Читать книгу EndstationHotel Ali Pascha - Birgit Vobinger - Страница 8

6 (Freitag)

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Julia spürte den heißen Sand unter ihren nackten Füßen. Das Rauschen der silber funkelnden Wellen wurde von der arabischen Musik der Strandbar untermalt. Ein kleines Kind saß im Sand und spielte mit Eimer und Schaufel, während sich die Eltern des Kleinen bräunten. Auf der Suche nach der passenden Liege sah sie ihn. Der braun gebrannte 17 Jährige lag in der prallen Sonne. Nur ein paar Meter von seiner Liege entfernt, fand Julia ein freies Plätzchen. Sie breitete ihr Badehandtuch aus und legte ihre Sachen auf den weißen Stuhl aber er bemerkte sie nicht. Julia zupfte ihren schwarzen Bikini zurecht, kämmte ihr langes blondes Haar und ging, ganz dicht an seiner Liege vorbei, zum Meer.

„Wird er mich sehen? Jetzt nur nicht auf die Klappe legen oder so was.“

Aus den Augenwinkeln versuchte sie, jedes Detail seines Körpers zu erhaschen. Leise hörte man einen Song aus seinem MP3 Player. Mit den Füßen wippte er im Takt zu „Lasse reden“ von den Ärzten. Julia liebte diesen Song. An der Wasserkante verweilte sie, tauchte nur ihre Füße in die Gischt, spielte mit ihrem Haar und sah hin und wieder über ihre Schulter, um zu sehen, ob er aufmerksam geworden war. „Du verbrennst doch in der Sonne. Irgendwann musst du dich doch abkühlen kommen.“

„Hallo schöne Scheherazade“, begrüßte der arabische Kameltreiber Julia. Sie blickte ihn erstaunt an. Der dunkelhäutige Mann grinste übers ganze Gesicht, während er seinem Dromedar den Hals kraulte. Das Halfter des Tieres war mit bunter Wolle geschmückt und auf seinem Rücken lag eine leuchtend rote Decke.

„Shehe was?“, fragte Julia und schaute den Mann verwirrt an.

„Scheherazade. Du bist schön wie die Prinzessin Scheherazade. Du sie nicht kennst?“

Julia zog die Stirn kraus.

„Nie gehört. Ist das die Prinzessin vom Sudan?“

Der Kameltreiber fing herzhaft an, zu lachen.

„Nein. Du kennen die Legende von König Schahriyâr nicht? Er haben jede Nacht eine neue Jungfrau und am Morgen er lasst sie töten. Aber die wunderschöne Scheherazade ist klug. Sie erzählen jeden Abend eine neue Geschichte. Immer wenn Geschichte ganz spannend, ist schon Morgen und sie nicht weiter erzählen. Dann König sie kann nicht töten. Er wollen hören wie Geschichte geht zu Ende. So ist Scheherazade nicht nur schönste Frau der Welt, sondern auch klügste Frau. Du sehen aus wie Prinzessin.“

Der Teenager lächelte verlegen und lief dunkelrot an. Diese Komplimente ließen sie sogar den jungen Mann auf der Liege vergessen.

„Hast du Lust, reiten auf Kamel wie eine Prinzessin?“, fragte der Sudanese.

Julia drehte ihren Fußballen in den Sand, während sie überlegte. Als der Sudanese ihr dann noch einredete, dass nur sie so günstig reiten dürfte, flitzte der Teenager los um die Eltern um Erlaubnis zu fragen.

„Mama kann ich mit dem Kamel reiten? Gibst du mir 1000 von diesem Okolüten?“

Hannah, die auf dem Bauch lag und fast eingeschlafen war, drehte sich um, hielt sich eine Hand zum Schutz gegen die blendende Sonne vors Gesicht und fragte:

„Wo willst du reiten?“

„Am Strand ist einer mit einem Kamel. Für 1000 Sudan Pound kann ich reiten. Darf ich? Bitte?!“

Hannah griff neben sich und holte ihre Handtasche vor. Während sie nach ihrem Portemonnaie kramte, schaltete Martin sich ein. Er saß auf seiner Liege und seine Stirn zeichnete Linien des Bedenkens.

„Ich weiß nicht. Du kannst doch nicht mit einem fremden Mann davon reiten.“

„Papa, bitte.“

„Ach, Martin, lass sie doch“, winkte Hannah ab, die schon immer der Meinung war, dass Martin seine Tochter zu sehr behütete.

„Ich weiß nicht. Wer weiß, was da alles passieren kann. Lieber nicht.“

„Du siehst auch hinter jeder Ecke einen Massenmörder. Das gehört doch alles zum Hotel. Ist doch nur ein Touri-Gag.“

„Schatz wir sind im Sudan und nicht auf Mallorca.“ Martin raufte sich nervös die Haare.

„Papa bitte“, Julia machte sich schnell auf den Weg, ihren Vater zu umarmen. Bislang hatte sie immer Erfolg damit gehabt.

