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KAPITEL SECHS

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Als das Flugzeug vom Rollfeld abhob, betrachtete Riley vorsichtig ihren neuen Seniorpartner. Special Agent Cliff Johnson saß ihr gegenüber an einem Klapptisch und starrte aus dem Fenster.

Von dem, was sie über ihn gehört hatte, wusste sie, dass sie für die Chance, mit ihm zu arbeiten, dankbar sein sollte. Obwohl Johnson nur zwei oder drei Jahre älter zu sein, hatte er anscheinend jeden in der Außenstelle in Boston beeindruckt. Tatsächlich hatte er so ziemlich im Alleingang den Fall eines Kindermörder- und Vergewaltigers gelöst.

Riley kannte die Details dieser Ermittlungen nicht, aber sie wusste, dass Johnson quasi als Wunderkind gehandelt wurde – ein bisschen wie sie selbst, als sie damals zur Verhaltensanalyseeinheit gekommen war. Aber während Riley in Quantico mit einem Ruf für Bauchgefühl angekommen war, war Johnson für seine scharfen analytischen Fähigkeiten bekannt.

Vielleicht werden wir uns ergänzen, dachte sie.

Warum hatte sie also solche Zweifel?

Als sie darüber nachdachte, erkannte Riley, dass ihre Bedenken aus dem Verdacht herrührten, dass der neue Agent vielleicht gar nicht so beeindruckend war. Sie wusste, dass analytische Fähigkeiten für Verhaltensanalyse-Mitarbeiter leichter zu verstehen und zu würdigen waren als die eher nebulösen Bauchgefühle, die Jake Crivaro zu einem so erfolgreichen Agenten gemacht hatten. Schließlich hatte Johnson, seitdem er in Quantico angekommen war, noch an keinem einzigen Fall gearbeitet. Tatsächlich war es möglich, dass er noch nie größere Fälle bearbeitet hatte, wie es Riley mit Jake getan hatte.

Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr ärgerte sie sich über die Vorstellung, dass er ihr Befehle geben würde.

Als das Flugzeug Reiseflughöhe erreichte, öffnete Johnson die Akte, die Lehl ihm ausgehändigt hatte und teilte ihren Inhalt mit Riley.

„Okay“, sagte er. „Dann schauen wir uns das mal an und sehen wir, womit wir es zu tun haben.“

Riley unterdrückte ein Kichern. Regionale Ausdrucksweisen amüsierten sie normalerweise nicht, aber Johnsons Boston-Akzent war so intensiv, dass es fast wie eine Parodie klang. Zusammen mit seiner gepflegten Erscheinung und seinem militärischen Auftreten deutete dieser übertriebene Ton von Autorität darauf hin, dass er an Privilegien gewöhnt war – und wahrscheinlich einen Elite-Uni-Stammbaum hatte.

Seine Stimme erschreckte sie jedes Mal, wenn er sprach und sie entschied, sich besser schnell daran zu gewöhnen.

Johnson deutete auf den kurzgefassten Bericht, der zwischen ihnen lag: „Wir haben zwei Todesfälle durch Elektroschocks. Ein Mann namens Andy Gish wurde erst vor einer Woche in Prinneville, Utah, durch einen Stromschlag getötet. Bei dem zweiten Opfer handelt es sich um einen Psychiater, Julian Banfield, der letzte Nacht in Beardsley starb. Sowohl Beardsley als auch Prinneville liegen in Hannaford County. Der Sheriff des Bezirks, Collin Dawes, bat die Verhaltensanalyseeinheit um Hilfe.“

„Und Dawes denkt, dass es sich bei beiden Todesfällen um Tötungsdelikte handelt?“, fragte Riley.

Johnson zuckte mit den Schultern. „Naja, dafür fehlen die Details. Wir wissen nur, dass beide Opfer vor ihrem Tod an Stühle gefesselt wurden.“

Riley legte neugierig die Stirn in Falten.

„Ich kann mich nicht erinnern, an der Academy irgendwelche Fälle behandelt zu haben, in denen es um Mord durch Stromschlag ging“, sagte sie. „Ich frage mich, wie häufig das passiert.“

Johnson lehnte sich zurück und tätschelte sein Kinn.

„Nicht häufig, aber niemand kann genau sagen, wie häufig“, meinte er. „Ich nehme an, Sie kennen die Methode, die am häufigsten für Mord durch Elektroschock zum Einsatz kommt.“

Seine professorale Art – als würde er einen Studenten befragen – überraschte und ärgerte Riley. Trotzdem kam ihr etwas in den Sinn, was vor allem in Filmen öfters gezeigt wurde.

