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7 Von Moritz und Dominospielern Oder: Wenn der Wind der Erneuerung weht, dann bauen die einen Menschen Mauern und die anderen Windmühlen
ОглавлениеAls wir endlich wieder zusammen waren, erzählte mir Moritz klitzeklein, was alles passiert war, während Mama und ich noch auf dem Flugplatz rumlungerten.
Als er an die große Tür der „Quinta Velha“ klopfte, öffnete niemand. Wochenlang war er per Interrail kreuz und quer durch Europa unterwegs gewesen. Nun freute er sich auf chillen, gut essen und natürlich auf mich!
Er ging ein paar Schritte zurück durch das knisternde, trockene Gras des Vorgartens. Schaute sich das strahlend weiße Gebäude an. Begeistert starrte er den niedrigen Bau an. Die Symmetrie faszinierte ihn, den zukünftigen Architekten. Die große doppelflügelige Eingangstür, genau in der Mitte. Rechts und links hohe Sprossenfenster. Keine Jalousien hingen schräg oder halb aufgeklappt daneben. Beim näheren Hinsehen entdeckte er, dass die Fensterläden innen angebracht waren! Genial. So störten sie nicht die klassische Front. Ein blauweißer Fries ziert das Haus schlicht und edel.
Das war also das „kleine Ferienhaus“ von dem ich geschwärmt hatte, obwohl ich mich nicht im Geringsten daran erinnern konnte. Nochmal ging er an die von der riesigen Araukarie beschattete Eingangstür. Ehrfürchtig berührte er den Türklopfer. Die Messing-Frauenhand fasste sich erstaunlich kühl an. Er klopfte drei Mal. Das Klopfen durchschnitt die sommerliche Stille wie Kanonenschläge! Keine Reaktion, dabei hätte die Detonation Tote auferweckt! Die seltsame Stille eines heißen Sommertages übertönte alles. Komisch, keine Antwort. Irritiert suchte er nach mir und Mama.
Moritz ging um das Haus, besser gesagt um die an das Mittelgebäude geklebten, verschachtelten Häuschen rum. Sie waren ihm beim ersten Blick nicht aufgefallen, jetzt störten sie sein Architektenauge erheblich. Das Laub knisterte unter Moritz’ Flip-Flops. Erschreckt verstummten die Zikaden. Der trockene Duft dürrer Eukalyptusblätter am Boden kitzelte die Nasenschleimhaut.
An der Rückseite sorgten Veranden mit Rundbögen für Schatten auf den Hauswänden. Als Moritz mir das erzählte, empörte er sich wieder über „Die Verschandelung der klassischen Fassade!“ Ein Glück, dass üppig blühende Bougainvilleas in allen nur erdenklichen Rottönen von schreiend Pink bis tief Violett kaschierten, was Moritz‘ Ästhetik störte.
„Niemand da?“ rief mein blonder Freund. „Hallo, Olivia! Ich bin‘s!“ Er warf den riesigen Rucksack wieder über die Schulter, ging vorsichtig weiter in den düsteren, schattigen Garten.
Komisch, dass sich nichts rührte. Er hatte doch gesimst, dass er heute kommen würde. „Der Bus aus Lissabon kommt um 14.00 Uhr in Lagoa an.“
Moritz hatte eine Weile am Busbahnhof gewartet. Nacheinander verließen die meisten Reisenden den ungemütlichen, schattenlosen Platz. Nach einer halben Stunde lief er einfach zu Fuß los. Die Hitze war brüllend. Keine Menschenseele an diesem Augustnachmittag auf der glühenden Straße. Also auch keine Möglichkeit, den Finger hochzuhalten und auf eine Mitfahrgelegenheit zu hoffen. Nach einigem Suchen und mit Hilfe meiner genial von GoogleMaps kopierten Karte, fand er das Haus „Quinta Velha“. Nun arbeitete er sich durchs Gestrüpp nach hinten, weil er das Gefühl hatte, das von da Geräusche kamen. Er ging ein paar Stufen hinunter und hörte leise Stimmen.
Unter der großen Pinie war eine alte Zisterne, sie war jetzt der Swimmingpool und nicht mehr Wasserspeicher. Bunte Badetücher leuchteten vom Rand des Beckens. Die Filteranlage brummte leise, ein leichter Chlorgeruch lag in der Luft. Im Schatten regte sich was.
Zwei Männer beugten sich über ein niedriges Marmortischchen. Sie spielten Domino. Ein älterer Kerl mit dickem Bauch in knallbunten Bermudas saß einem jungen gebräunten Burschen gegenüber. Sie waren so ins Spiel vertieft, dass sie Moritz zunächst nicht bemerkten.
„Hallo, ist da jemand?“ rief Moritz.
