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3 Vom Shoppen und Schlange stehen - Oder Wer seine Träume verwirklichen will, muss erst mal aufwachen

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Mama fliegt nicht gerne und daher ist sie auch nicht oft in den Ladenstraßen am Flughafen unterwegs. Als sie die Auslagen in den Stores entdeckte, flippte sie total aus. Ich ließ mich vom Kauffieber anstecken, wir shoppten nach Herzenslust bis die Visa Card glühte. Papa war schon Galaxienweit entfernt und konnte kein Veto einlegen.

Die Shoppingmeile im Flughafen ist zu verführerisch. Sowas kannten wir in unserer Kleinstadt nicht. Wir mussten natürlich alles ganz genau anschauen, betasten und erschnuppern. Gut, dass Papa nicht dabei war, der hätte uns Beine gemacht. Aber ohne ihn als Bremse hatten wir zu lange gebummelt, nur um festzustellen, dass die Sachen bei Douglas billiger sind. Da ich als Tochter unterwegs war, hatte ich auch nicht die Aufgabe auf die Uhr zu schauen, sowas machen traditionell die Eltern, oder?

Irgendwann hörte ich eine zerquetschte Lautsprecher Stimme:

„Die Passagiere Reimer werden dringend gebeten zu Ausgang 52 zu kommen, der Flug wird geschlossen!“

„Mama, hast du gehört? Wir sind aufgerufen!“

Mama probierte gerade ein mikroskopisch kleines Victorias Secret Teil, drehte sich hin und her vor dem Spiegel.

„Süß, nicht wahr?“

„Mama, wir müssen zum Gate!“ meine Stimme überschlug sich.

„Gleich, ich muss erst noch bezahlen!“

Die Verkäuferin packte in aller Ruhe das kleine Päckchen, als wäre es ein Brillantohrring von Tiffanys. Mich packte Panik!

Wir spurteten wie Usain Bolt zum Gate. Jetzt war Horror, wir hatten die Maschine nach Lissabon tatsächlich verpasst!

„Tut uns sehr leid, der Flug ist seit fünf Minuten geschlossen!“ bedauerte freundlich lächelnd die Dame am Schalter, während sie ihre Papiere zusammenpackte. Ich werde ihren schiefsitzenden Hut nie vergessen.

Wir haben dann aus der Not eine Tugend gemacht und unseren Frusst über den verpassten Flug mit tollen Einkäufen kompensiert. Im Airporthotel haben wir dann vom feinsten gespeist und im Kingsize Luxusbett geschlummert.

Am nächsten Tag bekamen wir einen Flug direkt nach Faro.

Mama trippelte hin und her, reckte den Hals, um zu sehen, wo wir uns am besten anstellen. Die vier Schlangen bei der Personenkontrolle waren gleichlang. Für welche sollten wir uns entscheiden? Hektik pur! Und heute waren wir schon wieder spät dran. Wir hatten nachts der Bar im Flughafenhotel einen intensiven und langen Besuch abgestattet. Nun mussten wir uns wieder beeilen.

„Immer komme ich an die langsamste Reihe!“

Kann man den Leuten die vor einem stehen ansehen, ob sie versierte Flieger sind? Männer, die ihre Geldbörse bereits in der Hand halten, den Gürtel ausgezogen und den Laptop aus der Tasche genommen haben, sind definitiv Vielflieger. Dazwischen trödeln Leute, die ewige Zeiten brauchen, um alles in den blauen Plastikkästen zu verstauen.

Mama wurde nervös wie eine Büchse Anglerwürmer.

„Man könnte auch früher losgehen. Dann ist es egal in welcher Schlange man steht!“

„Nein, mich trifft es immer. Ob an der Supermarktkasse oder hier!“

„Mama, wir stellen uns an verschiedenen Schlangen an und sehen, dann, wer zuerst durch ist. Klar?“

So machten wir unser kleines Wettrennen an der Personenkontrolle. Mama hektisch, ich total cool. Wenn wir den Flieger wieder verpassen, hat sie ja Schuld, was kümmerte es mich?

Zielsicher fand Mama die langsamste aller Schlangen. Wild gestikulierend zeigte sie auf den Mann vor sich, der umständlich seine Sachen in die Schale legte. Dann fing er auch noch an, Kleingeld aus den Hosentaschen zu fummeln.

