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8 Von Kajal, Kochshows und andere Kalamitäten Oder: Auf jeden Topf passt ein Deckel. Bis dahin gibt’s Frischhaltebeutel

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Oma sieht aus, wie eine alternde Diva, die nicht glaubt, dass ihre Zeit vorbei ist. Innerlich ist sie immer noch ein übermütiges, neugieriges und liebevolles Mädchen, das wie ein Flumy durch die Gegend hüpft. Sie zieht sich quietschbunt an, nicht wie die fliederfarbenen Seniorensahnetörtchen in Florida wo sie lebt. Sie ist mollig, aber knackig. Und für eine Oma, die Granny genannt werden will, gerade richtig. Zwar meckert sie auch immer an ihrem Gewicht rum genau wie ich.

Ich halte mich wie alle Mädchen, wie alle Frauen, für zu dick. Ich hab keine Modelmaße. Wenn ich den kleinen Hügel unterhalb meines Bauchnabels sehe, falle ich zwar nicht in Schockstarrre und krieg die Zähne nur noch zum Zähneputzen auseinander. Aber ich versuche mehr oder weniger erfolglos die doofe Wölbung einzuziehen. Ich kann machen, was ich will, auch wenn ich zum Skelett abgemagert bin, das vermaledeite Ding bleibt. Granny sagt, das muss so sein. Naja, ihr kleines Butterfässchen möchte ich nicht vor mir her tragen. Aber wer, verdammt noch mal, wer redet uns Frauen ein, dass wir so dünn wie Heidi Klums Hungerhaken sein sollen? Welcher Idiot stellt in den Umkleidekabinen der Klamottenläden Spiegel auf, in denen jede wie ein Walfisch aussieht? Das ermuntert doch nicht zum Kaufen. Man flüchtet und beginnt schnurstracks eine Diät. Ich würde nur Spiegel aufstellen, die schlank machen und die getönt sind, damit man nicht aussieht wie ein Grottenolm. Und das Licht in der Kabine dürfte bei mir nie von oben kommen. Licht von vorne oder den Seiten bügelt die Augenringe weg! Vielleicht sollte ich mal Umkleidekabinendesignerin werden!

Aber ich wollte ja eigentlich die Geschichte von Paulas ungeplanter und unerwarteter Ankunft auf der Quinta erzählen. Sie hört sich an, wie ein Trailer für eine Comedyserie. Von Mal zu Mal schmückten Paul und Moritz alles noch verrückter aus und brachten uns damit zum Lachen. Fakt ist: sie kam völlig überraschend hier an.

Wenn ein Plan nicht funktioniert, dann switcht sie, spontan wie sie ist, um und geht eben nicht zur Koch-Show, sondern fliegt nach Portugal. Dort will sie mit ihrer einzigen und daher liebsten Enkelin Geburtstag feiern, ob es den anderen nun gefällt oder nicht.

Oma pinselt ihre Augen immer an und geht nicht mal zum Mülleimer, bevor sie ihre „Malerarbeiten“, wie sie es nennt, vollendet hat. Neulich, als sie besonders schön für das Casting sein wollte, hatte sie zu heftig gemalert und sich den Kajalstift ins Auge gerammt. Statt glänzend weiß waren die Strahleaugen blutunterlaufen wie von einem Boxerhund. Da half auch die größte Sonnenbrille nichts.

„Schöne Scheiße, jetzt renne ich wieder tagelang mit Augen wie angestochener Stier in der Arena rum!“ fluchte Paula. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich verunstaltete. Fast immer wenn sie aufgeregt, zu spät dran oder nervös war, und immer wenn sie besonders attraktiv aussehen wollte, passierte ihr das. Dabei ist sie auch ohne Kajal noch ziemlich attraktiv für ihr Alter. Fünfundsechzig voll ausgekostete Jahre sieht man ihr nicht an. Mit ihrem Alter kokettiert sie hemmungslos. Und erwartet natürlich ein:

„Oh, wie 65 sehen sie nicht aus. Wie machen sie das denn bloß? Zehn Jahre weniger wären okay.“

Zufrieden schmunzelt Großmutter dann, senkt ein wenig verschämt wie ein kleines Mädchen den Kopf und blinzelt unter ihrem feuerroten Strubbelhaar. Sie lächelt:

„Ich schlafe im Frischhaltebeutel!“

Ja, und wenn sie sich mit dem Kajalstift das Weiß der Augen malträtiert hatte, dann sieht das eben nicht mehr so jung und knackig aus. Dabei wollte Paula nun wirklich gut aussehen. Sie hatte sich zum Casting für eine Koch- Show angemeldet.

