Читать книгу Verschollene Länder - Burkhard Müller - Страница 8

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Im Weißen Pferd zu Milbenau sitzen sie zusammen, die Männer und die Mümmelgreise mit ihren langstieligen Pfeifen und schlafmützenartigen Kopfbedeckungen und politisieren, teils ängstlich, teils empört, aber einig in der Grundfrage: »Kreuzhimmel-tausenddonnerwär,/​uns’ olle König mot weer her!!«

Der olle König, den die Stammtischrunde in Wilhelm Buschs »Der Geburtstag oder die Separatisten« meint, ist Georg V. von Hannover, der blinde König Georg – die Briefmarke deutet sein Gebrechen behutsam durch das schwere Lid und den vergrößerten Tränensack an. Er war der zweite König, seit Hannover im Jahre 1837 seine mehr als 100 jährige Personalunion mit Großbritannien aufgekündigt hatte, weil es die weibliche Erbfolge, die Thronbesteigung der Prinzessin Victoria, nicht akzeptieren wollte. In den 29 Jahren seiner eigenstaatlichen Existenz bewies das Königreich keine glückliche Hand, weder nach innen noch nach außen. Es begann sein Dasein, indem König Ernst August die Verfassung aufhob, die »Göttinger Sieben«, die dagegen protestierten, angeführt von den Brüdern Grimm, aus ihren Professuren verjagte und die Empörung des gesamten liberalen Deutschlands erregte.

Sein ebenso erzkonservativer Nachfolger Georg verärgerte nicht nur das Bürgertum, sondern stieß auch seinen mächtigsten und bedenklichsten Nachbarn, Preußen, durch Unnachgiebigkeit vor den Kopf. Obwohl Hannover zwischen den preußischen Kernlanden im Osten und den rheinisch-westfälischen Gebieten Preußens im Westen wie in einen Schraubstock eingezwängt lag, kam es, nach einem missglückten Versuch der Neutralität, im Krieg von 1866 auf die Seite Österreichs zu stehen. Das Ergebnis konnte niemanden überraschen: Bismarck ergriff mit Freuden die Gelegenheit, eine Landbrücke zwischen den beiden bislang getrennten Teilen Preußens zu bauen, vertrieb den König ins Exil und errichtete die Provinz Hannover. (Den sogenannten Welfenschatz, der dem Herrscherhaus gehört hatte, strich Bismarck in seine Privatschatulle ein und benutzte ihn später z. B., um dem bayerischen König den Bau seiner Schlösser zu finanzieren, womit er ihm den Beitritt zum Reich schmackhaft machte.)

Die Revolte der königstreuen Bauern in Buschs Bildergeschichte beschränkt sich schließlich darauf, ihrem blinden vertriebenen König etwas zum Geburtstag zu schenken. Aber ach, selbst das wird vereitelt: Die Kiepe voll Branntwein Marke »Busenfreund« wird vom betrunkenen Fritze Jost in den Dorfteich gekippt, zum Gaudium der Gänse und Schweine; der Wagen mit den Eiern fällt von der Brücke, so dass die Ehrenjungfern »in Dotter merklich eingehüllt« werden; die aus Butter vom Bäckermeister Knickebieter geformte Statue einer Henne – schon vorher vom Künstler etwas im Umfang verringert (»Und, da das Ganze ein Symbol,/​So kann’s nicht schaden, wenn es hohl«) – gerät unter das Gesäß des Kutschers. Zum Schluss sitzen alle, wie zu Anfang, wieder am Stammtisch und genehmigen sich einen Köhm.

Und wie hat der hannoversche Untertan Busch sich zum Sturz seines Landesvaters gestellt? Das ist nicht so leicht zu sagen. Im Proömium, das er seiner Geschichte voransetzt, mischen sich Furcht vor dem Neuen, gemütlicher Rückzug ins Private, Zerknirschung über den eigenen »Hochverrat« und der Zynismus des »bösen Menschen«, der da denkt: »Na, die hat’s erwischt!« 20 Jahre zuvor hatte die Aufregung noch zur Revolution gereicht; jetzt langt es nur noch zu einer kräftigen Prise aus der Tobaksdose.

Verschollene Länder

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