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I. Die Entwicklung des Arbeitsstrafrechts
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Bereits in der vorindustriellen Zeit gab es erste Ansätze eines „Arbeitsstrafrechts“,[1] wonach etwa ein Arbeitgeber, der einen Handwerksgesellen einstellte, der weder Wanderbuch noch „Entlassungsschein“ vorlegen konnte, mit Sanktionen zu rechnen hatte.[2] Auch Arbeitszeit- und Lohnschutzregelungen waren in einigen deutschen Staaten des 17. Jahrhunderts bekannt.[3] Anders als in der heutigen Diskussion um Mindestlöhne wurden seinerzeit teilweise Maximallöhne zum Schutz der Arbeitgeber festgesetzt.[4]
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Die Wurzeln des heutigen Arbeitsstrafrechts im hier verstandenen Sinne liegen jedoch im 19. Jahrhundert;[5] seine Entwicklung ist untrennbar mit dem Bedürfnis nach Schutz der Arbeiter- bzw. Arbeitnehmerschaft angesichts frühkapitalistischer Auswüchse verbunden:[6] Erste – noch zaghafte – Schutzbestimmungen zugunsten von Arbeitnehmern, deren Verstoß sanktioniert wurde, finden sich in der Gewerbeordnung von 1845 sowie der Reichsgewerbeordnung von 1869.[7] Ende des 19. Jahrhunderts wurde eine Reihe von Gesetzen zum Arbeitnehmerschutz erlassen, etwa das Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884[8], das Gewerbegerichtsgesetz vom 29.7.1890[9] sowie insbesondere das Arbeiterschutzgesetz vom 1.7.1891.[10] Während das Unfallversicherungsgesetz für Verstöße des Arbeitgebers nur die Einstufung in eine höhere Gefahrenklasse vorsah,[11] erlaubten Gewerbegerichts- und Arbeiterschutzgesetz Ordnungsstrafen und echte Kriminalstrafen. Implementiert wurde auch im Gesetz betreffend der Krankenversicherungen der Arbeiter vom 15.6.1883[12] der strafbewehrte Schutz der Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung.
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In der Weimarer Republik erlebte das Arbeitsstrafrecht eine wahre Blütezeit: Der Gesetzgeber erließ eine Fülle strafbewehrter Normen zum Schutz der Arbeitnehmerschaft, deren Adressat naturgemäß (auch) der Arbeitgeber war. Zu nennen sind hier insbesondere das Betriebsrätegesetz vom 4.2.1920[13], das Arbeitsnachweisgesetz vom 22.7.1922[14], das Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16.7.1927[15], die Verordnung über die Arbeitszeit vom 21.12.1923[16] und das Reichsknappschaftsgesetz vom 23.6.1923[17]; die Sanktionen für Verstöße gegen die Unfallverhütungsvorschriften wurden überdies durch das 2. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 14.7.1925[18] drastisch angehoben. Ein Arbeitsschutzgesetz von 1926 kam hingegen nicht über das Entwurfsstadium hinaus.[19]
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Das Arbeitsstrafrecht wurde in der Weimarer Republik wissenschaftlich umfangreich aufgearbeitet; verwiesen sei hier nur auf die bereits angeführten Darstellungen von Alsberg („Arbeits- und Finanzstrafrecht“, 1931) und Geisseler („Arbeitsstrafrecht“, 1933). Arbeitsstrafrecht wurde als Arbeits- bzw. Arbeiterschutzstrafrecht verstanden.[20] 1928 war – mit Sinzheimer als Gutachter – „Der strafrechtliche Schutz der Arbeitskraft“ Gegenstand der Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentags.[21] Dem Arbeitsstrafrecht wurde in dieser Diskussion eine hohe moralische und verantwortungsvolle bzw. geradezu Verantwortung aufbürdende Bedeutung beigemessen; prägnant findet sich dies etwa bei Alsberg, nach dem „aus der hohen ethischen Verpflichtung, das wertvollste Gut der erwerbstätigen Volksschichten zu schützen, positive Bestrebungen zu einem speziellen Ausbau des Arbeitsstrafrechts entspringen müssen.“[22] Verletzungen gegen Arbeitsschutzbestimmungen müssten daher – so Alsberg – nicht nur als bloße Ordnungswidrigkeiten, sondern als echte Straftatbestände geahndet werden.[23]
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In der NS-Zeit gab es zu Beginn erhebliche Bestrebungen zum Ausbau eines Arbeitsstrafrechts; dieses sollte zur Unterstreichung seiner Bedeutung im Kernstrafrecht des StGB, unter anderem im Rahmen eines eigenen Abschnitts „Angriffe auf die Arbeitskraft“ geregelt werden; der Entwurf entsprach allerdings letztlich nicht den Erwartungen der Nationalsozialisten.[24] Im Zuge des 2. Weltkriegs wurden Arbeitgeber und insbesondere Arbeitnehmer mit teilweise drastischen Strafandrohungen für Verstöße gegen die staatlich – überwiegend zur Kriegsproduktion – festgesetzten Arbeitsaufgaben konfrontiert.[25]
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In der Bundesrepublik soll das Arbeitsstrafrecht – so Hahn in seiner Monographie aus dem Jahre 1992 – „weiter stark zurückgedrängt worden“ sein.[26] Dieser Einschätzung kann jedoch nicht gefolgt werden: Die Analyse beruht vor allem darauf, dass Hahn – anders als die Verfasser und die mittlerweile wohl einhellige Literatur[27] – Ordnungswidrigkeiten nicht vom Begriff des Arbeitsstrafrechts erfasst sieht. Überdies berücksichtigt diese Einschätzung naturgemäß nicht die Entwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte, in der es zu einer Implementierung zahlreicher Straf- und Bußgeldvorschriften kam, etwa im SchwarzArbG, im AEntG, im ArbZG oder im ArbSchG. Statt einer Entpönalisierung ist mithin eine zunehmend straf- und ordnungsrechtliche Reglementierung des Arbeitslebens zu konstatieren.