine unbeschwerte Unschuld und Ungeduld. Ich hatte nicht im Effekt oder bei einem Unfall, ich hatte absichtlich und bei vollem Bewusstsein getötet und immer, wenn ich mich daran erinnerte, befürchtete ich, dass dadurch ein Wall in mir zerbrochen war und dass mir das Töten in Zukunft leichter fallen würde - dass meine Hemmschwelle heruntergesetzt worden war!

Ich verdrängte meine düsteren Gedanken und blickte Dar'sal aufmunternd an: "Wieso haben jetzt alle Feierabend?"

Dar'sal sah freudig und aufgeregt aus, sodass ich mir dachte, er wäre mit der Neuigkeit herausgeplatzt, wenn ich ihn nicht endlich danach gefragt hätte: "Komm mit! Ich darf dir noch nicht viel verraten, aber ich habe ein Geschenk für dich."

Ab diesem Zeitpunkt war ich wirklich neugierig. Zu gern ließ ich mich entführen. Ich streichelte dem sauer dreinblickenden To'rir über die samtene Schnauze und lief mit Dar'sal los. Als ich mich nach ein paar Minuten umdrehte, bestätigte sich der Eindruck, dass der Drache immer noch da war und mir mit traurigen Augen hinterher blickte. Ich blieb stehen und betrachtete seine funkelnden Schuppen. Er schwebte in einem Schauer von roten Wassertropfen, die bei jedem Atemzug, bei jeder Kopfbewegung, jedem Anspannen der mächtigen Muskeln unter seiner dicken Haut glänzten und tanzten. Er wirkte in dem hellen Sonnenlicht weniger wie ein Drache als vielmehr wie ein perfekt geschliffener, kostbarer Rubin. Ich seufzte, nachdem ich tief eingeatmet und dann den Atem vor Bewunderung lange angehalten hatte. Erst da wurde ich mir Dar'sal bewusst. Mein schlechtes Gewissen plagte mich sofort, nachdem ich an Dar'sal dachte. Die ganzen Monate hatte ich versucht, still, heimlich und leise zu trauern, damit ich nicht auch noch Dar'sal enttäuschen und traurig machen würde - aber nun war die Sehnsucht nach dem Drachen wieder erwacht. To'rir hätte mir nicht von den Leiden seines Vaters erzählen sollen und er hätte nicht in seiner ganzen Drachenpracht vor mir stehen und diese Sehnsucht wieder in mir wecken sollen.

Ich blickte Dar'sal in die Augen. Sie glänzten. Ich senkte beschämt den Kopf, konnte es nicht mehr ertragen. In Gedanken schickte ich To'rir wütend zwei Worte zu, Wut und Trauer schlugen mir in seinen Gedanken zurück, doch er erhob sich gehorsam und flog davon. Kurz streifte mich seine Woge von Wut und Enttäuschung, dann verschloss ich meine Seele vor ihm und auch vor Dar'sal.

"Geh mit ihm. Du gehörst zu ihnen!", hörte ich die sanfte Stimme Dar'sals, die durch seine Traurigkeit noch weicher klang.

"Nein! Nein, sag das nicht! Ich gehöre zu dir! Zu Xera, zu Semmin und mein Herz würde brechen, wenn ich euch alle verlassen sollte!"

Dar'sal schüttelte den Kopf: "Aber du hast immer noch nach dem Drachenkörper diese Sehnsucht, die ich fast körperlich spüre, auch, wenn du versuchst, dies zu verbergen. Ich lese es in deinen Gedanken, in deinen Gefühlen, deinen Bewegungen und Träumen. Du wirst nie mit deinem ganzen Herzen bei mir sein. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertragen kann!"

Vor Verzweiflung wollte ich am liebsten anfangen zu weinen, aber ich unterdrückte meine Tränen: "Dar'sal, sag das bitte nicht. Wo soll ich hingehören, wenn ich in meiner Seele halb Mensch, halb Drache bin und mich beide verstoßen! Wer hat das Recht zu behaupten, zu wem ich gehöre und zu wem nicht? Willst du mich verurteilen? Als ich vor der Wahl meines Körpers stand, habe ich mich für den Körper entschieden, in dem ich das Licht der Welt erblickt hatte. Und sollten mir Zweifel an meiner Wahl kommen, macht mich das nicht noch menschlicher?"

Ich legte meinen Kopf leicht schief und blickte Dar'sal direkt in die Augen, hoffte, dass er die Wahrheit in meiner Seele lesen konnte. Ich erkannte in seinen blauen Augen, wie sich ein dunkler Schatten als Schleier über seinen sonst klaren Blick legte und erkannte darin das schlechte Gewissen, das seine Seele plagte.

Endlich nahm er mich fest in seine Arme: "Verzeihst du mir? Ich wollte dich nicht wegschicken, ich will dich nicht verlieren! Es tut mir leid - ich bin eifersüchtig auf diesen Drachen, weil ich weiß, was er dir bedeutet. Ich... Bleib bei mir, bitte!"

Ich erwiderte seine Umarmung und ließ vor Erleichterung meinen Tränen freien Lauf. Sie rannen über meine Wangen, über Dar'sals silbergraues Haar und tropften auf die Wiese. Überall, wo sie hinfielen, wuchsen Sternblumen. Ich musste unter Tränen lachen, was noch mehr Sternblumen Leben schenkte.

Dar'sals Augen folgte meinem Blick, er lachte und fragte erstaunt: "Wieso geschieht das mit deinen Tränen?"

Ich zuckte mit den Schultern: "Keine Ahnung, aber ich weiß, dass Drachentränen sehr selten und manchmal gefährlich sind."

Zum Beweis hob ich meine linke Hand, auf der die Narbe zu sehen war, die Dran'gorrs Träne dort hinterlassen hatte. Die Narbe schien ständig ihre Form zu verändern, ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie in eine bestimmte Richtung trieb. Ich war gespannt was für eine Form sie in ihrer Vollendung haben würde.

"Menschentränen sind nicht gefährlich, sie sind einfach nur nass!", widersprach mir Dar'sal.

"Aber ich bin doch halb Mensch und halb Drache, wie du vorhin richtig erkannt hast. Bei mir bewirken Tränen immer etwas anderes, aber nie etwas Schlechtes."

Dar'sal schüttelte den Kopf: "Bei dir entdecke ich immer etwas Neues."

Ich blickte ihn ernst an: "Hast du das ernst gemeint, als du gesagt hast, dass du nicht weißt, wie lange du es noch mit mir aushalten kannst?"

Dar'sal war nicht ehrlich, als er erwiderte, dass er es nicht ernst gemeint hatte und dass er lediglich eifersüchtig auf den Drachen gewesen war. Ich spürte, dass er wusste, dass ich ihm diese Behauptung nicht glaubte. Mein Drachenherz hatte vor eineinhalb Jahren einen Sprung bekommen, als ich mich gegen Dran'gorr und für Dar'sal entschieden hatte und mein Menschenherz erhielt in diesem Moment einen Sprung, weil ich ein solch wunderbares Geschöpf wie Dar'sal tief verletzt hatte. Ich überlegte, wie lange es dauern würde, bis eines meiner beiden Herzen zerbrach - oder beide??

Fluch der Pardonnex - Weltträumerin (II)

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