„Ähm, vermutlich durch das Fallenlassens eines elektronischen Geräts in die Badewanne, während das Opfer ein Bad nimmt.“

Johnson nickte. „Genau. Allerdings gibt es keine verlässlichen Aufzeichnungen, wie oft diese Methode tatsächlich angewendet wird. Diese Art des Stromschlags hinterlässt keine Verletzungen – nicht einmal Verbrennungen. Wenn der Täter sich auch nur die Mühe macht, das Gerät im Anschluss zu beseitigen, kann das Opfer so wirken, als wäre es an einem natürlichen Tod gestorben, zum Beispiel einem Herzinfarkt. Also, wer weiß, wie oft diese Art von Mord tatsächlich vorkommt?“

Er lächelte verschmitzt und fügte hinzu: „Man müsste schon ein ziemlich dummer Killer sein, um dabei erwischt zu werden. Aber manche tun es. Es gab einen Fall, in dem ein Mann seine Frau tötete, indem er einen Heizlüfter mit ihr in die Badewanne warf. Vielleicht wäre er damit davongekommen – aber am Tag zuvor hatte er ein Buch aus der Bibliothek ausgeliehen – ‚Der Heimwerker-Elektriker‘. Das hat die Bullen gewissermaßen auf die Spur gebracht.“

Nachdenklich aus dem Fenster blickend fuhr Johnson fort: „Ansonsten ist Elektrizität ziemlich schwer für Mord zu gebrauchen. Mir kommen nur ein paar Fälle in den Sinn. Einmal hat ein Mann seiner Frau ein blankes Stromkabel um den Hals gewickelt. Es war ein Dreißig-Ampere-Kabel ohne Isolierung.“

Er legte den Kopf schief. „Aber auch diese Art von Verbrechen ist selten. Nicht viele Menschen sind gewillt, sich elektrische Kabel um den Hals oder andere nackte Gliedmaßen wickeln zu lassen. Es gibt viele einfachere Wege, Menschen zu töten.“

Rileys Mund fiel bei diesem kleinen Vortrag ein wenig herunter.

Woher weiß er dieses Zeug, fragte sie sich.

Sie sagte: „Ist der jüngste Mord nicht erst letzte Nacht geschehen?“

„Ja.“

„Und wurden wir beide nicht gerade erst mit diesem Fall betraut?“

„Ja, warum?“

Riley sagte: „Nun, es klingt, als hätten Sie schon einschlägige Fallgeschichten studiert.“

Johnson schaute ein bisschen überrascht.

„Das ist nur Zeug, das ich beim Lesen aufgeschnappt habe“, sagte er. „Haben Sie noch nie Simpsons Forensische Medizin gelesen?“

Riley machte eine vage, unverbindliche Geste. Sie kannte das Lehrbuch aus dem forensischen Unterricht an der Academy und sie hatte alle vorgegebenen Passagen gelesen. Aber sie hatte nie angenommen, dass jemand, der nicht wirklich mit Forensik zu tun hatte, es von vorne bis hinten lesen würde.

Dieser Typ scheint es auswendig zu kennen, dachte sie.

Scheinbar unbeeindruckt von Rileys Reaktion, sprach Johnson weiter.

„Manchmal wird der Stromschlag postmortal eingesetzt, um eine andere Methode des Mordes zu verschleiern. Mir fällt zum Beispiel ein Fall ein, in dem der Mörder sein Opfer erstickt und dann die Leiche durch Stromschlag getötet hat, damit es wie ein Unfall mit einem Haushaltsgerät aussah. Natürlich klingt das nicht nach dem, womit wir es hier zu tun haben. Ich bin neugierig, was es mit diesem Fall auf sich hat.“

Sie hatte gehört, dass Cliff Johnson sowohl ein Besserwisser als auch ein scharfer Analytiker war. Aber sie hatte nicht mit einem wandelnden Lexikon gerechnet.

Für wen hält sich dieser Typ? Sherlock Holmes?

Wenn ja, freute sie sich nicht darauf, die Nebenrolle des Dr. Watson zu spielen.

Als sie selbst auf das Papier schaute, sagte Riley: „Die Männer so festzuschnallen würde auf jemanden von beträchtlicher Stärke hindeuten, wahrscheinlich also einen Mann.“

Sie dachte einen Moment lang nach und fügte dann hinzu: „Die große Frage ist – warum?

„Hm?“, sagte Johnson und kniff die Augen zusammen.

