Читать книгу EndstationHotel Ali Pascha - Birgit Vobinger - Страница 6

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Erschöpft von dem langen Tag schloss Martin kurz nach sechs Uhr morgens die Wohnungstür auf. Skeptisch blickte er auf die fünf Koffer, die auf dem Flur standen. Hannah kam aus dem Wohnzimmer und tippte theatralisch mit dem Zeigefinger auf die Uhr.

„Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr“.

Martin hob einen Koffer nach dem anderen prüfend hoch, um das Gewicht zu schätzen.

„Sag mal Schatz, hast du die Koffer gewogen? Es scheint mir als wären es mehr als 60kg.“

Hannah zuckte mit den Schultern. „Ich hab' nur das Nötigste eingepackt.“

Kommentarlos holte er die Personenwaage aus dem Bad, wog zunächst sich selbst und stieg dann jeweils mit einem Gepäckstück gemeinsam auf die Waage. Seine Frau hatte es geschafft, 85kg des Nötigsten zu verstauen.

„Das sind 25kg zu viel. Weißt du, dass dieses ach so notwendige Zeugs über 100 Euro extra kosten?“

Er öffnete die Koffer und schüttelte den Kopf.

„Hannah, du brauchst also tatsächlich acht Paar Schuhe und 26 T-Shirts für zwei Wochen? Willst tatsächlich vier dicke Bücher lesen. Und du Julia? Das kann doch nicht wahr sein.“

Er entfernte 12 Shirts von Hannah, fünf Paar Schuhe, zwei Bücher, 16 CDs und diversen, unnötigen Kleinkram, bis die Grenze von 60kg endlich erreicht war. Vor allem freute er sich, dass seine Frau für ihn nur sechs Shirts, zwei Hemden und eine kurze Hose nebst Badeartikeln eingepackt hatte. Mit krausgezogener Stirn hielt er ihr seine sechs Shirts entgegen.

„Du läufst ja eh immer in Badehose rum“, erwiderte sie schulterzuckend.

Es half nichts. Martin musste feststellen, dass Hannah selbst mit dieser kleinen Bitte, die Koffer zu packen, sichtlich überfordert war. Während er alles kontrollierte und korrigierte, stand Julia gelangweilt, an ihre Zimmertür gelehnt und schrieb ihrer Freundin Kurznachricht.

„Schluss Mädchen. Um diese Zeit schreibst du niemandem mehr“, intervenierte er und nahm dem Teenager das Gerät aus der Hand.

„Ey. Lass das. Jana ist schon wach. Sie wartet auf meine Nachricht.“

„Dann wartet sie eben etwas länger. Jetzt packst du erst einmal mit an, dass wir die Sachen in den Wagen kriegen und loskommen.“

Der Regen prasselte unaufhörlich auf die Windschutzscheibe. Die nasse Straße schien das Licht der Scheinwerfer zu verschlingen. Das monotone Geräusch der Scheibenwischer rief Martin immer wieder zu schlaf, schlaf, schlaf. Nach über 20 Stunden auf den Beinen war er endgültig am Ende seiner Kräfte.

„Schatz, schau mal. Julia ist beim Schreiben der SMS eingeschlafen. Ist das nicht süß?“, schwärmte Hannah.

„Ja süß. Ich schlafe gleich mitten auf der Autobahn ein, direkt hinter dem Steuer. Findest du das auch süß. Beim nächsten Parkplatz müssen wir tauschen“, gähnte er.

„Muss das denn sein? Du weißt doch, wie ungern ich bei Regen fahre.“

„Wir können ja, wenn ich von der Fahrbahn abkomme im Graben ausruhen. Teil mir deine Wünsche ruhig mit, ich habe da sehr viel Spielraum.“

Schweigend blickte sie ihn an. Jedes Wort, dass sie sagen würde, brächte ihren Mann zur Explosion. Nervös rieb sie sich die schwitzenden Hände und versuchte sich auf die Straße zu konzentrieren. Aus der Dunkelheit tauchte das blaue Schild auf. Parkplatz in 2000m. Hannah rutschte mit dem Sitz so nah an das Lenkrad, dass sie kein Sicherheitsgurt bei einem Aufprall rechtzeitig von dem Steuer zurückhalten könnte. Martin war es egal. Nur 10 Minuten die Augen schließen. Sekunden später war er eingeschlafen, träumte von Akten und Lkws, Frachtpapieren und seinem Chef, der am Check INN Schalter des Flughafens stand und seinen Urlaub absagte. Ein Wutschrei seiner Frau riss ihn aus der verdienten Erholungspause. Vor ihnen waren nur Warnblinklichter zu sehen. Stau.

„Nein, nein, nein. Das darf doch wohl nicht war sein“, rief sie und schlug mit ihren Fäusten auf das Lenkrad, als wäre dieses Schuld am Stau.

