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2 Ein Jahr später in Osnabrück

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„Habe heute eine Überraschung für Dich“, tippte Martin in sein Mobiltelefon und sendete seiner Frau die SMS. Für seine Überraschung hatte er während seiner Mittagspause eine Flasche Sekt gekauft und sie in der kleinen Büroküche kaltgestellt.

„Überraschung? Ich freue mich schon“, lautete die Antwort.

Martin fuhr seinen roten Zafira in die Garage. Mit großen Schritten hastete der sportliche 35 Jährige die Stufen zu seiner Mietwohnung hinauf. Er streifte sein kurzes, braunes Haar nach hinten und öffnete die Tür. Hannah würde völlig aus dem Häuschen sein. Heute würde sie ihren Mann von einer Seite kennenlernen, die sie noch nicht kannte. Häufig beschwerte sie sich über seine Sparsamkeit, über fehlende Spontanität. Martin war sich sicher, dass sie absolut sprachlos sein würde. Nach dieser Überraschung müsste er sich die Vorwürfe nie wieder anhören. Sein Herz pochte wie beim ersten Date.

„Schatz, ich bin zu Hause! Hannah! Julia!“

Er öffnete die Kinderzimmertür. „Julia?“ Das Zimmer war leer und unaufgeräumt wie immer. Martin ging zum Wohnzimmer. „Hannah?“ Doch auch hier fand er niemanden. Weder seine Frau noch seine Tochter waren zu Hause. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel.

Hallo Schatz,

Bin mit Anne zum Badminton. Dein Essen steht in der Mikrowelle. Freue mich auf die Überraschung.

Hannah

Wütend knüllte der Industriekaufmann die Nachricht zusammen und warf sie auf den Tisch. War es zu viel verlangt, gemeinsam mit der Familie zu speisen und über den Tag zu reden? Konnte sie noch nicht einmal zu Hause bleiben, wenn er schon eine Überraschung ankündigte? Nachdenklich saß er am Küchentisch und sah kopfschüttelnd die Flasche Sekt an. Das hatte er als Kind nicht kennengelernt. Wenn der Vater heimkam, stand das Essen auf dem Tisch. Seine Mutter zog nicht mit irgendwelchen Frauen um die Häuser. Er hatte nie erlebt, dass sich sein Vater Essen aufwärmen musste. Hannah hatte seinen Vater, der mit vierzig an einem Herzinfarkt gestorben war, nie kennengelernt. Seine Mutter hatte sie jedoch gekannt. Es war zwei Jahre her, als auch sie, viel zu früh starb. Er war überzeugt davon, dass Anne versuchte die Ehe der beiden zerstören wollte. Anne war seit Jahren geschieden und hatte sich zu einer Männerhasserin entwickelt. Oft hatte er Hannah gebeten, den Kontakt zu ihr abzubrechen.

„Was ist falsch daran, zu arbeiten, zu sparen und für die Zukunft vorzusorgen?“, dachte er. „Ist man deshalb gleich ein Langweiler?“

Enttäuscht stellte er die Flasche Sekt in den Kühlschrank, ging in das Wohnzimmer und setzte sich vor das Fernsehgerät. Er schaltete durch die Programme. Die Sender übertrumpften sich gegenseitig mit Wiederholungen und Unterhaltungsmüll. Talkshows und Gerichtssendungen gefolgt von Kochsendungen. Schließlich präsentierte das Reisemagazin exotische Ziele. Niedergeschlagen legte er die Flugtickets, mit der er Hannah überraschen wollte in den Wohnzimmerschrank.

Nach zwei Stunden wurde endlich die Wohnungstür geöffnet. „Hannah, bist du es?“, rief er.

„Nö ich“, antwortete seine 14 jährige Tochter, die sich, als sie das Wohnzimmer betrat, fest auf ihr Handy konzentrierte. Sie war wie gewöhnlich dabei irgendjemandem eine Kurznachricht zu schreiben. Seit sie sich bei WhatsApp angemeldet hatte, legte sie ihr Telefon überhaupt nicht mehr an die Seite.

