Читать книгу Algarveflimmern - Birte Pröttel - Страница 13
9 Von Bettgeflüster, Stellungskämpfen und einer Erscheinung Oder Es ist immer leichter das letzte Wort zu haben, als den ersten Schritt zu tun
ОглавлениеPaul schüttete die hellgraue Asche in den schwarzen Müllsack. Noch vor kurzer Zeit musste man keine Säcke für den „Lixo“ besorgen. Beim Einkaufen wurde jede noch so kleine Stecknadel in eine Plastiktüte gesteckt. So gab es immer ausreichend Müllbeutel. Diese flattern dann jahrelang bei den Mülldeponien wie tibetischen Gebetsfahnen in den Oliven- und Orangenbäumen. Drüber kreisen Schwärme monströser Möwen wie die Geier über den Totentürmen der Parsen. Ist schon in Ordnung, dass man nur noch Tüten verwenden darf, die verrotten, dachte Paul.
„Ach, da fällt mir ebbes ein“, rief er „Moritz, nimm doch den Laubbesen und kehr den Rasen ab!“
„Welchen Rasen?“
„Na, hier rings ums Haus und um den Pool!“
„Seltsamer Rasen.“
„Maul nicht, mach. es soll ja ordentlich sein, wenn der Herr des Hauses hier aufschlägt.“
Seit Paul hier den Hausmeister spielt, fühlt er sich auch verantwortlich dafür, Wasser zu sparen. Deshalb sprengt er im Sommer den Rasen nicht. Im Herbst, Winter und Frühjahr regnet es ausreichend. Da wächst dann ein kräftiger grüner Rasen, besser gesagt eine Wildblumenwiese. Gelber Klee, roter Mohn, blaue Wegwarten blühen dann wie auf einem Bild von Claude Monet. Paul lässt sie wachsen, ohne zu mähen. Wenn die Pflanzen im Sommer vertrocknen, dürfen sie aussamen und den Rest, das Heu schneidet er ab. Das machen die Portugiesen auch so. Die trockene Fläche ruht den Sommer über, um nach den ersten Regen im Herbst wieder zu keimen, zu grünen und bald wieder verschwenderisch zu blühen.
Da Bernd mit seinen Mannen jeweils zwei Wochen im Frühling und zwei Wochen im späten Herbst kam, merkte niemand, dass es im Sommer keinen englischen Rasen gab. Paul war gespannt, ob „die gnädige Frau“, wie er Mama insgeheim nannte, ein Gezeter um die nicht vorhandene Grünfläche machen würde. Sie war selber schuld, seit vielen Jahren überließ sie das Haus ihrem Mann und der es wieder Paul. Weil der nun eben ein Umweltfreak ist, gibt es eben im trocknen, heißen Sommer bei der Quinta Velha keinen Rasen, wie in den Protzvillen ringsum.
Moritz hatte mir ein „Selfie“ von seinem neuesten Haarschnitt geschickt. Ich weiß nicht, wie er es schaffte, dass darauf auch der Ansatz seines knackigen Sixpacks zu sehen war. Diese Handy-Selfies sind eine tolle Erfindung. Ich liebe es, Fotos per WhatsApp an meine Freunde zu schicken. Für Selfies sind meine Arme leider zu kurz. Ich finde mich immer blöd auf den Fotos. Die Japaner haben die Selfiestangen erfunden, ihnen ist es egal, wenn sie bei ihren Selbstbildnissen gleichzeitig ringsum sämtliche Menschen köpfen. Hauptsache: sie und Schloss Schwanstein sind mit drauf.
Bei meinen Selfies ist entweder das Kinn zu weit vorne, der Kopf halb aus dem Bild oder alles total unscharf.
Dieses Foto von Moritz war jedenfalls megasüß und ich freute mich tierisch, als ich ihn da in „natura“ im Garten rechen sah. Moritz hat wirklich schöne echt blonde Haare. Mal trug er sie kinnlang, dann wieder als Pferdeschwanz oder auch mit tiefem Seitenpony über dem rechten Auge. Als er den Pony trug, fummelte er dauernd dran rum, wischte die Haare zur Seite und das machte seine Mutter meganervös. Ich fand es cool. Vor allem, wenn er so von unten durch den Vorhang seiner schönen Haare guckte. Irgendwann schmierte er Haar Gel in die Schnittlauchlocken und kämmte sie nach hinten. Seine Mutter fand das fürchterlich.
„Das erinnert mich an unsren schmalzigen Tangolehrer in der Tanzstunde!“
Mir gefielen die fettigen, angeklebten Haare auch nicht. „Wie ein Spacki siehst du aus!“ Zärtliches Wühlen in den Haaren war gestrichen. Seine Haare waren klebrig wie der Leim eines Fliegenfängers. Außerdem hätte ich sein „Styling“ zerstört. Ich bin mir nicht sicher, ob Moritz das ertragen hätte. Seine Haare waren für ihn so wichtig wie die Fernbedienung für einen TV-Junkie. Nachdem er mit dieser Frisur dauernd das Kopfkissen wechseln musste, warf er dann entnervt das Gel in endlich die gelbe Tonne.