„Ich wollte den Amis zeigen, wie man gute Semmelknödel mit Pfifferlingen zaubert!“

Extra für die Show hatte sie sich ein Shapingkleid gekauft. Es saß wie eine Wurstpelle, hielt ihre etwas üppigen Formen zurück. Paula findet es nämlich grässlich, wenn mollige Köchinnen in Koch-Shows die Schürze mit dem Sendungslogo eng über dem Bauch binden und aussehen wie schwangere Flusspferde. Komisch, bei den männlichen Teilnehmern findet sie es ganz okay, wenn man sieht, dass sie gerne und lustvoll essen und trinken.

Paulas Augen tränten. Sie sah sich im Spiegel an: „Total verheult oder abgesoffen!“

Sie träufelte Notfalltropfen in die Augen. Es wurde nur schlimmer, statt besser.

„Ich sage das Casting ab! Da macht man sich ja sowieso nur zum Affen und wenn man dann eventuell Sieger wird, was dann??? Ist man dann berühmt? Will ich das sein?“ fragte Oma sich. Nee, nicht durch eine Koch Show. Sie wollte schon als junges Mädchen berühmt werden. Sie wollte Erfolg als Schriftstellerin haben wie Francoise Sagan mit ihrem „Bon jour Tristesse“. Oder als Malerin wie Georgia O‘Keefe reüssieren, in grellrotem Häkelkleid mit knalligem Hippie-Kopftuch auf Vernissagen gelobt und geliebt werden. Aber irgendwie kam ihr das richtige Leben immer dazwischen.

Koch-Show? War eine blöde Idee. Ihr kam ein besserer Einfall:

„Ich fahr als Überraschung nach Portugal.“

Dort ist die „Quinta velha“, die sie von ihrem unbekannten Großvater zur Geburt geschenkt bekommen hatte. Sie und Herbert, ihr Mann Nummer zwei, hatten das verfallende Gebäude in den siebziger Jahren renoviert. Das war noch vor der portugiesischen Revolution. In den Sechzigern war sie schon mal mit Herbert da. Sie hatten zusammen eine Interrailtour gemacht und sind dann an der Algarve gelandet. Dort fiel meiner zukünftigen Großmutter ein, dass sie ein altes Bauernhaus an der herrlichen Küste geerbt haben sollte. Neugierig erkundigte sie sich bei der Camera nach der Quinta des Opas, die ja jetzt eigentlich ihr gehörte. Ein paar Telefonate später hatte sie die Adresse. Den Schlüssel holten sie auf der Freguesia, das ist die Gemeindeverwaltung, ab. Man erinnerte sich an den Großvater und es gab weiter keine Probleme.

Das Haus, verfallen und runtergekommen, wurde für einige Wochen ihr Liebesnest. Dass man durchs Dach schauen konnte, machte nichts. Es regnet nicht im Sommer an der Algarve.

„Da hol ich dir die Sterne direkt vom Himmel.“ flüsterte Opa in Spe verliebt in ihr Ohr. Von der Algarve und ihren Schönheiten sahen sie logischerweise nicht viel. Sie erkundeten lieber intensiv die gegenseitigen Körperlandschaften. Es kam, wie es kommen musste. Sie traten die Rückreise nicht zu zweit, sondern zu dritt an. Noch ahnten sie es nicht.

Als sie es realisierten, war Paula schon im dritten Monat, überglücklich, aber eben nicht fertig mit dem Kunststudium. Herbert hatte gerade sein erstes Staatsexamen gemacht und begann das Referendariat an der Mittelschule. Da war von der Quinta keine Rede mehr.

Paula hatten allerdings noch ein paar „Problemchen“ zu lösen: Sie war offiziell noch mit ihrem ersten Mann Jan verheiratet. Von dem musste sie sich nun dringend trennen. Mit fünfzehn hatte sie sich Hals über Kopf in den schönen Jan verliebt. Mit ihm haute sie ab und sie heirateten in Schottland. Eine Nacht in dem schottischen Dorf verbracht und schon konnte der Schmid von Gretna Green, den Bund fürs Leben besiegeln.

