Читать книгу RITUAL - Brian Lennox - Страница 10
7. Kapitel
ОглавлениеEine Antwort ließ auf sich warten. Fast schien es, als wollte Peter sie mit seinem Zurückhalten von Informationen auf den Fall neugierig machen, sie ködern.
Erneut schlug sie die Akte auf und las den Bericht noch einmal, doch diesmal ließ sie sich mehr Zeit.
»Der Name der vermissten Person lautet Ramon Sanchez. Er ist vor neun Wochen von einem Tag auf den anderen verschwunden.«
»Exakt«, warf Peter ein.
»Ich bitte dich, Peter, wenn es in diesem Fall Spuren geben sollte, dann sind sie inzwischen kälter als kalt.«
Peter blickte sie nur an.
Justine schüttelte den Kopf. »Okay, Peter, du willst wissen, was ich denke? Ich denke, wir können ebenso gut mitten in New York, gleich drüben im See vom Central Park, auf Walfang gehen.«
Peter beugte sich zu ihr vor, starrte ihr tief in die Augen und sagte nur zwei Worte: »Totes Fleisch.«
Hatte sie richtig gehört? Justine war überrascht und verwirrt zugleich. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was er damit meinte, worauf er hinaus wollte. Dachte er etwa, sie würde sich ekeln? Vor einem gewöhnlichen Fall wie diesem? Sie setzte zum Protest an. »Jetzt hör zu, Peter, ich ...«
Weiter kam sie nicht. Peter hatte ihre Reaktion bemerkt und beeilte sich, ihren Eindruck zu korrigieren.
»Es ist eine Futterjagd, Justine. Ramon Sanchez war staatlicher Lebensmittelinspektor in Santa Fe, New Mexico. - der Heimat der Ortega-Rinder.«
Justine stand nachdenklich da, die Akte in der Hand. »Ehrlich gesagt, ich kann der Sache noch immer keine Substanz abgewinnen. Gut, Sanchez ist vor wenigen Wochen verschwunden. Was interessiert dich nur an diesem Fall?«
Peter dachte über ihre Worte nach, wobei er sich das Kinn rieb, als würde er sich selbst über sein Interesse an diesem Fall wundern. »Da gibt es mehrere Gründe«, sagte er dann langsam. »Hast du die Passage gelesen, in der es heißt, dass eine Frau in der Nacht, in der Ramon Sanchez verschwand, von der Hyde Park Road aus, ein merkwürdiges Licht auf einem der angrenzenden Felder gesehen haben will?«
»Ja, ich hab den Absatz gelesen. Sie sprach von einem seltsam umherirrenden Licht, aber was hat das schon zu bedeuten? Irrlichter gehören in das Reich der Fantasie.«
»Irrlichter ... Sie werden in vielen Legenden der Ureinwohner des neunzehnten Jahrhunderts erwähnt.«
Peter lehnte sich zurück, und Justine sah jenes verstohlene Glitzern in seinen Augen, das den Mystiker verriet. Irgendwie, das musste sie sich eingestehen, beneidete sie ihn um diese kindliche Gabe. Eine geradezu erhellende Eigenschaft in unserer kalten, dunklen Welt, in der skrupelloses Verbrechen immer häufiger und in ständig neuer Dimension an der Tagesordnung war.
»Schätze, jetzt fehlt uns nur noch das Lagerfeuer, Peter.«
»Viele Menschen haben behauptet, Justine, sie hätten gesehen, wie Kinder, Freunde und Bekannte von ihnen durch Feuerbälle entführt worden seien. Etliche der Aussagen wurden sogar unter Eid vor Gericht getätigt.«
»Lass mich raten, Peter: Ihre Leichen wurden nie gefunden?«
»Die Leute haben diese Feuerkugeln als Irrlichter bezeichnet, und sie glaubten, es seien die bösen Rachegeister hingemetzelter Indianer.«
»Hingemetzelter Indianer?«
»Auf einem Tafelberg nahe Albuquerque, 110 Meter über der Wüste, liegt das Acoma Pueblo - auch Sky City genannt. Das letzte Indianerdorf in dem sich indianisch-mexikanische Kultur und christlich-abendländische Einflüsse vermischen. In diesem Land ist viel Blut geflossen. Nicht nur, weil kriegerische Stämme wie die Apachen den ansässigen Indianern das Leben schwer machten. Bei der Eroberung durch die Spanier kam es zu Massakern. Einem indianischen Glauben zufolge werden die Seelen der Toten erst frei, wenn ihre Grabkreuze von sich aus umgefallen sind.«
Also doch ein Hauch von verschwörerischer Theorie, wenn auch nur ein schwacher. Justine ließ den Aktenordner auf den Schreibtisch fallen.
»Peter, hast du dich jemals schlau darüber gemacht, ob diese Frau nicht in den Tagen, nachdem sie diese Aussage gemacht hat, in gewissen TV-Talkshows zu sehen war?«
Peter griff sich den Ordner und blätterte darin, bis er die Fotografie eines Feldes darin fand. Ein Polizeibeamter kauerte auf dem Boden. In der Hand hielt er ein Maßband. Er spannte es über einen großen, kreisrunden schwarzen Fleck im Feld.
»Legenden hinterlassen für gewöhnlich keine kreisrunden Brandflecke«, erklärte er trocken.
»Ist das jenes Feld, an dem die Frau das Irrlicht gesehen haben will?«, fragte Justine.
Peter nickte. »Das Bild wurde am nächsten Tag aufgenommen.«
»Dann hat die gute Frau eben ein Feuer gesehen, Peter. Das kann alles Mögliche gewesen sein, zum Beispiel ein Lagerfeuer ...«
»Ein berechtigter erster Gedanke«, nickte Peter zustimmend. »Anfangs habe ich das auch gedacht. Aber dann habe ich mich an etwas erinnert ...«
Er stand auf, querte sein Büro und öffnete einen Wandschrank. Ein großer, mindestens siebzig Zoll messender Sony TV-Flachbildschirm und ein DVD-Player kamen zum Vorschein. »Ich habe einmal eine Dokumentation über eine Anstalt für psychisch Schwerkranke gesehen.«
»Du meinst eine Irrenanstalt«, verbesserte Justine ihn.
Er schaltete das Fernsehgerät ein, schob eine DVD in das Abspielgerät und drückte auf ›Play‹. »Ich hatte schlaflose Nächte wegen dieses Beitrags, Albträume quälten mich.«
Justine, die noch immer an Peters Schreibtisch lehnte, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte gespannt auf den Bildschirm. »Ich hätte nie gedacht, dass du von etwas Albträume bekommst«, murmelte sie.
»Ich war elf Jahre alt«, erklärte Peter und zuckte mit den Achseln.
Die DVD übertrug den Vorspann, und der schwarze TV-Schirm erwachte zum Leben.