Читать книгу Unsere liebenswerte Familie - Bianka Kitzke - Страница 4

Kapitel 1

Оглавление

Auf der Suche“

Christopher Baxter stand am Fenster seines Arbeitszimmers und schaute dem Kindermädchen zu, wie es mit seinen beiden älteren Mädchen, die im übrigen Zwillinge waren, im Garten spielte, - oder es zumindest versuchte. Die beiden Mädchen waren fünf Jahre alt und rannten um die etwas ältere Dame umher, als wäre sie ein Baum, der fest im Boden verankert war, während seine jüngste Tochter mit ihrem paar Wochen, in ihrem Körbchen lag und schlief. Er wusste nicht genau, das wievielte Kindermädchen dies nun war, doch es waren schon eindeutig zu viele Bewerberinnen gewesen, die sich Chris in den letzten Tagen und Wochen hatte angesehen. Schon nach der fünften Bewerberin hatte Chris sich gefragt, wie manche Arbeits,- und Vermittlungsagentur das aushielt, wenn Tausende von Menschen kamen. Ihm gingen ja schon fünf Leute auf den Wecker! Aber er war schließlich auch nur ein Mann. Wäre er eine Frau gewesen, hätten ihm die Gespräche, die er im Anschluss führen musste, wahrscheinlich nicht so viel ausgemacht wie jetzt. Chris beobachtete das Szenario nun schon fast eine ganze Stunde und versuchte sich ein Bild darüber zu machen, ob die etwas ältere Dame denn nun die Richtige wäre, täglich nach seinen Kindern zu sehen, mit ihnen zu spielen und weiß der Herr, noch alles zu machen. Aber je mehr er sich auch anstrengte, er kam immer zu dem gleichen Entschluss. Diese Dame war wieder nicht die Richtige, und ungeeignet für den Job. Seine Kids waren ihm das Liebste auf der Welt und nun sollte sich jemand um sie bemühen, der auch eine Ahnung von Kindern hatte. Diese Dame hatte zwar alle Voraussetzungen und Qualifikationen was den Beruf der Erzieherin ausmachen sollte und doch war es nicht das, was Chris sich für seine Babys vorstellte.

„Christopher? Entschuldige, wenn ich dich störe, aber ich finde du solltest das Wissen“.

Chris wandte sich vom Fenster ab und sah Fred, den Gärtner und langjährigen Freund der Familie, an der Tür stehen. Chris erinnerte sich noch gut an seine Zeit als Kind, als er und Fred in diesem Garten spielten. Und er hatte sich nicht so angestellt wie diese Frau. Fred rannte immer hinter ihm und seinen Brüdern her, sodass die Jungs gar nicht dazu kamen, sich zu erholen. Fred war für Chris immer der nette, freundliche Onkel gewesen, und nachdem sein Vater sich aus dem Staub gemacht hatte, auch so etwas wie ein Vater. Edward Baxter hatte sich zwar aus dem Staub gemacht, sich aber schnell wieder entschlossen, dass er zu seiner Familie gehörte. Für seine Jungs hatte er jedoch nie Zeit übrig. Und das ließ er seine Kinder auch spüren. Stets waren Worte wie Nervt mich nicht oder Geht nach draußen spielen und Lasst mich bloß in Ruhe zu hören. Edward Baxter las lieber die Zeitung als sich mit seinen Kindern zu beschäftigen.

„Komm rein, Fred. Was kann ich für dich tun?“

„Nun, ich denke du solltest wissen, dass diese Dame zwar mit den Kindern spielt, aber um die kleine Emily hat sie sich noch kein bisschen bemüht. Sie hat sie noch nicht einmal beachtet! Wenn ich nicht ab und an ein Auge in das Körbchen geworfen hätte, wer weiß was alles hätte passieren können“.

Chris drehte sich wieder um und blickte nach draußen, bevor er sich wieder an Fred wandte.

„Ich weiß, Fred. Und daher werde ich diese Dame auch nicht einstellen. Mir liegt das Wohlbefinden meiner Kids wirklich am Herzen. Daher wird es wohl das Beste sein, wenn ich jetzt nach draußen gehe und das Spektakel beende. Wärst du bitte so gütig und würdest das Baby rein holen?“

„Gewiss doch“, antwortete Fred, während er gemeinsam mit Chris nach draußen in den Garten ging. Wie konnte man als Kindermädchen nur so verantwortungslos sein, und ein Baby allein herum liegen lassen, ohne es auch nur zu beachten. Dies war ein lebendiges Wesen, und keine von Fina´s und Chanas Puppen, dachte sich Chris immer wieder, während er mit großen Schritten, aus dem Haus in den Garten schritt.

Unterdessen stöberte Nora wieder und immer wieder die Stellenangebote der letzten Tage durch. Doch weit und breit war nichts Aufregendes dabei. Nora hatte ihren Job als Erzieherin an den Nagel gehängt, weil sie einfach mal was anderes ausprobieren und nicht jeden Tag von kleinen Kindern mit verschmierten Fingern und Rotz verschmiertem Gesicht an gekrabbelt werden wollte.

„Bist du sicher, dass es richtig war deinen Job zu kündigen?“

„Ich weiß es nicht, aber ich werde es raus finden müssen“.

„Und wie willst du das tun?“

Nora hob ihren Kopf von der Zeitung und sah ihre Mutter an.

„Ich sag es dir dann“ antwortete sie und verkroch sich dann wieder in den Stellenangeboten „und nun lass mich in Ruhe weiter suchen“.

„Ich finde noch immer, du hättest in die Firma mit einsteigen sollen. Immerhin ist sie das Einzige, was euch von eurem Vater geblieben ist“.

„Mutter, das hatten wir doch schon alles. Ich habe es versucht und es hat nicht funktioniert“.