Paulas Eltern waren zwar keine Hellseher, aber sie sagten ihr voraus, dass schief gehen würde. Die Scheidung von der ersten großen Liebe ihres Lebens“ ging schnell und unkompliziert. Lächelnd dachte Paula zurück, als sie jetzt mehr als vierzig Jahre später vor der Quinta stand.

Es war so schön da unten an der Steilküste der Algarve. Wie hatte Paula die Ferien dort geliebt, manchmal dachte sie daran, für immer zu bleiben. Aber dann hatte Herbert, Ehemann Nummer zwei und Vater ihres einzigen Sohnes Bernd sich in eine englische Touristin verguckt. In einer großen Clique hatten ist gefeiert und ordentlich gebechert und keiner wusste so genau, wer zu wem und warum er gehörte. Folge war, dass mein zukünftiger Großvater ausgerechnet nach dieser weinseligen Orgie verblich er in den totenbleichen Armen einer englischen Schlange einem Herzinfarkt erlag. Paula war so sauer, dass sie überhaupt nicht trauern konnte. Und dann verstreute Paula ihren Herbert wunschgemäß bei einem heftigen Sturm im Atlantik und verließ Portugal so schnell wie möglich.

Oma Paula gab nicht lange die trauernde Witwe. Sohn Bernd, dessen Schicksal es war, später mal mein Vater zu werden, war aus dem Gröbsten raus. Ihm ging das Betüddeln seiner Mama auf den Geist und er freute sich, dass er nun ins Internat durfte. Gottseidank hatte Herbert für Paula eine schöne Lebensversicherung und eine üppige Witwenrente hinterlassen, so dass sie sorgenfrei durch ihr wildes, verrücktes und immer neu verliebtes Leben surfen konnte.

Paula startete in Florida mit Jürgen, Ehemann Nr. drei und dessen Nachfolger Noname Nr. vier noch mal durch. Die Quinta in Portugal geriet bei ihrem aufregenden Leben total in Vergessenheit. Die beiden Ehemänner starben in angemessenen Abständen nacheinander. Paula schwor, nicht nachgeholfen zu haben. Aber sie war nicht böse, wieder selbstbestimmt leben zu können.

Der Kontakt zu Bernd und uns war äußerst locker. Bernd schickte als braver Sohn ihr hin und wieder Mails mit Fotos von mir und hielt sie ein wenig auf dem Laufenden. In der letzten Mail stand:

„Wir feiern Olivias 18. Geburtstag in Portugal!“

Seit meinem 10. Geburtstag hatte Paula mich nicht gesehen. Nun war es höchste Zeit, den Scheck zum Geburtstag persönlich abzugeben und „die süße Kleine“, wie sie mich nannte, in Augenschein zu nehmen.

Wie es da wohl auf der Quinta aussah?

Paula wusste, dass Bernd jährlich runterfuhr. Als begeisterter Golfer wohnte er dort zusammen mit seinen Sportfreunden. Er habe mit den Kumpels die „Bude“ wieder hergerichtet. „Bude“ nannte er das Kleinod! Also wirklich. Oma hatte sich bei Papa empört, dass er das Haus als Bude bezeichnete.

Plötzlich bekam Paula Lust, nach Portugal zu fliegen. Ohne lange nachzudenken gab sie alle anderen Pläne wie Koch Shows und Dinner Partys auf und schwang sich an Bord einer Boeing 707. In Faro angekommen, mietete sie ein Taxi und ließ sich zur „Quinta velha“ chauffieren. Einen Schlüssel hatte sie keinen, der lag, wie sich das gehört, normalerweise entweder unter der Fußmatte oder im riesigen Oleandertopf neben der Eingangstür mit der bronzenen Fatima-Hand.

Paula schlüpfte aus dem Taxi und schulterte ihren Rucksack. „Wenn man viel reist, muss man mit Rucksack und Microfaserkleidung unterwegs sein.“ war ihre Devise. Ein Rock, zwei T-Shirts, eine lange Jeans am Körper, eine fluffige schwarze Hose (für gut) mit passendem Oberteil( für gut und für alle Fälle). Ein paar bunte Pashmina-Schals, fertig. Dann noch Waschzeug und Kosmetika. Für Bodylotion, Duschgel, Shampoo und Seife bediente Paula sich in den Hotels. Die Minipackungen waren klein und leicht und außerdem wurden sie ja doch weggeworfen, wenn der jeweilige Gast auszog. Also, Paulas Gepäck war Mini und entsprach nicht ihrem Alter. Am schwersten waren noch ihr kleiner Malkasten und das fette Skizzenbuch, ohne die sie nie verreiste.

