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KAPITEL FÜNF

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Obwohl im Gebäude der Verhaltensanalyseeinheit der übliche Trubel herrschte, fühlte sich der Ort für Riley seltsam leer an. Ihr war deutlich bewusst, dass Jake Crivaro nicht hier war. War es wirklich möglich, dass ihr Mentor nie wieder einen Fuß in dieses Gebäude setzen würde? Und wenn er wirklich weg war, wie konnten dann alle anderen hier einfach ihren Tagesablauf weiterführen, als ob sich nichts geändert hätte?

Natürlich. Ihr fiel ein, dass bisher fast niemand wusste, dass Crivaro gekündigt hatte.

Dann musste Riley zugeben, dass selbst, wenn sie es wüssten, es vielleicht niemanden sonst so sehr interessieren würde wie sie. Obwohl Jake Crivaro dort so etwas wie eine lebende Legende war, wusste jeder, dass alle Legenden irgendwann enden mussten.

Alle außer mir, dachte sie.

Sie blieb ihm Flur stehen, unsicher, wohin sie gehen sollte. Schließlich hatte sie keinen Partner mehr, den sie um Anweisungen bitten konnte. Dann fiel ihr ein, dass Crivaro erwähnt hatte, dass Lehl sie erwartete, möglicherweise, um ihr einen Fall zuzuweisen.

Als sie auf den Aufzug zuging, erinnerte sie sich daran, wie Crivaro zum ersten Mal in ihr Leben getreten war. Damals, als sie noch Studentin an der Lanton University war, war Crivaro aufgetaucht, nachdem zwei ihrer Mitbewohner im Studentenwohnheim ermordet worden waren. Gerade als Riley sich nicht ängstlicher und hilfloser hätte fühlen können, hatte er ihre ungewöhnlichen Instinkte erkannt und sie involviert, um ihm bei der Suche nach dem Mörder zu helfen.

Und den hatten sie gefunden. Der Täter hatte sich als ihr Lieblingsprofessor erwiesen. Und er hätte auch sie getötet, wenn Crivaro ihr nicht das Leben gerettet hätte.

Seither war Rileys Welt auf den Kopf gestellt worden. Nach dem Studium hatte Crivaro ihr einen Platz im Sommerprogramm des FBIs besorgt und daraufhin hatte sie die Academy in Quantico besucht. Bis auf die letzten paar Wochen, in denen es keine aktiven Fälle gegeben hatte, war ihr Leben ein konstanter Rausch der Aufregung und Gefahr gewesen.

Sie betrat den Aufzug und drückte den Knopf für das gewünschte Stockwerk. Der Aufzug war voll und Riley fühlte sich noch einsamer.

Keiner dieser Menschen weiß, was passiert ist, dachte sie erneut. Und ich bin mir nicht sicher, was jetzt mit mir geschehen wird.

Ein Teil von ihr hatte die wilde Idee, ihr Abzeichen und ihre Waffe selbst abzugeben, um gegen Crivaros Weggang zu protestieren.

Natürlich wäre das verrückt, erinnerte sie sich selbst. Sie hatte viel zu viel in ihre Karriere investiert, um das jetzt aufzugeben.

Dennoch erinnerte sie sich daran, was Crivaro ihr gesagt hatte, als sie meinte, dass sie mit Lehl über seine Entscheidung sprechen würde.

„Ich denke, das solltest du tun.“

Was hatte er damit gemeint? Hoffte Crivaro, dass Riley ihn davon abhalten würde, in Rente zu gehen?

Sie erinnerte sich an etwas anderes, das er gesagt hatte.

„Ich denke, es ist an der Zeit, dass du mich Jake nennst.“

Das hatte definitiv nicht nach einem Ende ihrer Beziehung geklungen, weder auf professioneller noch auf irgendeiner anderen Ebene. Und sie war sich sicher, dass diese Entscheidung viel bedeutete. Schließlich nannte ihn sonst kaum einer einfach nur ‚Jake‘.

Er hatte sich von seiner Ex-Frau und seinem Sohn distanziert und hatte keine engen Freunde, von denen Riley wusste.

Soweit sie wusste, war er ein einsamer Mann und der Ruhestand würde das auch nicht besser machen.

Sie stieg aus dem Aufzug und ging direkt auf Lehls Büro zu. Als sie dort ankam, sah sie, dass die Tür offen war. Dennoch zögerte sie vor der Tür.

Dann, fast unheimlich, hörte sie Lehls Stimme von innen.

