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Kritik der modernen Forschung
ОглавлениеDie Zarathustra-Forschung entwickelte sich im Europa des 20. Jahrhunderts auf eine seltsame Weise weiter. Während Ernst Herzfeld, Walther Hinz u.a. sich für die Historizität Zarathustras einsetzten, hielten Henrik S. Nyberg und Mary Boyce ihn für einen primitiven, prähistorischen Mann, der mindestens 1500 Jahre v. Chr. irgendwo in Zentralasien gelebt habe.
Dass diese Meinung mit den archäologischen Funden aus Amarna und Boghazköi nicht im Einklang stand, interessierte sie nicht. Besonders auffällig ist ihre Bemühung, den prähistorischen Zustand der Iranier dadurch zu bekräftigen, dass sie diese unbedingt ohne Schreibkunst darstellen wollen. Und diese angebliche Schriftlosigkeit der Iranier habe bis zur Islamisierung ihres Landes gedauert; nur die Manichäer hätten diese Kunst beherrscht.
„Niemand, der mit unbeirrtem Blick die zoroastrische Urgeschichte ins Auge faßt, kann einen Augenblick auf den Gedanken verfallen, diese Phantasien für geschichtliche Wirklichkeit zu nehmen. Niemand kann, von allem andern zu schweigen, dem Iran der Achämenidenzeit ein so entwickeltes Buchwesen zutrauen, daß es einen Riesenkodex oder eine ganze Awestabibliothek hätte herstellen können … Nein, das vor Alexander in Iran vorhandene Awesta ist eine reine Fiktion …
Das sasanidische Awesta mit seinen 21 Nask hat also als geschriebenes Buch nie mehr als ein Schattendasein geführt. Es ist übrigens sehr wohl möglich, daß ein Teil dieser Nask nie in irgendeiner Form aufgeschrieben war, sondern nur mündlich fortlebte. Es ist wenig wahrscheinlich, daß der Urheber der Beschreibung des sasanidischen Awesta im 8. und 9. Buch des Dēnkard einen geschriebenen Kodex vor sich hatte; zu vermuten ist, daß er nach mündlicher Überlieferung zitiert. … Die lebhaftere Schreibtätigkeit in zoroastrischen Kreisen gehört ohne Zweifel der Periode nach dem Sturz des Sasanidenreiches an …“ (H.S. Nyberg, Die Religionen des alten Iran. Leipzig 1938, S. 425, 428.)
Abb. 1 Johann Gottfried Herder (1744–1803) war ein großer Vorkämpfer der Zarathustra-Forschung im 18. Jahrhundert. Durch seine Bemühungen bekamen Bückeburg und Riga neben Oxford und Paris einen Ehrenplatz in der Forschung über das Zend-Avesta. Herder war außerdem der Erste in einer Reihe von Kulturphilosophen, die sich mit der Lehre Zarathustras auseinandergesetzt haben; der Letzte von ihnen war Albert Schweitzer.
Diese arroganten Behauptungen und ihr Aufzwingen auf den Leser entsprechen der wissenschaftlichen Norm, die man sonst kennt, überhaupt nicht.3 Genauso wie Nyberg ist auch Boyce davon überzeugt, dass Zarathustra zur „Steinzeit“ gehörte – er habe irgendwann zwischen 1700 und 1500 v. Chr. gelebt – und dass seine Lehre und die gesamte zoroastrische Literatur durch mündliche Überlieferung („oral transmission“) bis in die islamische Zeit weitervermittelt worden seien. Von ihrer Meinung, dass die alten Perser nicht schreiben konnten und keine Bücher besaßen, war Boyce ihr ganzes Leben lang überzeugt, und sie nutzte jede Gelegenheit, diese zu betonen.
„They had no knowledge of writing.“ (In: A Zoroastrian Tapestry, 2002, S. 19.)
„Their learning was acquired and transmitted orally.“ (A History of Zoroastrianism I. Leiden 1975, S. 7.)
