Читать книгу EndstationHotel Ali Pascha - Birgit Vobinger - Страница 3

1

Оглавление

Heiß brannte die Wüstenluft in Danielas Lungen. Jedes Zeitgefühl längst verloren, kauerte sie auf dem staubigen Boden der kleinen Hütte. Die unverglasten Fenster waren mit Jutesäcken verhangen. Bedrohlich wie ein Schwert durchschnitt ein Lichtstrahl diagonal den Raum. Schweißperlen liefen an ihrem schmutzigen Körper herunter und malten Striche auf ihre makellose, weiße Haut. Geistesabwesend massierte Daniela sich die Schläfen, um die unerträglichen Kopfschmerzen zu lindern. Zeit hatte an Bedeutung verloren.

Unentwegt redete die alte, dunkelhäutige Frau wild gestikulierend auf das Mädchen ein. Wiederholt schlug die Sudanesin Danni ins Gesicht, wenn sie es wagte, den Blick abzuwenden. Kraftlos ergab sie sich ihrem Schicksal. Wann hatte die 19-Jährige zuletzt Tageslicht gesehen? Es ging alles so schnell. Die Deutsche wusste weder, wo sie sich derzeit befand, noch ob Niko, ihr Freund noch lebte. Vor Verzweiflung zitternd legte sie den Kopf auf ihre Knie und fing an zu weinen. „Was, wenn sie Niko getötet haben? Lass mich aus diesem Albtraum aufwachen.“

Vor sechs Monaten hatte sich die 19-Jährige, nach bestandenem Abitur für unschlagbar gehalten. Nach wochenlangem Lernen wollte sie, wie viele ihrer Klassenkameraden ein Jahr lang die Welt bereisen, bevor der Ernst eines Studiums sie in die wirkliche Welt zurückholen würde. Nach dem Film "Die Mumie", stand fest, dass ihr Ziel Afrika heißen würde. Vergeblich hatten ihre Eltern versucht, ihr die Reise auszureden. Schließlich vertrauten sie auf Niko, der bereits mit seinen Eltern einige exotische Reisen unternommen hatte und mit seinen 22 Jahren vernünftiger war als Daniela.

Mit nur einer Stunde Verspätung landete der Airbus in Hurghada, der Touristenhochburg am Roten Meer. Mit ihren Rucksäcken bepackt, wartete das Pärchen auf den Reisebus, der sie nach Luxor, am Nil bringen sollte. Weitere 280km mit einer geschätzten Fahrtzeit von 4 ½ Stunden durch die Arabische Wüste standen ihnen bevor. Laut dröhnte exotisch klingende Musik aus dem Radio. Müde lehnte Daniela ihren Kopf an die Scheibe des Busses und schaute in die schwarze Nacht. Dann erblickte sie den einzigartigen Sternenhimmel. Hier machte die Milchstraße ihrem Namen alle Ehren. Die Erschöpfung vom Flug verschwand. Daniela presste, wie ein aufgeregtes Kind, ihr Gesicht an die Scheibe des Fahrzeugs.

Morgens um zwei Uhr bezogen sie ihre Kabine auf dem Kreuzfahrtschiff, das sie innerhalb einer Woche zu den Bauwerken der Pharaonen bringen würde. Am folgenden Morgen hatte das Schiff in Edfu angelegt. Daniela stand in der Sonne und fixierte das Bild des Königs, auf dem ca. 60m hohen Pylon. Der gigantische Horus Tempel zeigte Daniela, wie winzig und unbedeutend jeder einzelne Mensch eigentlich war. Die Begeisterung blieb, egal ob sie in Assuan oder Abu Simbel waren.

„Ich will nie wieder nach Hause. Ich liebe dieses Land“, schwärmte Daniel und umarmte Niko fest.

Von Abu Simbel aus fuhren die beiden weiter Richtung Sudan. Sie überquerten die Grenze bei Whadi Halfa. Der Sudan war, im Gegensatz zu Ägypten, touristisch weitestgehend unberührt. Wenn sie geahnt hätten, welch jähes Ende ihr Traum hier nehmen würde, hätten sie keinen Fuß über die Grenze gesetzt.

Ein sehr freundlicher sudanesischer Lkw-Fahrer bot sich an, sie bis Karthum mitzunehmen. Die Straßen waren beschwerlich. Oft reihte sich Schlagloch an Schlagloch oder der Weg war von Wüstensand verschüttet. Das Überwinden selbst kurzer Distanzen erforderte Stunden. Niko sah das kleine Hotel, im Stadtzentrum, dem Souq al Arabi, zuerst. Es war kein typisches Touristenhotel. Niemand öffnete dem Gast die Tür. Die Lobby war nicht klimatisiert. Nur ein Deckenventilator über der schlichten Rezeption sorgte für eine kleine Brise. Das Zimmer war spartanisch, mit einem Bett und einem Schrank, eingerichtet. Die Bettwäsche war alt und abgegriffen. Das Zimmer roch muffig. Fragend schaute Niko zu seiner Freundin, ob sie mit dieser Einfachheit leben könnte, aber sie winkte nur ab und betonte, dass es alles zu einem Abenteuer gehöre.