Was seine Mama jetzt zu seiner neuesten Frisur sagen würde? Die Seiten hoch glatt rasiert, in der Mitte ein Schopf. Als ich vor einigen Wochen mal das Fotoalbum von meinem Urgroßvater in die Hände bekam, lachte ich:
„Wie gut, dass heute keiner mehr so hässliche Frisuren trägt. Schau mal, der Opa hatte auch noch abstehende Ohren! Wie blöd konnte man damals sein, sich so zu verunstalten!“
Und nun bei meinem Moritz fand ich das gar nicht mehr so abartig sondern sogar tight. Zwar standen Moritz‘ Ohren auch ab wie Rückspiegel an der Familienkutsche, aber im Gegensatz zu meinem Ur-Opa hatte er die Haare zum Hahnenkamm gekämmt, so wie es die Fußballer und anderen Promis derzeit tragen. Warum sollen nur die Mädels mit ihren Haaren experimentieren? Mir gefällt das neue Styling an Moritz. Außerdem wachsen die Haare bei Jungmännern brav nach. Bei Papa ist das nicht mehr so zuverlässig und darum macht Papa auch keine Experimente. Er schneidet die Haare mit dem Trimmer extrem kurz und schützt die Birne mit jeweils zum Outfit passend Caps.
Moritz hatte gesimst, wie sehr er mich vermisst und wie sehr er sich auch auf Mama freut. Er findet, wir beide sähen wie Schwestern aus. Nur dass die Mama sich flippiger kleidet als ich. Hat er nicht gesimst, aber ich weiß, dass er das denkt. Aussehen wie die Schwester meiner Mutter ! Nein, niemals! Ich liebe den klassischen, englischen Collegestil von Hermine Granger. Mit unpassenden Accessoires peppe ich das auf und liege voll im Trend. Eher im Gegentrend, denn im Trend will ich keinesfalls liegen. Das machen ja alle! Moritz, ist das genaue Gegenteil von Hermines Freund Harry Potter. Groß, blond und ziemlich blass. Warum ich mich in ihn verliebt habe, ist mir ein Rätsel. Ich stehe eigentlich eher auf dunkle Haare. Schwarze Nerdbrillen finde ich zum Anbeißen. Na ja nicht die Brillen...
Ich schweife schon wieder ab.
Also Paul und Moritz waren so vertieft in ihre Beschäftigungen, dass sie überhaupt nicht merkten, dass Mama und ich mit dem Taxi vorgefahren waren. Wir gaben uns Zeichen, legten den Zeigefinger auf den Mund. Leise schlich ich mich an, legte meine verschwitzten Hände auf Moritz Augen, der zu Tode erschrocken rumwirbelte und den Besen fallen ließ wie eine heiße Kartoffel. Ich flog Moritz in die Arme, wir knutschten uns überschwänglich und glückselig ab. Er stammelte:
„Endlich, endlich, endlich!“ und dann knutschte er weiter, dass mir hören und sehen verging.
„He, Baby, da bist du ja!“
Er zerquetschte mich beinahe wie ein Moskito und küsste mich wie ein Ertrinkender. Und mir blieb die Luft weg. Ich drückte ihn weg, schnappte nach Sauerstoff und lachte:
„Echt cool, deine neue Frisur! Wetten, dass unsere Mamas auch diese kurzen Haare wieder doof finden.“
Er schüttelte lachend den Rest der Haupthaare und packte mich.
„He, was soll das?“ quietschte ich.
„Du bist doch sicher überhitzt, oder?“
Er zog mich hinter sich her und sprang ins Wasser. Seinem Klammergriff konnte ich nicht entkommen und platschte schreiend auf ihn in den Pool.
„He, lass das. Meine Uhr, mein Handy, meine Schuhe!“
Prustend angelte ich mich an den Rand. Mein Handy war in einer Schutzhülle, die Uhr bis 30 m Tiefe geeignet und meine Schuhe, na ja. Als meine Sachen gerettete waren, stürzte ich mich auf ihn. Ich tunkte ihn so lange ich konnte. Dann rang er panisch nach Luft und drückte mich unter Wasser, dass mir alles, sogar meine Sehnsucht nach ihm verging. Ich konnte mich nur durch kräftige Tritte befreien.
Plötzlich entdeckte Moritz Mama, die uns amüsiert zuschaute und den alten Spruch: „Muss Liebe schön sein!“ rausposaunte.
„Oh, Frau Reimer! Hallo, Entschuldigung! Guten Tag! Hatten sie eine gute Reise?“
Mama lachte ihr keckerndes Lachen: „Schöne Reise? Kann man wohl sagen!“ Moritz hopste elegant aus dem Wasser und bekleckerte Mamas weiße Seidenbluse mit Wasser.
Sie klopfte Moritz freundschaftlich auf die Schulter „Hallo, lieber Moritz!“
Und dann, ich staunte Bauklötze, küsste sie meinen Moritz mitten auf den Mund!
Aber Hallo!
„Das nenn ich eine stürmische Begrüßung!“ lachte Granny.