„Nun, zuerst haben wir die Frage des Motivs. Die Polizei scheint keine Verbindung zwischen den beiden Opfern gefunden zu haben. Bedeutet das, dass es keine weiteren Morde mehr geben wird? Oder dass er erst ins Rollen kommt?“

Riley beugte sich auf ihrem Sitz vor. „Aber noch wichtiger – warum würde sich jemand die Mühe machen, jemandem auf diese Weise zu töten? Sie sagten selbst, Mord durch Elektroschock ist ziemlich aufwändig und nicht gerade praktisch. Es gibt wesentlich einfachere Wege, jemanden zu töten.“

Sie sah Johnson in die Augen. „Ich will damit sagen: Was ist das Verlangen dieses Täters? Was treibt ihn an? Und warum hat ein Faible für Elektrizität?“

Johnson wirkte eher verwirrt. Schließlich antwortete er: „Nun, offensichtlich haben wir dafür noch nicht genügend Daten.“ Dann steckte er die Hände hinter seinen Kopf, lehnte sich zurück und starrte aus dem Fenster.

Riley gab sich alle Mühe, ihren neuen Partner nicht ungläubig anzustarren.

Daten, fragte sie sich.

Glaubte Johnson wirklich, dass sie die Gedanken eines Mörders mit Hilfe von Daten nachvollziehen konnten?

Riley selbst hatte schon die Köpfe vieler Mörder durchschaut, aber das immer mit ihrem Bauchgefühl getan. War ihr Talent bereits überholt? Hatte Johnson recht, wenn er glaubte, dass Zahlen und Statistiken die Persönlichkeit eines Killers entblößen konnten?

Vielleicht ist er sogar noch schlauer, als es scheint, dachte sie.

Es war ein fast vierstündiger Flug von Quantico zum Flughafen in Provo, Utah. Nachdem sie die Appalachen überquert hatten, langweilte sich Riley in der Eintönigkeit der Landschaft des Mittleren Westens und döste immer wieder ein.

*

Riley wurde von einem seltsamen, eisigen Déjà-vu-Gefühl ergriffen, als sie die Handschellen hinter dem Rücken des Mörders befestigte.

Das ist schon einmal passiert, dachte sie.

Ich habe genau dasselbe schon einmal getan.

Dann drehte der Mann, den sie festnahm, sein kindliches Gesicht zu ihr und lächelte sie mit purer Boshaftigkeit an.

„Viel Glück", murmelte er.

Mit einem heftigen Schaudern erinnerte sich Riley.

Larry Mullins!

Sie hatte dieses abscheuliche, kindermordende Monster nicht nur erneut verhaftet, nein, er verspottete sie auch noch genauso wie zuvor.

Und wieder griff sie nach ihrer Glock.

Sie erwartete, dass Crivaro sie warnend an der Schulter berühren würde, so wie er es beim letzten Mal getan hatte.

Stattdessen hörte sie ihn sagen: „Mach weiter. Wir haben beim letzten Mal einen Fehler gemacht. Mach weiter und töte ihn. Es ist der einzige Weg, den Mistkerl loszuwerden. Wenn du es nicht tust, werde ich es tun.“

Riley packte den gefesselten Mann an der Schulter und drehte ihn herum, um ihm ins Gesicht zu sehen. Dann zog sie ihre Pistole und feuerte aus nächster Nähe einen einzigen Schuss in die Mitte seiner Brust ab. Sie fühlte eine Welle der Befriedigung, als er zu Boden fiel. Aber als sie auf ihn hinunterblickte, machten sein Körper und sein Gesicht eine widerliche Verwandlung durch.

Die Person, die zu ihren Füßen lag, war nicht länger das pummelige Monster mit dem Babygesicht, sondern ein unschuldig aussehendes, junges Mädchen. Ihre Augen waren weit geöffnet und ihr Mund bewegte sich lautlos, während sie ihre letzten Atemzüge machte. Sie blickte Riley mit einem Ausdruck furchtbarer Traurigkeit an und blieb dann bewegungslos liegen.

Heidi Wright, erkannte Riley mit Entsetzen.

Riley hatte Heidi Wright Anfang des Jahres im Staat New York getötet.

Und jetzt tötete sie sie erneut …


Riley erwachte mit einem Keuchen und fand sich in der Flugzeugkabine wieder.

„Alles in Ordnung?“, fragte Agent Johnson, der ihr immer noch direkt gegenüber saß.

„Ja“, sagte Riley.

Aber nichts war in Ordnung. Sie hatte gerade einen Traum über ihre erste und einzige Anwendung tödlicher Gewalt gehabt. Damals im Januar während einer Schießerei hatte eine junge Frau namens Heidi Wright ihre eigene Pistole gehoben, um Riley aus nur wenigen Metern Entfernung zu erschießen.

Riley hatte keine andere Wahl gehabt, als zuerst zu schießen.