„Für 5 Euro pro Nacht können wir kein Sheraton erwarten.“

Aufgeregt lehnte sich Danni aus dem Fenster und schaute auf den Basar. Der Straßenlärm der 2 Millionen Stadt dröhnte durchs ganze Zimmer.

„Ich gehe nur duschen und ziehe mir was Luftiges an, dann müssen wir auf den Basar gehen“, sagte sie.

Sie zog es vor, Badelatschen während des Duschens anzulassen. Sie Silikonkasten waren verschimmelt, die Armaturen rostig. Es gab nur kaltes Wasser aber nach der unerträglichen Hitze, war es sehr erfrischend.

Niko beobachtete, wie der Luftstrom ihres Föhns die langen blonden Haare umherwirbelte. Das weiße, kurze Kleid betonte die schlanke Taille. Langsam strich er mit seiner Hand vom Knie aufwärts ihren Oberschenkel hinauf. Daniela haute ihm auf die Finger.

„Später Schatz. Jetzt will ich erst auf den Souq.“ Schließlich gab er sich mit einem Kuss zufrieden und sie machten sich auf den Weg.

Die Händler nutzten jeden Zentimeter aus, um ihre Waren zu präsentieren. Von allen Seiten riefen die Verkäufer. Einige kamen direkt auf das Paar zu und drängten zum Kauf der Waren. Der Geruch von Gewürzen hing in der Luft. Einige Händler pfiffen Daniela nach und boten Niko 100 Kamele für sie. Ihr Lächeln zeigte, wie sehr ihr der Ruhm gefiel. Immer wieder schüttelte sie ihre langen Haare. Beflügelt von dem Gedanken die schönste Frau auf dem Basar zu sein, inhalierte sie die heiße Luft des Sudans um sich jeden Augenblick einzuprägen. Die Gassen wurden immer enger. Mühelos konnten die Männer dem sorglosen Paar folgen. Erst als ein hämmernder Schmerz Danielas Kopf fast zerbersten ließ, erblickte sie, während sie in sich zusammensackte, ihren Freund auf dem Boden liegend. Daniela verlor das Bewusstsein.

Nur langsam kam sie wieder zu sich. Es war heiß, die Luft staubig. Durch den fäkalen Gestank musste sie sich übergeben. Wie viel Zeit war vergangen? Stunden oder Tage? War es Tag oder Nacht? Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Finsternis. Immer wieder rief die 19 Jährige lautstark um Hilfe. Der plötzliche Lichtschein, der das Zimmer durchflutete, als die Tür geöffnet wurde, blendete. Sie konnte nur einen Umriss erkennen. Jemand kam, stellte ihr wortlos einen Krug mit Wasser und eine Schüssel Ful auf den Boden, und ging. Das sudanesische Gericht aus gekochten Saubohnen mit Öl, Tomaten Zwiebeln und Falafel sollte ihre einzige Mahlzeit am Tag bleiben. Wo war Niko? Was hatten sie mit ihm gemacht?

Danni hatte keine Ahnung, wie lange sie sich schon in diesem Kerker befand, aber sie wusste, dass niemand nach ihr suchen würde. Erst kurz vor dem Überfall hatte sie ihre Mutter angerufen und ihr erzählt, wie schön alles sei. So schnell würde sie mit keinem Anruf mehr rechnen. Sie hatte ihrer Mutter beim letzten Telefonat gesagt, wie schwer es ist eine Telefonzelle aufzutreiben. Wann würde die Mutter ihre Tochter vermissen? Plötzlich öffnete sich wieder die Tür. Ein Mann packte sie am Arm und zerrte sie hinter sich her. Mit einem Ruck wurde die junge Frau in ein Zimmer geschubst. Dort warteten zwei sudanesische Frauen, die ihr die Kleider auszogen, sie wuschen und ihr ein afrikanisches Kleid gaben. Danni flehte die Frauen an, ihr zu helfen aber sie verstanden sie nicht. Bekleidet mit einem schlichten orangen Kleid und einem weißen Schleier, der das Haar verdeckte, zerrten die Frauen Daniela in die Küche. Der dunkelhäutige Mann, mit grauem Vollbart, saß bei einer Tasse Tee am Tisch und nickte zustimmend. Dannis Augen suchten jeden Winkel des Zimmers ab, bis sie an einem Gegenstand wie gebannt innehielt. Der Kalender an der Wand zeigte ihr, dass sie bereits seit zwei Wochen in Gefangenschaft war.