„Kommen Sie rein, Agent Sweeney.“

Sie ging hinein und fand den schlaksigen Spezialagenten hinter seinem Schreibtisch. Wie üblich wirkte er fast zu überdimensioniert für sein Büro, ganz zu schweigen von seinem Schreibtisch.

Sie konnte nicht umhin, zu lächeln, als sie sich daran erinnerte, was Crivaro gesagt hatte, als sie festgestellt hatte, dass Lehl aussah, als stünde er immer auf Stelzen.

„Nein, er sieht aus, als wäre er aus Stelzen gemacht.“

„Nehmen Sie Platz, Agent Sweeney“, sagte Lehl in seinem beängstigenden Bariton.

Riley setzte sich hin und Lehl tat es ihr nach. Er nahm den Hörer ab und bat jemanden, sofort in sein Büro zu kommen. Dann drückte er seine Finger zusammen, schaute Riley an und sagte: „Vielleicht gibt es etwas, das Sie besprechen möchten“.

Riley schluckte schwer.

Jetzt oder nie.

Aber würde sie es wagen, den Abschied ihres Partners infrage zu stellen?

Schließlich war Erik Lehl vermutlich der einzige Mann auf der Welt, der Jake Crivaro tatsächlich einschüchtern konnte.

Dennoch zwang sie sich, den Mund aufzumachen.

„Sir, ich habe gerade mit Agent Crivaro gesprochen.“

Lehl nickte schweigend.

Riley schluckte erneut.

„Ich denke nicht, dass er in den Ruhestand gehen sollte, Sir“, sagte sie.

Lehl nickte erneut.

„Er meinte, dass Sie das sagen würden“, antwortete Lehl.

Riley war überrascht. Das war in etwa das letzte, womit sie gerechnet hatte. Scheinbar hatten Jake und Lehl bereits darüber gesprochen, wie sie auf die Situation reagieren würde.

„Möchten Sie mir erklären, warum Sie das denken?“, fragte Lehl.

Riley geriet in Panik und würde am liebsten den Raum verlassen.

Wie sollte sie das beantworten?

Sie sagte: „Er denkt, dass seine Fähigkeiten nachlassen, Sir.“

„Und Sie sind anderer Meinung?“, fragte Lehl.

„Das bin ich, Sir“, sagte Riley.

„Sind Sie sich sicher, dass Sie wissen, was das Beste für ihn ist?“, fragte Lehl.

Riley hatte plötzlich keine Ahnung, was sie darauf antworten sollte. Schließlich war es eine gute Frage. War sie wirklich sicher, dass Jake als Agent so gut war wie eh und je? Sie erinnerte sich an seine Worte.

„Kannst du aufrichtig behaupten, dass ich in letzter Zeit in Bestform war?“

Sie hatte ihm nicht widersprochen. Wäre es die Wahrheit, zu sagen, dass sie seither ihre Meinung geändert hatte?

Lehl kniff die Augen zusammen, als er sie auf gründliche und fast schon analytische Weise betrachtete.

Er sagte: „Ich schätze, was ich frage, ist … in wessen Interesse erzählen Sie mir das? In Ihrem oder in Agent Crivaros?“

Riley sackte auf ihrem Stuhl ein wenig zusammen.

„Ich bin mir nicht sicher“, gab sie zu.

Lehl beugte sich über seinen Schreibtisch.

„Agent Sweeney, Sie und ich haben einige Differenzen gehabt, seit wir uns kennen.“

„Ich weiß“, sagte Riley.

Und das war tatsächlich milde ausgedrückt. Letzten Herbst, als sie noch die Academy besuchte, hatte Crivaro sie von ihrem Studium weggezerrt, damit sie ihm bei einem Fall helfen konnte. Ohne die Zustimmung von irgendjemandem hatte sie sich als Reporterin ausgegeben und einem US-Senator Fragen gestellt, die zur Aufdeckung seines früheren sexuellen Fehlverhaltens geführt hatten. Wie üblich war sie einer Ahnung gefolgt. Aber die Enthüllungen hatte sich erwiesen, nichts mit dem Fall zu tun zu haben, an dem sie gearbeitet hatten.

Ohne es wirklich zu wollen, hatte sie die politische Karriere des Senators beendet. Noch schlimmer – der Vorfall hatte die Verhaltensanalyseeinheit ernsthaft gefährdet. Der Senator war ein hochrangiges Mitglied renommierter Ausschüsse gewesen und hatte viel Sagen über das Taschengeld der Einheit gehabt.