„Kannst du mir mal erzählen, wo du herkommst? Es ist gleich acht.“

Das blonde Mädchen würdigte den Vater keines Blickes und meinte nur das sie chillen war. Er hasste diesen Begriff. Seines Erachtens war es nur die moderne Umschreibung für faul und sinnlos in der Gegend abzuhängen.

„Hast du wenigstens deine Hausaufgaben gemacht?“

„Mache ich nachher.“

„Gleich, später und habe ich vergessen. Das sind wohl die meist gebrauchten Wörter. Die Hausaufgaben werden jetzt und nicht nachher gemacht. Haben wir uns verstanden? Erst die Arbeit ...“

„Ja, ja, dann das Vergnügen. Kapiert. Also chillen ist Arbeit. Hab' ich fertig und jetzt kommt Mathe. Dann war ja alles paletti.“

„Mein liebes Fräulein, ab jetzt werden erst die Hausaufgaben gemacht, bevor Du das Haus verlässt. Ansonsten bist Du Dein Handy los, ist das klar?“

an dem Gesichtsausdruck ihres Vaters, der langsam überkochte, erkannte der Teenager, dass Deeskalation angesagt war. Schnell steckte sie ihr Telefon in ihre Jeans, setzte sich auf die Sesselkante von Martin und umarmte ihn.

„Sorry Dad, ich hab' dich lieb. Sei nicht böse. Was kann ich tun, damit du nicht sauer bist?“, Julia rollte mit ihren großen blauen Kulleraugen und hoffte, dass Martin, wie sonst auch, dahinschmolz. Aber aus irgendeinem Grund klappte das heute nicht. Er drückte sie sanft zurück und wies sie an ihre Schulaufgaben zu erledigen. Er hielt die Hand auf und widerwillig legte Julia ihr Smartphone hinein.

Julia beherrschte seit einigen Monaten den Gesichtsausdruck pubertierender Jugendlicher, folgte aber den Anweisungen des Vaters. Während in den Nachrichten weiter steigende Benzinpreise angekündigt wurden, kam Hannah vom Sport. Die schlanke Frau kickte ihre Turnschuhe quer durch das Zimmer, ließ sich auf das Sofa fallen, legte ihre Füße auf den Tisch und meinte:

„Bin ich fertig. Die Anne hat mich heute voll abgezockt. Nicht ein Spiel habe ich gewonnen.“

Martin schaute sie teilnahmslos an. Hannah stutzte, dann sprang sie auf, ließ sich auf Martins Schoss fallen und umarmte ihn.

„Oh ich habe ganz die Überraschung vergessen! Was ist es denn?“

„Das ist jetzt nicht Dein Ernst, oder? Du hältst es nicht einmal für nötig zu Hause zu bleiben, wenn ich Dir vorher eine SMS schreibe. Irgendwann, wenn Dir nichts Besseres mehr einfällt, kommst Du an und erwartest, dass sich wie immer alles um Dich dreht.“ Martin schüttelte enttäuscht den Kopf und wandte den Blick ab.

„Ach Bärchen. Nun brumm' doch nicht. Was kann ich tun, damit du wieder lachst?“

Sie zog eine Schnute und kraulte Martin den Kopf. Hannah hatte nicht nur die blonden Haare und die blauen Augen an ihre Tochter vererbt. Sie hatten auch die gleichen Deeskalationsmethoden. Sie hatte es wieder einmal geschafft. Er konnte seiner Frau nie lange böse sein.

„Ja, du kannst was tun. Geh´ duschen. Du stinkst nach Schweiß.“

Lachend verließ die junge Frau das Wohnzimmer. Sie hatte ihn wieder einmal um den Finger gewickelt. Martin nahm schnell die Flasche Sekt aus dem Kühlschrank, holte die guten Sektgläser aus der Vitrine und stellte alles bereit.

Nur in ein Handtuch gewickelt kam die 32 Jährige ins Wohnzimmer zurück.

„Hab' ich Sehstörungen? Aber Herr Brümmer. Sie haben doch nicht etwa Geld für diese – wie sagst du immer? Völlig überteuerte Juppybrause, ausgegeben?"

