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Kapitel 46: ALDI hat einfach alles

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Im Sommer 1991 packten wir unsere Koffer und fuhren Richtung Belgien. Obwohl Ina und ich nur jeder eine Reisetasche für uns benötigten, war der Kofferraum unseres Opel Kadett proppevoll. Denn Bastian war jetzt schon über zwei Jahre alt und sein »Rundum-Sorglos-Paket« brauchte eine Menge Platz. Sportkarre, Windeln, Pflegemittel, Spielzeug, Kleidung für jedes Wetter. Es war erstaunlich, was wir alles einpacken mussten, um auf Nummer sicher zu gehen, dass es ihm an nichts fehlte.


Damit er auf der langen Fahrt nicht quengelig werden würde, fuhren wir am Abend gegen 20 Uhr los. Er würde nachts schlafen, wenig von der Fahrt mitbekommen und am kommenden Vormittag würden wir in Belgien ankommen. Dort wollten wir ein befreundetes junges Ehepaar besuchen - Doris und Carsten. Doris war die Friseurin, die Ina und mir am Tage unserer Hochzeit die Haare gemacht hatte.

Fast zur gleichen Zeit wie Ina, hatte auch Doris einen Jungen zur Welt gebracht. Sie hatte ihren Carsten ebenfalls geheiratet. Und weil er Zeitsoldat war, wurde er für drei Jahre zur NATO nach Belgien versetzt. Nun wohnten sie in der Nähe von Brüssel.

Wir hatten seit unserer Hochzeit regelmäßigen Kontakt und die beiden meinten, dass es doch schön wäre, wenn wir ein paar Tage zusammen verbringen könnten. Das Haus, welches sie von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt bekommen hatten, bot genug Platz für uns alle, und ihr kleiner Sven hätte in Bastian einen Spielkameraden.


Ich hatte Bastian erzählt, dass wir ganz weit wegfahren würden. In ein Land, dass hinter den großen Bergen läge. Dort würden die Menschen in einer anderen Sprache sprechen - keiner würde sie verstehen können. Und wir würden auf einer Straße fahren, die so lang wäre, dass man denken müsste, sie hätte kein Ende.

Er lag in seinem Bett, hatte sein Lieblingsstofftier im Arm und hörte mir gespannt zu. Irgendwann spielte er wieder an seinem linken Ohr. Und ganz langsam fielen ihm dann seine kleinen Äuglein zu und er schlief ein.

Manchmal saß ich dann noch einige Minuten auf dem Fußboden vor seinem Bettchen und sah in sein unschuldiges entspanntes Gesicht. »Ich werde immer für Dich da sein, mein Sohn.«


Nun waren wir auf dem Weg. Natürlich schlief Bastian nicht die ganze Nacht, denn auch für ihn war das alles sehr aufregend. Während der Fahrt saß immer einer von uns beiden neben Söhnchen auf dem Rücksitz des Wagens und beschäftigte ihn, während der andere fuhr. Dadurch hielt er im Großen und Ganzen gut durch.


Ina hatte sich vorgenommen die Fahrt dazu zu nutzen, ihm beizubringen, dass er sich melden sollte, wenn er pinkeln musste. Denn ganz »stubenrein« war der Kleine noch nicht. »Irgendwie muss ich mir was einfallen lassen, um das Pullern für ihn interessant zu machen«, sagte Ina.


»Musst Du mal pieschen?«, fragte sie Bastian, als wir auf einen Rastplatz an der Autobahn einbogen. Basti nickte. Ina hob ihn aus dem Kindersitz und stieg mit ihm aus dem Auto.

»Nicht in die Hose machen!« Ina erhob den Zeigefinger.

»Ich hab eine tolle Idee, Bastian.« Sie öffnete den Schlitz seiner Hose, zog sie herunter und öffnete auch die Pampers, die er zur Sicherheit während der Fahrt trug. »Wenn Du alleine pullern kannst, brauchen wir die blöde Windel nicht mehr. Das willst Du doch auch lieber. Oder?«

Bastian nickte wieder.

»Weißt Du was?« Ina stellte sich hinter ihn. »Wir machen jetzt was ganz Witziges!« Und Bastians Interesse war geweckt.

»Du pinkelst jetzt einfach den Reifen von Papas Auto an! Das merkt der garnicht.« Beide grinsten und Bastian schien absolut begeistert zu sein. Er hielt seinen kleinen Schniedel und ein Strahl traf den Vorderreifen.