„Because for them the alien art of writing had little properly to do with holy matters.“ (ebenda II, 1982, S. 123.)
„His teachings were handed down orally in his community from generation to generation, and were at last committed to writing under the Sasanians, ruler of the third Iranian empire.“ (Zoroastrians. London 1979, S. 17.)
„They had no knowledge of writing.“ (ebenda, S. 18.)
„The Avesta continued in oral transmission.“ (ebenda, S. 50.)
„The reasons why the Avesta was not written down at this time are complex; but one was that, though the Medes and the Persians met several systems of writing in Western Iran, they plainly regarded the alien art with suspicion (in the Persian epic its discovery is attributed to the devil).“ (ebenda, S. 50.)
„Middle Persian renderings are thus often merely the final forms, fossilized in writing, of works with an immensely long oral history.“ (ebenda, S. 126.)
„Zoroastrianism has a long oral tradition … For many centuries his [Zarathustra’s] followers refused to use this alien art for sacred purposes.“ („Zoroastrianism.“ In: J. R. Hinnells (ed.), The New Penguin Handbook of Living Religions. 2nd Edition, London 1997, S. 236.)
„Only during the latter part of this period, the Sasanian epoch (c. 224–652 A.C.), did Persian literature begin to evolve from oral (uzwānīg) to a written (nibēsišnīg) form.“ („Middle Persian Literature“. In: Handbuch der Orientalistik. 1. Abteilung, 4. Band, 2. Abschnitt, Leiden/Köln 1968, S. 31.)
„Secular works of entertainment, whether in verse or prose, appear to have continued in oral transmission until the Arab conquest … Only those one or two have survived which were rendered into Arabic, or remoulded in the newly-created forms of later Persian literature.“ (ebenda, S. 31.) „Zoroastrian literature, having existed for centuries as a purely oral phenomenon …“ (ebenda, S. 31.)
Diese vom Grunde aus falschen und irreführenden Behauptungen haben die Schüler und Anhänger von Nyberg und Boyce übernommen und sie genauso, auch mit derselben Überheblichkeit, weitergeleitet.
„The Avesta is, however, primarily ritual and orally transmitted …“ (S. Hartman, Parsism. Leiden 1980, S. 7.)
„This literature [d.h. die mittelpersische] has not been recorded until the ninth century, that is, after the Islamic conquest of Iran.“ (ebenda, S. 9.)
„No written Avesta existed in India before 1110.“ (ebenda, S. 10.)
„Oral Transmission plays an important role in the history of the sacred and religious texts of Zoroastrianism.“ (P. G. Kreyenbroek, Zoroastrian Ritual in Context. Ed. by M. Stausberg. Leiden 2004, S. 317.)
„It is widely acknowledged that the Zoroastrian religious tradition did not make extensive use of writing for a very long time.“ (P. G. Kreyenbroek in: Second International Congress, 5th to 8th January 1995, Cama Oriental Institute, Bombay, S. 221.)
„The oral background of Zoroastrianism is always acknowledged in treatment of that tradition.“ (A. de Jong, Tradition of the Magie. Zoroastrianism in Greek and Latin Literature, Leiden 1997, S. 69.)
„The Avesta and the Pahlavi books are regarded as oral compositions.“ (ebenda, S. 71.)
„The technique of ring composition belongs to the culture of oral poetry in which the entire Avesta is deeply rooted.“ (A. Hintze in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies. Cambridge 2000, S. 39.)
„Zweifellos wurde das A[vesta] mündlich überliefert./Die i[ranische] L[iteratur] wurde überwiegend mündlich überliefert, diese Überlieferung brach durch die Islamisierung.“ (W. Sundermann in: Lexikon früher Kulturen I. Leipzig 1984, S. 101/407.)
„A written text of the Avesta did not yet exist in Achaemenid times.“ (P. O. Skjaervo in: Irano-Judaica IV. Jerusalem 1999, S. 1.)
„We have to rid ourselves of the modern notion that literature is something that is written and read.“ (P. O. Skjaervo in: Die Sprache 36, Wien 1994, S. 206.)
