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Kapitel 1


Die Liebe hat immer recht - Wie du warst vor aller Zeit – der feige Ziehbruder


Aufgelöst kam Oma zu Wernher gerannt. „Wer war denn das?“ „Ich kenne ihn auch, Oma, aber ich komme nicht darauf, woher“, mischte sich Lene ein. „Ich kenne ihn“, erklärte Wernher grimmig. „Und ganz sicher nicht erst seit heute. Er sieht meinem Ziehbruder Hans so ähnlich, als sei er ihm aus dem Gesicht geschnitten. Sogar Mimik und Gestik stimmen genau überein!“

„Wie ist das möglich?“ Lene sah Wernher entsetzt an. „Bist du wirklich sicher, dass es Hans war?“ Wernher nickte bitter. „Ganz sicher, die Visage gibt es nicht noch einmal. Ich würde meinen sogenannten Bruder immer und überall erkennen!“ „Mir kam er auch bekannt vor“, gab Lene zögernd zu. „Ich habe ein Bild von ihm im Internet gesehen, ein Gemälde, aber er ist wirklich sehr gut getroffen.“ Wernher zog Lene und Oma zur Seite und sah sie durchdringend an. „Wir müssen hier weg! Wenn Hans sich hier aufhält, hat das einen Grund und wie ich ihn kenne, hat er mit Gold und Reichtümern zu tun und nichts Gutes für uns zu bedeuten.“ Lene stupste ihn aufgeregt in die Seite und rief: „Ehrlich gesagt, habe ich in letzter Zeit öfter das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Sogar die Hunde haben manchmal geknurrt, aber weil mir nichts aufgefallen ist, habe ich mir nichts dabei gedacht.“ Wernher sah sie vorwurfsvoll an. „Das hättest du mir sagen müssen! Wer weiß, was er im Schilde führt. Etwas Gutes bestimmt nicht.“ Willi knurrte zustimmend und Melampus zog an der Leine, in die Richtung des Turmes. Helga sah sich unbehaglich um, sie konnte die Beklemmung, die sie befallen hatte, nicht abschütteln. „Ich möchte gehen“, sagte sie mit zitternder Stimme und sah einen nach dem anderen bittend an. „Ich spüre ganz deutlich, dass dieser Mann gefährlich ist und möchte nicht, dass wir in seiner Nähe sind.“ „Aber Oma“, meinte Lene beruhigend, „wir sind zu Mehreren und er allein, dazu haben wir noch die Hunde. Er könnte uns ebenso gut zuhause belauern, ohne dass wir es merken würden!“ Oma sah sie entsetzt an.

„Jetzt nicht mehr“, erklärten Horst und Wernher bestimmt. Nie würden sie zulassen, dass ihren Frauen etwas geschah. „Er soll nur kommen“, brummte Wernher wütend. „Wir empfangen ihn dann schon gebührend“, grollte auch Horst und nahm seine Helga beschützend in den Arm, die sich sofort dankbar hineinschmiegte.

„Du hast mir doch erzählt, dass dein Ziehbruder ein hinterlistiger, feiger Geselle ist“, stieß Lene finster hervor und fixierte das Gebüsch, hinter dem Hans verschwunden war, voller Zorn. „Er wird nie und nimmer von vorne kommen, sondern stets von hinten und erst dann, wenn wir es nicht mehr erwarten, zuschlagen!“ Eine Gänsehaut lief ihr bei dem Gedanken den Rücken hinunter. Schutzsuchend drängte sie sich an Wernher, die Hunde dicht an beiden Seiten. „Dann hilft nur eins“, Wernher sah sich voller Wut um. „Wir müssen ihm zuvorkommen!“ Lene sah ihn unglücklich an. Das hatte sie sich bereits gedacht. Sie kannte ihren Mann inzwischen gut genug, dass sie ihm zutraute, sich bedenkenlos in Gefahr zu begeben, um sie zu beschützen. „Aber nicht Hals über Kopf! Du bist kein Einzelkämpfer mehr, du hast jetzt mich und unsere gemeinsame Familie! Wir stehen das zusammen durch und werden ihn besiegen. Hast du das gehört, mein Schatz?“ Sie sah ihn durchdringend an. Wernher gab ihren Blick zurück, ohne zu lächeln, was Lene noch mehr beunruhigte.„Mach dir keine Sorgen, mein Lieb. Die längste Zeit hat der feine Herr Hans seinen Spaß gehabt, doch wer zuletzt lacht, lacht am besten!“ Er ballte die Faust. Lene schüttelte den Kopf. „Oma, Horst, sagt doch auch mal etwas! Wir müssen diesen Sturkopf vor sich selber schützen!“

Oma hub mit zitternder Stimme an: „Ich möchte heim, ich habe Angst. Von eueren Abenteuern zu hören ist eine Sache, aber dann einem euerer Widersacher leibhaftig zu begegnen, etwas ganz anderes. Bitte, ich möchte heimfahren!“ „Tun wir das“, grollte Horst und schob Oma vor sich auf den Weg nach unten zurück. Lene und Wernher drehten sich auch um und zogen die widerstrebenden Hunde mit. Melampus und Willi knurrten leise und hatten immer noch das Nackenfell gesträubt. Lene schauderte – so hatte sie sich den Sonntagsausflug nicht vorgestellt, auf den sie sich so gefreut hatte.


Gefahr im Odenwald

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