Der Ältere hielt in der linken Hand krampfhaft einen Dominostein. Hob ihn hoch, als wollte er ihn setzen, nahm ihn zurück, zögerte und steuerte wieder das Tischchen an. Mit der rechten Hand wischte er in Richtung Moritz, wie man eine lästige Fliege vertreibt. Er hob seinen Kopf nicht. Seine kleinen runden, glatten Patschhändchen passten irgendwie nicht zu ihm. Der Jüngere lehnte sich lässig entspannt zurück. Seinen schön gezeichneten Mund umspielte ein triumphierendes Lächeln.
Moritz kannte Domino aus seiner Kinderzeit. Die richtigen Regeln, nach denen die Männer in südlichen Regionen stunden- und tagelang spielten, verstand er nicht. Er erinnerte sich an die großen spannenden Fernsehshows in denen Millionen von Dominosteinen aufgebaut und auf ein Kommando der Reihe nach umfielen und hübsche Muster bildeten, Ballons zum Platzen brachten oder Wassereimer umkippen ließen. Das war eine seiner Lieblingssendungen gewesen.
Hier nun saßen zwei ausgewachsene Männer. Sie spielten Domino. Der eine kugelrund mit ebensolcher Halbglatze und weißem Haarkranz, der zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Echt schräg. Verschmitzt lächelte er sein Gegenüber an.
„Diesmal hab ich di!“ Dann setzte er den letzten Stein und grinste sein Gegenüber an. Der jammerte laut:
„Merde, que vergogna“
„Scheiße sagt man net, au net auf Portugiesisch und außerdem isch es keine Schande, wenn man verliert. Platon sagt: Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennenlernen als in einem Gespräch im ganzen Jahr.“ feixte der Kleine.
Sein junger Kontrahent, der hochgewachsene, schlanke, bildschöne Bursche mit schulterlanger, dunkler Mähne schob die Steine auf dem Brett unsanft in eine Blechdose. Seine buschigen Augenbrauen trafen sich fast in der Mitte bei der steilen Stirnfalte. Grimmig sah er aus und doch wie ein Model für Calvin Klein, Tom Hilfiger oder Boss Boxer Short. Auffallend seine wässrigen, hellgrünen Augen. Und olivbraun war der gut aussehende Kerl, dagegen fühlte sich mein Moritz bleich wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Neben dem tollen Burschen bekam Bleichgesicht Moritz direkt Komplexe mit seinen Sommersprossen Da half auch der topmodische Undercut, den er sich in Madrid zugelegt hatte, nichts.
„Ola, bom dia!“ traute Moritz sich jetzt zu rufen. Er ließ vorsichtig seinen schweren Rucksack vom Rücken auf den Boden gleiten. Einen Träger hielt er noch zögernd in der Hand. Vielleicht war er falsch hier.
Was machten die beiden eigentlich hier auf der Quinta? Es war doch nur die Rede von mir, Olivia und meinen Eltern gewesen. Moritz war ratlos.
„Boa tarde.“ sagte der Große. Er drehte sich zu Moritz und lächelte freundlich. Dabei schob er die restlichen Dominosteine klappernd über den Rand des altersschwachen Tischchens in die rostige Dose.
„Hallo, wer bisch denn du?“ fragte der andere auf Deutsch.
„Ich bin Moritz, der Freund von Olivia!“
Der kleine, wohlgenährte stand von seinem klapprigen, verrosteten Stuhl auf und kam ihm entgegen, sein knackbrauner Bauch ragte frech über die lila grün gemusterte Bermuda.
„Wo komsch du denn her?“ fragte er nicht direkt unfreundlich, leicht badisch und reichte ihm die Hand.
Das muss Olivias Großvater sein, schoss es Moritz durch den Kopf. So viel er wusste, war der Opa doch schon lange im Meer verstreut worden. Die abgefahrene Geschichte von Opas Urnenbeisetzung auf dem Meer hatte ich ihm erst kürzlich erzählt. Schließlich hat jeder zwei Großväter, dachte sich Moritz. Dieser hier war jedenfalls quietschlebendig und schwamm nicht als Fischfutter in der See.
Moritz ließ sich auf den Rand der Zisterne fallen. Sein schwerer Rucksack plumpste auf seinen großen Zeh. Mein Freund hatte jetzt nur noch eins: Durst.
„Du häsch doch sicher Durst? Oder ?“
„Gut beobachtet! Ich könnt saufen wie ein Dromedar!“
„Na, den Buckel hast ja scho abgworfe. Jetzt gibt’s was, was nichts für Kamele isch!“
Der kleine Mann winkte näher zu sich her: „Des isch übrigens der Tiago. Komm ich schenk dir was ein.“
Der hübsche Kerl, neben dem Moritz sich irgendwie mickerig vorkam, ging auf Moritz zu und gab ihm artig die Hand und nickte:
„Ich bin Tiago!“ Er hatte eine tiefe, warme Stimme und einen leichten portugiesischen Akzent.
„Moritz!“ erwiderte mein verblüffter Freund, stand ebenfalls auf und reichte ihm seine Hand.
