Читать книгу Gemieden - Блейк Пирс - Страница 6
PROLOG
ОглавлениеRobin schreckte aus dem Schlaf auf.
Sie lag hellwach in ihrem Bett. Zuerst dachte sie, dass ein Geräusch, das irgendwo aus dem Inneren ihres kleinen Hauses kam, sie aufgeweckt haben musste.
Zerschellendes Glas?
Doch als sie dalag und hinhörte, merkte sie, dass es nichts zu hören gab, außer das beruhigende Brummen des Heizofens, das aus dem Keller kam.
Sie hatte sich das Geräusch sicherlich nur eingebildet.
Mach dir keine Sorgen, dachte sie sich.
Doch als sie sich auf die Seite drehte um wieder einzuschlafen, fühlte sie einen plötzlichen stechenden Schmerz in ihrem linken Bein.
Das schon wieder, dachte Robin mit einem Seufzen.
Sie machte die Lampe auf dem Beistelltisch an und zog die Decke zur Seite.
Es überraschte sie nicht mehr zu sehen, dass sie kein linkes Bein hatte. Sie hatte sich bereits vor Monaten daran gewöhnt. Das Bein wurde über dem Knie amputiert, nachdem ihre Knochen in einem schrecklichen Autounfall letztes Jahr zu Brei zertrümmert worden waren.
Doch der Schmerz war sehr real –– eine Kombination aus pochendem, krampfartigem und brennendem Schmerz.
Sie setzte sich im Bett auf und starrte den Beinstumpf unter ihrem Nachthemd an. Seit der Amputation hatte sie Phantomschmerzen, meistens kamen sie Nachts, wenn sie versuchte zu schlafen.
Sie schaute auf die Uhr, die auf dem Nachtkästchen stand und sah, dass es vier Uhr morgens war. Sie stöhnte genervt. Oft wurde sie genau zu dieser Stunde oder etwas früher von dem Schmerz geweckt und dann wusste sie, dass sie keine Chance hatte wieder einzuschlafen, solange der Schmerz sie quälte.
Sie überlegte, ob sie unters Bett greifen und ihre Spiegelbox rausholen sollte –– ein Therapieinstrument, dass ihr schon oft durch solche Anfälle geholfen hatte. Dafür musste sie den Stumpf in eine lange, prismenartige Box stecken, die an der Innenseite mit einem Spiegel ausgestattet war, sodass ihr heiles Bein eine Spiegelung produzierte. Die Spiegelbox gab ihr damit die Illusion, dass sie noch beide Beine hatte. Es war ein merkwürdige, aber effektive Methode um den Phantomschmerz zu lindern oder sogar ganz loszuwerden.
Sie schaute das Spiegelbild an, während sie ihr anderes Bein berührte, die Muskeln ihres Fußes, ihrer Zehen und ihres Unterschenkels an- und wieder entspannte und schaffte es somit ihr Gehirn auszutricksen und es zu überzeugen, dass sie immer noch beide Beine besaß. Indem sie sich vorstellte, dass sie das verlorene Bein kontrollierte, konnte sie oft die Schmerzen und Krämpfe, die sie fühlte, bekämpfen.
Doch es klappte nicht immer. Es benötigte ein Maß an meditativer Konzentration, das sie nicht immer aufbringen konnte. Und sie wusste aus Erfahrung, dass es unwahrscheinlich war, dass sie direkt nach dem Aufwachen zu so früher Stunde Erfolg damit haben würde.
Dann kann ich auch genauso gut aufstehen und etwas arbeiten, dachte sie.
Sie überlegte kurz, ob sie die Beinprothese, die neben dem Bett lag, anlegen sollte. Das würde bedeuten, sie müsste einen einen Nylongel Strumpf über den Stumpf ziehen und einige Paar Socken, um das Schrumpfen des Stumpfes zu kompensieren, wonach sie dann die Prothese an ihren Platz schnallen konnte und mit ihrem gesamten Gewicht dagegen drücken, bis sie die Prothese in die korrekte Position einrasten fühlen konnte.
Es erschien ihr den Aufwand nicht wert –– besonders wenn sie Glück haben sollte und der Schmerz bald von selbst vergehen würde, sodass sie doch noch einmal ins Bett zurück gehen konnte.
Stattdessen zog sie sich ihren Morgenmantel über und griff nach ihren Krücken, wonach sie aus dem Schlafzimmer in ihre Küche humpelte.
Ein Stapel Papiere, der sich auf dem Tisch türmte, erwartete sie dort.
Sie hatte ein riesiges Bündel Gedichte und Kurzgeschichten mit nach Hause gebracht –– Einreichungen für Sea Surge, der Literaturzeitschrift, für das sie als Assistenzredakteurin arbeitete. Sie hatte mehr als die Hälfte der Einreichungen bereits gestern Abend vor dem Schlafengehen gelesen und einige wenige beiseite gelegt, die womöglich gedruckt werden konnten, während sie die meisten anderen in den Stapel für Ablehnungen tat.