Seit neuestem schleppte sie noch ein Tablet PC mit. Kein IPad, das kam für sie nicht in Frage, nachdem sie eine Sendung über die Arbeitsbedingungen bei Apple gesehen hatte. Meine Oma ist begeisterte Facebook-Nutzerin. Wenn auch die meisten ihrer Altersgenossen kein Verständnis für Facebook und Co zeigen, verteidigte sie ihre Leidenschaft:

„Ich liebe mein Facebook und die Nachrichten meiner jungen Freunde. Morgens wenn ich die Seiten aufrufe, habe ich jede Menge netter oder blöder Nachrichten. Die meisten sind nicht direkt an mich gerichtet, trotzdem habe ich das Gefühl, jemand schreibt mir und denkt an mich. Die echten E-Mails werden ja immer weniger. Wir Freunde telefonieren mit Skype oder per WhatsApp und schreiben keine Brief mehr!“

„Weißt du, Granny, ich wundere mich, mit welchen Belanglosigkeiten Facebook Seiten zugemüllt werden. Sonnenuntergang hier, Sonnenuntergang da. Das Essen gestern, der Pups vom Boxerhund Bobby und das Futter von Goldhamster Lily. Ich habe diese endlosen frommen Sprüche auf Facebook satt. Warum leiten die Leute sowas weiter? Wenn sie wirklich erleuchtet sind, sollen sie es doch sein. Und uns mit solchen Sprüchen in Ruhe lassen wie: „I belong to no religion, my religion is love, every heart is my temple.” Und wenn schon? Und Granny, ich freu mich immer, wenn zum Geburtstag oder Weihnachten ein echter Brief von dir kommt.“

„Ja, in eine E-Mail kann man auch keine Dollars stecken, oder?“ grinste sie mich an. Tatsächlich kamen mit ihren „altmodischen“ Briefen immer kleine Taschengeldspenden, die ich natürlich gut brauchen konnte.

Aber zurück zu Omas Landung auf der Quint Velha: Paula stand also in der Mittagshitze vor dem Haus, in dem sie fröhliche Tage und Nächte verbracht hatte. Wo waren die Jahre nur geblieben? Die Jahre waren vorbeigerauscht. Sie fühlt sich immer noch so wie damals, ihr Körpergefühl hatte sich nicht geändert. Nur die Waage sprach eine andere Sprache! Innerlich fühlte sie sich rank und schlank. Zu ihrem Leidwesen sah sie mit den im Laufe der Zeit erworbenen Rundungen wie eine steinzeitliche Fruchtbarkeitsgöttin aus! Oder besser Furchtbarkeits-Göttin! Die Ablagerungen auf den Hüften brachten auch ein weiteres Plus an Lebenserfahrung nach vier Ehemännern und etlichen anderen Lieb- und Leidenschaften.

Paula klopfte mit der Fatima-Hand kräftig an die hohe Tür. Nichts regte sich.

„Wo ist denn der verflixte Schlüssel?“ murrte sie. An den bekannten Plätzen war nix. Der Oleander im Riesentopf trocknete vor sich hin, aber kein Schlüssel unter dem Laub. Auch unter der Matte nix. Sie ging ums Haus. Kein Auto im Car-Port, also war auch keiner da.

„Hätte wohl besser mailen sollen, dass ich komm...“ murmelte sie vor sich hin.

Die Filteranlage an der Zisterne summte leise, ein paar Zikaden schrien die Mittagsstille kaputt. Das Meer wehte eine leichte Brise Salzluft rüber. Sonst nichts. Kein normaler Mensch war um diese Zeit draußen. Siesta. Nach der langen Reise sehnte Paula sich auch nach einem kühlen Schattenplätzchen und etwas für die trockene Kehle.

Granny erinnerte sich an das kleine Fenster an der Speisekammer. Da war sie, bzw. ihr Lieblingssohn – weil einziger Sohn - Bernd immer eingestiegen, wenn sie sich ausgesperrt hatten. Was Bernd konnte, kann ich auch. Oma kletterte auf die portugiesische Waschmaschine, die unter dem Fenster steht. Sie schubste das Fenster auf und hievte sich hinauf. Bis zur Taille war sie drin. Aber auch nicht weiter! Bernd war ein kleiner Junge gewesen, der einfach so durchgeschlüpft war!