„He, Oma! Wo kommst du denn her?“
„Aus dem Schlafzimmer! Dieser Bengel musste ja mit dem Laubbesen einen ohrenbetäubenden Krach machen. Siesta kannst du da knicken.“
Omas Überraschung war geglückt. Ich freute mich riesig:
„Oma, Paula, Granny! Wie toll dass du hier bist! Ich freu mich ja so. Ich liebe dich!“ Ich sprang aus dem Pool und umarmte meine wunderbare Großmutter:
„Abkühlung gefällig?“
„He, wenn du nicht brav bist...“
„Oh, Oma, das ist übrigens Moritz, mein Freund!“
„Den kenn ich bald länger als du.“ lachte sie.
Moritz beugte sich zu seinem im Gras liegenden Städteführer „Lissabon“ der war patschnass und nun wohl nicht mehr zu gebrauchen.
Moritz meckerte: „Das schöne Buch!“
Wir hatte einen Lissabon Ausflug geplant. Wollte ins Gulbekian Museum, ins Café a Brasileira, wollte dort Fernando Pessoa über die bronzene Hand streicheln und in Belem die berühmten Pasteis probieren. Mit dem von Eifel erbauten Lift in die Oberstadt fahren und überhaupt die Luft der Stadt schnuppern, zu der der „Berühmte Nachtzug“ von Paul Mercier uns vor einiger Zeig entführte hatte. Auch ich war von dem Buch hingerissen. Wegen des „Nachtzuges“ kamen wir auf die Idee, meinen Geburtstag in der Algarve zu feiern und dann Lissabon anzuhängen. Moritz hatte schon die Fahrpläne des Comboio nach Lissabon ausgedruckt. Und nun war vom Städteführer nur Pappmaché übrig.
„Schau mal, was du angerichtet hast!“ er hob den Papiermatsch hoch.
Ich lachte ihn an:
„Wozu gibt es Google-Maps, Routenplaner, Wikipedia? Reiseführer aus Papier haben ausgedient, dafür gibt’s die Apps auf dem Smartphone.“
Ich war bisher nur einmal als Kleinkind an der Algarve in den Ferien gewesen. Ich erinner mich nur anhand der Fotos, die Mama sorgfältig ins Album geklebt hatte. Und da sah man immer nur Oli im Sand, am Strand, Oli beim Nudelessen, Oli mit Muschel in der Hand, Oli gibt Mama ein Küsschen mit Schokomund und, und, und. Alles ziemlich langweilig, aber dieses Mal, mit Moritz, sollte es anderes werden. Und ein Fotoalbum legen wir auch nicht an. Auch nicht auf Facebook.
Mama blieb der Mund offen stehen, als sie ihre Schwiegermutter sah. Mit allem hatte sie gerechnet nur nicht mit dieser Dame.
„Paula! Du? Was machst du hier?“
„Dich herzlich begrüßen auf meiner Quinta!“
Mama machte ein Gesicht als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
Und da stand da noch einer, klein, rund und freundlich. Der sagte etwas schüchtern: „Hallo!“
„Willkommen auf der Quinta! Ich bin der Paule!“
Wer war das denn? Papa hatte nie erzählt, dass in Portugal jemand das Haus bewohnte und versorgte. Nun stand dieser Typ da und ich war erst ein wenig geschockt. Dicke kleine Männer mit Halbglatze und Pferdeschwanz sind nicht so mein Ding. Und sein runder, brauner Bauch war so prall und knackig, dass man eine Nuss darauf hätte knacken können. Ein kleiner Knackarsch wie der von Moritz war mir lieber.
Später schloss ich den goldigen Paul in mein Herz und mir schien, als wäre er mein nie gekannter Opa. Ein wenig schrullig, aber sehr, sehr lieb. Alles an dem kleinen ulkigen Mann war rund, kugelig und kunterbunt. Er glänzt und strahlt und sieht aus, als wäre er aus lauter bunten runden Legosteinen zusammen montiert. Pauls kleine Zehen schauten wie winzige, naturfarbene Champignons aus den abgewetzten Bergsteiger Sandalen. Seine Knie waren dafür, dass er die 60 weitüberschritten hatte, rund und faltenfrei wie Berliner Pfannkuchen, sein Po in den auffallenden Bermudas rund wie zwei Fußbälle. Seine Patschhändchen gepolstert wie Babyhändchen. Krass sein unsäglicher riesiger, silberner Totenkopf Ring mit rot funkelnden Glasaugen am Daumen.
„Weeeer sind sie?“ fragte Mama sichtlich irritiert und deutete schwach auf Paul.
„Das ist der liebe Paul. Paul ist ein Gesamtkunstwerk!“ lachte Oma. Dann ging sie auf Mama zu:
„Ich freu mich wirklich, dich zu sehen, meine liebe Martina. Willkommen auf meiner Quinta!“
Mama war perplex, mit allem hatte sie nicht gerechnet, aber nicht damit dass Paula hier war. Und die hatte in einem Satz ihren Claim abgesteckt: „Meine Quinta!“