Mit einer Handbewegung deutete er Hannah an abzuwarten und holte Julia aus ihrem Zimmer. Die gute Nachricht wollte er beiden präsentieren. Neugierig versammelte sich die Familie und schaute den Vater gespannt an. Sie drängten ihn, endlich zu sagen, wieso Sekt auf dem Tisch stand. Martin ließ den Korken knallen und füllte die schäumende Brause in die Gläser. Mit erhobenem Glas erzählte er von der enormen Prämie, die er bekommen hatte. Freudig umarmte Hannah ihren Mann und fragte nach der Höhe der Summe.

Nach einem kurzen Augenblick der Euphorie wurde sie ruhiger. Sie kannte Martin. Mehr als die Kosten der Flasche würde er nicht verschwenden. Mit Sicherheit war sein erster Weg zum Sparbuch um alles fest anzulegen.

„Kriege ich ein Pferd. Oh, Papa bitte“, schnell fiel Julia ihrem Vater um den Hals.

„Ein Pferd? Spinnst du? Weißt du überhaupt, was der Unterhalt kostet? Nein, ich habe den Wagen abbezahlt. Wir hatten noch 2500 Euro auf dem Kredit. Ich habe ihn gleich abgelöst.“

Die Enttäuschung war den Mädels ins Gesicht gemeißelt, wie die Zehn Gebote auf den Steintafeln. Martin kostete den Triumph aus.

Gerade als Julia sich bockig umdrehte, und beschloss lieber an den Hausaufgaben weiter zu machen, sagte Martin: „Naja, mit dem Rest habe ich eine Reise gebucht.“

Aufgeplustert wie ein Hahn, ging er an den Schrank und holte die Prospekte heraus. „Wir drei fliegen in den Sommerferien für zwei Wochen in den Sudan. Zwei Wochen im Nobelhotel Ali Pascha, direkt am Meer mit eigener Tauchbasis.“

Hannah kreischte vor Freude. „Schatz! Tauchen? Ehrlich? Tauchen? Oh, ich freu' mich so.“

„Su ... was? Wo soll das denn sein?“, fragte Julia und zog die Mundwinkel fast bis auf die Schultern runter.

„Nicht zu fassen. Wie heißt der Erdkundelehrer? Ich sollte ihm erlauben euch für jede Träumerei, Quatscherei oder so, einen kräftigen Schlag in den Nacken geben. Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen, sagt man. Hol deinen Atlas und schau nach!“, meinte Martin.

Bockig holte das Mädchen das Schulbuch.

Hannah setzte sich aufs Sofa. Sie zweifelte, ob es im Sudan nicht zu gefährlich sei. Martin setze sich auf die Lehne, strich ihr das Haar zurück und erklärte ihr, dass er sich erkundigt hatte. Beim Auswärtigen Amt wurde der Norden, bei Port Sudan für ungefährlich eingestuft. Nur der Süden bei Darfur sollte nicht bereist werden.

Hannah liefen die Tränen vor Freude, als sie die traumhaften Fotos aus dem Prospekt sah. „Oh Schatz, ich liebe dich“, wiederholte sie immer wieder und küsste ihren Mann.

„Das ist in Afrika, habs' gefunden“, sie blickt zu ihren Eltern, „Das ist ja widerlich. Hört mit der Knutscherei auf“, beschwerte sich Julia. „Kann ich Jana mitnehmen?“

„Bist du verrückt?“, lehnten beide Eltern gleichzeitig ab, „Hast du eine Ahnung, was das kostet?“

„Was kostet es eigentlich?“, wollte Hannah wissen.

„5500Euro für 14 Tage. Ich habe 15000 Euro bekommen. Bleiben also immer noch 2000 Euro Taschengeld und natürlich was fürs Sparbuch. So kurzfristig habe ich aber nur noch einen Umsteigeflug bekommen. Es geht ja schon nächste Woche los.“

Hannah tat vor Aufregung kein Auge zu. Wie sehr hatte sie das Tauchen vermisst.

EndstationHotel Ali Pascha

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