„Genau, wie an der Supermarktkasse!“ zeterte sie zu mir rüber.

Ich grinste und schwupp war ich auch schon dran und durch. Und vor lauter Ärger über ihren Vordermann hat Mama vergessen, sich um ihre eigenen Sachen zu kümmern und nestelte nun ihrerseits umständlich das IPad aus der Tasche.

„He, Mama, hast du mal wieder Probleme mit „Murphys Law“?“

„Verarschen kann ich mich selber!“

„Mama, so was sagt man nicht!“

Es stimmt: bei Mama geht immer alles daneben, sogar Dinge, die bei anderen ganz normal funktionieren! So wie der berühmte Herr Murphy es prophezeit „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“ Egal ob Mama im Supermarkt oder bei der Personenkontrolle ansteht. Sie hat einfach kein Glück. Sagt sie. Ich glaube, das macht sie extra. Hat ja sonst nicht viel zum Meckern. Aber auch sie schaffte es durch die Kontrolle, sogar ohne dass der Piepser Alarm quiekte.

Die einen haben Schmetterlinge auf ihren himmelblauen Koffern, wie die Tussi vorhin in der Check-In Schlange. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch. Und die rotierten wie die Düsenturbinen. Sie trieben das Flugzeug zu schnellerem Tempo an. Sie trieben mich zu meinem Moritz.

Endlich in der Maschine schlängelte Mama sich zwischen den Mitreisenden durch. Unmengen von Rucksäcken, Taschen, Beuteln und Plastiktüten hinderten sie nicht daran, zielstrebig ihren Platz anzusteuern. Meine hübsche Mama Martina sieht aus, wie eine naturgetreue Kopie von Nena. Schwarzhaarig, schmal und auf lässige Art elegant. Bereitwillig machten ihr die Leute Platz. Und dann spielte sie, raffiniert wie immer, ein Schulterleiden vor. Mit ein paar ihrer unwiderstehlichen Augenaufschläge lächelte sie den hübschen Flugbegleiter an:

„Können sie so lieb sein und meinen Kabinenkoffer ... Ich habe nämlich einen Tennisarm!“

Der nette Junge ächzte, als er Mamas Kabinenkoffer anhob.

„Der hat aber bestimmt mehr als acht Kilo!“ grinste er.

„Weiß ich nicht!“ entgegnete Mama mit Unschuldsmiene, „ ich wiege ihn nie.“

Mit einem gequälten Seitenblick hob er das Stück und brach damit bestimmt den Weltrekord im "schwere Koffer ins Gepäckfach stemmen", denn das Teil wog mehr als ein Flusspferd. Der freundliche Helfer sah aus, als wäre Dauergast in der Muckibude, aber er stöhnte auf und fiel fast nach hinten um, das ging aber nicht, weil die Kabinen eben eng sind

„Danke, danke, danke, sie sind ein Schatz!“ strahlte Mama ihn an. Er lächelte verkrampft, sicher hatte er jetzt „Rücken“. Den hielt er sich auch. Ich verkniff mir, ihn ebenfalls um Hilfe zu bitten, denn mein winziges Köfferchen war genauso schwer wie die Mülltonne eines Chinarestaurants.

Da kam mir Mamas „Nebenmann“ zur Hilfe. Beim Heben seiner Arme fiel ich fast in Ohnmacht. Das Anwenden von Deodorant hielt man wohl zu seiner Zeit bestimmt für schädlich, wenn nicht gar krebserregend. Haben die es nicht neulich in einer Fernsehsendung gesagt „und was im Fernsehen kommt, stimmt doch“ oder? Nun hatte ich Nasen-Krebs.

Mama schützte vorausriechend die empfindliche Nase mit ihrem neuen Dolce Gabbana Schal vor aggressiven Naturduft Attacken. Als besondere Dreingabe waren die Poren des hilfreichen Zeitgenossen von einer papageienbunten Tattoolandschaft verunstaltet. Seine Fahne hätte als Bionarkose bei Naturheilverfahren einen ganzen Krankensaal in Schlaf versetzt. Ich konnte dem Aroma nicht entkommen. Nach getaner Arbeit ließ er sich zufrieden in den Sitz neben Mama plumpsen. Das hatte eine weitere Duftwolke zur Folge. Seine nackten, mit blonden Stacheln übersäten Waden, steckten in mikrokurzen zerrissenen Designerjeans. Die Beine spreizte er lässig und dabei berührten seine Knie Mamas zarte Waden. Himmel hilf! Das fing ja schon gut an.