„Hast du den Verkehrsfunk denn nicht abgehört?“

„Nein, ich habe ihn ausgeschaltet, damit die Fahrt spannender wird. Man, die haben noch nichts durchgesagt. Für ein Navi willst du ja kein Geld ausgeben. Damit wären wir rechtzeitig irgendwo abgebogen.“

Der Verkehr war zum Erliegen gekommen. Die ersten Fahrer stiegen aus, um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Nervös schaute Hannah auf die Uhr.

„Martin, es ist gleich 10 Uhr. In anderthalb Stunden müssen wir am Flughafen sein.“

„Reg dich ab. Das wird ja nicht ewig dauern. Ich kann die Autos schließlich auch nicht an die Seite tragen.“

Und hier die aktuelle Verkehrssituation. 6 km Stau auf der A45 Dillenburg Richtung Herborn wegen eines Unfalls. Ansonsten haben sie freie Fahrt auf Deutschen Straßen. Wir wünschen ihnen weiter gute Fahrt.

„Gute Fahrt? Danke! Fahren wäre schön! Warum sagt der denn nicht, stehen sie bequem“, wütend schlug Hannah erneut auf das Lenkrad.

„Wenn du das Lenkrad aus der Halterung schlägst, werden die nächsten Kurven eine echte Herausforderung.“

Schließlich bewegten sich die ersten Fahrzeuge im Schneckentempo. Dann löste sich der Stau, wie aus dem Nichts auf. Um 11:20 Uhr erreichten sie endlich den Flughafen.

Die karge Abflughalle mit ihren unendlich vielen Schaltern war ein Spiegelbild von Hektik. Unzählige Menschen eilten quer durch die Halle, ihre Trolleys im Schlepptau. Unentwegt dröhnten Durchsagen in deutscher und englischer Sprache aus den Lautsprechern. „Lassen sie ihre Koffer nicht unbeaufsichtigt stehen.“ Und, „Letzter Aufruf für Flug 3421 nach Mallorca. Bitte begeben sie sich umgehend zum Gate 23.“ Martin suchte auf der Anzeigentafel ihren Flug. Gepäckaufgabe an Schalter 19. Die Schlange bei der Gepäckaufgabe war schon sichtlich zusammengeschrumpft.

„Geschafft. Endlich. Ich dachte schon, wir kommen zu spät.“

„Siehst Du, habe ich ja gesagt. Stehen noch acht Leute vor uns. Ich schätzte, wenn wir am Gate stehen, kommt die Durchsage, dass der fliegende Teppich in den Sudan unterwegs aufgeribbelt ist, und die Frauen noch zwei Stunden brauchen um die Löcher zu stopfen.“

„Deine Ruhe möchte ich mal haben.“ Die Anspannung der letzten Stunden hatte sich gelöst. Sie standen pünktlich am Schalter. Nun würde nichts mehr schief gehen, der Urlaub fing tatsächlich an. In weniger als zwei Stunden wären sie über den Wolken und bald würden sie an einem Traumstrand liegen. Hannah sah ihren Mann an, ging einen Schritt auf ihn zu und nahm ihn fest in die Arme und küsste ihn.

„Danke, dass du mir diesen Traum erfüllst. Ich liebe dich“, flüsterte sie in sein Ohr. Er lächelte und strich ihr mit dem Zeigefinger die blonden Locken hinters Ohr.

„Papa, kann ich 'ne Cola?“, fragte Julia.

Der Vater schüttelte verzweifelt den Kopf. „Kann ich 'ne Cola? Was bedeutet das? Kann ich eine Cola werfen? Kann ich eine Cola trinken? Kann ich eine verschenken? Gegenfrage. Kannst du schon sprechen?“

Der Teenager rollte entnervt mit den Augen.

„Lieber Papa, dürfte ich mir von Deinem Geld eine Dose Cola kaufen? Das kühle Getränk würde mich sehr erfrischen.“

„Na, geht doch. Wenn wir gleich durch die Passkontrolle sind. Es dauert nicht mehr lange aber Du darfst ja keine Flüssigkeiten mitnehmen.“

„Wieso darf ich keine Cola mitnehmen?“

„Ich schätze, die haben Angst, dass Du mit der Kohlensäure den Flughafen sprengst.“

Es verlief alles reibungslos. Die Koffer waren aufgegeben, die Passkontrolle ohne zeitraubendes Piepen passiert. Die notwendigen Urlaubsutensilien wurden schnell im Duty free Shop eingekauft, nicht einmal der Abflug wurde verschoben. Als die Drei ihre Plätze in der Boeing einnahmen, strahlte Hannah vor Aufregung wie ein kleines Kind. Zärtlich legte sie ihre Hand auf den Oberschenkel ihres Mannes und streichelte ihn.

„Ich freue mich so sehr auf den Urlaub. Wir werden zwei unvergessene Wochen haben.“

„Ja, dass werden wir. Hundert prozentig.“

EndstationHotel Ali Pascha

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