„Schriftliche Überlieferung hat im Iran bis zum Einzug des Islam lediglich eine bescheidene Rolle gespielt.“ (J. T. P. de Bruijn in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, hrsg. v. K. v. See, Bd. 5, Wiesbaden 1990, S. 466.)
„Berichte, daß alte Exemplare des Awesta im achämenidischen Palast von Persepolis aufbewahrt wurden, sind wohl unwahr, weil das zu dieser Zeit bestehende Textmaterial nur in mündlicher Form existierte.“ (Das Oxford-Lexikon der Weltreligionen, hrsg. v. J. Bowker. Düsseldorf 1999, S. 103.) „The Zoroastrian religion was transmitted orally until well into the Sasanian period, which makes it seem unlikely a priori that earlier Zoroastrianism was similar to religions such as Christianity and Islam, which relied on a learned written tradition almost from their inception. Early Zoroastrians in fact were probably dependent on personal guidance of their priests, and on local tradition, in much the same way as the modern Yezidi and Ahl-e Haqq laity.“(P. G. Kreyenbroek in: A Zoroastrian Tapestry. 2002, S. 275.)
Diese Behauptungen sind teilweise wirklich grotesk, vor allem die zuletzt erwähnte. Das ist schon längst nicht mehr Wissenschaft mit dem edlen Ziel der Aufklärung. Es ist eine Irr-Wissenschaft mit dem üblen Ziel, kulturelle Verhältnisse des Altertums zu verdunkeln und zu verdrehen, um gewisse Absichten zu bedienen. Mittlerweile ist die Behauptung, die altiranisch-zoroastrische Kultur sei ohne Schreibkunst gewesen, eine Voraussetzung und ein Pass dafür geworden, in akademische Kreise aufgenommen zu werden.
Es ist „zweifellos“ so …, man „muss“ so denken …, es ist „allgemein bekannt“ …So ist die moderne wissenschaftliche Sprache der Zarathustra-Forschung. Und es verwundert, dass auch ein Gelehrter vom Range eines Walther Hinz’ so leicht zur Beute dieser „Oralität“ werden konnte. Er ist darin aber nicht so konsequent wie die anderen.
„Zur Zeit des Kambyses, um 525, hatten die Perser ja noch keine eigene Schrift.“ (Hinz 1976, S. 124.)
„Er [Darius] ließ in den Archiven nachforschen. In der medischen Hauptstadt Hagmatâna fand sich tatsächlich eine Aktennotiz über die von Kyrus verfügte Genehmigung zum Tempelbau. (ebenda, S. 171.)
„So schrieb Xerxes in einer seiner Inschriften …“ (Hinz 1979, S. 7.)
„… – lesen konnte er die Inschrift ja nicht.“ (ebenda, S. 11.)
„Als er Athen erobert hatte, entführte er nicht nur die herrlichen Standbilder der Akropolis in seine Heimat, sondern auch die Bücherschätze des Peisistratos, des Begründers der ersten öffentlichen Bibliothek in Athen.“ (ebenda, S. 134.)
„Da die persische Generäle nicht lesen konnten, dürften die Pläne aus bloßen Zeichnungen mit sinnbildlichen Darstellungen bestanden haben, aus denen man die Verteilung der Truppenteile auch ohne schriftliche Erläuterungen ersehen konnte.“ (ebenda, S. 144.)
„Tatsächlich hat dann Hofmarschall Farnaka den zuständigen Hofherdenmeister schriftlich angewiesen.“ (ebenda, S. 179.)
„Die Bezeichnung ‚Buch‘ trifft allerdings erst für die Zeit des sechsten nachchristlichen Jahrhunderts zu. Viele Jahrhunderte hindurch, zum Teil sogar ein Jahrtausend lang, ist das altiranische Geistesgut nur mündlich überliefert worden.“ (ebenda, S. 232f.)
