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5 Von Palmen und Rüsselkäfern oder Erinnerungen Oder Gefühle sind nur was für ganz Mutige

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Die Quinta war keineswegs einsam und verlassen. Wir dachten, das alte Gemäuer würde vor sich hin gammeln und langsam verfallen. Papa liebt alte Bruchbuden, er wäre gerne Archäologe geworden. Ich glaub, er findet es romantisch, wenn der Putz bröckelt. Jedes Jahr flog er mit seinen Kumpeln aus dem Golfclub zur Quinta. Die brauchten nur ein Bett und ein Dach überm Kopf. Und im Kopf selber hatten sie nur pitchen, putten und driven und am neunzehnten Loch ein eiskaltes Bier schlürfen.

Wir ahnten nicht, dass auf der Quinta ganzjährig der ulkige Paul wohnt. Und der kümmerte sich um das „Alte Gemäuer“ wie ein Schönheitschirurg sich um die Runen von Millionärsgattinnen.

„Quinta Velha“ heißt eigentlich altes Bauernhaus. Das steht auf weiß-blau glänzenden Keramikkacheln am Gartentor. Aber das war nicht wirklich ein Bauernhaus, das war bestimmt mal ein Herrenhaus gewesen mit allen Drum und Dran. Die Quinta thront auf einem kleinen Hügel, nicht weit von der felsigen Steilküste der Algarve. Von weitem sieht man als erstes eine riesige Araukarie, die neben dem Gebäude wächst. Sie reckt sich imposant in den stahlblauen Himmel. Ihre Form und ihre dunklen Zweige, die dicht benadelt sind, erinnern an einen Weihnachtsbaum. Wenn man drüber streicht, fühlen die Äste sich kühl und zart an, ein wenig wie glatte Haut einer Blindschleiche. Ich kann nie an der Araukarie vorbeigehen, ohne sie zu streicheln.

Hinter dem einstöckigen Haus strotzt eine Handvoll riesiger Pinien dem rauen Wind und der sommerlichen Trockenheit. Ursprünglich war die gesamte Küstenlandschaft von saftig grünen Pinien bedeckt. Heute haben wuchernden Hotelpaläste und elegante Ferienvillen sie verdrängt. Zwei mächtige Eukalyptusbäume werfen Schatten auf den hinteren Garten. Die ganze Gegend duftet nach Hustenbonbons.

Vor dem Haus an der niedrigen Gartenmauer mit dem blauen Eisentor vertrocknen die traurigen, zerfransten Stümpfe zweier Palmen. Sie waren einmal der Glanz und das Wahrzeichen der Quinta. Jetzt hatten die Maden des Palmrüsselkäfers sie ausgehöhlt wie Frühstückseier. Der blöde Käfer hat ganze Arbeit geleistet. Es hingen nur noch einige vertrocknete Palmzweige dran. Da hatte wohl jemand gehofft, es würden Wunder geschehen und die Palmen fröhlich neue Triebe fabrizieren. Nach dem Motto: die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber Palmen haben nun mal nur ein Herz und können keine Seitentriebe wachsen lassen.

Hier wollten wir uns treffen: Mama, Papa, Moritz und ich. Hier wollten wir meinen achtzehnten Geburtstag feiern. Ganz allein unter uns. Nicht mit Freundinnen ins Kino oder in die Disco. Nein, nur wir vier.

Die alte Quinta gehörte meiner geliebten, etwas schrägen Großmutter, Oma, Granny oder Paula, wie sie genannt werden wollte. Sie lebte seit Jahren in den Staaten oder war auf Reisen. Oma war schon ewig nicht mehr auf der Quinta gewesen, darum fiel es uns auch nicht im Traum ein, dass sie dort sein könnte.

Ich selber war mal als kleiner Pups durch den Garten gestolpert, aber daran konnte ich mich natürlich nicht erinnern. Mama hat nach ihrem ersten und letzten Besuch verkündetet: „Ich geh lieber ins Hotel!“ Für Mama ist Urlaub in einem Ferienhaus der reine Horror. Da muss man Betten beziehen, Spinnenweben beseitigen, Vorräte auffüllen. All das braucht man in einem Hotel nicht. Sie fand die Quinta grässlich und nur, weil ich mal einen etwas anderen Geburtstag feiern wollte, hatte sie unüberlegt und mir zu liebe dieser Reise zugestimmt.

Dazu muss ich kurz die Story der Quinta erzählen. Sie ist genauso schräg, wie meine Oma Paula. Sie hatte das alte Bauernhaus von ihrem schwerreichen Großvater geerbt. Es war eine Ruine, wie Ausgrabungsstätte aus der Spätbronzezeit. Hätte man glatt als Touristenattraktion ausbauen können, erzählte Papa mal.

Aber Oma wollte selber da wohnen. Mit ihrem Mann, meinem zukünftigen Opa, hatte sie alles liebevoll und mit viel Mühe restauriert. Glück und Stolz erfüllte sie, wenn sie ihr Werk anschauen und genießen konnte. Es war ihr verzaubertes Paradies bis, na ja, bis sie meinen Großvater mit einer anderen im Bett erwischte. Vor Schreck bekam Opa einen Herzinfarkt und segnete das Zeitliche. Echt krass!

Und na ja, Oma wollte die Quinta nicht mehr betreten. Papa liebt die Quinta. Sie ist für ihn das Symbol unbeschwerter Sommerferien. Und jetzt lustiger Golfreisen.

Ich hatte die Quinta noch nie mit Bewusstsein erlebt. Ich stellte es mir romantisch wie in französischen Ferienfilmen vor, dort den Geburtstag zu feiern. Als einziger „Fremder“ durfte Moritz mitkommen. Wir wollten so einen richtig gemütlichen Urlaub machen. Mit chillen, schwimmen, sonnen, lecker essen und trinken und vielleicht auch mal in die Dorfdisco gehen. Und mit meinem Freund wollte ich das genießen, na ja, was man halt in der Sommerhitze so tut.

Ach ja, Moritz!

Aus dem traulichen Tête à Tête zu viert wurde nichts.

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