Es war immer der Wunsch ihrer Eltern gewesen, dass ihre Kinder eines Tages zusammen mit ihnen in der Firma arbeiten und sie eines Tages dann übernehmen würden. Ständig war die Rede davon, egal ob beim Essen oder beim Lernen, wenn mal wieder schlechte Noten nach Hause gebracht wurden. Der Satz Wenn ihr mal groß seid, dann … hat sich eingebrannt. Und so war es auch selbstverständlich, dass Nora und ihr Bruder Joshua, sich immer mehr anstrengten gute Note zu schreiben, um irgendwann die Firma zu leiten. Nach kleineren Schwierigkeiten und Anlaufproblemen hatte Nora dann doch noch ein Abitur mit einer Eins gemacht, auf das ihr Vater damals sehr stolz gewesen war. Nach dem Gymnasium hatte sie sich entschieden, in die Firma ihres Vaters mit einzusteigen. Was ja selbstverständlich war, nachdem man es immer und immer wieder eingebläut bekam und Sätze wie Vaters Lebenswerk und es ist die Tradition das Familien-Unternehmen weiterzuführen zu hören bekam. Joshua hingegen entfloh dem allem. Er entschied sich, für ein weiteres Jahr im Ausland zu studieren. Ihrem Vater war das ganz recht, denn so konnte er Nora in die Firma einbeziehen und Joshua musste am Ende ihre Ratschläge befolgen und nicht anders herum. Für Richard van Ladbar stand Nora immer an erster Stelle, das bekam Joshua immer und immer wieder zu spüren.

„Doch vorher musst du noch studieren, bevor du endgültig mit in die Firma einsteigst“, hatte ihr Vater damals zu ihr gesagt. Und Nora hatte sich ein Beispiel an ihrem Bruder genommen und Betriebswirtschaft studiert. Doch kurz bevor Nora mit ihrem Studium fertig war, starb ihr Vater unter mysteriösen Umständen. Ihre Mutter sagte, er wäre bei einem Segeltörn ums Leben gekommen. Doch Nora war nicht blöd. Sie wusste - genau wie ihre Mutter auch, die es aber nie wahrhaben wollte, dass auch sie zu den Familien gehörten, bei denen eine Ehe in die Brüche ging. Dass ihr Vater seit Jahren eine Geliebte hatte und sich mit ihr vergnügte, während ihre Mutter mit ihnen zu Hause saß, lernte oder sich ab und zu mit ihren Freundinnen in der Stadt zum Shoppen traf. Wahrscheinlich war er damals auch mit ihr auf der Yacht der Familie und hatte sich beim Liebesspiel übernommen. Immerhin kratzte er da schon an der Sechzig. Und obwohl es schon Jahre zurücklag, alleine der Gedanke an ihren Vater, den sie über alles geliebt hatte, schnürte Nora die Luft ab. Nun lag es an der Familie das Unternehmen weiter zu führen und Nora tat ihr bestes, gemeinsam mit ihrem Bruder die Geschäfte zu leiten. Doch dann kam es immer wieder zu Streitereien zwischen ihr und ihrem Bruder Joshua, und Nora verließ schon ein halbes Jahr später das Unternehmen um was anderes zu machen. Nora war ein Familienmensch, und nie hätte sie es überwunden wenn die Familie kaputt und vollkommen auseinander- gegangen wäre, nur weil sie ihrem Vater eine gute Tochter sein wollte. Doch ihr Vater war nun tot und Nora überließ Joshua das Ruder. Sie liebte ihn und wollte nicht im Streit mit ihm sein. Kurz entschlossen, lernte sie Erzieherin in einer Kindertagesstätte und nun war ihr auch das zu viel und sie musste sich wieder was Neues suchen. Aber egal wo sie nachsah, keiner suchte eine Erzieherin. Nora war fast am Verzweifeln. Nora hatte gerade die letzte Seite der Zeitung aufgeschlagen, als ihr die Anzeige von Chris Baxter ins Auge fiel.

„KINDERMÄDCHEN gesucht“ darunter noch die Telefonnummer und die Adresse. Das war es! Kindermädchen für ein Kind, maximal zwei Kinder und nicht für eine ganze Horde.

„Ich muss los Mutter. Bis bald!“, rief Nora, schnappte sich die Zeitung und verschwand, noch bevor ihre Mutter etwas sagen konnte.

„Aber! Nora? …“

„Ich ruf dich an!“, … oder auch nicht!

„Tut mir leid, aber Sie bekommen den Job leider nicht“, sagte Chris zu der Dame, die nun in seinem Arbeitszimmer saß und den Mund vor Entsetzen nicht zu bekam.

„Aber … aber …“

„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber mir sind die Kinder sehr wichtig, und ich habe Sie beobachtet als Sie mit Fina und Chana spielten, wenn man das Spielen nennen kann, aber was mir am meisten Sorge bereitete war, dass Sie nicht ein einziges Mal nach Emily gesehen haben“.

„Aber die schlief doch! Was sollte ich denn nach ihr sehen?“

„Bitte? Das Kind ist vier Wochen alt. Es hätte aufhören können zu atmen und Sie hätten es nicht mal bemerkt“.

„Also bitte Herr Baxter, ich finde Sie steigern sich da in was hinein“.

„Nein tue ich nicht. Ich weiß, was es heißt, plötzlich einen Menschen zu verlieren und ich kenne auch den Begriff plötzlicher Kindstod. Und daher werde ich Sie nicht einstellen und bitte Sie nun zu gehen“, sagte Chris und begleitete die Dame zur Tür.

„Sie machen einen Fehler. Ich habe über zwanzig Jahre Berufserfahrung. Jemanden wie mich finden sie nicht so schnell“.