„Ja, sin mer denn in der Tanzstunde? Ich bin übrigens der Paule!“ lachte Paul.
Paul griff den Krug mit einem zitronengelben Saft voller Orangenstückchen und schenkte Moritz ein großes Wasserglas voll. Moritz stürzte das Zeug wie ein Verdurstender runter.
„Hoppla, das ist ja weiße Sangria.“ Es fuhr Moritz wie ein Blitz in die Beine. Die Knie wurden Wackelpudding. Das zweite, kühle Glas machte wieder klar. Nach dem dritten Glas war die Welt in Ordnung und er fragte nach mir.
„Die Dame habe ihre Flug verpasst, wann die komme isch noch nicht raus. Aber du kannsch ruhig hier bleibe. Wir müsse noch eine Revanche austrage.“
„Wenn du verlierst, gibst Spätzle! Freu mich schon.“ lachte Tiago. Paul grinste ihn an: „Heut verliersch du, dann gibt’s Cataplana!“
„Cataplana? Was ist das?“
„Also“, lachte Tiago, „Cataplana ist ein portugiesisches Nationalgericht und wir spielen hier ums Essen. Wer verliert, muss kochen!“ Tiago hob sein T-Shirt und zeigte auf den winzigen Hügel unterhalb des Bauchnabels „Da schau, meistens gewinn ich und mein Bauch kann Reserven für schlechte Zeiten anlegen!“
„Heut bin i am Zug!“
Paul schenkte Moritz nochmal nach. „Weisch, wir sind hier so eine Win-Win Gemeinschaft: Tiago bringt mir Portugiesisch bei, ich lern ihm Deutsch!“
„Besser wohl schwäbisch! Das ist doch kein Deutsch, was du sprichst?“
„Na ja, schwäbisch geht anderster! Jetzt hör emal, ich spreche Hochdeutsch mit höchstens nem kloine badischen Akzent!“
Moritz konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Wenn das Hochdeutsch ist, fress ich einen Besen!“
Paul fixierte meinen Freund mit zugekniffenen Augen und erklärte: „Hörsch, des isch allenfalls badisch! Badisch! Des kapiert ihr Schnellschwätzer einfach nicht!“
Ich glaub, das war Moritz im Moment ziemlich egal. Dass Tiago eigentlich Priester war und warum er Deutsch auf Badisch lernen wollte, wusste Moritz da noch nicht.
Wie ich ihn kannte, trank er noch ein Glas, ließ sich in den Schatten fallen und schlief auf der Stelle ein. Mein geliebter Moritz! Er hatte schon wenige Tage nach unserem ersten Kuss behauptet, dass er mich heiratet. Er hatte mich gar nicht gefragt, sondern es einfach hinausposaunt bei seinen Freunden.
Ich war mit diesem Gedanken echt überfordert. Heiraten??? Die Schule hatte ich ja nicht mal fertig. Und studieren wollte ich. Ich wusste zwar noch nicht was, ich wollte nicht so früh wie meine Mutter heiraten. Auch Moritz‘ Mutter hatte das Studium abgebrochen und geheiratet weil ein Baby unterwegs war. Und dann hat sie in rascher Folge noch drei weitere Söhne und zum Schluss ein kleines Mädchen bekommen. Moritz war der dritte.
Der Vater von Moritz ist Geschichtsprofessor und unglaublich konservativ. Der ist noch einer von der Sorte: Eine Frau gehört ins Heim und an den Herd und muss sich mit der Aufzucht und Pflege des Nachwuchses beschäftigen. Nicht auszudenken, wenn mein süßer Moritz auch so gepolt ist.
Das mit dem Traualtar kann Moritz sich vorerst aus dem Kopf schlagen. Auch wenn ich so verliebt in ihn bin und eigentlich den ganzen Tag mit ihm rumhängen möchte! Heiraten oder gar an Kinder denken: unvorstellbar! Das hatte ich meinem Schatz zwar schon geflüstert, doch auf dem Ohr war er taub.
Seine Eltern habe ich beim letzten Straßenfest kennengelernt. Der Vater groß, dick und polternd, die Mutter klein, zierlich, abgearbeitet. Sie begrüßte mich mit einem herzlichen Lächeln. Ein Gitternetz feinster Fältchen überzog ihr freundliches Gesicht. Die grauen Haare trägt sie streng nach hinten gekämmt und zu einem Dutt gesteckt. Haushalt und Kinder können nicht die Erfüllung ihres Lebenstraumes gewesen sein, sonst hätte sie sich nicht vor zwei Jahren in der Senioren-Uni eingeschrieben. Diese unscheinbare, nette Frau ist das ganze Gegenteil meiner schicken Mama und ich glaube, darum hing Moritz in letzter Zeit auch mehr bei uns, als bei sich zu Hause rum.
Ich liebe Moritz, das mit dem goldenen Ringlein, kann er sich erst mal abschminken. Das ganze Leben liegt noch vor mir.
Gottseidank gibt es die Pille.