Der Mann hatte sie mit einem Kleinlaster in dieses Dorf gebracht, Geld kassiert und verschwand. In Gedanken vertieft saß sie nun auf diesem staubigen Boden des einfachen Hauses. Daniela träumte mit offenen Augen von Niko. Davon wie er sie ansah, sie berührte, seine Hände an ihrem Körper herunter glitten. Sie hatte sogar das Gefühl ihn zu riechen, doch eine Ohrfeige holte sie in die graue Wirklichkeit zurück. Die sudanesische Frau, mit dem sonnengegerbten Gesicht, die seit Stunden auf sie einredete, war immer noch da. Ängstlich sah sich Daniela um. Auch die vier anderen älteren Frauen befanden sich noch in dem kleinen Haus. Man brauchte kein Sudanesisch-arabisch zu sprechen, um zu verstehen, dass Daniela verheiratet werden sollte. Der erste Teil der Hochzeit war bereits mit dem Kaufpreis abgeschlossen. Der Menschenhändler, der sie vom Souq geholt hatte, konnte für die blonde Frau einen guten Preis erzielen. Nun befand sich die Deutsche mitten im zweiten Akt. Die älteren Frauen zogen sich mit der Braut zurück, um ihr zu zeigen, wie sie ihren Ehemann beglücken konnte.

„Ich muss hier raus. Ich muss einen Weg finden - Niko finden.“

Die Älteste, die Somo, schubste Danni, spreizte ihre Schenkel und sah sich Danielas Genitalbereich an. Wild mit den Armen gestikulierend rief sie die anderen Frauen zu sich. Alle vier betrachteten kopfschüttelnd Daniela. Zutiefst beschämt, versuchte sie sich zu bedecken.

Die Somo verließ aufgeregt das Haus, rannte vorbei an den einfachen Hütten, den staubigen Weg entlang, bis sie zu dem großen Haus kam. Sie lief über die Terrasse, an der sich Säulen, die große Papyruspflanzen darstellten, befanden. Energisch klopfte sie an die massive Holztür des großen, weißen, Hauses. Die Somo kniete vor dem hochgewachsenen, dunkelhäutigen Mann nieder.

„Fahrad bin Abdul, verzeih mir, dass ich dich aufsuche“, sagte die Somo und blickte ehrfürchtig auf den Boden.

„Somo. Was willst du? Warum bist du nicht bei meiner Braut und bringst ihr alles bei?“

Den Blick auf den Boden gesenkt, berichtete sie ihrem Herrn, dass seine Braut weder beschnitten noch unversehrt sei, und schlug vor sie zu töten.

Zornig stand Fahrad bin Abdul auf. Das Weiße in den Augen, des 1,90 m großen Mannes stach aus dem dunkelbraunen Gesicht hervor. Es war Danielas blondes, lockiges, langes Haar, an das er dachte, als sich ein Lächeln auf sein Gesicht legte und wie sehr seine Freunde ihn darum beneiden würden. Er hatte viel Geld für das Mädchen bezahlt.

„Was redest du alte Frau! Was du gesehen hast, ist von mir. Ich kaufe eine Ziege auch nicht, ohne zu prüfen, ob sie Milch geben kann“, sagte er, um nicht seine Ehre zu verlieren.

„Aber Herr, sie ist nicht beschnitten!“

„Ich weiß, dafür ist noch Zeit oder willst du einen Mann um seine Hochzeitsnacht bringen? Du weißt doch selbst, wie lange es braucht, bis die Wunden verheilen. Jetzt sei still und bereite sie vor.“

Verständnislos ging die 60 Jährige zu der ärmlichen Hütte zurück.

„Heute, wenn sie schlafen, werde ich fliehen. Ich werde bestimmt nicht diesen Mann heiraten“, dachte Daniela.

Die Frauen hatten sich auf Matten ein Lager aufgeschlagen. Nach kurzem Warten, fing die Erste leise an zu schnarchen. Erst als die Deutsche sicher war, dass alle fest eingeschlafen waren, bahnte sie auf Zehenspitzen ihren Weg in die Freiheit.

Vorsichtig stieg sie über Nesrin hinweg bis zu Laila, die an der Tür schlief. Fast hätte Daniela aufgeschrien, als die Hand von Laila auf ihrem Fuß landete. Ohne zu atmen, zog Danni vorsichtig ihren Fuß beiseite, öffnete einen Spaltbreit die Tür und lugte hinaus. Niemand zu sehen. Ohne nachzudenken, rannte sie los. Vorbei an den Lehmhäusern mit ihren Wellblechdächern, vorbei an den Ziegen und dem kleinen Brunnen. Sie rannte durch die kalte Wüstennacht. Gerade als sie einen Hauch von Triumph in sich verspürte, hörte sie die Stimmen hinter sich. Man hatte ihre Flucht bemerkt. Ihre Muskeln schmerzten und die Seitenstiche ließen sie kaum mehr atmen aber sie musste es schaffen.

„Lauf weiter, lauf doch. Nur noch bis zum Gebüsch, da kannst du dich verstecken“, motivierte sie sich selbst. Ein Schlag von hinten ließ sie zu Boden gehen. Daniela brach zusammen. Im Kopf hörte sie ihren eigenen Herzschlag, bevor sie schließlich das Bewusstsein verlor.

EndstationHotel Ali Pascha

Подняться наверх