„Das mag ja sein, aber für mich und meine Kinder, sind Sie leider die Falsche“, sagte er und schloss, nachdem er sich höflich verabschiedet hatte, die Tür. Hoffentlich hatte dieses Elend bald ein Ende und ich kann wieder in einen normalen Arbeitsalltag zurück, dachte sich Chris als er sich erschöpft gegen die Tür lehnte. Diese ständig neuen Bewerberinnen und jedes Mal dasselbe. Entweder sie machten schon an der Tür kehrt wenn sie Emily sahen, oder sie beachteten das Baby nicht. Und das Tag ein, Tag aus! Er war am Ende! Die erste Bewerberin, war Frau Bachmann. Sie war fünfzig Jahre alt und hatte hier und da schon graue Haare. Beim Gespräch mit ihr stellte Chris schnell fest, dass sie eigentlich nur einen Job suchte, wo sie die letzten Jahre bis zur Rente rum brachte. Die zweite Dame, war Frau Michels. Eine Dame in strengem Kostüm, wie bei Mary Poppins und der Ansicht, man müsse Kinder streng erziehen und ihnen nicht alles durchgehen zu lassen. Chris wusste gleich, dies wäre nix für seine Kinder. Nicht das er irgendwann mal nach Hause kommen würde und seine Mädels wäre in einem Internat. Zum Glück hatte er keine Jungs. Die hätte sie wahrscheinlich auf eine Militärakademie geschickt. Nummer drei, entpuppte sich als junges Mädel, mit bauchfreien Top und abgeschnittenen Jeans. Nummer vier, machte zwar einen guten Eindruck und schien auch einen guten Draht zu den Kindern zu entwickeln, doch auch darin sollte sich Chris täuschen. Denn als Chris mit Frau Jakobs in seinem Büro saß und die Einzelheiten besprechen wollte, kamen die Zwillinge angerannt und hielten der Dame eine Schachtel, voll mit Käfern vor die Nase. Alle Sorten Käfer waren darin enthalten, angefangen beim Marienkäfer bis hin zu den fettesten Käfern, die man finden konnte. Frau Jakobs fing nur noch an zu brüllen und zwar so laut, dass die Mädchen die Schachtel mit den Viechern fallen ließen und sich sämtliche Käfer in seinem Arbeitszimmer ausbreiteten. Dass Chris diese Dame nie wieder sah, war ja mal klar, wie Kloßbrühe. Mittlerweile kannte Chris die Nummer der „Nannyagentur“ schon auswendig und auch den Namen der netten Dame, die dort arbeitete, kannte er. Vielleicht sollte er sie mal zum Essen einladen, damit sie sich selbst ein Bild seiner Rasselbande machen konnte, um dann so besser die Damen auszuwählen, die sie herschickte.

„Herr Baxter! Wieder nichts? Was war es diesmal?“

„Käfer! Diese Dame hatte Angst vor Käfern“.

„Was soll ich noch tun, Herr Baxter? Ich habe Ihnen die qualifiziertesten Damen geschickt die ich hatte. Ich kann Ihnen nicht mehr helfen. Tut mir leid“.

„Aber Mandy, hören Sie zu. Ich brauche dringend ein Kindermädchen. Ich habe auch noch einen Beruf“.

„Haben Sie die Anzeige in der Zeitung schon geschaltet?“

„Ja habe ich, aber es hat sich noch niemand gemeldet. Was soll ich denn noch tun? Bald glaube ich selbst, dass meine Familie verhext ist“.

„Wer sagt denn so was? Ihre Familie ist doch nicht verhext, - obwohl wenn ich an die letzte Zeit denke, dann könnte …“.

„Frau …! Ach keine Ahnung … Mandy bitte! Helfen Sie mir. Ich werde bald wahnsinnig!“

„Ich werde sehen, was ich noch tun kann. Bis dann Herr Baxter“, sagte sie und legte auf, während Chris sein Telefon noch immer in der Hand hielt. Es wird sich doch irgendein Kindermädchen finden, das alle seine Kinder mochte?

Chris brachte die Kinder, nachdem er sie gebadet hatte, ins Bett und las ihnen wie jeden Abend, noch eine Geschichte vor. Normalerweise würden das die Mamas machen, nicht jedoch in seinem Fall. Denn seine Kinder hatten keine Mama mehr. Dass ihre Mama tot war, hatte er ihnen noch nicht gesagt. Für sie wäre es besser, wenn sie bei dem Glauben blieben, ihre Mutter hätte sie verlassen und wohne nun woanders. Doch irgendwann würde er es ihnen sagen müssen, - und davor hatte er heute schon Angst.

„So ihr Mäuse, nun wird geschlafen“.

„Daddy?“

„Ja?“

„Kommt morgen wieder so eine doofe Frau?“

„Nein, meine Süße morgen nicht. Und nun Augen zu, und schlafen. Gute Nacht!“, sagte Chris und gab seinen Mädchen noch einen Kuss, bevor er das Zimmer verließ, und nach unten ins Wohnzimmer ging. Oh Mann! Was tat er da seinen Kindern nur an ging es ihm durch den Kopf, als es an der Tür klingelte. Etwas verdutzt schaute er auf die Uhr. Es war kurz nach sieben, wer könnte denn jetzt noch kommen? Chris öffnete die Tür und traute seinen Augen kaum. Er blickte auf den Rücken einer Dame mit einem Rotbraunen Pagenschnitt, langen Beinen und einem süßen Hintern.

„Ja bitte?“

Erschrocken drehte sich Nora um. Wow! dachte sie und auch Chris, blieb der Mund offen stehen, als er in Nora´s Gesicht blickte.

„Ähm entschuldigen Sie, das ich Sie störe, aber ich möchte mich gern um die Stelle als Kindermädchen bewerben“.

Kindermädchen? dachte sich Chris, als er in Nora´s junges Gesicht blickte. Hatte er hier gerade Funken geschlagen? Chris war so in Gedanken, dass er im ersten Augenblick nicht mal wusste, was diese Dame überhaupt wollte.

„Stelle? Welche Stelle denn?“

„Die Annonce in der Zeitung! Sie suchen ein Kindermädchen!“

„Ach ja, stimmt!“ Wo hatte er nur seine Gedanken? „Ok, aber … ähm, die Kids sind schon im Bett und, ähm ... was halten Sie davon, wenn Sie morgen früh nochmal herkommen? So gegen zehn?“

„Cool! Ja das ginge. Danke! Dann bis morgen also“, sagte Nora und eilte wieder davon. Oh mein Gott, schoss es Nora durch den Kopf. Hatte sie wirklich gerade Cool gesagt?

„Ja, dann bis morgen!“, rief Chris ihr nach, obwohl er nicht mal wusste, ob sie ihn noch gehört hatte. Sie hatte ihm nicht mal ihren Namen gesagt, aber sie war jung, - und cool!

