Читать книгу Tochter der Diebin - Bo R. Holmberg - Страница 8
ОглавлениеDie Schmerzen waren verschwunden, der Rücken war geheilt. Aber wie lange würden sie mit dem, was Kerstin nach Hause brachte, überleben können? Die Heumahd war bald vorüber, und danach würde nichts mehr ins Haus kommen.
Anna musste sich eine Arbeit beschaffen. Sie musste in andere Kirchspiele und Dörfer gehen, wo sie niemand kannte.
Das hatte sie sich vorgenommen, als sie sich eines Nachmittags auf den Weg machte, nachdem sie den Kindern zu essen gegeben und Per ermahnt hatte, auf sie Acht zu geben, bis Kerstin wiederkam.
Sie spürte eine Ahnung von Freiheit, im Wald war es kühl, und sie ging so leicht dahin. In der Dämmerung erreichte sie eine bewohnte Gegend und legte sich unter einem Baum schlafen. Erst im Morgengrauen ging sie zum Dorf hinunter.
Eigentlich hatte sie die Leute um Arbeit bitten wollen, direkt am Waldrand jedoch flatterte an einer Leine lockende Wäsche im Wind, und ohne nachzudenken, leerte sie die Leine. Es waren ihre Hände, die das taten. Mit der Last auf dem Arm kehrte sie in den Wald zurück und versteckte ihre Beute unter ein paar Büschen.
In ihrem Kopf sauste es etwas, ihr Blick war schärfer geworden, die Ohren nahmen jeden Laut auf. Die alte Erregung hatte wieder von ihr Besitz ergriffen.
Noch einmal wollte sie zu den Speichern, es sollte das letzte Mal sein, und niemand sollte sie erwischen. Wenn die aufgebrochenen Vorratshäuser entdeckt wurden, wollte sie längst wieder in ihrem eigenen Kirchspiel sein.
Ein allerletztes Mal.
Es waren ihre Hände, die da sprachen.
Sie stand verborgen hinter einigen Tannen und beobachtete einen leeren Hofplatz. Beim Giebel war ein Hund angebunden, doch der sah ungefährlich aus. Ein Specht hämmerte eifrig am grauen Holz neben einem Fenster. Ein Stück entfernt duckte sich der Vorratsschuppen. Sie sah den kräftigen geschmiedeten Querbalken über der Tür und wusste, hier wurde Essen verwahrt.
Aber zuerst das Haus. In ihrem Körper pochte es vor Erregung. Sie rieb ihre Hände aneinander. Rasch trat sie hervor, warf dem Hund einen Knochen zu, den sie in der Schürzentasche hatte, und schlängelte sich durch die unverschlossene Tür. In einem Vorraum entdeckte sie eine Kiste und begann eifrig nach dem Schlüssel zu suchen. Sie fand mehrere und probierte alle aus, bis sich die Kiste endlich öffnen ließ.
Wolle, nur Wolle.
Sie grub bis zum Boden und stieß schließlich auf einen Lederbeutel. Sie schüttelte ihn und lächelte im Dunkeln, als sie darin Münzen klirren hörte. In dem großen Wohn- und Schlafraum raffte sie ein schmutziges Handtuch an sich und wickelte so viel Wolle ein, wie darin Platz hatte. Den Lederbeutel steckte sie in die Schürzentasche. Da erklangen stampfende Schritte auf dem Hof. Flink stürzte sie zurück, zog sich in das obere Bett des Alkovens, klappte die Türen davor zu und drückte sich gegen die Wand.
Die Schritte eines alten Mannes näherten sich schlurfend, sie hörte, wie eine Schublade aufgezogen wurde, dann ein tiefer Seufzer und ein gluckerndes Geräusch. Die Schublade wurde wieder zugeschoben, die Schritte schlurften davon zur Tür, dann war es wieder still. Sie blieb lange liegen und lauschte, ehe sie sich traute, wieder hinauszuklettern. In der Schublade fand sie ein Branntweinfässchen, das nahm sie auch mit. Jetzt bewegte sie sich rasch und zielbewusst, hastete zur Tür hinaus und hinüber zum Vorratsspeicher.
Die Tür war abgeschlossen und nicht aufzubrechen. Es gab mehrere Schlüssellöcher, Eisenstäbchen und Splinte. Sie probierte es mit den Schlüsseln, die sie mitgenommen hatte, doch keiner passte.
Zurück ins Haus traute sie sich nicht. Sie raffte die Sachen zusammen, warf die Schlüssel weg und lief geduckt über den Hofplatz und dann weiter in den Wald.
Erst dort öffnete sie den Lederbeutel und fand zwei Taler und acht kleine Münzen. Sie suchte sich einen kräftigen Stock, nahm die Schürze ab, legte die Wolle hinein, machte ein Bündel daraus und befestigte es an dem Stock, und mit dem Fässchen in der Hand ging sie weiter zum nächsten Hof.