Hinz zitiert trotzdem Walter B. Henning (ebenda, II, S. 122), der unter den Errungenschaften des Perserreiches auch von einem „gemeinsamen Schriftsystem“ redet. Wir sehen sogar die Abbildung eines auf aramäisch geschriebenen Briefes eines Persers aus der Achämenidenzeit (Hinz 1976, S. 174). Man könnte sagen, dass zwei Walther Hinz’ „Darius und die Perser“ geschrieben haben.
Bereits in seinem „Zarathustra“ (1961) hatte Hinz darauf bestanden, dass Zarathustra seine Lehre nur mündlich verbreitet hat; „zu seiner Zeit und in seiner Umwelt gab es nämlich noch gar keine heimische Schrift“ (S. 13). Er kritisiert seinen Kollegen Ilya Gershevitch, weil dieser bezüglich der Gathas geschrieben hatte: „when he wrote them“. „Zarathustra schrieb ganz gewiss keine Gathas“ (S. 246). Bereits 1942 hatte Hinz behauptet, dass Darius seine eigene Inschrift nicht lesen konnte.4
Das viel gepriesene Werk „History of Zoroastrianism“ von Mary Boyce erlebte einen dritten Band (1991), der mit einem Beitrag von Roger Beck (S. 491f.) bereichert wurde. Der Titel dieses Beitrags „Thus spake not Zarathustra“ verrät schon, womit man es zu tun hat. Beck versucht alles, um zu beweisen, dass die literarischen Erzeugnisse, die wir als zoroastrische Pseudoepigraphen kennen, nicht iranischer, sondern hellenistischer Herkunft sind. Auch die Hermippus bekannten Schriften seien nicht avestische Texte gewesen, sondern griechische, die man Zarathustra zugeschrieben habe. Nach allen diesen Behauptungen schreibt Beck, dass das Avesta, das Hermippus kannte, vielleicht gefälscht war und dass der Handel mit gefälschten Schriften unter den Griechen sehr beliebt war … Er glaubt also seinen eigenen Schlussfolgerungen nicht einmal selbst. In einem Buch über den Zoroastrismus in griechischer und lateinischer Literatur (1997) hatte sein Autor Albert F. de Jong es nicht mehr nötig, sich mühsam um die zoroastrischen Pseudoepigraphen und Hermippus’ Avesta zu kümmern; er bestreitet einfach die iranische Herkunft der zoroastrischen Pseudoepigraphen und meint, dass dasselbe zweifellos („undoubtedly“) auch für Hermippus’ Avesta gilt (S. 317) und verweist den Leser auf Becks Beitrag.
Es ist nicht nur Hermippus, der den „Oralisten“ ein Dorn im Auge ist. Literarische Denkmäler der Achämenidenzeit wie die „Basilikai Diphtherai“ und „Chronika und Historien“5 werden kaum erwähnt. Über die großen Bibliotheken der Sassanidenzeit schweigt man vollkommen. Zur Not werden selbst die Inschriften ignoriert.
Dass die Behauptungen der „Oralisten“ bezüglich der altiranisch-zoroastrischen Kultur in sich wertlos sind, braucht kaum mehr betont zu werden. Wir wollen uns trotzdem einmal kurz mit dem Beitrag „Patvand“ aus dem Jahre 1943 von Harold W. Bailey beschäftigen,6 denn er scheint im Gegensatz zu Nyberg, Boyce und ihren Anhängern für die „oral transmission“ des Avesta zumindest Belege gefunden zu haben!