Vielleicht hatte sie ja etwas an sich das den Kindern gefallen würde, fragte er sich und schloss die Tür, nachdem Nora außer Sichtweite war. Chris zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und begann noch ein paar wichtige Unterlagen in seinem PC zu durchstöbern. Wenn er erst mal wieder in der Firma wäre, dann würde er so schnell wie möglich den Kauf der Firma von Richard Ladbar unter Dach und Fach bringen. Schon seit längerer Zeit lag ihm das Angebot vor der Nase, und Chris hätte auch schon längst zugesagt, doch dann war Danielle, - seine Frau - so tragisch ums Leben gekommen und sein erster Gedanke zählte den Kindern. Chris Job war es Firmen, die vor dem finanziellen Ruin standen, aufzukaufen und dann wieder teuer auf dem Markt anzubieten. Vorher musste er, beziehungsweise seine Firma, die Verkaufszahlen der Firma wieder nach oben treiben, um den Marktanteil zu vergrößern. Ob er das bei RvL schaffe stand noch nicht fest, denn die Firma stand sehr tief in der Scheiße und es gab einige Verzögerungen. Einer davon war Danielles Tod. Chris schloss die Augen, um den Schmerz zu lindern. Er musste sich zwar eingestehen, dass ihre Ehe nicht perfekt und auch die letzte Zeit nur noch von Streitereien und Missgunst geprägt war, aber sie waren ein Ehepaar und sie hatten drei bezaubernde Kinder miteinander. Völlig aus der Bahn geworfen und überwältigt von seinen Gefühlen, schloss Chris den Laptop, stand auf und begab sich an die Bar, die er in sein Arbeitszimmer hatte einbauen lassen. Danielle hatte ihm immer vorgeworfen, er würde heimlich saufen und Chris hatte an manchen Tagen, wenn sie sich mal wieder heftig gestritten hatten, wirklich überlegt ob er sich betrinken sollte. Hatte es dann aber gelassen, sich bei seiner Frau entschuldigt und sie dann leidenschaftlich geliebt. Da war dann plötzlich alles wieder in bester Ordnung, und er liebte sie wie am ersten Tag. Doch nun war sie tot und Chris musste sich nicht mehr zusammennehmen. Danielle hatte sich mit einem „Ich geh schnell was besorgen. Komm gleich wieder“, verabschiedet, doch sie kam nicht mehr. Er schenkte sich ein Glas Whiskey ein und kippte es in einem Zug hinunter. Der Alkohol brannte zwar in seiner Kehle, aber er hatte die Hoffnung, dass damit der Schmerz über den Verlust von Danielle weg gebrannt wurde. Doch Chris sollte sich täuschen, denn der Schmerz war auch nach sieben Gläsern noch da und sollte ihn auch am nächsten Tag, in Form von tierischen Kopfschmerzen noch verfolgen.

Nora saß in der Küche ihres Bruders und starrte in das Glas Cola das vor ihr auf dem Tisch stand. Noch immer ging ihr der gut aussehende Chris nicht aus dem Kopf. Immer und immer wieder wurde in ihrem Kopf die Tür geöffnet und Chris kam heraus. Wie sein Hemd über seiner Brust spannte und das kurze Haar golden leuchtete.

„Alles ok?“, fragte Joshua seine Schwester und riss sie so aus ihren Träumereien.

„Was? Jaja … alles bestens!“

Ob ihr Joshua glaubte oder nicht wusste Nora nicht. Was ihr im Moment aber auch völlig egal war. Sie wusste nur noch, dass sie diesen Job haben wollte. Doch im nächsten Moment wurde sie wach. Hallo? Der Mann hatte Kinder und dazu gehörte auch ganz sicher eine Frau, ging es ihr durch den Kopf. Du kannst nicht immer nur an Männer denken. Und außerdem suchst du einen Job und keinen Mann!

„Nora? Hallo, Nora?“

„Hmmm?“

„Sag mal, wo bist du die ganze Zeit schon? Ich erzähl dir hier meine Sorgen in der Firma unseres Vaters, und du träumst hier rum“.

„Entschuldige, ich war in Gedanken“.

„Gedanken? Du hast geträumt, von einem Mann wahrscheinlich. Wenn man dir genau zugesehen hat, sah man, wie dir der Sabber aus dem Mundwinkel tropft“,

„Du spinnst ja!“, konterte Nora, obwohl sie gegen einen Mann im Moment wirklich nichts auszusetzen hätte. Wenn sie so drüber nachdachte, wusste sie nicht einmal, wann sie das letzte Mal ein Date, eine Beziehung oder Sex im Allgemeinen hatte. Das musste mindestens schon zwei Jahre zurückliegen? Nora schüttelte ihre Gedanken ab und wandte sich wieder an ihren Bruder.

„Aber nun erzähl mir nochmal von der Firma“.

Joshua rollte mit den Augen und fing noch mal ganz von vorne an. Dass die Firma kurz vor dem Verkauf stehe und er nicht mehr wüsste, wie er das Erbe ihres Vaters halten könne. Richard van Ladbar hatte die Firma vor dreißig Jahren von Egon van Ladbar, seinem Vater, einem holländischen Auswanderer, übernommen. Er hatte in den Niederlanden angefangen mit dem Bau von Motoren für Sportflugzeuge Geld zu verdienen. Doch das reichte ihm nicht. Egon wollte mehr. Viel mehr! Egon kaufte eine Firma in den Staaten, in Deutschland und China, wobei China nur für den Bau der Motoren zuständig sein sollte. Made in China – versteht sich! Als Richard in das Alter kam um mit in die Firma einzusteigen, hatte Egon bereits alles geklärt und Richard konnte die Leitung für den Vertrieb übernehmen. Da er der einzige Sohn von Egon van Ladbar war, konnte er nach dessen Tod nun mit der Firma tun was er wollte und so ging Richard an die Börse. Es brachte ihm noch mehr Geld, doch auch den Absturz … und mit dem mussten sich nun Josua und Nora herumschlagen.

„Und was willst du jetzt tun?“

„Ich weiß es nicht. Der Käufer hat sich in der letzten Zeit nicht gemeldet, aber seine Firma ist drauf und dran uns zu übernehmen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Nora, wenn es wirklich so endet, dann ist unser Erbe futsch. Aber ich allein kann es nicht halten. Seit Monaten nur noch rote Zahlen. Ich kann nicht mehr!“

„Jetzt mal den Teufel nicht an die Wand. Wir schaffen das schon. Ich helfe dir“.