„Schatz, sie ist Deine Tochter, also hat sie auch was von Deiner Vorsicht geerbt“, betonte Hannah.

Durchdringend sah Martin seine Frau an.

„Von mir aus, ich hab' ja doch nichts zu sagen.“

Triumphierend rannte das Mädchen zurück zum Strand. Hannah umarmte ihren Mann.

„Ich bin stolz auf Dich. Ich weiß, wie schwer es Dir fällt, die Kleine los zu lassen. Wir könnten eigentlich mal eine Sonnenpause machen. Kommst du mit aufs Zimmer?“

Ihre Hand glitt vom Knie weiter Richtung Oberschenkel. Vorsichtshalber hielt Martin ihre Hand fest. Er kannte seine Frau.

„Dann warte, aber bis wir auf dem Zimmer sind. Es müssen ja nicht gleich alle zusehen.“

Hannah lachte. „So schüchtern?“

„Nein aber ich brauche keine Zuschauer. Lass uns hochgehen.“

Trotz der Klimaanlage dauerte es nicht lange, bis ihre nackten Körper unter ihren Bewegungen triefnass waren. Leidenschaftlich wälzten sie sich umher, bis sie schließlich erschöpft dalagen und einschliefen. Es war bereits 19 Uhr, als sie gemeinsam unter der Dusche standen.

„Ich weiß gar nicht, warum die hier so viele Kinder haben. Sex ist bei den Temperaturen mörderisch.“

„Meinst du, das könnte die neue Disziplin für den Ironman werden? Man müsste nicht erst nach Hawaii fliegen. Demnächst heißt es dann Sex in der Sauna“, meinte Hannah.

„Es gäbe auf jeden Fall eine Menge Freiwillige für die Jury. Du, es ist schon nach Sieben. Wieso hat die Kleine sich noch nicht gemeldet?“

„Du weißt doch, wie Teenager sind. Sie hat bestimmt einen coolen Typen am Strand gesehen und hat Schmetterlinge im Bauch.“

„Das geht so nicht. Wenn sie wieder da ist, hat sie sich zu melden. Du bist einfach zu nachsichtig mit ihr.“

„Schatz, sie ist in der Pubertät. Da kann man nichts machen. Die Hormone spielen eben verrückt.“

„Mag sein. Das heißt aber nicht, dass sie Narrenfreiheit hat.“

Hannah umarmte ihren Mann, legte ihr Kinn auf seine Schulter und blickte zu ihm in den Spiegel.

„Du hast ja recht. Wir werden gleich beim Abendessen mit ihr reden.“

Sie küsste seine nackten Schultern. „Aber ich bin froh, dass ich ein paar Stunden mit Dir alleine war. Also ich hab' es genossen.“

Auf dem Weg zum Speisesaal gingen die beiden am Zimmer ihrer Tochter vorbei.

„Julia!“, rief Martin und klopfte erneut an die Tür aber sie öffnete nicht. Demonstrativ tippte er auf seine Armbanduhr und schüttelte missbilligend den Kopf.

„Lass uns am Pool und am Strand nachsehen. Sie ist bestimmt noch unten.“

Auch der letzte Gast war vom Schwimmbecken verschwunden. Nur zwei Poolboys sorgten für Ordnung. Sie schoben die Liegen wieder in die richtige Position zurück, spannten die Sonnenschirme ab und sammelten ein, was die Gäste liegen gelassen hatten. Am Strand spielten noch ein paar Gäste Frisbee. Von Julia keine Spur.

„Na, die kann was erleben. So haben wir nicht gewettet“, schimpfte Martin.

„Sie ist bestimmt auf irgendeinem Zimmer. Lass uns essen gehen. Sie kennt ja die Zeiten.“

„Wenn sie nicht zu den Essenszeiten erscheint, braucht die nicht zu glauben, dass sie sich nachher den Zimmerservice bestellen kann. Irgendwann ist Schluss.“

Während des Essens schwiegen die Eltern und immer wieder nervös zum Eingang und hielten nach Julia Ausschau. Die Wut wich langsam zurück, um aufsteigender Angst Platz zu machen. Als sie am, bestimmt acht Meter langen, Dessert Tisch entlang gingen und versuchten sich zwischen gesundem Obst, erfrischendem Eis oder einer der Torten zu entscheiden, wurde Hannah nervös. Sie hielt ihren leeren Teller in der Hand und sah Martin mit ihren großen, blauen Augen an. Augen, die sonst vor Lebenslust sprühten, zeigten nun die Sorgen einer Mutter, die keine Ahnung hatte, wo sich ihr Kind aufhielt.

„Martin“, ihre Augen wurden glasig, „Was, wenn ihr etwas passiert ist?“

„Keine Angst. Die hat, wie du schon sagst jemanden kennengelernt, hockt da auf dem Zimmer oder sonst wo und knutscht und raucht und trinkt Alkohol. Dafür wird sie auch eine Menge Ärger kriegen. Aber mehr ist bestimmt nicht passiert,“ tröstete Martin und versuchte selbst daran zu glauben. Der Vater spürte, dass er sein Kind nie wieder sehen würde.