Schon am Anfang versucht Bailey Verknüpfungen mit Indien herzustellen (S. 149, 166), weil man dort nur das für kanonisiert gehalten habe, was im Gedächtnis war. Dagegen schrieb Heinrich Hübschmann bereits im 19. Jahrhundert: „Nichts zwingt uns dazu anzunehmen, dass die Parsen zu Gedächtnisübungen, wie sie die Inder liebten, geneigt hätten, wir dürfen vielmehr von ihrem praktischen Sinn erwarten, dass sie ihre Literatur aufzeichneten, sobald sie in den Besitz einer Schrift gekommen waren.“ 7 Samuel K. Eddy ist derselben Meinung: „Was die persischen Behörden machen konnten, das konnten auch die Anhänger der persischen Religion.“8 Damit meint er das Niederschreiben ihrer Literatur. Man will einfach nicht verstehen, dass die Iranier von Anfang an „eine andere Kultur“ als die der Inder aufwiesen.9
Es gibt in Baileys Beitrag viele solcher Belege. Er erwähnt an einer Stelle (S. 164f.) den Theologen Basileios, der im 4. Jahrhundert geschrieben hat: „Die Magusäer von Kappadokien besitzen kein Buch und die Söhne lernen die Religion von ihren Vätern“. Dies bezieht sich logischerweise – und darauf hat bereits Carl Clemen hingewiesen10 – nur auf die Magier Kappadokiens und nicht auf die zoroastrischen Priester Persiens. Auch das Gespräch zwischen einem Christen und einem Zoroastrier, das im mittelpersischen Werk „Dinkard“ vorkommt und auf das Bailey hinweist (S. 162f.), zeigt nur, wie komplex die ganze Tradition bezüglich der heiligen Schrift in der mittelpersischen Periode war. Kaum hat man begonnen, diese Tradition zu verstehen, da zieht man schon voreilige Schlussfolgerungen und sucht Beweise bei den Manichäern!11
Es bleibt noch ein weiteres unzutreffendes Argument für die Schriftlosigkeit der Perser.
„Der Zoroastrismus hat eine lange mündliche Tradition.“ So beginnt Boyce ihren Beitrag „Zoroastrianism“ von 1997, den sie so fortsetzt: „… für viele Jahrhunderte weigerten seine [d.h. Zarathustras] Anhänger sich, diese fremde Kunst für sakrale Zwecke zu verwenden.“ Was Boyce damit meint, hatte sie in ihrem Buch „Zoroastrians“ von 1979 deutlicher geäußert: „Obwohl die Meder und Perser mit mehreren Schriftsystemen in Westiran in Berührung kamen, waren sie gegenüber der fremden Kunst misstrauisch (im persischen Epos hat man ihre Entdeckung dem Teufel zugeschrieben)“ (S. 50). Auch in ihrer „History of Zoroastrianism“ (II, 1982, S. 123) betont sie noch einmal „the alien art of writing“, die zu den sakralen Angelegenheiten der Zoroastrier nicht passte.
Boyce hat in Ferdosis Reimversion des persischen Nationalepos Schahname einen Bericht gefunden, der zu ihrer Theorie passt. Sie nimmt ihn rasch auf, ohne sich über seinen Sinn oder Unsinn Gedanken zu machen. Als der mythische König Tahmuras die Dämonen gefesselt hatte, haben sie ihm gesagt:
„Töte uns nicht, damit wir dich eine neue Kunst lehren, die dir Vorteile schaffen würde. … Sie haben dem König das Schreiben beigebracht und damit sein Herz erleuchtet.“12
Ferdosi berichtet weiter: Es waren dreißig (sī) Schriftarten, darunter Persisch (pārsī) – merke den Reim –; der Dichter erwähnt aber nur sechs Schriften!
Auch wenn es der einzige Bericht über die Entstehung der Schreibkunst in Iran wäre, würde ein ernstzunehmender Forscher mit Bedacht damit umgehen. Ahriman und seine Dämonen sollten die Schreibkunst beherrschen, während Darius und seine Generäle mit „bloßen Zeichnungen mit sinnbildlichen Darstellungen“ miteinander kommunizierten!
