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KAPITEL VIER

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Während Riley sich geistig darauf vorbereitete in die Psyche des Mörders vorzudringen, kreuzte ihr Blick sich einen Augenblick lang mit Bills. Er stand da, neben den anderen, und beobachtete sie. Sie sah, wie Bill nickte, da er offensichtlich verstanden hatte, dass sie alleine gelassen werden wollte um ihre Arbeit zu machen. Jenn lächelte zurückhaltend, als auch sie zu begreifen schien, was Riley vorhatte.

Bill und Jenn machten kehrt und begleiteten Sturman und Brennan zurück ins Haus, nachdem sie die Kellertür hinter sich zuzogen.

Riley blieb alleine zurück und schaute erneut auf das kaputte Türglas. Dann ging sie hinaus, schloss die Tür und fand sich in dem adretten kleinen Hinterhof wieder. Es gab einen kleinen Gehweg gleich hinter dem Zaun am Rande des Hinterhofs.

Riley fragte sich, ob der Täter über diesen Weg zum Haus gelangt war.

Oder war er von der Straße aus zwischen zwei Häuser geschlüpft –– Robins und das eines Nachbarn?

Wahrscheinlich über den Gehweg.

Er hätte sein Auto in einer benachbarten Nebenstraße parken, den Gehweg hinunterlaufen und heimlich durch das Hintertor schlüpfen können. Dann war er durch den schmalen Hinterhof zur Hintertür geschlichen und…

Und dann?

Riley holte ein paarmal langsam und tief Luft um sich vorzubereiten. Sie stellte sich genau vor, wie der Hinterhof zu der frühen Stunde ausgesehen haben muss. Sie konnte beinahe das zirpen der Grillen hören und die angenehme kühle Luft einer Septembernacht auf ihrer Haut fühlen. Wahrscheinlich hatte es ein wenig Licht von den Straßenlaternen, aber kaum Licht von den Häusern selbst gegeben.

Wie hatte der Mörder sich gefühlt, als er sich auf seine Aufgabe einstimmte?

Gut vorbereitet, dachte Riley sich.

Schließlich hatte er sein Opfer offensichtlich im Voraus ausgewählt und wusste einige wichtige Einzelheiten über sie, unter anderem, dass sei ein amputiertes Bein hatte.

Riley schaute erneut auf das zerbrochene Glas. Nun erkannte sie, dass die Abklebefolie fast haargenau auf die Größe des Glases in der Tür zugeschnitten war. Das bedeutete sicherlich, dass er wohl genau hier gestanden und die Folie zugeschnitten selbst im schwachen Morgenlicht zugeschnitten hatte, wahrscheinlich mit einer Schere.

Erneut kam Riley dieses Wort in den Sinn…

Penibel.

Doch was mehr war, er was ruhig und geduldig gewesen. Riley spürte, dass der Mörder komplett leidenschaftslos geblieben war –– er hatte kein bisschen Wut oder Rachesucht in sich. Ob er das Opfer persönlich gekannt hatte oder nicht, er hegte keinerlei feindseelige Gefühle ihr gegenüber. Der Mord war im allerweitesten Sinne kaltblütig gewesen.

Fast steril.

Sie ballte die Faust und imitierte den vorsichtigen aber festen Schlag, mit dem er das Glas zerbrochen haben musste. Noch bevor sie die Bewegung vollendet hatte, überkam sie plötzlich ein akutes Unbehagen.

Hatte er mehr Lärm verursacht, als erwartet?

Sie erinnerte sich, eine Glasscherbe auf dem Boden hinter der Tür, im Inneren des Hauses, gesehen zu haben. Ein Stück Glas war trotz seiner Vorsicht zu Boden gefallen und hatte ein klirrendes Geräusch gemacht.

Hatte er innegehalten?

Hatte er sich überlegt seinen Plan aufzugeben und leise auf dem selben Weg wieder davonzuschleichen, wie er gekommen war?

Wenn ja, so hatte er seine Entschlossenheit schnell wiedergefunden.