Von diesem Moment an hatten wir es geschafft. Bastian meldete sich, wenn er Druck verspürte und dann wurden die Reifen des Autos besprenkelt. Später mussten auch Bäume daran glauben. Auf eine Windel konnten wir jetzt fast komplett verzichten.


Nachdem wir uns in Belgien einige Male verfahren hatten, kamen wir dann doch ans Ziel. Es war bereits Mittag geworden.

Wir verbrachten kurzweilige Tage in der Nähe von Brüssel. Die Jungs kamen bestens miteinander aus und wir Erwachsenen hatten uns viel zu erzählen. Oft saßen wir bis spät in der Nacht auf der Terrasse und leerten so manche Flasche Rotwein.

Oft machten wir auch kleine Ausflüge, oder sahen uns die wunderschöne Altstadt Brüssels an.

Einmal fuhren wir über die Grenze nach Frankreich und fanden in Paris einen Campingplatz. Dort stellten wir unsere mitgenommenen Zelte auf und verbrachten in ihnen zwei Nächte. Die beiden kleinen Burschen waren begeistert.


Wir hatten das Glück, dass es während unserer Tage in Belgien nie regnete. Und viel zu schnell ging die Zeit vorbei. Nach fast zwei Wochen hieß es Abschied nehmen.

Es war die letzte Tour mit unserem Opel Kadett. Denn einige Wochen später kauften wir Doris und Carsten ihren zwei Jahre alten Mitsubishi Colt GTI ab. Ein tolles Auto. Mit einer komfortablen Ausstattung - und ziemlich schnell.


**********


Wir waren sehr stolz auf unseren kleinen Sohn und er machte enorme Entwicklungssprünge. Nun war er auch bereits drei Jahre alt geworden. Dadurch, dass Ina jedes zweite Wochenende zum Dienst im Krankenhaus eingeteilt war und natürlich auch regelmäßig Nachtdienste hatte, verbrachten Bastian und ich viel Zeit miteinander. Ich versorgte ihn dann in allen Belangen und egal was ich auch machte - er war immer dabei.

Wenn ich den Rasen mähte, saß er auf dem Rasenmäher und fuhr die Runden mit. Wenn ich irgendwas werkelte, hatte auch Bastian mein Werkzeug in der Mangel. Es nervte natürlich, wenn ich laufend meinen Schraubenzieher suchte und ihn nicht finden konnte. Obwohl ich das Teil doch gerade noch hinter mich gelegt hatte.

Wenn ich meine Schraubenkiste mit dem Sortiment von verschiedenen Größen kurz abstellte und nicht hinsah, kippte Sohnemann den kompletten Inhalt auf dem Rasen aus. Dann hatte ich eine unsortierte Schraubenmischung.

Überhaupt fand er alles toll, was Papa machte. Bastian meinte, Papa kann alles, Papa weiß alles. Ich war für ihn der Größte.

Endlich war jemand da, der erkannte, was ich doch für ein Genie war! Das gefiel mir, führte bei Ina allerdings manchmal zu Irritationen.

Einmal sprach sie mich an, nachdem sie mit Bastian unterwegs gewesen war. »Sag mal, was hast Du dem Jungen bloß wieder für einen Blödsinn erzählt!?«

»Blödsinn?«, fragte ich überrascht, »ich hab keine Ahnung, was Du meinst.«

Ina erklärte mir, was passiert war.

»Ich geh mit ihm durch die Siedlung und auf einem Grundstück sehen wir, dass eine Frau den Rasen mäht. Kannst Du Dir vorstellen, was dieser Knirps auf einmal zu mir sagt?«

»Nö, keine Ahnung!« Ich sah Ina fragend an.

»Da sagt Bastian doch zu mir: Mama, Frauen können garkeinen Rasen mähen. Das können doch nur Männer!«

Ich war von den Socken und grinste. »Ina, ich schwör Dir. Sowas hab ich nie zu ihm gesagt!« verteidigte ich mich.


Bastian liebte es, von mir ins Bett gebracht zu werden. Und das wiederum störte Ina überhaupt nicht. Denn irgendwann müsste auch für sie mal Feierabend sein.

Für Bastian hieß ins Bett gebracht zu werden – it´s Showtime!!

Ich tobte vor seinem Bett herum, zog Grimassen, versteckte mich um ihn zu erschrecken, oder erzählte ihm einen Haufen Blödsinn. Bastian stand in seinem Bett, lachte und war voller Begeisterung.


Und dann musste ich ihm aus seinen Bilderbüchern vorlesen.