„Wie willst du das denn tun? Uns fehlt Geld, jede Menge Geld“.

„Lass mich mal machen. Ich habe, oder bekomme vielleicht den Job als Kindermädchen und die verdienen nicht schlecht, vor allem bei mehreren Kindern. Dieses Geld stecke ich dann in die Firma und wir können Vaters Erbe behalten“.

„Das würdest du wirklich tun? Aber Nora, – Kindermädchen? Ich weiß nicht!“

„Ich bin deine Schwester und die Firma gehört zum Teil auch mir … warte mal!“, plötzlich ging Nora ein Licht auf. „Du kannst die Firma ja gar nicht verkaufen“.

„Warum denn nicht?“, fragte Josh überrascht.

„Ein Teil gehört mir. Mutters Teil hast du ja schon, der wurde auf dich überschrieben, stimmt´s? Aber meiner noch nicht. Und ohne meine Unterschrift kannst du nichts machen. Daher würde ich sagen, die Firma bleibt in unserem Besitz, bis ich genügend Geld zusammenhabe, um den Gläubiger zu bezahlen“.

Joshua stand auf und kam zu Nora herum. Er nahm sie bei der Hand und zog sie hoch in seine Arme.

„Stimmt! Du bist echt die Beste, Schwesterchen! Aber nenn´ ihn bitte nicht Gläubiger. Er versucht unsere Firma zu retten“.

„Ich weiß“, sagte diese und drückte Josh an sich. „Aber warte erst mal ab was die Anwälte und so sagen, ob das geht wie ich mir das vorstelle“.

„Super! Komm ich lade dich zum Essen ein“, sagte Josh und Nora schnappte sich ihre Tasche und folgte ihm. Hmm, klasse … wahrscheinlich wieder Pizza bei Antonio. Denn dorthin verschlug es die beiden meistens. Vor allem dann, wenn Joshua mal wieder knapp bei Kasse war! Und das war er meistens!

Chris öffnete am anderen Morgen die Augen als die ersten Sonnenstrahlen, ihn in seinem Gesicht kitzelten. Er drehte nur leicht den Kopf um einen Blick auf den Wecker, der neben seinem Bett stand, zu werfen, als er auch schon den stechenden Schmerz in seinem Kopf verspürte. Oh Mann! Chris versuchte sich langsam aufzurichten, um die Uhrzeit auf seiner Uhr besser sehen zu können. Ja! sagte er sich im Stillen es war noch viel zu früh. Wenn er noch ein wenig liegen bleiben würde, würde dann vielleicht auch das Hämmern in seinem Kopf verschwinden. Doch da hatte er die Rechnung ohne seine Kinder gemacht! Denn als er sich halb im Bett gedreht hatte, wurde auch schon die Tür aufgestoßen und Fix und Foxi, so nannte er seine Zwillinge liebevoll, kamen ins Zimmer gerannt und krabbelten auf ihn.

„Daddy, Daddy … die Sonne scheint. Dürfen wir raus zum Spielen?“

„Oh ihr Mäuse. Es ist doch noch so früh. Könnt ihr nicht noch warten?“

„Biiiitttteee!“

„Na schön …“, gab sich Chris geschlagen. Er konnte seinen Zwillingen eben nichts abschlagen, wenn sie ihm so lieb mit ihren Kulleraugen ansahen. „Hey! Aber zuerst müssen wir Zähne putzen und vor allem anziehen“.

„Priiimmmaaa“, riefen die beiden, wobei Chris Kopf extrem hämmerte, rannten wieder nach draußen und kamen auch schon wenige Minuten später mit ihren Kleidern, die absolut nicht zueinanderpassten, angelaufen.

„Wir haben schon rausgeholt was wir brauchen“, sagte Fina zu Chris und lächelte ihn schelmisch an. Chris belächelte nur, stand auf und ging in das Kinderzimmer gegenüber. Was er da sah, traf ihn wie einen Schlag. Die Kinder hatten den kompletten Schrank ausgeräumt, alles auf den Boden geworfen und sich das Beste raus gesucht. Stöhnend zog er den Kindern die Sachen an die sie raus gesucht hatten, denn im Moment hatte er weder zum selber suchen noch zu schimpfen einen Nerv, und schickte sie dann ins Bad. Während die Zwillinge sich die Zähne putzten, sah er nach dem Baby.

„Guten Morgen, meine Süße“.

Emily quiekte und Chris drückte den kleinen warmen Körper an seine Brust. So klein und hilflos! Nachdem er die Kleinste im Bunde gewickelt und gefüttert hatte, und auch die beiden anderen gefrühstückt hatten, schickte er sie nach draußen, während er und Emily sich ans Aufräumen machten. Mit einem Tuch um den Bauch, indem das Baby gluckste, manchmal auch schlief, machte Chris nun schon Wochen lang den Haushalt. Zwar hatte er Angst das Baby könnte herausfallen, doch sie schlief ganz fest an seiner Brust. Gerade als er fertig war und das Zimmer verlassen wollte, bekam er wieder einen Sentimentalitätsanfall. So sah sein Leben nun aus, dachte er sich, Hausmann und Vollzeitdaddy. Danielle war nun seit vier Wochen nicht mehr da und Chris hatte sich stets im Griff. Doch wenn er dann die Kleine im Arm hielt überkam es ihn einfach. Danielle wollte Emily nicht, das wusste Chris, und sie machte ihm in den neun Monaten der Schwangerschaft immer wieder Vorwürfe dass das Kondom, das er benutzt hatte gerissen war. Sie machte ihm sogar den Vorwurf es manipuliert zu haben, nur um sie an ihn zu binden. Sie wollte damals die Scheidung und Chris hatte ihr gesagt, dass er nie im Leben in eine Scheidung einwilligen würde. Im Nachhinein wäre es aber das Beste gewesen – für beide! Und die Kinder hätten ihre Mutter noch! Worte wie du verdammter Scheißkerl! waren an der Tagesordnung, und doch hatte er sie geliebt. Kurz nach Emilys Geburt, hatte Danielle jegliches Interesse an der Familie verloren. Auch um die Zwillinge kümmerte sie sich nicht mehr. Man kam einfach nicht an sie ran, wenn sie dann mal zu Hause war. Und nur wenige Tage später fuhr Danielle dann mit ihrem Auto auf der Schnellstraße in den Gegenverkehr. Sie war sofort tot. Für Chris brach eine Welt zusammen. Nicht weil er sie verloren hatte, denn sie waren schon seit Langem kein richtiges Paar mehr. Nein, die Welt brach zusammen, weil er nie im Leben daran gedacht hätte, dass seine Frau selbstmordgefährdet war. Danielle wurde eingeäschert, und ihre Asche auf den Weiten des Ozeans verstreut. Da wollte sie hin. In die Freiheit. Chris war deswegen extra an den Pazifik geflogen, auf ein Schiff gegangen, nur um Danielles Asche in die Freiheit zu entlassen. Das alles natürlich nicht, ohne vorher noch auf sämtlichen Ämtern die Erlaubnis dafür zu holen. Chris packte das Tuch, indem Emily schlief fester und begab sich in die Küche. Vielleicht würde ja ein Kaffee sein Kopfweh lindern. Er hatte gerade eine Tasse aus dem Schrank geholt, als es klingelte. Es war zwar nur ein kurzes Klingeln, doch in seinem Kopf läutete es nach. Chris begab sich an die Tür und öffnete.