Riley griff vorsichtig durch den Türrahmen hindurch, öffnete von Innen die Tür, trat ins Innere des Hauses ein und streifte ihre Schuhe ab, so wie er es sicherlich getan hatte um unbemerkt im Haus herumschleichen zu können.

Und dann…

Hatte er ein Geräusch gehört.

Die Frau war vom Klirren des Glases doch aufgewacht und er konnte nun rumpeln und stampfen von Oben vernehmen, als sie ihre Krücken nahm und begann sich im Haus umher zu bewegen.

Riley dachte sich, dass er vielleicht die Hoffnung für einen Moment aufgegeben hatte.

Vielleicht hatte er darauf gehofft, sich an Robin anzuschleichen, während sie tief und fest schlief und ihr den Eispickel ins Ohr zu treiben, noch bevor sie begreifen konnte, dass er jemals da war.

Es wäre nicht wie der vorangegangene Mord, als er den jungen Vincent Cranston tötete, während dieser draußen joggen war. Doch Riley konnte spüren, dass der Mörder kein Interesse an einem einheitlichen modus operandi hatte. Alles was er wollte war die Tötungen so sauber und effizient wie möglich auszuführen.

Doch nun…

Wagte er es fortzufahren, jetzt wo die Frau oben aufgewacht war?

Oder sollte er lieber fliehen, bevor sie hierher kam und ihn in ihrem Haus vorfand?

Riley spürte, dass er hier hinter der Tür einen Moment erstarrt war und mit seiner Unentschlossenheit gekämpft hatte.

Doch dann…

Die Frau kam nicht zur Hintertür. Sie bewegte sich irgendwo anders im Inneren des kleinen Hauses. Vielleicht hatte sie das Glas doch nicht zu Bruch gehen hören. Der Mörder fühlte bei diesem Gedanken womöglich eine gewisser Erleichterung, doch weiterhin zweifelte er. Würde er es wagen, die Frau anzugreifen, jetzt, wo sie wach und aktiv war?

Wieso nicht? hätte er sich fragen können.

Mit ihrer Behinderung würde er sie sicherlich sehr viel einfach überwältigen können, als sein früheres Opfer.

Trotzdem wollte er nicht schlampig oder unvorsichtig sein. Ein Kampf könnte alles verderben.

Doch er ermahnte sich, dass dies hier dringlich war. Er war von einem tiefen Notwendigkeit getrieben, die er allein zu verstehen vermochte.

Er konnte nicht mehr zurück –– jetzt nicht mehr. Wann würde sich erneut so eine Möglichkeit präsentieren?

Er nahm seinen ganzen Willen zusammen und beschloß fortzufahren.

Riley folgte nun, immer noch in Socken, der Spur des Mörders, so wie sie sich diese Vorstellte, und stieg die Treppen zur Tür, die in die Küche führte, hinauf. Sie betätigte die Klinke und zog vorsichtig die Tür auf…

Perfekt!

Die Klinke quietschte nicht und auch die Tür selbst gab keinen Mucks von sich.

Riley fühlte sich Augenblick für Augenblick immer verbundener mit der Psyche des Mörders, als sie in die Küche schlich. Sie ignorierte die Tatsache, dass Bill, Jenn, Sturman und Brennan alle in der Küche rumstanden und sie ansahen, und schaute sich um. Sie wusste, dass der Tatort seit dem Mord unangetastet geblieben war. Genau wie jetzt war also der Tisch an dem Morgen mit Papieren überhäuft gewesen, die die Frau gelesen hatte.

Doch wo war die Frau selbst?

Riley stellte sich vor, dass sie durch die Augen der Mörders schaute, als er durch den Türbogen der Küche in das Wohnzimmer hinein spähte. Dort hatte sie gestanden –– aus dem Fenster schauend –– ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf das gerichtet, was sie aus dem Fenster sehen konnte.

Riley stellte sich vor, wie sie den Eispickel zu Hand nahm. Dann ging sie über die Dielen, ihre Schuhlosen Füße machten nicht einmal das kleinste Geräusch, bis sie genau dort stand, wo der Mörder hinter Robin Scoville gestanden hatte.