Der Schuss war gerechtfertigt gewesen und niemand hatte das in Frage gestellt. Trotzdem wurde Riley noch Wochen danach von Schuldgefühlen heimgesucht. Was sie anging, war die arme Heidi Wright ein Opfer der Umstände gewesen und hatte es nicht verdient gehabt, wegen ein paar dummer, jugendlicher Entscheidungen zu sterben.

Riley hatte gedacht, das Trauma mit ihrem Therapeuten verarbeitet zu haben. Aber scheinbar knabberte die Erfahrung noch immer an ihr, wenn auch auf tieferem Level. Riley vermutete, dass ihre Wut über Larry Mullins‘ Gerichtsverfahren dieses Trauma wieder an die Oberfläche befördert hatte.

Aber sie konnte sich davon nicht ablenken lassen. Nicht jetzt, wo sie einen neuen Fall und einen neuen Partner hatte. Und letzterer würde ihre Gefühle bezüglich Heidi Wrights Tod oder Mullins‘ Verurteilung bestimmt nicht verstehen.

Reiß dich einfach zusammen, redete Riley sich ein.

Riley war nun hellwach, als das Flugzeug die Rocky Mountains in Richtung Utah überquerte. Obwohl es jetzt außer auf den Berggipfeln nur noch wenig Schnee gab, weckte das Gelände Erinnerungen an ihren letzten Besuch in dem Bundesstaat. Das war letzten Dezember gewesen. Sie hatte gemeinsam mit Crivaro an ihrem ersten Fall als vollwertige Verhaltensanalyse-Agentin gearbeitet.

Würde dieser Fall genauso grässlich werden wie der Fall, den sie damals gelöst hatten – der Fall eines Serienmörders, der sich auf Campingplätze geschlichen hatte? Es schien nicht unwahrscheinlich, angesichts der Methode der Verbrechen. Aber vielleicht wären sie dieses Mal in der Lage, den Mörder aufzuhalten, bevor er noch mehr Opfer forderte.

Und vielleicht würde wenigstens das Wetter besser sein, dachte sie.

Als das Flugzeug auf dem Rollfeld zum Stehen kam, bemerkte Riley, dass es eine kleine Angelegenheit gab, die ihr auf die Nerven ging. Sie war es gewohnt, mit einem Mann zu arbeiten, der sie "Riley" nannte, während sie ihn immer "Agent Crivaro" genannt hatte – zumindest bis heute Morgen. Es hatte sich für beide völlig natürlich angefühlt.

Welche Formalitäten sollte sie bei ihrem neuen Partner erwarten?

Als sie und Johnson ihre Sitze verließen und sich zum Ausgang begaben, sagte sie zu ihm: „Ich möchte nur eine Sache zwischen uns klären, bevor wir anfangen, zusammen zu arbeiten.“

„Was ist das?“, sagte Johnson und zog seinen Mantel an.

„Wie sollen wir uns gegenseitig nennen?“

Johnson zuckte die Achseln und sagte: „Nun, ich mag es, die Dinge professionell zu halten. Ich schätze, ich würde es vorziehen, als Agent Johnson angesprochen zu werden. Wie soll ich Sie nennen?“

Riley begrüßte es, dass er ihr die Entscheidung überlassen wollte. Sie bezweifelte, dass sie zu diesem Kerl als eine Art Mentor aufschauen würde, wie es bei Crivaro der Fall gewesen war. Sie wollte sicher nicht, dass er sie ‚Riley‘ nannte.

„Ich möchte, dass Sie mich Agent Sweeney nennen.“

„Also gut. Dann werde ich das tun.“

Als sie das Rollfeld betraten, wartete ein Mann mit hängenden Schultern und Zigarette im Mund auf sie. Riley fand, dass er wie ein altmodischer, hartgesottener Filmdetektiv aussah. Aber dann öffnete er seinen zerknitterten Trenchcoat und zeigte sein Abzeichen.

„Ich bin Sheriff Collin Dawes“, stellte er sich vor.

„Haben Sie die Einheit um Hilfe gebeten?“, fragte Johnson.

Dawes nickte und Johnson stellte sich und Riley vor.

Die beiden Männer drehten sich um und gingen gemeinsam auf das wartende Fahrzeug des Sheriffs zu.

Johnson sagte zu Dawes: „Es klingt, als hätten Sie hier eine ungewöhnliche Situation.“

„So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen“, antwortete Dawes. „Wenn wir keine Fotos hätten, wäre es schwer zu beschreiben.“

Riley, die hinter den beiden Männern hertrottete, fühlte sich auf seltsame Weise ausgeschlossen.

Das könnte normal werden, sagte sie sich selbst.

Vielleicht sollte ich mich besser daran gewöhnen.

Tötet

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