Mama tat das einzig Wahre: sie stellte sich tot. Und Tote haben bekanntlich keinen Geruchssinn. Wow, da hatte Mama Pech gehabt.

Mir ging es erheblich besser. Mir war das alles egal, ich war verliebt und schwebte auf Wolke sieben in zehntausend Metern Höhe über der Erde. Verliebt sein ist das Eine, Liebe das Andere. Und manchmal ist das Eine das Andere und umgekehrt. Die Liebe meines Lebens: Moritz. Dass man noch mehr lieben kann, das wusste ich da auf meiner Wolkenfahrt nicht…

Zwar knutschte und fummelte ein verliebtes Pärchen ununterbrochen neben mir. Sie duftete nach Patschuli und er benebelte mich mit Testosteron-Wolken. Nach dem Motto: Alles Bio! Da träumte ich dann eben wieder von meinem Moritz.

Ich freute mich, in dem alten Herrenhaus an der Algarve bei Vollmond meinen Geburtstag zu feiern. Sternförmig reisten wir auf unser Ziel die „Quinta Velha“ zu. Wir, das waren Papa, Mama, Moritz und ich. Nur wir vier! Ganz allein!

Was wir nicht wussten: die Quinta war schon bevölkert, wie ein Ameisenhaufen.

Paul, der verkrachte Künstler, wohnte dort sowieso jahraus jahrein . Papa hatte kein Sterbenswörtchen darüber zu uns gesagt. Da Paul von seinen von der Kunstwelt verkannten Werken, nicht leben konnte, hütete er unsere Hütte.

Meine exzentrische Oma Paula war auch auf der Quinta gestrandet und breitete sich mit ihren bunten Tüchern und Hüten wie ein Schimmelpilz aus.

Mein Moritz kam von irgendwo von der Iberischen Halbinsel. Er hatte moderne Gebäude spanischer und portugiesischer Architekten für seine Diplomarbeit fotografiert und wartete auf mich.

Papa war noch nicht da, er ackerte mit dem Auto die 3000 Kilometer ab und behauptete, das würde ihm Spaß machen, wegen der Landschaft. Der Kofferraum platzte fast von den Unmengen Zeug: seiner Fotoausrüstung, einer alten Kaffeemaschine und einem museumsreifen Staubsauger Ungetüm. Weil er unser Gepäck auch mitgenommen hatte, konnten Mama und ich mit federleichtem -haha - Handgepäck reisen.

Wir ahnten auch nicht, dass Tiago, ein Freund von Paul, andauernd aufkreuzte. Tiago war ein junger Priester und mehr auf der Quinta als in seinem Pfarrhaus. Oma stöhnte, als sie ihn zum ersten Mal sah:

„Es ist ein Verbrechen, dass so ein Bild von einem Mann den Weibern dieser Welt verloren geht!“

Als ich ihn sah, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf und fortan hatte ich nichts, wirklich nichts gegen göttlichen Beistand. Im Gegenteil. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder eben die Geschichte.

Als wir Dussel den Flug verpasst hatten, jammerte Mama: „Das Neubuchen war sauteuer. Für das Geld hätten wir leicht einen Pauschalurlaub in einem Viersterne Hotel bekommen!“

Stattdessen hingen wir einen Tag später platt wie Flundern in der Maschine nach Faro. Und in Lissabon wartete Papa!

Wenige Stunden und Moritz würde mich mit seinen starken Armen rumschleudern, bis mir schwindelig wäre. Ich hielt es kaum aus vor Sehnsucht. Wir hatten drei Wochen nur per WhatsApp Kontakt gehabt. Er hatte seine Messages total süß mit Milliarden Emoticons verziert. Immer wieder guckte ich die Herzchen und Küsschen auf den Nachrichten an. Ich glaub, dabei schossen mir auch Herzchen und Sternchen aus den Augen wie in einem Comic. Nur noch drei Stunden aushalten. Dann...