Sie kam weder vor noch zurück. Wo man reingekommen ist, kommt man auch raus. Paula stöhnte, ächzte, zerrte, zappelte mit den Beinen und versuchte mit den Armen das Regal in der Speisekammer zu erreichen, um sich zurück zu stemmen. Vergebens, sie kam weder vor noch zurück!

„Pst, da war ein Geräusch!“ Moritz legte den Finger auf die Lippen. Er schlüpfte aus den Flip-Flops. Mit diesen Plastiklatschen kann man sich ja nicht anschleichen. Moritz hielt den rechten Arm vor sich ausgestreckt, in der Hand die Schreckschusspistole aus Bernds Nachttisch, an der anderen Hand schleppte er Paul hinter sich her, der mühsam wach wurde. Er hatte gerade so wunderbar geträumt....

Und dann passierte das, was alle Beteiligten in immer neuen Variationen erzählten und über die ich mich kaputt lachen konnte.

Das kratzende, zappelnde Geräusch kam aus Richtung Speisekammer.

„Stehen bleiben oder ich schieße“ Moritz’ Stimme überschlug sich, kiekste. Vorsichtshalber blieb er noch hinter der Tür in der großen, kühlen Küche.

„Nicht schießen, ich bin‘s, Paula!“

Moritz ließ Pauls Hand los, öffnete vorsichtig die Tür zur Speisekammer. Dunkelheit.

Dort, wo sonst das kleine Oberlicht ist, steckte jetzt ein reifer weiblicher Busen mit feuerrotem Lockenkopf und zappelnden, molligen Armen. Silberne Armreifen klapperten aufgeregt dazu.

„Was ist das denn?“ kreischte Moritz.

Paul, jetzt hellwach übernahm das Kommando:

„Was mache sie denn da?“

„Sehen sie doch.“

„Und was soll das werden? Bitte schön?“

„Ich will ins Haus!“

„Dafür gibt es eine Tür!“

„Ich hab den Schlüssel nicht gefunden und da hab ich gedacht, klettre ich durchs Fenster. Früher kamen wir immer ohne Probleme hier durch. Die andern Fenster sind alle vergittert.“

Paula ächzte und strampelte heftig wie Kind bei Trockenübungen im Schwimmkurs.

„Es geht weder vor noch zurück.“ Paulas hochroter Kopf war kurz vor dem Platzen. Paul lehnte unterhalb des drohend wogenden Busens an der Wand und kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Höchste Zeit für eine Diät!“ lachte Moritz.

„Speck fängt Mäuse!“ gab Paul obendrauf.

„Das ist kein Speck, “ kreischte Oma nervös, „das ist meine Reserve für Dürrezeiten und zudem erotische Nutzfläche!“

„Die lassen wir jetzt erst mal hängen, weil sie uns so erschreckt hat.“

„So lang könnet mir sie net im Fenschter stecke lasse, bis sie durchpasst dauert des Jahre!“

„Wer sind sie überhaupt? Wie können sie einfach hier einbrechen und unsere Siesta stören?“ fragte Moritz streng, obwohl er innerlich platzte vor Lachen.

„Mir gehört das Haus!“ stöhnte Paula, die am Ende ihrer Kräfte war. „Helft mir doch endlich!“

Da erbarmten sie sich. Moritz rannte in den Küchenpatio:

„Also, ran an die erotische Nutzfläche! Sie sind sicher Olivias verrückte Oma!“ Moritz schob kräftig das weiche, runde Hinterteil der unverhofften Besucherin. Zu kräftig. Paul in der Speisekammer konnte Paula nicht halten und beide plumpsten auf den Marmorboden. Dabei riss Paula noch etliche Flaschen Rotwein mit in die Tiefe. Sie lag auf Paul wie ein Pillendreher auf seiner Pille. Moritz setzte sich mit einem Lachanfall daneben. Paul erstickte fast unter Paula: „Die männermordende Granny.“

Paula rappelte sich hoch, zupfte die hochgerutschte Bluse runter. Sie verdeckte verschämt ihren „Zugewinn“ wie sie es nannte.