Lustlos stocherte Hannah in ihrer Schokoladentorte herum. Ein Kellner erkundigte sich besorgt, ob etwas mit dem Essen nicht in Ordnung sei. Doch das Ehepaar winkte ab. Martin schlug vor, noch einmal auf Julias Zimmer nachzusehen. Hannah wartete in der Lounge, um Ausschau zu halten. Sie bestellte sich zur Beruhigung einen Cognac. Wütend nahm Martin sein Handy aus der Tasche und wählte erneut die Nummer seiner Tochter. Es klingelte, dann meldete sich eine Stimme: „The person you are calling is not...“ Der Vater legte auf. Er fragte an der Rezeption, an der Bar, im kleinen Minimarkt. Niemand konnte sich erinnern, das blonde Mädchen gesehen zu haben.

Peter und Kerstin gesellten sich zu den Brümmers in der Lobbybar. Als Hannah begann von Julias Verschwinden verlor sie die Fassung und fing an zu weinen.

„Julia ist entführt worden. Ich spüre das. Es ist schon 22 Uhr. Das hat sie noch nie gemacht.“

„Hannah, wir müssen abwarten“, entgegnete Martin.

„Ich will nicht mehr warten. Martin hast du noch mal versucht sie anzurufen?“

„Ja, geht keiner dran. Das Telefon ist abgeschaltet.“

„Ihr ist was passiert! Ruf die Botschaft an, die Polizei, den Reiseleiter. Irgendwen aber tu was.“ Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und weinte.

„Wir werden alle vier jetzt systematisch das Hotel auf den Kopf stellen. Jeden fragen, den wir treffen. Wir finden sie“, schlug Peter vor.

Er wusste nur zu gut, welche Wirkung das blonde Mädchen hier auf die Männer hatte und welche Meinung allgemein über europäische Frauen herrschte. Instinktiv wusste der Pathologe, dass sie nicht noch mehr Zeit verschwenden sollten. Je schneller sie das Kind fänden, umso besser. Er hielt es ebenfalls für möglich, dass das Mädchen entführt worden sei, aber mit einer Lösegeldforderung rechnete er nicht.

Die Männer nahmen sich den Weg am Strand vor. Peter marschierte links und Martin rechts entlang. Nach 10 Minuten sah Martin ein Pärchen im Sand liegen.

„Julia?“, rief er und rannte zu ihnen.

Erschrocken blickten sie den Vater an.

„Entschuldigung. Ich suche nur meine Tochter.“

Nach einer Stunde trafen sich die Vier, ergebnislos wieder in der Lounge.

„Sie ist jetzt seit acht Stunden verschwunden. Es wird Zeit, dass du die Notfallnummer der Reiseleitung wählst“, schlug Peter vor.

Martin stand auf, ging zur Infotafel und wählte die Nummer, erreichte aber niemanden.

„Haben sie Ihre Tochter noch nicht gefunden?“, erkundigte sich der bärtige Mann von der Rezeption.

„Nein, keine Spur“, schluchzte Hannah.

„Sie können heute Nacht nichts mehr tun. Sie sollten versuchen ein wenig zu schlafen. Ich bin die ganze Nacht hier. Wenn ich etwas höre, werde ich sie sofort anrufen. Morgen früh informieren sie die Reiseleitung.“

„Hannah, er hat recht. Geht aufs Zimmer und ruht euch aus. Morgen sieht bestimmt alles besser aus. Denk nicht gleich das Schlimmste“, tröstete Kerstin und nahm sie in die Arme.

Peter nahm sich ein Bier aus der Minibar und ging auf den Balkon. Besorgt blickte er ins Leere. Kerstin legte ihren Arm um seine Taille.

„Schatz, woran denkst Du?“

Er nahm einen kräftigen Schluck Bier und sah sie einen Moment lang schweigend an.

„Ich befürchte, wir sehen das Kind nicht wieder. Diese Situation erinnert mich an Margarete, eine Krankenschwester, die damals bei uns gearbeitet hat. Junges Ding, nicht so blond wie Julia aber auch ein heller Typ. Eines Tages war sie verschwunden. Wir haben gesucht, die Polizei benachrichtigt, das ganze Programm. Hat alles nichts gebracht.“

„Oh Gott, davon hast Du nie erzählt. Habt Ihr nie herausbekommen, was passiert ist?

„Es war furchtbar." Peter nahm noch einen großen Schluck, bevor er sich durchringen konnte weiterzusprechen. Den Blick in die Vergangenheit gerichtet, kamen ihm alle schmerzlichen Details ins Gedächtnis. Mit gedämpfter Stimme erzählte Peter seiner Lebensgefährtin, von den Grausamkeiten, die hier vorgefallen waren. Sie unterbrach ihn nicht. Kerstin war geschockt.

„Verstehst Du jetzt, dass wir uns beeilen müssen, das Kind zu finden?“

EndstationHotel Ali Pascha

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