Читать книгу Verschollene Länder - Burkhard Müller - Страница 15

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Diese Briefmarke präsentiert sich vor allem als ein Bild – als ein Bild so, wie man es sich vor 100 Jahren gern übers Sofa hängte. Das Wichtigste an einem solchen war der wuchtige, reich verzierte Rahmen, der dem, was innen gemalt war, seine Bedeutung zusprach, es dem Vergnügen des Betrachters empfahl und ihn zugleich versicherte, es im Griff zu haben. Europäische Mächte legten ein solches System von Zierleisten gern um ihre kolonialen Postwertzeichen und machten so das ferne beherrschte Land zum Guckkasten.

Oft schweift der Blick dabei vom Meer, über das die Kolonisatoren kamen, in die Vorgebirge des Hinterlands. Nicht so im Fall von Spitzbergen. Hier blickt man vom Land aufs Meer, denn aus diesem kam der Reichtum. Der Name des neu gewonnenen Territoriums steht da in einem geschwungenen Balken, der krönt und beherrscht; und ihm gleichberechtigt zur Seite, in heraldischer Kartusche, die Wertangabe, der Preis, stellvertretend für den Weltmarkt; auf ihn war die Inselgruppe, das letzte größere Stück Land Europas vor dem Nordpol, vergleichsweise spät, aber desto schneller und gewaltsamer gezogen worden.

Was Spitzbergen dem Markt zu bieten hatte, waren Walprodukte – das wertvolle Öl etwa oder die Barten, mit denen die Riesen der kalten Meere die winzigen Krebse, von denen sie sich ernähren, aus dem Wasser filterten. Fischbein, hart und elastisch, war unentbehrlich zur Stabilisierung des weiblichen Fundamentalkleidungsstücks im 19. Jahrhundert, des Korsetts. Die schönsten und längsten Barten besaß der Grönlandwal, der außerdem zutraulicher und weniger angriffslustig ist als andere Walarten und sich darum den Walfängern besonders anbot. Ein totes Exemplar wird an einer Kette gerade an den Strand geschleift, kein allzu großes, wie die beigegebenen Möwen erkennen lassen, keines von denen jedenfalls, die es auf 18 Meter Länge und anderthalb Tonnen Fischbein im Wert von 3000 Pfund brachten, nach heutigem Geld gewiss fast eine Million Euro. Mehr als 60.000 von ihnen wurden erbeutet. Man musste, obwohl der zweite Wal, der im Hintergrund hereingebracht wird, noch an eine gewisse Fülle denken lässt, offenbar schon mit den Zwergen unter den Riesen vorliebnehmen.

Erst 1596 war Spitzbergen, dieser nördlichste Punkt Europas, überhaupt entdeckt worden; schon zehn Jahre später stand der Walfang in Blüte, und englische, deutsche, norwegische, schwedische, dänische, holländische und französische Schiffe harpunierten um die Wette, so lange, bis der Grönlandwal im weiten Umkreis ausgerottet war. Die Inseln selbst, vergletschert und gebirgig, hatten dabei wenig interessiert. Erst im Jahr 1920 einigte man sich darauf, das bisherige Niemandsland Norwegen zu überlassen. Seither heißt der Archipel »Svalbard«. Russland erhielt zum Ausgleich gewisse Sonderrechte, z. B. das, Bergwerke zu betreiben.

Mehr als durch Kohle und Walfang ist Spitzbergen (wie es im Deutschen weiterhin eigensinnig heißt) heute bekannt durch seine Pflanzensamenbank. Tief im Permafrostfels des arktischen Archipels sollen Samenproben möglichst aller von Menschen genutzten Pflanzenvarietäten eingelagert werden, auf dass die Vielfalt nie erlösche. 175 Staaten, d. h. so gut wie alle, haben ihre Mitarbeit zugesagt.

Verschollene Länder

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