„Mein Körper und ich, wir sind eine klassische Zugewinngemeinschaft. Zumindest in der Taille, da hab ich jedes Jahr einen Zentimeter zugewonnen.“ Die knallorange Hose, die sie jetzt hoch zerrte, hatte einen figurfreundlichen Gummizug für die nicht vorhandene Taille.

Paula rannte raus in den Patio: „Ich ersticke in den Weindünsten! Sonst hab ich ja nichts gegen einen leckeren Wein!“

„Da müsst i dir den Göttertrank grad abschlecke! Aber wie hesch gsagt: des isch erotische Nutzfläche? “ Pauls Spott brannte wie Weinessig.

Paulas blutroter Mund bildete eine scharfe Linie mit strahlenförmigen Linien drum rum. Mit zugekniffenen Augen musterte sie Paul von oben bis unten. Sie verkniff sich einen Kommentar und hob die Nase in die Höhe.

„Grad schad um die gute Tröpfle! I wisch des glei nochher weg!“ murmelte Paul und kam auch raus.

„Vom Boden oder von wo?“ fragte Moritz grinsend.

Noch immer etwas benommen starrte Oma plötzlich Paul verblüfft an:

„Wir kennen uns?“ Paula ließ sich wieder draußen im Hof auf die portugiesische Waschmaschine plumpsen.

„Sie sind doch der Paul aus der Volkshochschule?“

Moritz begriff gar nichts: „Ist Paul nicht ihr Exmann? Olivias Opa??“

Paula lachte ihr gurrendes Lachen:

„Der hier? Mein Ex? Oder einer meiner vielen Exen? Du lieber Himmel, ich leide doch nicht an Geschmackverirrung! Und übrigens Ehemann Nummer zwei, Bernds Vater, ist nicht mein Ex. Der ist mausetot.“

Paul lachte auch:

„ Exitus ist nicht EX. Entschuldige, Moritz, aber des isch definitiv nicht meine EX und i bin net Olivias Opa. Paula kenn i als gelangweilte, grüne Witwe. Und des mit der Gschmacksverirrung war gegenseitig!“

Dabei musterte er die etwas zerzauste Paula: „Da war i noch ein berühmter Maler in Spe. Und diese exzentrische Dame da hatte einen Volkshochschulkurs bei mir belegt.“

Paulas finstre Mine erhellte sich, sie stieß einen schrillen Schrei aus:

„Ja, und jetzt hab ich‘s: Du bist Paul. Paul, der wilde Hund. Der Paul, der nichts anbrennen ließ.“

„Aber di scho!“

„Und warum eigentlich? Ich war damals doch ganz knusperig, oder?“

„Weil du Paula heisch und alle schon ihre saudumme Schpässle über Paul und Paula gmacht hatte.“

„Stimmt, damals fand ich meinen Vornamen ziemlich altbacken und doof. Heute ist er ja Mode!“

Sie starrte den kleinen putzigen Paul ungläugig an:

„Und dann heißt der Lehrer auch noch Paul, nee, das war auch nix für mich! Außerdem war ich sehr intensiv verheiratet.“

„Ja, so trifft mer sich. “ lachte Paul und sein nackter braungebrannter Bauch hüpfte vor Vergnügen. „Schöne Zeiten damals. Du warsch zwar en steiler Zahn, aber du hasch so jessesmäßig angegeben. Hasch immer von deim tollen Ehemann gschwärmt und wie verliebt du in ihn wärsch. Da hab i mir die Müh nicht gemacht. Außerdem war‘s Lehrern streng verbote, was mit de Schülerinne anzufange.“

„So viel ich mich erinnern kann, hast du dich aber nicht daran gehalten.“ Oma ging lachend in die Küche und angelte ein Handtuch, um sich den Rotwein von der Hose zu wischen.

„ Des weisch du noch? Mich ham se tatsächlich rausgschmisse und aus wars mit dem Job!“

„Ich dachte schon, dass ich nicht attraktiv genug für dich gewesen wäre. Das Malen bei dir war sowieso totlangweilig! Immer nur grundieren! Mein Liebster war viel spannender!“ neckte Paula den grinsenden Paul.

„Verstehe ich nicht, ich denke der war tot!“ staunte Moritz.

„Damals noch nicht. Den Scherz hat er sich erst viel später geleistet!“ Paula streckte sich:

„Genug Familienstorys. Jetzt muss ich erstmal duschen und ein Nickerchen machen.“

Paula holte ihren kleinen Rucksack. Sie steuerte schnurstracks ihr ehemaliges Schlafzimmer an.