„Hallo! Mein Name ist Nora. Ich war gestern schon mal hier und wollte mich um die Stelle als Kindermädchen bewerben“.

Warum schrie diese Frau denn so? dachte er sich und hielt sich den Kopf um den Schmerz festzuhalten.

„Ah ja! Ich erinnere mich. Kommen Sie doch rein“, sagte Chris und trat beiseite, dass Nora ins Haus konnte. Hmm! Ihre Stimme mochte ja laut sein, aber ihr Duft war himmlisch. Chris schob seine schmerzenden Gedanken beiseite und schloss die Tür hinter Nora. WOW! Ein tolles Haus, - ging es Nora durch den Kopf, als sie eingetreten war. Im Flur gingen weiße Stufen nach oben und nach unten. Die Geländer waren aus Holz und traten so ein wenig hervor. Die Wände waren ebenso weiß. Das Haus wirkte leer, aber doch gemütlich und freundlich. Nora war hin und weg!

„Ich habe gerade Kaffee gemacht, möchten Sie auch einen, Frau …?“

„Nennen Sie mich einfach Nora. Ja, ich nehme gern eine Tasse“.

„Setzen Sie sich“, sagte Chris, als sie die Küche betreten hatten und bemerkte, wie Nora sich umsah.

„Die Kinder sind im Garten und spielen. Wir können später gern zu ihnen raus, aber vorher trinken wir erst mal den Kaffee und unterhalten uns ein wenig.“

Nora brachte nur ein verlegenes Lächeln zustande und nickte, bevor sie sich auf einen der vier Barhocker setzte. Chris stellte Nora einen großen Becher Kaffee hin und setzte sich dann ihr gegenüber hin. Wobei Nora auffiel, dass er sich den Kopf hielt.

„Kopfschmerzen?“, fragte sie und nahm einen kleinen Schluck aus ihrer Tasse.

„Ja leider, aber es geht auch wieder weg … wenn nicht nehme ich eine Tablette und gut“.

„Probieren Sie es mal mit Dunkelheit. Legen Sie sich ins Bett, einen kühlen Waschlappen aufs Gesicht und leise entspannende Musik. Also mir hilft´s“, antwortete Nora und lächelte ihn über den Becherrand hinweg an.

„Danke für den Tipp! Ich werde es versuchen – wenn ich die Zeit dazu finden sollte!“

Und während sie so Kaffee tranken, stellte Chris ihr noch ein paar Fragen und Nora erzählte ihm von ihrem alten Job, ihrer Familie und was er sonst noch so wissen wollte. Sie selber stellte aber keine Fragen. Für Nora war es selbstverständlich, nie nach etwas zu fragen, obwohl sie schon als Kind immer sehr neugierig gewesen war. Nora konnte auch nie abwarten, bis die Erwachsenen fertig waren mit ihrer Unterhaltung. Ständig musste sie dazwischen quasseln, und bekam so schon manche Ohrfeige von ihrer Mutter. Junges Fräulein, man unterbricht Erwachsene nicht, wenn sie sich unterhalten. Habe ich dir so wenig Anstand beigebracht? Ständig immer das Gleiche. Blabla hier und Blabla da. Und wenn ihrer Mutter irgendwas nicht passte, bekam Nora es ab. Joshua sagte zwar immer, dass er auch die Hucke voll bekäme, aber davon hatte sie noch nichts gemerkt. Nora liebte ihre Familie sehr, bis auf eine Person - ihre Mutter. Diese hasste sie, wie die Pest. Alles fing damals an, als ihr Vater immer später oder manchmal auch gar nicht nach Hause kam. Ihre Mutter fing an zu trinken, und jedes Mal wenn sie dann genug hatte ließ sie die Wut, die sie auf ihren Mann hatte, an den Kindern aus. Sie warf Gegenstände an die Wand und holte auch aus und schlug die Kinder, wenn sie ihr grade in die Quere kamen, während ihr Mann sich mit seiner Freundin traf. Aber nicht so, dass man es sah, nein! Das wäre ja zu offensichtlich gewesen und ihr Mann hätte gemerkt, dass sie wusste wo er sich herumtrieb. Oft war nachts auch der Streit ihrer Eltern zu hören. Und Tag für Tag dachte sich Nora, dass es besser werden würde, doch weit gefehlt. Bis zu dem Tag, als ihr Vater ums Leben kam. Gloria van Ladbar, Noras Mutter, war danach wie ausgewechselt. Sie machte eine Therapie und war wieder fast die Alte. Mit dem kleinen Unterschied, dass Nora immer noch nicht mit ihr klarkam. Die Wunden waren zu tief gewesen um alles zu vergessen was gewesen war.

„Gut. Dann stell ich Sie jetzt mal den Kindern vor. Zuallererst …“, fing er an und nahm das Baby aus dem Tragebeutel. „Das ist Emily“.