Lehl war mehr als wütend gewesen. Er hatte sich persönlich darum gekümmert, dass Riley von der Academy ausgeschlossen wurde und gab erst nach, nachdem sie mit Jake brillante Arbeit geleistet hatte. Aber seit ihrem Abschluss an der Academy und ihrem offiziellen Beitritt der Einheit war er ihr gegenüber misstrauisch gewesen.

Nun fragte Lehl weiter. „Wo stehen wir nun? Sie und die Agency, meine ich?“

„Ich bin mir nicht sicher, was Sie meinen“, sagte Riley.

Aber sie fürchtete, es genau zu wissen. Sie wusste, dass ihr Status in der Verhaltensanalyseeinheit mehr oder weniger auf Probe war. Vielleicht betrachtete Lehl dies als guten Zeitpunkt, auch sie loszuwerden.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ nichts Gutes ahnen.

„Ich will ehrlich mit Ihnen sein, Agent Sweeney", sagte Lehl. "Ihre Partnerschaft mit Crivaro war immer produktiv, manchmal bemerkenswert. Nichtsdestotrotz hatte ich immer das Gefühl, dass Sie beide eine Tendenz dazu hatten … wie soll ich es ausdrücken? Sich gegenseitig schlecht zu beeinflussen. Ich habe jahrelang mit Crivaro zusammengearbeitet und trotz all seiner Genialität war er immer so etwas wie ein Außenseiter. Er hat mir und der Agentur eine Menge Ärger gemacht. Er hat Regeln zu seinen Gunsten zurechtgebogen und sie manchmal sogar ganz gebrochen. Können Sie leugnen, dass Sie die gleichen Tendenzen haben?“

Riley wagte es nicht, diesbezüglich zu lügen.

„Nein“, sagte sie.

Lehl trommelte mit den Fingern auf seinem Schreibtisch. „Ich möchte, dass Sie meine nächste Frage so ehrlich beantworten, wie Sie können. Ihre rebellische Ader – haben Sie das von Crivaro aufgeschnappt? Und nun, da er weg ist, kann ich von Ihnen erwarten, dass Sie Ihr Verhalten ändern? Oder …?“

Er ließ den Gedanken unvollendet.

Aber Riley wusste nur zu gut, was er wissen wollte.

War sie von Natur aus eine rebellische Querdenkerin?

Würde sich ihr Verhalten nie ändern? Unabhängig von Crivaros ‚schlechtem Einfluss‘?

Er möchte eine ehrliche Antwort, erinnerte sich Riley.

Und sie wusste, dass eine ehrliche Antwort ihre Karriere genau in dieser Einheit hier und jetzt beenden könnte.

Sie atmete lange und langsam durch.

„Agent Lehl, ich … kann nicht ändern, wer ich bin“, sagte sie.

„Ich verstehe“, sagte Lehl und runzelte die Stirn.

„Ich kann nur versprechen, mein Bestes zu geben – falls Sie mich behalten, natürlich. Ich gebe mir keine Mühe, schwierig zu sein, sondern versuche wirklich, mich an die Regeln zu halten. Aber manchmal überkommt mich mein Instinkt.“

Sie hielt kurz inne und fügte dann hinzu: „Aber mir wurde gesagt, dass meine Instinkte ziemlich gut sind. Sogar außergewöhnlich. Und vielleicht … nun, vielleicht ist das der Preis, den man für gute Instinkte zahlen muss. Vielleicht gehört da eben auch ein bisschen Aufmüpfigkeit dazu. Und …“

Es fiel ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. Aber die Wahrheit war, dass es keinen taktvollen Weg gab, es auszudrücken.

„Und vielleicht müssen Sie einfach entscheiden, ob Sie denken, dass ich die Mühe wert bin. Es liegt wirklich an Ihnen.“

Lehls Gesichtsausdruck änderte sich ein wenig, aber Riley fand ihn schwer zu lesen. War das ein Lächeln auf seine Lippen? Und war das Grunzen, das er von sich gab, nur die Andeutung eins Glucksens?

Er sagte: „Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der Agent Crivaro genau dort saß, wo Sie sind und fast dasselbe zu mir sagte. Ich fand, dass das damals eine ziemlich gute Antwort war und ich schätze, dass es auch heute noch eine ziemlich gute Antwort ist.“

Dann wedelte er mit einem Finger und fügte streng hinzu: „Aber stellen Sie keine Vermutungen über die Grenzen meiner Toleranz an. Ich führe ein strenges Regiment. Und jede Regelverletzung wird Konsequenzen nach sich ziehen. Ich habe die feste Absicht, Ihre Leine so kurz wie möglich zu halten.“

Riley atmete etwas gelöster.