Er hatte ein Büchlein, das hieß »Boris Bär«. Auf jeder Seite war ein Bild, und darunter standen zwei Zeilen in Reimform. Das Buch hatte vielleicht 12 oder 14 Seiten und ich musste ihm jeden Abend daraus vorlesen, während er sich die Bilder ansah. Er konnte den ganzen Text auswendig, aber trotzdem musste ich vorlesen. Immer und immer wieder!

Wenn ich ihn dann doch in den Schlaf bekam und danach im Wohnzimmer bei Ina aufkreuzte, musste ich mir einiges anhören.

»Was habt ihr beiden bloß wieder da oben fabriziert. Ist ja kein Wunder, wenn Bastian nicht einschläft, … bei der Toberei, die Du da wieder veranstaltet hast.« Und doch freute sie sich, dass ich mich so intensiv um ihn kümmerte.

»Du bist zwar oft ziemlich bescheuert«, sagte sie einmal zu mir, »aber trotzdem ein toller Vater.«

Stimmte - ich wollte für meinen kleinen Bastian ein guter Vater sein. Das war mir einfach wichtig! Und ich war verrückt nach ihm. Ich hatte für ihn die Funktion Blödsinn zu machen und mit ihm Rasenmäher zu fahren und von seiner Mama holte er sich immer seine Kuscheleinheiten.


Ina brachte ihm die Natur näher. Beobachtete mit ihm zusammen Vögel und pflückte Blumen. Sie war überhaupt mit Bastian viel in der Natur unterwegs und beide hatten ihren Spaß daran.

Bastian gefiel es auch, seine Mama zu den Einkäufen in die Supermärkte zu begleiten. Natürlich, weil dann oft das eine oder andere Spielzeug für ihn raussprang.


Eines Abends – als wir beim Abendbrot saßen und er uns zutextete, fragte er plötzlich: »Mama? Wann kriegen wir denn auch ein Geschwisterkind?«

Ich blickte erstaunt zu Ina, doch sie antwortete Bastian sofort. »Bastian, wo sollen wir den ein Geschwisterkind herbekommen!«

Aber Bastian hatte auch darauf eine Antwort: »Bei ALDI?!«

Diese Situation und der überzeugende Gesichtsausdruck, den Bastian in dem Moment zeigte, waren so dermaßen komisch, dass wir laut lachen mussten. Ina lachte wieder so sehr, dass ihr fast die Tränen kamen.

Es war einfach herrlich mitzuerleben, auf welche Gedanken die Kleinen manchmal kommen.


**********


Ein Kind großzuziehen, wenn beide Elternteile arbeiten, ist nicht einfach. Oft fühlt man sich schuldig. Weil man denkt, dass man sich einfach zu wenig um den Hosenmatz kümmert. Uns ging es jedenfalls so.

Wenn Ina oder ich von der Arbeit kamen und Basti uns sofort in Beschlag nahm, brauchte man eine Menge Energie, um seinen Bedürfnissen gerecht zu werden. Wir gaben unser Bestes. Aber wenn Ina Früh- oder Nachtschicht hatte, brachte sie ihn morgens zu unserer Nachbarin Janke Clausen, die auf der anderen Straßenseite wohnte. Janke hatte unseren Kleinen ins Herz geschlossen und kümmerte sich liebevoll um ihn.

Das Problem für uns war allerdings, dass ich morgens um 06:00 Uhr das Haus verließ und Ina erst um 06:30 Uhr zuhause ankam. Dann war eine halbe Stunde niemand im Haus. Und jeder weiss, dass die kleinen Quälgeister oft sehr früh wach werden. Bastian konnte mittlerweile alleine aus seinem Bett klettern und sich im gesamten Haus frei bewegen.


In unserem Bekanntenkreis gab es viele junge Eltern, die ihre Kinder nie allein lassen konnten. Das ging einfach nicht. Die Knirpse weinten, sobald niemand bei ihnen war.

Aber wir hatten das Glück, dass Bastian sich in dieser Hinsicht doch recht problemlos entwickelt hatte. Bereits als er gerade zwei Jahre alt war, holte ihn Inas Freundin Doris manchmal für ein paar Tage zu sich.

Doris war gleichzeitig seine Patentante und die beiden entwickelten schon früh ein tolles Verhältnis zueinander. Denn Doris hatte die Begabung, mit Bastian »Artgerecht« umzugehen. Immer war sie zu irgendwelchen Streichen und Schabernack aufgelegt. Und das gefiel unserem Sohn außerordentlich.

Das Ergebnis war, dass unser kleiner Bastian in den Tagen bei Doris niemals Heimweh bekam. Im Gegenteil - er freute sich immer wenn «Dohdies« (so nannte er sie) ihn zu sich holte.