Tatsächlich werfen die Berichte der mittelpersischen Quellen ein anderes Licht auf dieses Thema:13
„Oder es war Tahmūras der Gepanzerte, der den dämonischsten Dämon, den lügenhaften bösen Geist fing und dreißig Winter lang auf ihm ritt und von ihm sieben Schriftarten brachte.“
„Von Tahmuras dem schön Gewachsenen stammte der folgende Gewinn: Er ritt dreißig Jahre lang auf dem verfluchten bösen Geist und brachte in Erscheinung sieben Arten von Schreibkunst, die der Lügenhafte verborgen hatte.“
Mit Hinweis auf die oben genannten Berichte betont Poure Davoud: „Die Dämonen hatten diese göttliche Kunst mit Feindschaft und Bosheit verborgen.“14 Schon vor ihm hatte sich Heinrich Junker mit dem Stehlen und Verbergen der Dinge als einem Merkmal des Ahriman beschäftigt, einer Eigenschaft, die manchmal als Verschlucken dargestellt wird. Als Beispiel erwähnt Junker die Schreibkunst und ihr Verbergen durch Ahriman.15
Ferdosis Auffassung des Verhältnisses der Dämonen zur Schreibkunst ist falsch bzw. mangelhaft. In diesem Zusammenhang hat Nadim ähnlich wie Ferdosi berichtet, nur gibt es bei ihm einen Zusatz, der ihn in die Nähe der mittelpersischen Berichte rückt:16
„Die Perser behaupten, dass er, als er die Erde besaß, die Dämonen und Menschen beherrschte und den Teufel besiegte. Er befahl ihm das herauszustellen, was er in seinem Inneren versteckt hatte, und der Teufel lehrte ihn das Schreiben.“
Hier ist der letzte Satz irreführend, wenn man ihn vom Kontext trennt und separat behandelt, was Ferdosi getan hat. Man sollte außerdem wissen, dass die alten Iranier die Schreibkunst für göttlich hielten. Darius ließ seine Inschrift in einen Berg einmeißeln, der „Gottesort“ hieß. Die Avesta-Exemplare bewahrte man in den Feuerheiligtümern auf. Am Anfang einer Reihe von Anweisungen, die von den Zoroastriern Samarkands stammen, steht: „Wenn man für eine Tätigkeit weiße Magie ausüben will, verehrt man unterschiedliche Engel“. Als Beispiel wird dort angeführt: „Um die Kunst des Schreibens zu lernen, verehrt man xššbd im Namen šmydn.“ Man verehrte also xššbd, eine aus anderen Quellen sonst unbekannte Gottheit, die u.a. für die Schreibkunst zuständig war, im Namen eines gewissen šmydn, der diese Kunst repräsentiert hat.17 Der Glaube an die Göttlichkeit der Schreibkunst war schon Grund genug für Ahriman, sie zu stehlen und zu verbergen.
Zu bedauern sind schon diejenigen, die Boyces falsch verstandene Schlussfolgerung wiederholen,18 und noch mehr die, die darauf neue Theorien aufbauen. Manfred Hutter etwa behauptet, dass die alten Zoroastrier nicht nur die Schrift für dämonisch hielten, sondern auch die Sprache! In seinem Beitrag „Schreibkunst, Sprachkompetenz und Dämonen. Ein Motiv der iranischen Kulturgeschichte“19, folgt nun diese zweite falsche Schlussfolgerung, „daß die Sprache ein Werk der ‚Gegenschöpfung‘ Ahremans ist“, und dabei bezieht er manichäische Quellen ein. Hutter interpretiert den Ausdruck ham.wāng, der im Bundehesh vorkommt,20 als „dieselbe Sprache“, um zu zeigen, dass die Zoroastrier nicht nur die Sprache, sondern auch die Sprachvielfalt für ahrimanisch hielten. Dabei bedeutet dieser Ausdruck „einstimmig“; Menschen loben Ahura Mazda nach der Auferstehung einstimmig, im Chor.21 Eine alternative Deutung wäre, wenn überhaupt, „mit denselben Worten“ (ham.gōwišn),22 niemals „mit derselben Sprache“, auch wenn Plutarch es so verstanden hat.23 Und Michael Stausberg bezieht sich in seinen Behauptungen auf Hutter.24 Abyssus abyssum invocat.