Читать книгу EndstationHotel Ali Pascha - Birgit Vobinger - Страница 9

7 (Samstag 1. Tag)

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Die schlaflose Nacht war gewichen und die Sonne heizte die Luft bereits auf 30 Grad auf. Nur mit Shirt uns Slip bekleidet stand Hannah auf dem Balkon und beobachtete durch ihre, vom Weinen geschwollenen Augen, wie einige Touristen Badetücher auf die Liegen am Pool legten. Ihr Blick war leer. Sie spürte, dass sie ihre Tochter nie mehr sehen würde. Der Schrei der Verzweiflung erstickte in ihrer Kehle. Als sie in ihrer Handtasche nach einer Kopfschmerztablette suchte, sah sie zu ihrem schlafenden Ehemann. Wie konnte er nur schlafen, nach allem, was passiert war? Kraftlos setzte sich Hannah auf das Bett und wählte die Telefonnummer ihrer Eltern.

„Mama!“, sofort begann sie zu weinen: „Mama, die Julia ist weg.“

„Was meinst du? Was heißt, sie ist weg?“

Schluchzend stammelte Hannah die Worte ins Telefon.

„Warte, ich geb' dir Papa. Der weiß besser, was zu tun ist.“ Es dauerte nur einige Sekunden bis Hannah die ruhige, dunkle Stimme ihres Vaters hörte.

„Schatz, was ist denn los?“ Aufmerksam, ohne sie zu unterbrechen, hörte der Vater seiner verzweifelten Tochter zu, während sie berichtete. Einen Moment lang schwiegen beide.

Der 65 Jährige wies Hannah an, sofort den Reiseleiter anzurufen und falls er nicht erreichbar sei, direkt zu seinem Büro zu fahren. Martin sollte die Botschaft informieren und stündlich Julias Handynummer zu wählen. Er würde in Osnabrück die Kripo einschalten und veranlassen, das Handy seiner Enkelin zu orten.

„Schatz, ich vermute, dass die Kleine von diesem Kameltreiber entführt wurde. Jetzt zählt wirklich jede Minute.“

„Papa, ich spüre, dass ich Julia nie wieder sehe.“ Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und weinte.

„Hannah, zur Not mische ich die Behörden so auf, dass anschließend keiner mehr weiß, in welcher Abteilung er vorher gearbeitet hat. Schätzchen, Kopf hoch. Wir kriegen den blonden Engel schon wieder und wenn ich zu Fuß quer durch den Sudan wandere.“

„Danke. Ja mache ich. Ich rufe dich wieder an.“

*

„Morgen Lothar. Na alles klar?“, fragte die sportliche Kommissarin Susanne Breitner ihren Kollegen.

Der 52 Jährige schob seinen Aktenordner ein Stück zur Seite, lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und trank einen Schluck Kaffee.

„Morgen. Aber immer. Sag mal Sanne, ich habe Dir doch erzählt, dass Manuela und ich bald Silberhochzeit haben, oder?“

Sie grinste.

„Ja und jetzt willst du wissen, was du Manne schenken sollst?“

Die schwarzhaarige nahm ihre Tasse und schenkte sich einen Becher Kaffee ein.

„Nein, dass kriege ich schon hin. Manne will unbedingt auf einem Saal, ganz konservativ feiern. Mit Verwandten, Freunden und Nachbarn.“

„Und das stinkt Dir?“, sagte sie und rührte lächelnd ihren Kaffee um.

„Merkt man mir das an?“

„Soll ich jetzt erst meinen Kosmetikspiegel aus der Tasche holen und ihn Dir hinhalten? Solltest mal Dein Gesicht sehen.“

„Ich wusste gar nicht, dass Du so etwas hast. Ich hätte schwören können, dass Du eine 44er-Magnum in deinem Täschchen hast.“

„Ja, dass meine ich doch. Den Griff habe ich verspiegeln lassen und am Lauf klebt ein Lippenstift. Was wir Frauen so brauchen. Was ist denn nun mit eurer Hochzeit?“

Die 30 Jährige zog einen Stuhl an Lothars Schreibtisch und lehnte sich fragend auf.