„Da kannsch du net nei, das isch der Masterbedroom!“ sagte Paul, der barfuß hinterher geschlurft kam.

„Ja, und? Na, hör mal, das war immer mein Zimmer. Ich nehme es. Basta!“

Paul wollte sich nicht mit Paula anlegen. Lass sie doch, dachte er. Der Bernd wird das schon richten.

Nachdem Paula genüsslich geduscht hatte, überlegte sie, ob sie den Badeanzug anziehen sollte. Ihre Speckröllchen waren nicht zu übersehen. Aber es war ihr einfach heiß. Bei Moritz und Paul wollte und musste sie nicht unbedingt Eindruck schinden. Zumindest nicht mit einer perfekten Figur. Witz und Charme sind Paulas Mittel, Menschen bzw. Männer in ihren Bann zu ziehen. Sie schlüpfte in den schwarzen Badeanzug, schlang einen bunten Pareo um den Bauch, angelte die orangen Pantoletten und näherte sich dem Pool. Der blonde Junge und Paul, der Möchtegernkünstler hoben nicht mal die Augen.

Paula sprang, ohne sich abzukühlen mit einem Satz in den Pool, tauchte lange unter, tauchte prustend auf und jubelte:

„Einfach toll so‘n kühles Wasser. Das hab ich jetzt gebraucht!“ Und die beiden „Jungs“ starrten sie überrascht und beeindruckt an.

Mühsam kletterte sie die Badeleiter hoch, rubbelte ihr feuerrotes Haar und ließ sich auf die freie Liege neben Moritz fallen. Der blätterte wieder in seinem Comic. Paul lag platt wie eine Seezunge auf der Liege. Er tat so, als hätte er den Tsunami namens Paula nicht mitgekriegt und schnarchte leise vor sich hin. Er holte die unterbrochene Siesta nach. Mit tropfendem Haar beugte Paula sich über Moritz und flüsterte:

„Sag mal, wo ist denn meine Familie?“

Moritz schob die Sonnenbrille in seine Haarpracht: „Gute Frage. Das wüssten wir auch gerne. Irgendwie haben sie ihren Flug verpasst. Aber sie kommen demnächst.“

„Und mein Bernd?“

„Das ist ein Problem. Er sollte seine Mädels in Lissabon am Flugplatz abholen. Anscheinend hat er keine Ahnung, dass sie nach Faro fliegen. Wir können ihn nicht erreichen.“

Paula hockte sich auf, rubbelte ihr rotes Haar mit dem grünen Frotteetuch, das neben Moritz‘ Liege lag. Sie grinste: „Das zum Thema moderne Kommunikationsmittel. Früher hat man einfach von einem Telefonhäuschen aus angerufen. Heute gibt’s entweder ein Funkloch, einen leeren Akku oder kein Festnetz im Haus!“

„Das ist mein Handtuch!“ flüsterte Moritz und zog kräftig daran.

„Ach du lieber Himmel, wir sind etepetete. Mein Handtuch, meine Liege“ sie holte Luft, „und mein Haus, du kleiner Spießer!“

Paula streckte sich auf der Liege aus, sie betrachtete ihre himmelblauen Zehennägel und machte ein paar Streckübungen. Es kehrte Ruhe ein. Nur die Eukalyptusblätter verströmten betäubend ihren Duft.

Moritz knirschte mit den Zähnen. Diese Oma war wohl echt alternativ und hielt die Quinta für eine Kommune. Aber das grüne Handtuch hatte ich ihm zum Geburtstag geschenkt. Vor drei Wochen hatte er mich noch nach dem Bad damit abgerubbelt und seither nicht gewaschen, weil immer noch mein Duft drin war.

Dann grinste er in sich hinein: „Sie denkt halt wir sind eine große Familie!“

Wenig später besorgte Paul Eis und eine kühle Sangria. Paula, von der Reise noch nicht ganz angekommen und vom Wein benebelt, döste zufrieden in der Nachmittagsshitze.

Wie oft hatte Bernd seiner Mutter gemailt: „Du wirst die Quinta nicht wieder erkennen.“

Und wie oft hatte sie zurückgemailt, dass ihr das Haus „wurscht“ sei. So tief saß wohl noch der Stachel des Betrugs. Telefonieren war zwischen Paula und ihrem Sohn tabu, man wusste nie, ob man stört. Simsen, appen und Mails kennen keine Uhrzeit.