„Ja, Sir“, sagte sie. „Danke, Sir.“

Lehl legte die Stirn in Falten.

„Wofür danken Sie mir?“, fragte er.

Riley stotterte. „Nun, ähm … dafür, dass Sie mich nicht feuern, nehme ich an.“

Lehl zuckte mit den Achseln. Jetzt lächelte er definitiv nicht.

„Oh das“, sagte er. „Betrachten Sie es nicht als gegeben – und machen Sie es sich nicht zu bequem. Ich könnte meine Meinung jederzeit ändern.“

„Ich verstehe, Sir“, sagte Riley.

Lehl nahm eine Akte von seinem Schreibtisch und begann, sie durchzublättern.

„Als Agent Crivaro heute Morgen hier reinkam, hatte ich vor, ihm einen Fall in Utah zu geben. Ich erwartete, dass er den Fall annehmen und Sie als Partner anfordern würde, aber …“

Riley spürte, wie ihr Herz bei dem Gedanken sank, jetzt einen neuen Fall zu übernehmen. Ohne ihren Partner, ihren Mentor, konnte sie nicht arbeiten.

Dann war es, als könne sie Jakes düstere Stimme wieder hören.

„Niemand ist bereit, wenn er zum ersten Mal alleine unterwegs ist. Man muss sich nur selbst bereit machen.“

Ohne weiter darüber nachzudenken, platzte Riley heraus: „Ich will den Fall übernehmen, Sir.“

Mit leisem Knurren antwortete Lehl: „Das ist gut. Aber ich hoffe, Sie denken nicht, dass ich Sie allein da rausschicke. Sie brauchen die Aufsicht eines Erwachsenen.“

Riley konnte nicht anders, als bei diesen Worten zusammenzucken.

In diesem Moment betrat ein junger Mann mit Bürstenschnitt und glattem Teint das Büro. Riley erinnerte sich, dass Lehl nach jemandem gerufen hatte, der sich zu ihnen gesellen sollte, als sie sein Büro betreten hatte.

„Danke, dass Sie gekommen sind, Agent Johnson“, sagte Lehl und erhob sich. „Ich möchte Ihnen Special Agent Riley Sweeney vorstellen.“

Dann sagte er zu Riley: „Das ist Special Agent Cliff Johnson. Obwohl er neu hier in Quantico ist, haben Sie vielleicht schon von ihm gehört. Er hat in der Außenstelle in Boston hervorragende Arbeit geleistet und er bat darum, hierher versetzt zu werden.“

Tatsächlich hatte Riley von Cliff Johnson gehört. Er war mit einem beeindruckenden Ruf hierhergekommen.

Lehl fügte hinzu: „Er wird als Ihr Seniorpartner arbeiten.“

Seniorpartner, dachte Riley.

Das bedeutete, dass dieser junge Mann ihr Befehle geben würde. Obwohl sie wusste, dass er hoch angesehen war, hatte er gerade erst hier in Quantico angefangen und er sah nicht viel älter aus als Riley. Aber sie wusste, dass sie definitiv nicht in der Lage war, Einwände gegen die Situation zu erheben.

Lehl richtete sich an Riley und Johnson. „Ein County-Sheriff in Utah hat die Einheit um Hilfe gebeten. Es hat dort einige Tote durch Elektroschocks gegeben – wahrscheinlich Morde.“

Er übergab die Mappe an Johnson und sagte: „Er hat mir diese Informationen gefaxt. Es ist nicht viel, um weiterzumachen, aber ich bin sicher, er wird viel detaillierter darauf eingehen, wenn Sie dort ankommen.“

Lehl blickte zwischen Riley und Johnson hin und her und sagte dann: „Auf dem Rollfeld wartet gerade ein Flugzeug, das Sie beide nach Utah fliegen soll. Holen Sie Ihre Go-Bags und machen Sie sich sofort auf den Weg.“

Als Riley das Büro verließ, um gemeinsam mit Johnson eilig ihre Go-Bags zu holen, hallte etwas, das Lehl gesagt hatte, immer wieder in ihrem Kopf wider.

"Sie brauchen die Aufsicht eines Erwachsenen."

Der Einsatz begann, sie zu irritieren.

Und sie wünschte sich verzweifelt, noch immer mit Jake Crivaro zusammen zu arbeiten.

Tötet

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