Chris gab Nora das Baby, und sie hielt es vorsichtig im Arm. Sie war wunderschön. Aber welches Baby war das nicht? Emily hatte einen weichen Flaum am Kopf, wunderschöne Lippen und ein süßes kleines Stupsnäschen. Ihre Händchen hatte sie zu Fäusten geballt und die Augen hatte sie die meiste Zeit geschlossen. Aus ihrem Mundwinkel blies sie ein wenig Spucke, was Nora sehr süß fand. Sie drückte das Baby fester an sich und roch da zum ersten Mal, wie gut es nach Puder und Babylotion roch. Mit einem Mal wünschte sie sich selber so ein kleines Wesen, das sie lieb haben konnte. Doch so ohne Mann könnte das ein Problem werden. Und einen Reagenzglas Papi wollte Nora auf keinen Fall für ihr Baby haben. Chris konnte nur lächeln, bei dem Anblick. Man hätte meinen können Nora hätte nie ein Baby gesehen, geschweigen denn eines im Arm gehalten.

„Sie hatten doch schon mal ein Baby im Arm?“

„Ähm, natürlich. Sie war, - ist das Kind einer Freundin. Mittlerweile ist sie elf Jahre alt. Es ist nur - so ein kleines Wesen, so süß und zerbrechlich“.

„Ja das ist sie - süß! Und da draußen rennen meine Mäuse - Fix und Foxi“.

Chris bemerkte Noras entsetztes Gesicht und fing an zu lachen, wobei er eine Reihe blendend weißer Zähne zeigte.

„Nicht falsch verstehen. Die Kids heißen nicht wirklich so. Ich nenn sie nur so. Das Mädchen in Orange, mit der lila Hose ist Fina, und das andere Mädchen mit der grünen Hose und dem pinken Shirt ist Chana. Und wundern Sie sich nicht über die Farbwahl der Klamotten. Die Mädchen haben sich heute selber ausgesucht, was sie anziehen wollen.“

„Fina und Chana? Sehr seltene Namen“.

„Ja. Meine Frau suchte sie damals aus. Wir dachten am Anfang es würde ein Junge werden. Daher wollte sie, dass unser Sohn Finn hieß, ein Name aus dem finnischen. Warum auch immer! Ich fand den Namen nicht so toll, aber egal! Als sich dann aber entschied, dass es zwei Mädchen werden machten wir aus Finn, Fina. Danielle suchte noch den anderen Namen aus, und kam auf Chana. Er kommt aus dem hebräischen und bedeutet irgendwas mit Gott - fragen Sie mich nicht!“

„Schön. Ähm, wo ist denn Ihre Frau gerade? Lerne ich sie denn auch kennen?“, fragte Nora und merkte auch gleich, wie das Gesicht von Chris ernst wurde.

„Entschuldigen Sie, wenn ich was Falsches gesagt habe“.

„Nein, nein. Irgendwann müssen Sie es ja erfahren. Meine Frau ist vor vier Wochen tödlich verunglückt. Sie raste auf der Schnellstraße in den Gegenverkehr“.

Oh Scheiße! Nora erinnerte sich an den Unfall. Sie hatte den Artikel in der Zeitung gelesen. Der Fahrer des Wagens hatte nicht die geringste Chance. Wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn man mit hundertsiebzig Sachen in den Gegenverkehr brettert. Die armen Kinder dachte sich Nora und sah zu den beiden Zwillingen, während sie Emily fester an sich drückte. Und das Baby erst! Noch so klein und schon ohne Mama.

„Hallo Daddy!“, ertönte da die Stimme von Fina und riss Nora aus ihren Gedanken „Wer ist das?“

„Das ist Nora“.

„Spielt sie mit uns?“

„Gern“, antwortete Nora und legte Emily, die inzwischen eingeschlafen war in das Körbchen, das unter dem Baum im Garten stand. Chris setzte sich auf die Terrasse und beobachtete die drei.

„Und was sollen wir nun spielen?“

„Fangen!“ ertönten die Stimmen der Zwillinge und Nora klatschte ab.

„Ihr seid dran … fangt mich!“, rief sie und rannte los aber so, dass die beiden fünfjährigen auch hinterher kamen. Das machten sie eine Weile, dann wälzten sie sich mit ihnen auf dem Boden, kitzelte sie und lachte. Nora ging das Herz auf wenn sie Kinder lachen hörte, und so war es auch bei den beiden Kindern von Chris. Ab und zu musste auch Chris lachen, wie Nora mit den Kids spielte. Was ihn aber am meisten berührte war, dass sie sich um Emily sorgte. Immer wieder hob sie die Hand um das Spiel zu unterbrechen und lief zu dem Körbchen, in dem seine jüngste Tochter schlief. Das war sie! Nora war das neue Kindermädchen! Sie sollte den Job bekommen!

Langsam ging die Sonne unter, und Nora hatte schon fast keine Puste mehr in ihren Lungen vom vielen Rennen. Der Garten von Christopher Baxter war riesig. Nora verstand es nicht wie ein Mann allein, den Garten so schön pflegen und sich um seine Kinder kümmern konnte. Bis Fred, mit dem Rasenmäher-Traktor auftauchte. - Na klar! Ein Gärtner! Hätte sie ja gleich drauf kommen können!

„Aaahhh, Nora komm schnell, der Drache kommt. Lauf schnell, bevor er uns bekommt!“, rief Fina und zog Nora hinter sich her auf die Terrasse, wo Chris die Zeitung las.

„Oh nein! Fina schau! Wir haben Emily vergessen! Er holt sich das Baby“, rief Nora gespielt entsetzt, als Fred seine Runde um den Baum drehte, unter dem Emily friedlich weiterschlief.

„Wir retten sie. Das ist unser Baby!“, riefen die Zwillinge und rannten los. Sie zogen den Korb mit Emily zur Terrasse und Nora hob die Kleine hoch.

„Er hat sie nicht erwischt“.

„Dank eurer Hilfe. Ihr seid klasse. Emily wird später sehr stolz auf euch sein, so mutige Schwestern zu haben“, lächelte Nora und auch die Kinder lachten.

„So ihr Krümel, los rein mit euch. Hände waschen und Zähne putzen. Es ist Zeit fürs Bett. Ihr seid eh schon über eurer Zeit“.

