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ОглавлениеFred Bittner hatte nach der zweiten Tasse Kaffe wieder warme Hände und eine etwas entspanntere Haltung. Metag wandte sich mit einem Schulterzucken zu ihm, als Trommer den Raum verlassen hatte: „Der ist nun schon über ein Jahr in der Abteilung, arbeitet ganz ordentlich und dann stellt der solche Fragen.“ „Wer weiß, wie das in Saarbrücken gehandhabt wird. Er hat da mal so’ ne Bemerkung gemacht, dass sein Boss ein oller Komisskopp gewesen sei, vielleicht hat der mit den Mitarbeitern Exerzierübungen gemacht, wenn sie was gefragt haben, was weiß denn ich.“ Bittner saß da, als ob er mit irgend etwas ringen würde. Metag fragte nicht nach; wenn der Freund etwas los werden wollte, würde er schon reden.
Als sich das Schweigen dehnte, ergriff Metag doch das Wort: „Entschuldige, dass ich vorhin deinen Entscheidungen vorgegriffen habe, bei Volker.“ Bittner sah ihn verständnislos an: „Wobei? Bei Volker?“ „Na, als ich das mit den Pathologen gesagt habe. Ich dachte nur, dass er mit dem ganz gut auskommt, ist ja auch nen Wessi.“ Bittner lachte kurz und sarkastisch auf: „Klar, Wessis aller Länder vereinigt euch. Manno, Werner! Unser Pathologe ist ein Hamburger, der versteht sich mit nem Saarländer genauso automatisch wie ein Berliner und ein Leipziger. Aber im konkreten Fall hast du recht, die beiden können gut mit einander und ich hätte ihn auch so eingesetzt. Aber dir geht es wohl eher darum, dass Volker nicht unbedingt zu Befragungen nach Burg muß und da alle Fettnäpfchen ausprobiert. Sehe ich auch so. Aber mit seinem Kommentar, von wegen Jana Dojowa, hat er mich echt verblüfft. Ich weiß, dich hat die Begründung gestört. Aber gib ’s zu – Jana Dojowa, das hat was.“ Unwillkürlich mußte Metag schmunzeln, stimmt schon, dachte er, der Name passte irgendwie und dass die Idee von Volker kam, war wirklich erstaunlich.
Bittner gab sich einen sichtlichen Ruck, er straffte die Schultern, als müsse er in die Verteidigungsposition beim Boxen, atmete tief durch und begann: „Ich habe ein verdammt mieses Gefühl bei der Muschack-Geschichte. Ich weiß, dass wir keine vorgefassten Meinungen haben sollten, aber ich habe eben dieses Gefühl, das da was richtig Hässliches auf uns zu kommt. Ich hatte ja noch Zeit, bis du mit den Rettungsleuten rausgekommen bist, da hab ich natürlich mit Jakubick geredet. Der kennt Burg wirklich und war völlig geplättet, dass so was in seinem Revier möglich ist, einen Menschen zu verstecken und wer weiß wie lange. Als er die Kleine gesehen hatte, war seine erste Reaktion – das muß eine Muschackowa sein, sie sieht aus wie die Rejzka als Kind. Rejzka, also Therese Muschack, ist die Tochter von der toten Maria Muschack und die hat, seit sie nach Berlin zur Ausbildung gegangen ist, keiner mehr in Burg gesehen. Das könnte ja ne Spur sein – heimliche Entbindung zu Hause und dann ab in die weite Welt und die Oma sitz mit dem Gör da.
Da ist aber noch was, der Mann der Toten, ein Jurij Muschack, ist im Sommer 90 verunglückt. Vielleicht erinnerst du dich noch, das war der, der besoffen mit seiner Geliebten in die Hauptspree gerast ist. Wurde damals als eindeutiger Unfall behandelt, klares Spurenbild, genug Alkohol und ein Zeuge aus dem Gegenverkehr. Jakubick meinte, der Kerl, also der Muschack, nicht der Zeuge, sei nicht ganz astrein. Im Frühjahr Neunzig hatte das KK Betrug/Eigentumsdelikte ihn im Visier, hatte sich dann durch den Unfall erledigt.