Sie ging angespannt. Die Häuser lagen hier dicht beieinander, und die fetten Kühe auf den Weiden zeugten von Wohlstand. Als in ihrer Nähe ein Zweig knackte, warf sie sich zu Boden.
Erst als sie ein Blöken hörte, sah sie auf und entdeckte ein Schaft, das sich verirrt hatte. Es stand still und blökte. Sie wollte das Tier gerade erschlagen, als sie es sich anders überlegte. Der Weg nach Hause war zu weit, als dass sie ein totes Tier tragen könnte, und es war auch zu weit um das Schaf an einem Strick nach Hause zu führen. Stattdessen schob sie es beiseite und nahm einen ersten Schluck aus dem Fässchen.
Bald erreichte sie ein Haus nah am Waldrand. Lange spähte sie herum und lauschte, ging jedoch bald auf das Haus zu. In ihrem Kopf rauschte es, doch alle Muskeln ihres Körpers waren bereit. Die Haustür war verschlossen. Nach einigem Suchen fand sie den Schlüssel unter einem Stein bei der Vortreppe und schlich hinein.
An der Feuerstelle stand eine Axt. Mit der bearbeitete sie die Kiste, und die war bald aufgebrochen. Sie enthielt einen Strang Flachs, ein Paar weiße Wollstrümpfe und zwölf Löffel. Jedoch kein Geld. Aus einem Rock, der am Bett hing, machte sie ein Bündel, dann suchte und fand sie Mehl, Erbsen und eine Dose voll Butter. Sie verknotete alles in einem Handtuch, ehe sie rasch in den schützenden Wald zurückkehrte.
Jetzt hatte die Erregung sich gelegt, der Körper ruhte aus wie nach einer schweren Arbeit. Leer fühlte sie sich, und rein.
Ihre Hände ruhten.
Mutter ist keine Diebin.
Immer wieder spricht Kerstin sich diese Worte vor, wie einen Reim. Wieder und wieder, um die Angst zu verjagen.
Dass Mutter fort ist, hat nichts mit Diebstahl zu tun. Sie ist weggegangen, um sich eine Arbeit zu beschaffen. So ist das.
Mutter ist keine Diebin, Mutter ist keine Diebin.
Aber sie ist fort, und auch Kerstin muss gehen. So ist Per jetzt der Hausherr. Kerstin erklärt ihm, dass er sich um Elsa und Margareta kümmern muss, während sie bei der Heumahd ist. Er sieht so energisch aus, dass sie mitten in all ihrem Kummer lächeln muss. Er ist ja erst sechs Jahre alt.
Die Arbeit dämpft ihre Angst, aber manchmal tauchen Erinnerungen auf, wie Anna nach Hause gekommen ist und ihre Bündel aufgereiht und behauptet hat, sie hätte gearbeitet.
Seit die Mutter fort ist, läuft Kerstin jeden Abend nach dem Ende der Arbeit den Fahrweg nach Hause. Sie hat keine Zeit, über die Wiesen zu gehen und vielleicht Erik, den Jungen, der ihr so gefallen hat, noch einmal zu treffen. Aber sie denkt an ihn, zwingt die Gedanken an ihn herbei. Und wie von selbst ist dann auch die Erinnerung an die Hochzeit mit Andreas Dierf wieder wach. Da waren sie fast feine Leute gewesen, Stenberg hatte damals sein Glas auf sie erhoben, und Mutter war Kerstin so schön erschienen mit dem offenen langen Haar und so schmal um die Mitte in ihrem schwarzen Kleid.
So vergehen die Tage. Nachts holt sie das versteckte Essen aus dem Heuhaufen, Per kümmert sich tagsüber um die Geschwister, und die Angst ist ständig gegenwärtig.
Sechs Tage lang blieb Anna weg, schlief unter Tannen und stahl tagsüber. In der Nacht, als sie endlich zur Kate zurückkehrte, war sie stundenlang gelaufen, durch Wälder und Wiesen.
An zwei Tannenästen über ihrer Schulter baumelten die Bündel mit Essen, einige Brotlaibe, ein Stück gesalzenes Schaffleisch, ein wenig Mehl, ein Stück Speck, Erbsen und Butter. Aber auch Leibchen, Flachs, Löffel, ein Stück Kalbsleder und Halstücher. In der Schürzentasche klirrten acht Taler und eine Hand voll kleinerer Münzen. Doch viel von dem, was sie gestohlen hatte, war im Wald zurückgeblieben, nicht nur die Kleider, die sie von der Wäscheleine gerissen hatte.
Das Diebesgut stellte sie unter die Treppe, das Essen legte sie in die Erdhöhle neben der Treppe. Nur das Brot behielt sie. Vorsichtig öffnete sie die Tür, bückte sich und schlich hinein. Sie hörte die Atemzüge der Kinder, ging zu dem Bett, in dem Margareta lag, und kroch hinein.