Gerade schaute sie einen kleinen Stapel von fünf besonders schlechten Gedichten eines bemerkenswert untalentierten Poeten durch –– es waren genau die Art Grußkartenreime, die die Zeitschrift so oft zugeschickt bekam. Sie musste ein wenig lachen, als sie die Gedichte auf den Ablehnungsstapel warf.
Der nächste kleine Stapel war ganz anders, aber genauso typisch, was die Einreichungen, durch die sie sich so oft wühlen musste, anging. Diese Gedichte machten direkt einen trockenen, unaufrichtigen, verworrenen und überheblichen Eindruck. Während sie versuchte irgendwie zu verstehen, was die Gedichte zu bedeuten hatten, begannen ihre Gedanken abzuschweifen und bald schon dachte sie darüber nach, wie sie dazu gekommen war alleine in diesen kleinen und billigen, aber komfortablen gemieteten Haus zu leben.
Sie dachte traurig daran wie ihre Ehe Anfang des Jahres in die Brüche gegangen war. Kurz nach dem Unfall und der Amputation hatte sich ihr Ehemann, Duane, sich rührend um sie gekümmert und war aufmerksam und unterstützend. Doch als die Zeit voranschritt, wurde er zunehmend distanziert und irgendwann hatte er so ziemlich damit aufgehört ihr irgendwelche Nähe oder Zuneigung entgegenzubringen.
Obwohl Duane es nicht zugeben wollte, hatte Robin begriffen, dass er sie einfach nicht mehr attraktiv fand.
Sie seufzte, als sie daran dachte wie wahnsinnig verliebt sie die ersten vier Jahre ihrer Ehe waren.
Sie hatte einen Kloß im Hals, als sie sich fragte, ob sie jemals wieder so glücklich sein würde. Doch sie wusste, dass sie immer noch eine attraktive, charmante, intelligente Frau war. Es musste doch bestimmt einen Mann dort draußen geben, der sie als ganze Person sehen konnte und nicht bloß als eine Amputierte.
Trotzdem war die Oberflächlichkeit von Duanes Liebe für sie ein ziemlicher Schlag ins Gesicht gewesen und hatte ihr Selbstvertrauen und die Fähigkeit Männern zu vertrauen erschüttert. Es war schwer nicht verbittert zu sein ihrem Ex-Mann gegenüber. Sie dachte sich, so wie sie es sich schon oft gesagt hatte…
Er hat sein Bestes gegeben.
Wenigstens war ihre Scheidung friedlich verlaufen und sie waren bis heute befreundet.
Sie horchte auf, als sie draußen ein bekanntes Geräusch hörte –– es war die anfahrende Müllabfuhr. Sie musste lächeln, als sie sich auf ein kleines Ritual freute, dass sie sich für solche schlaflosen Morgen ausgedacht hatte.
Sie verließ den Tisch, griff nach den Krücken, humpelte zum Wohnzimmerfenster hinüber und zog die Gardinen offen.
Der Laster hielt nun vor ihrem eigenen Haus und der riesige Robo-Arm umschloss ihren Müllcontainer, hob ihn hoch und kippte seinen Inhalt in das Lastwageninnere. Wie erwartet ging neben dem Lastwagen ein eigenhafter junger Mann her.
Wie immer fand Robin etwas liebenswert ernsthaftes an ihm, als er dem Laster entlang folgte und sich in alle Richtungen umschaute, als ob er eine komische Art Wache halten würde.
Sie nahm an, dass er für die Stadtreinigung arbeiten musste, obwohl sie sich unsicher war, was genau seine Arbeit eigentlich beinhalten könnte. Er schien sonst nichts zu tun, außer neben dem Müllauto herzulaufen und sicherzustellen, dass die große Maschine ihre Aufgabe verrichtete und keine Müllreste fallen ließ.
Wie sie es immer tat, wenn sie ihn dort auf der beleuchteten Straße sah, lächelte sie, hob einen Arm aus der Krücke und winkte ihm zu. Er schaute sie direkt an, wie er es immer tat. Sie fand es immer merkwürdig, dass er nie zurück winkte, und immer bloß dastand und ihren Blick erwiderte.
Doch dieses Mal tat er etwas, was er sonst nie getan hatte.
Er hob seinen Arm und zeigte in ihre Richtung.
Worauf zeigt er? fragte sie sich.
Dann fühle sie plötzlich einen kalten Schauer ihren Rücken hinunterschleichen, als sie sich an den Moment erinnerte, da sie aufgewacht war…
Ich dachte ich hätte ein Geräusch gehört.
Sie hatte gedacht, es klang wie zerbrechendes Glas.
Und nun begriff sie…
Er zeigt auf etwas hinter mir.
Bevor sie sich umdrehen und hinsehen konnte, fühlte sie wie eine starke Hand ihre rechte Schulter ergriff.
Robin erstarrte vor Schrecken.
Sie konnte einen plötzlichen tiefen Schmerz spüren, als etwas scharfes in ihr Ohr eindrang und die Welt um sie herum sich auflöste.
Einen Moment später fühlte sie überhaupt nichts mehr.