Jetzt nach zig Jahren war sie zum ersten Mal wieder im Haus auf dem Hügel über dem Meer. Sie hätte es wirklich fast nicht wieder erkannt. Geteerte Straße. Früher nur staubige Feldwege, eingezwängt von hohen Mauern. Da kam kaum ein Auto durch und wehe, wenn einem ein Eselskarren begegnete. Schade eigentlich, mit Eselskarren und hohen Steinmauern war alles gemütlicher und gemächlicher. Jetzt verunstalteten Laternen, die wie die Vorderbeine gigantischer Gottesanbeterinnen in kurzen Abständen in den Himmel ragten, die Küstenstraße. Jeden Abend veranstalteten sie eine spektakuläre Lightshow, die man sogar aus dem All bewundern konnte. Auf der malerischen Felsenküste protzen gigantische Ferienvillen in exotisch angelegten Gärten. Freilich sahen die Gärten irgendwie ausgefranst aus. Die prächtigen Palmen werden nach und nach Opfer des ebenfalls exotischen Palmrüsselkäfers. Während der Taxifahrt sah Paula, was sie nur in der Zeitung gelesen hatte. Und sie hatte sich ins Fäustchen gelacht: Palmen gehören nicht nach Portugal. Hier sind nur niedrige Palmbüsche heimisch.

Die traurigen Palmenstämme ohne fächelnde grüne Blätter vor der eigenen Quinta stimmten sie dann doch melancholisch. Paula hatte die beiden Pälmchen eigenhändig vor dem Eingang gesetzt. Damals waren sie je einen Meter hoch. Nach Jahren, als sie stolze vier Meter maßen, mussten sie ihr Leben den gefräßigen Maden des Palmrüsselkäfers opfern. Und jetzt stand das nur struppige, trockene Mahnmal zur Begrüßung der Besucher vor der Quinta. Ob die Palmen nun in Portugal heimisch sind oder nicht. Palmen sind überall auf der Welt ein Symbol für Sommer, Sonne, Ferien. Schade.

Nach dem filmreifen Ende von Herbert war Paula nie mehr hierhergekommen. Mein Großvater, der Vater von Bernd, war auch Paulas liebster Ehemann gewesen und die Zeit mit ihm hier gehörte zu den schönsten in Omas Leben. Wenn nicht die Geschichte mit der marzipanfarbenen Engländerin gewesen wäre. Na ja, Zeit heilt Wunden... Aber man vergisst nicht!

Sie hatten die kleine „Quinta velha“, ein ehemaliges Herrenhaus, von dem fast nur die Fassade, die große Küche und der „Salon“ übrig waren, gemeinsam ausgebaut. Ganz nach portugiesischer Art klebten sie Zimmer für Zimmer und die große überdachte Terrasse an das Haupthaus.

Nun war Paula wieder hier und erkannte wirklich nichts mehr. Ihr Sohn hatte alles vom Feinsten renoviert, die Fassade war persilweiß gestrichen und die Fenster zart umrahmt. Er hatte doppelverglaste Schiebetüren und -fenster eingebaut, Strom und Wasser gelegt und sogar eine Satellitenschüssel auf der Dachterrasse platziert.

Immer wieder hatte Papa per Mail seiner Mutter von den Baufortschritten berichtet. Je mehr er schrieb, desto weniger zog es Paula in das Fischerdörfchen. Nun war sie doch nach Europa gekommen. Florida und ihr dortiger Lebensabschnittsgefährte langweilten sie mehr und mehr. Immer Bingo und Cocktailpartys an den verschiedenen Pools mit all den völlig überdrehten, lilafarbenen Grauköpfen war nicht ihr Ding. Und die Bewerbung zur Koch Show war eine Schnapsidee. Warum in aller Welt wollte sie den Amis das Kochen beibringen? Nee, da schaute sie sich nach all den Jahren mal ihre Kernfamilie an.

Sie lag am Pool und dachte nach. Paula war zufrieden mit sich und der Welt und der kleine Schnösel neben ihr war doch ein goldiger Kerl. Einfach zum Anbeißen. Da hatte sich Olivia was Nettes ausgesucht!

Granny, wie sie sich nannte, freute sich auf mich, auf Bernd und wer weiß, auch auf Martina. Mit Paul und Moritz würde sie auch noch fertig werden!

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