„Ich habe keine Lust auf Nachbarn & Co. Ich finde, Manne und ich sollten einfach in den Urlaub fahren.“

„An die Ostsee wie jedes Jahr? Na prima.“

„Habe ich ja nicht gesagt. Man kann sich doch ein Traumziel aussuchen. Rechne dir mal aus, was eine Feier kostet. Wir könnten glatt für zwei Wochen in die DDR fahren.“

Susanne zog die Augenbrauen hoch.

„Lothar hast Du die Infopost nicht gelesen? Die DDR gibt es nicht mehr.“

„Die Deutsche Dominikanische Republik gibt es nicht mehr?“

„Du Blödmann. Leg deiner Frau doch ein paar Reiseprospekte auf den Tisch. Vielleicht bekommt sie ja Lust aufs Reisen. Nur die Nachbarn und Verwandten hältst Du von einer Feier nicht ab. Die sind wie Angler. Die können warten.“

Nickend rieb sich der Hauptkommissar seinen braunen Vollbart. Ein älteres Ehepaar betrat nach kurzem Anklopfen das Büro.

Der Kommissar grüßte und erkundigte sich nach dem Anliegen der beiden. Hannahs Vater berichtete den Beamten von der Entführung der Enkelin.

Die Polizisten blickten sich erstaunt an. Susanne bat den Besucher, die Äußerung zu wiederholen.

„Sie haben richtig gehört. Meine Enkelin, Julia Brümmer, wurde entführt. Wir müssen etwas tun. Wie können wir meiner Tochter helfen? Kann man von hier aus etwas unternehmen? Wir können nicht tatenlos herumsitzen.“

Frau Limberg hingegen saß auf dem Stuhl, ihre schwarze Handtasche auf den Knien und rieb unaufhörlich an dem Verschluss. Die verweinten Augen der Rentnerin untermauerten die Verzweiflung des Paares.

„Herr Limberg erzählen Sie bitte der Reihe nach, was passiert ist.“

Der 65 Jährige, berichtete von den Ereignissen, vom Anruf seiner Tochter und dem Urlaub im Sudan. Die Kommissare hörten aufmerksam zu.

„Und? Kriegen wir sie wieder? Was gedenken Sie, zu tun?“

Nachdenklich rieb Lothar sich seinen Bart. Susanne brachte dem Ehepaar eine Tasse Kaffee.

„In dem Fall kann ich wahrscheinlich davon ausgehen, dass wir nicht mit einer Lösegeldforderung zu rechnen haben, oder sind derartige eingegangen?“

„Nein. Ich habe noch nichts davon gehört und meine Tochter hat versprochen, mich auf dem Laufenden zu halten.“

Der Hauptkommissar nahm die Anzeige auf und erklärte dem Mann, dass in diesem Fall das BKA in Berlin eingeschaltet würde.

„Was werden die unternehmen?“, fragte der Großvater.

„Wenn es sich tatsächlich um eine Entführung handelt, ist das ein Fall auf internationaler Ebene. Das bedeutet, das Bundeskriminalamt wird mit der Botschaft, mit dem Auswärtigen Amt und mit uns zusammenarbeiten. In solchen Fällen wird ein Krisenstab gebildet.“

„Werden Sie in den Sudan fliegen und meine Kleine zurückholen?“, fragte Frau Limberg mit Tränen unterlaufenden Augen.

Susanne ging zu der Frau, legte ihr eine Hand auf die Schulter um sie zu trösten.