Der Champagner, den Mama und ich genüsslich geschlürft hatten, zeigte Wirkung. Die Bauch-Schmetterlinge machten langsam schlapp und legten ein Päuschen ein. Lang genug, um von Moritz‘ weichen, warmen Händen zu träumen. Er hatte die schönsten Jungenhände, die ich kannte. Die Fingernägel waren nicht abgeknabbert wie bei 90 Prozent der männlichen Smartphone Bediener. Wie zärtlich seine Hände sein konnten! Wenn sie mich berührten, stellten sich meine Nackenhaare auf und eine Gänsehaut lief mir rauf und runter. Warum stellen sich eigentlich bei Hunden und Katzen auch die Rückenhaare auf?

Ach Moritz! Ich war jetzt fast 18 und Moritz mein erster richtiger Freund! Meine Freundinnen behaupteten, ich sei ein Spätzünder. Für mich waren Jungs bisher eine völlig rätselhafte Verirrung der Schöpfung. Mehr Kumpels als potentielle Liebhaber und irgendwie fand ich alle doof. Bis Moritz kam.

Die Turbinen brummten leise vor sich hin. In meinem I-Pod streichelte Ann Sophie Mutter mit Mozartmelodien ihre Stradivari. Der neue weiche Kaschmirschal streichelte meinen Hals. Auf dem Klapptischchen vor mir lag das ungenießbare, pappartige Sandwich, das sogar eingefleischte Fastfood Junkies abgelehnt hätten und wartete darauf, in den Müllcontainer zu wandern. Mein Kindle war ausgeschaltet. Ich lauschte in sanftem Dämmerzustand dem Violinkonzert No.2. Unten zogen die letzten verschneiten Gipfel der Alpen vorbei. Bald würden wir über die trockenen, karstigen Berge Spaniens gleiten, bevor der Sinkflug Richtung Faro begann.

Lautes Geplärr wütender, ungezogener Bälger riss mich aus meinen Wohlfühlkokon. Warum, um Himmelswillen, wünschen sich die Menschen so sehnlichst Kinder? Man hat nur Geplärre, schlaflose Nächte und später renitente Pubertiere. Irgendein genetischer Fehler in unseren Fortpflanzungsorganen lässt uns das Gegreine, Hosenscheißen und all die anderen Plagen mit den Blagen wunderbar finden. Allerdings natürlich nur, wenn es die eigenen Sprösslinge sind. Eigentlich krass. Ich jedenfalls kann diese quietschenden Monster nicht ausstehen.

Ach, Moritz! Auch mit dir nicht! Nein! Noch lange nicht!

Ich räkelte mich Gangplatz 8D und lächelte Mama zu. Mama machte sich auf der anderen Seite 8C so schmal wie möglich. Hautkontakt mit ihrem Nachbarn hätte gerade noch gefehlt. Aus meinen Ohrstöpseln jubelte immer noch die „Mutter“ und ich wiegte mich sanft dazu. Ich werde achtzehn!

„Mama, hast du Papa gesimst, dass wir nach Faro und nicht nach Lissabon fliegen?“

Mama schaute mich entsetzt an.

„Ach du liebe Zeit, ich habe ihm nicht mal gemailt, dass wir einen Tag später ankommen!“

„Super. Mein Akku ist leer und das Ladegerät im Koffer bei Papa im Auto!“

Mama sank mit einem bühnenreifen Stöhnen noch tiefer in ihren Sitz.

„Was machen wir jetzt?“

„Na, den Piloten bitten, er soll statt nach Faro nach Lissabon fliegen, das ist doch ganz einfach!“

„Olivia, Papa wartet in Lissabon und wird wie ich ihn kenne, bestimmt verrückt vor Sorge. Werd endlich mal erwachsen, das ist nicht zum Spaßen!“ Sie funkelte mich richtig böse an.

„Bin schon fast erwachsen, schon vergessen?“

Mama verzog säuerlich ihr Gesicht. Sie war das personifizierte schlechte Gewissen. Erst den Flieger verpassen, dann nicht Bescheid sagen und zum Überfluss auch noch Unsummen verplempert zu haben. Am schlimmsten war es, dass sie hier untätig angeschnallt sitzen musste.

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