Und dann…

Eine schnelle, präzise, makellose Bewegung war alles, was es gebraucht hatte.

Die lange Spitze des Eispickels tauchte mühelos in den knochenlosen Gehörgang des Ohres und bis zum Gehirn, und genauso mühelos zog der Mörder sie auch wieder heraus, als er sein Opfer zu Boden fallen sah.

Zum Schluss…

Riley war sich sicher, dass er zufrieden mit seiner Tat war.

Er war stolz auf sich, dass er seine Unentschlossenheit überwunden und die Tat wie geplant ausgeführt hatte.

Doch hatte er einen Moment lang inne gehalten um sein Handgeschick zu bewundern?

Oder entkam er sofort?

Rileys Gespür für die Psyche des Mörders entglitt ihr nun, jetzt wo sie erneut auf die abgeklebte Silhouette auf dem Boden starrte.

Es gab vieles –– zu vieles –– was sie immer noch nicht wusste.

Doch sie war sich einer Sache sicher.

Sie wandte sich an ihre Kollegen, die nun um sie herum versammelt waren…

„Er ist ein absolut kaltblütiger Hurensohn.“

Bill sagte: „Was kannst du uns noch sagen?“

Riley überlegte einen Moment lang und sagte dann: „Ich kann noch nichts sicher sagen. Aber ich glaube es ist für ihn eine persönliche Angelegenheit –– und gleichzeitig ist es eben nicht persönlich. Ich glaube nicht, dass er diese Frau gehasst hat. Womöglich kannte er nicht einmal ihren Namen. Doch er hatte einen Grund sie tot sehen zu wollen –– einen wichtigen Grund, fast so als wäre ihr Mord eine Art…“

Riley suchte nach dem richtigen Wort.

Da sprach Jenn: „Pflicht?“

Riley schaute ihre jüngere Kollegin an und nickte.

„Ja, das ist genau das Gefühl, das ich bekomme. Es fühlt sich fast schon wie eine Verpflichtung an.“

Riley bemerkte nun, dass Chief Brennan sie mit offenem Mund anstarrte. Sie hatte sich schon lange daran gewöhnt, wie verstört und überrascht die Leute waren, wenn sie ihr bei diesem merkwürdigen Prozess zusahen. Und sie wusste, dass sie gerade eben ziemlich komisch ausgesehen haben musste, als sie wie im Trance ohne Schuhe durch das Haus gelaufen war und die Bewegungen des Mörders nachgemacht hatte.

Agent Sturman auf der anderen Seite schien keineswegs überrascht. Natürlich war er ein erfahrener FBI Agent und musste sicherlich zumindest von Rileys einzigartigen Fähigkeiten gehört haben, die im gesamten FBI wohlbekannt waren.

Deshalb überraschte es sie nicht, als Sturman Brennan mit dem Ellbogen anstupste und sagte: „Ich erkläre es Ihnen später.“

Bill war zur Hintertür gegangen und kam nun mit Rileys Schuhen wieder, die er ihr entgegenstreckte. Als Riley sich auf einen Hocker niederließ und sie wieder anzog, begannen sich Zweifel in ihr breitzumachen.

Habe ich alles falsch interpretiert?

Sie wurde oft mit Zweifeln überrannt nachdem sie diesen seltsamen Prozess durchlaufen hatte.

Schließlich war sie kein Hellseher und es gab nichts magisches oder übernatürliches an dem, was sie tat. Es war pure Intuition, nicht mehr und nicht weniger. Sie hatte sich in der Vergangenheit auch schon mal geirrt, und sie könnte sich auch jetzt irren.

Sie erhob sich vom Hocker und fragte sich…

Habe ich etwas übersehen?

Sie schaute zum Fenster hinüber und stellte sich die junge Frau vor, die dort stand und nach draußen schaute ohne zu ahnen, welche Gefahr sich von hinten näherte.

Was hatte sie dort gesehen?

Riley hatte nicht die geringste Ahnung.

Doch sie wusste, dass sie es lieber herausfinden sollte.

Gemieden

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