Dann erzählte sie ihm oft haarsträubende Geschichten. Und wie schon erwähnt, liebte unser Sohn solche wilden Storys!


»Ich werde ihm einfach versuchen zu erklären, dass Mama oder Papa morgens eine kurze Zeit nicht da sein können. Er ist doch ein aufgewecktes Kerlchen«, sagte Ina zu mir, als wir wieder mal überlegten, wie wir unser »Halbe-Stunde-Abwesenheits-Problem« auf die Reihe kriegen könnten. Selbst wenn wir einen Kindergartenplatz hätten, wäre die Situation dieselbe. Denn auch dort wurde erst um 8 Uhr geöffnet.


Als ich ihn an diesem Abend ins Bett brachte, kam Ina dazu und wir alberten gemeinsam herum. Und dann sagte sie: »Bastian, Du weißt doch, dass Mama manchmal in der Nacht bei den kranken Leuten im Krankenhaus ist.«

Bastian nickte. Er wusste, was seine Mama in der Klinik machte, denn einmal hatten wir sie während ihrer Arbeitszeit gemeinsam dort besucht. Ina hatte ihm ihre Station gezeigt und vieles erklärt.

»Sieh mal«, fuhr Ina fort, »die Kranken müssen immer Spritzen und Medizin bekommen und dann kann ich nicht sofort bei Dir sein, wenn Du morgens aufwachst. Aber ich versprech Dir, auf jeden Fall ganz schnell nach Hause zu kommen.«

Bastian hörte genau zu und er nickte abermals.

»Und du weißt, dass Papa auch ganz früh zur Arbeit muss. Denn wenn er nicht pünktlich kommt, dann schimpft sein Chef mit ihm. Das wollen wir doch nicht, oder?«

»Der Chef darf aber nicht mit Papa schimpfen«, sagte Bastian und setzte eine grimmige Miene auf.

»Siehst Du«, sagte Ina, »das will ich auch nicht. Und deswegen hab ich eine Idee. Du bist doch schon ein großer Junge. Und wenn Papa nicht da ist, bist Du der Mann im Haus. Wenn Du aufwachst und niemand ist da, setzt Du Dich einfach in der Küche auf einen Stuhl und wartest auf mich. Es dauert auch nicht lange und dann bin ich da. Wollen wir das so machen?«

»Ja«, sagte Bastian und nickte mit wichtigem Gesicht.

»So und jetzt schlaf schön und gib Deiner Mama einen Schmatz.« Sie hob ihren Kleinen hoch und er drückte sie ganz fest.

Nachdem das nun geklärt war, verließ Ina das Kinderzimmer - und Basti wartete darauf, dass Papa Action machte!

Als ich später ins Wohnzimmer kam, sagte Ina zu mir: »Jetzt bin ich aber gespannt, ob das klappen wird.«


Es kam ja nicht grundsätzlich vor, dass Bastian sehr früh wach wurde. Aber einige Tage später - Ina hatte wieder eine Nachtwache hinter sich - fand sie Bastian putzmunter, auf einem Küchenstuhl sitzend, vor. »Bantan hat watet«, sagte er in seinem Kinderkauderwelsch und war sichtlich stolz auf das, was er geleistet hatte.

»Und? Hattest Du ein bisschen Angst alleine?«, fragte Ina. Aber Bastian schüttelte den Kopf. Und Ina war mächtig stolz auf den kleinen Mann! Wir hatten nun eine Sorge weniger.

Im Sommer war es wieder soweit, dass wir Doris baten, uns Bastian ein paar Tage abzunehmen. Wir hatten eine günstige und kurze Schiffsreise von Hamburg nach Harwich gebucht und wollten uns die englische Ostküste ansehen. Natürlich konnten wir Bastian davon nichts erzählen, denn dann würde er unbedingt mitkommen wollen.

Ina und ich hatten einfach das Bedürfnis drei Tage alleine etwas zu unternehmen. Denn wir fanden, dass wir uns das auch mal wieder verdient hätten. Für kurze Zeit mal raus aus dem alltäglichen Trott. Bastian würde außerdem seinen Spaß mit Doris haben.

Der kurze Trip tat uns gut und gab uns Kraft. Endlich hatten wir wieder etwas Zeit für uns. Und wir nahmen uns vor, in Zukunft immer wieder mal eine kurze Auszeit zu nehmen. Nur ein paar Tage raus - das würde uns schon genügen.

Wenn die Tage ihre Farbe verlieren - Band 2

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