Das Jammern der beiden sagte schon, dass es ihnen absolut nicht gefiel in die Falle zu gehen. Sie wollten lieber noch mit Nora herumtollen. Doch ein Blick aus Chris Augen zeigte ihnen, dass es keinen Sinn hatte zu widersprechen. Denn Daddy hatte Recht. Immer! Oder zumindest fast!

„Komm Nora, wir zeigen dir unsere Zimmer“.

„Das geht leider nicht“, erwiderte Chris. „Nora und ich haben noch was zu besprechen, aber wenn wir fertig sind dann kommt sie bestimmt noch hoch und deckt euch zu“.

„Fein“. Fina rannte voraus und Chana hinterher, während Chris Nora in sein Arbeitszimmer geleitete. Hier waren alle Möbel in schwarz gehalten und der Schreibtisch hatte eine Glasplatte. Dieser Raum war eindeutig ein Männerzimmer.

„Setzen Sie sich. Wie Sie ja bemerkt haben war ich die ganze Zeit im Garten, als Sie und die Kinder spielten. Und ich habe mich entschieden. Sie bekommen den Job“.

Nora konnte es nicht fassen. Langsam fing sie wieder an zu atmen, denn sie hatte die ganze Zeit die Luft angehalten.

„Danke“.

„Keine Ursache. Mir gefiel wie Sie Emily mit einbezogen haben. Das machte einen Pluspunkt. Sie haben sehr viel übrig für Kinder und Sie sind jung“. Ja klar, wenn man neunundzwanzig als jung bezeichnen will.

„Daher würde ich sagen, Sie fangen morgen hier an und ziehen dann Ende der Woche hier ein“.

„Wow! Moment! Wie ich zieh hier ein?“

Chris wunderte sich ein wenig über Noras Reaktion. Es war doch im Grunde genommen klar, dass wenn man eine Nanny für seine Kinder einstellt, diese auch bei den Kindern wohnen würde.

„Haben Sie ein Problem damit?“

„Nun, ähm ich dachte nicht, dass ich hier einziehen muss, um auf die Kinder aufzupassen. Ich dachte eher daran, dass ich morgens komme und abends wieder gehe“. Chris legte seine Arme auf den Schreibtisch und beugte sich leicht nach vorne.

„Nun, das wäre ja kein Problem, allerdings werde ich wieder arbeiten gehen, wenn Sie dann für die Kinder sorgen. Ich muss ja Geld nach Hause bringen um Sie zu bezahlen. Und die Kinder brauchen ja auch was. Daher wäre es ratsam wenn Sie hier wohnen. Ich weiß ja auch nicht, wann ich abends nach Hause komme. Wer bringt dann die Kids ins Bett?“

Nora überlegte kurz, er hatte ja Recht, und sagte ihm dann, sie könne es ja mal versuchen. Wenn es nicht funktionieren sollte, könne sie ja immer noch in ihre Wohnung zurück. Chris nahm den Vorschlag lächelnd an, denn in seinem Inneren wusste er schon jetzt, wenn sie erst mal die Kinder ins Herz geschlossen hatte, würde sie nie mehr ohne sie auskommen.

„Sag mal spinnst du?“

„Ich weiß nicht wo dein Problem ist?“

„Wo … wo mein Problem ist? Nora! Du ziehst zu einem wildfremden Mann in sein Haus, um für ihn zu arbeiten“.

Joshua lief in Noras Appartement hin und her und konnte es nicht fassen was seine Schwester da gerade tat, während Nora seelenruhig weiter ihre Kleider und Toilettenartikel in Koffer und Taschen verpackte.

„Man könnte meinen du bist ein pubertierender Teenager, der gegen seine Eltern rebelliert und nicht eine neunundzwanzigjährige Frau. Nora hör auf damit. Such dir was anderes und bleib hier“. Ein rebellierender Teenager? Teenager mag nicht ganz stimmen, aber rebellierend, kam der Sache schon ganz nah. Nora rebellierte schon seit Jahren, stets gegen eine Person. Ihre Mutter! Nora legte das letzte Kleidungsstück in ihren Koffer und stellte sich vor ihren Bruder. Sanft legte sie ihm die Hand auf seine Arme und lehnte ihre Stirn an seine.

„Joshua, du bist mein Bruder und ich liebe dich. Aber wie du schon sagtest, ich bin neunundzwanzig. Ich bin erwachsen. Du musst nicht mehr auf mich aufpassen. So und nun muss ich los. Mein neuer Chef wartet sicher schon auf mich“, murmelte Nora und lief an Joshua vorbei. Beim hinaus gehen rief sie ihm nach er solle doch bitte abschließen, wenn er doch ginge. Das waren die letzten Worte seiner Schwester, bevor die Tür ins Schloss fiel. Joshua machte sich große Sorgen um seine Schwester! Noch nie hatte sie einen solchen Entschluss gefasst, und war mir nichts dir nichts irgendwo eingezogen. Selbst als sie ihren Freund Dominik, der mittlerweile auch schon zu der Kategorie EX gehörte, kennenlernte und er ein halbes Jahr nachdem sie zusammengekommen waren, vorgeschlagen hatte zusammenzuziehen bekam Nora kalte Füße, und schickte ihn in die Wüste. Und nun wollte sie zu einem fremden Mann mit drei Kindern ziehen. Job hin oder her. Es war nicht in Ordnung. Joshua verstand die Welt nicht mehr. Kopfschüttelnd ging er noch mal durch Noras Wohnung, kontrollierte ob alle Fenster geschlossen waren, wobei man sie auch offen stehen lassen könnte. Wer steigt schon in eine Wohnung im dreizehnten Stock eines Hochhauses ein? Aber man konnte ja nie wissen, wie viele Verrückte es auf der Welt gab. Joshua machte das Licht aus und verließ die Wohnung. Mal sehen wann Nora einsah, dass es ein Fehler war und wieder kam. Und falls nicht, konnte ja immer noch ihre Mutter eingreifen. Ihr Psychoterror hatte schon manchen zum Aufgeben und Zurückziehen seiner Entscheidungen beigetragen.

Unsere liebenswerte Familie

Подняться наверх