„Wissen Sie, ganz so einfach, ist das nicht. Bevor jemand von Deutschland aus ins Ausland fliegt und die Ermittlungen aufnimmt, müssen leider einige bürokratische Hürden geschafft werden. Sobald der Krisenstab einberufen wurde, wird der Handlungsbedarf ermittelt. Gegebenenfalls wird das Auswärtige Amt mit der Regierung des Sudan, zusammenarbeiten. Ob und wann jemand von Deutschland aus in das Land fliegt, kann man jetzt noch nicht sagen.“

Nun rannen die Tränen der Frau in Sturzbächen über ihre roten Wangen.

„Frau Limberg. Ich verspreche Ihnen, dass wir unser Möglichstes tun werden“, betonte Susanne.

„Sie ist jetzt 24 Stunden verschwunden. Es gab keine Meldung eines Entführers. Noch besteht immerhin die Möglichkeit, dass das Kind einen, entschuldigen Sie, kleinen Ausflug auf eigene Faust unternommen hat.“

Lothar versuchte die Worte besonders behutsam zu wählen, da er wusste, dass diese bei den Großeltern wie eine Bombe einschlagen würde.

„Was denken Sie sich? Meine Enkelin ist nicht so eine!“, rief Herr Limberg erbost.

„Das will ich auch nicht, sagen aber wir müssen es als Möglichkeit in Betracht ziehen. Ist Ihnen je bekannt geworden, dass sie für einige Zeit unterwegs war, ohne dass ihre Eltern wussten, wo Julia sich aufhält?“

„Nein. Außerdem hat sie immer ihr Handy dabei. Julia ist, wie alle Jugendlichen regelrecht von diesem Telefon besessen. Hannah hat mehrfach versucht sie anzurufen aber das Ding ist abgeschaltet.“

„Sehen Sie, wenn das hier in Osnabrück wäre, könnte sie bei einer Freundin sein aber dahinten kennt sie niemanden. Julia ist eher unsicher, wenn sie irgendwo ist und sie sich nicht auskennt“, erklärte Frau Limberg.

Nachdem Unland das Protokoll angefertigt hatte, unterschrieben die Limbergs das Dokument.

„Halten sie uns auf dem Laufenden?“

„Ja natürlich. Bitte teilen Sie uns mit, sobald sich Ihre Tochter gemeldet hat.“

Die Großeltern nickten und verließen das Zimmer. Die Beamten blickten sich zweifelnd an.

„Wie siehst du die Sache Lothar?“

„Die Chancen sind nicht die Besten. Beim BKA haben die mehr Erfahrungen damit. Hast du das Foto des Mädchens gesehen? Schönes, langes blondes Haar und blaue Augen.“

„Was soll das heißen?“

„Menschenhandel liegt hier eher vor, als Entführung aus Geldgier.“

Lothar wählte sich in das Internet ein und zeigte seiner Kollegin die Seite von Amnesty International.

Mehr als 2 Millionen Menschen werden jährlich Opfer des Menschenhandels. Vor allem Frauen und Kinder werden Opfer von Gewalttaten, meist Vergewaltigungen und Zwangsprostitution.

„Wie kann man nur in den Sudan fliegen. Alleine die Situation in Darfur“, sagte Susanne kopfschüttelnd.

„Darfur ist im Westen. Die Brümmers sind im Nordosten, der kann relativ gut bereist werden. Ich vermute eher, dass das Mädchen vergewaltigt und, wenn wir Pech haben, umgebracht wurde.“

„Oh mein Gott. Das ist ja furchtbar. Stell Dir nur vor, Du fährst mit Deinen Töchtern in den Urlaub, die schönste Zeit des Jahres, und Deine kleine Sarah würde vergewaltigt und umgebracht.“

„Sanne, das möchte ich mir nicht vorstellen. Ich versuche keinen Fall mit nach Hause zu nehmen, sonst kann man sich schon mal ein Einzelzimmer in der Psychiatrie am Gertrudenberg reservieren. Das macht dich nämlich kaputt.“

„Stimmt, dann ist der Weg in die Klapse nicht weit. Meinst Du, man bekommt ein Einzelzimmer?“

„Wozu bin ich denn privat versichert!“

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