Es wird aber auch von einem hartnäckigen Verehrer der Muschack, also der Maria, gemunkelt, der wohl seit einigen Jahren jeden Sommer auftaucht, irgend so ein Späthippie mit nem grünen Spleen, der mit der Maria einen ökologischen Ziegenhof in großem Format aufbauen will, von ihr aber immer abgewiesen wird. Ein bisschen viel Durcheinander für eine Familie im idyllische Kurort Burg, oder?“
Metag ließ sich das Gehörte durch den Kopf gehen, das waren einige Ansatzpunkte für die Ermittlungen, Fred würde da jeder Spur folgen müssen und brauchte für die alten Sachen gute Unterstützung vor Ort. Mit Jakubick kam er offensichtlich klar.
Der richtige Umgang mit den Kriminalisten und Schutzpolizisten vor Ort war bei Ermittlungen der Kriminalpolizei oft eine heikle Sache. Manche Revierbeamten fühlten sich von den häufig im Dienstrang höheren Kriminalisten der Mordkommission übergangen, und manchmal wurden sie es auch. Andere wollten wiederum den Kripos von oben beweisen wie clever sie waren und rissen oft genug in ihrem Übereifer ein, was die Ermittler mühsam aufgebaut hatten. Während seiner Ausbildung am Institut für Kriminalistik kursierte der Sarkasmus – ‚Was vernichtet Tatortspuren am effektivsten? Bullenstiefel!’
„Warum hast du das nicht vorhin vor allen erzählt?“ „Ich konnte nicht. Du hast die Kleine gesehen, da kann ich mit dir drüber sprechen, aber die anderen...“, er ließ den Satz in der Luft hängen. In Bittners Gesicht trat ein bitterer, gehetzter Zug: „Ich muß es einfach mal loswerden. Die Augen von der Kleinen lassen mich nicht in Ruhe, diese furchtbare Angst vor uns, die wir helfen. Genau wie im Kosovo...“ er schluckte schwer.
Metag legte ihm die Hand auf die Schulter: „Wenn du willst sprich, oder willst du nachher mit zu uns kommen?“ Bittner schüttelte heftig den Kopf: „Nichts gegen Gabi, aber nicht vor ihr.“ Auf die in stummer Frage gehobenen Augenbrauen des Freundes hin, sagte er: „Das kannst du nicht verstehen, aber sie klingt bei solchen Gesprächen immer wie die Psychotante von damals. Die war schon in Ordnung, wie Gabi auch. Manches können aber nur Leute verstehen, die so was erlebt haben... Du hast die Kleine heute gesehen, ... ich hätte sie nicht aus ihrem Bett heben können wie du, ... ihre Augen ...“
Bittner machte eine kurze Pause. Metag wartete geduldig auf die Fortsetzung. Er wußte, dass jetzt das Eigentliche kommen würde. Es hatte keinen Sinn zu drängen. Da fuhr Fred schon fort, während er die leere Kaffeetasse in den Händen drehte: „Wir haben damals zusammen mit den örtlichen Kräften Zivilisten aus dem Kampfgebiet evakuiert... da war dieses Waisenhaus ... ich kann es nicht schildern ... es war einfach grauenvoll, lauter kleine Kinder in Drahtgitterbettchen, fast verhungert, völlig verdreckt ... die Betreuer hatten sich aus dem Staub gemacht ... kann ich inzwischen sogar nachvollziehen ... hätte ich damals einen von denen erwischt... nein, vielleicht nicht erschossen aber zugeschlagen hätte ich... später habe ich erfahren, das es junge Frauen waren, die abgehauen waren, weil sie Angst hatten, von uns vergewaltigt zu werden... das schlimmste waren die Augen der Kinder, manche völlig leer und apathisch ... die anderen genauso voller Angst vor uns, wie bei der Kleinen heute ... das hat mich kalt erwischt... ich dachte, ich wär drüber weg, aber es verschwindet nie völlig ... weißt du ... die Psychologin damals, die war selber früher bei Ärzte ohne Grenzen in Afrika, in Kriegsgebieten, das war auch hart, wenn du deine eigenen Leute nach einem Anschlag findest, ... du kennst solche Bilder von unseren Bahnsuiziden, aber das sind Fremde ... sie hat selber Leute gefunden, mit denen sie am Tag vorher in der Kantine gesessen hatte ... das war dort ein offizieller Krieg, mit Gegnern und so ... aber dieser Scheißbürgerkrieg damals im Kosovo, alle irgendwie Opfer und viele gleichzeitig Täter, darauf kann dich keiner und nichts vorbereiten... und nichts kann da trösten...“