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Sylke überließ es Philipp, den Wagen zu steuern. Als sie auf die Wolgaster Straße eingebogen waren und der Weg nur noch geradeaus aus der Stadt führte, hielt sie die Zeit für ein paar offene Worte für gekommen. Sie bemühte sich um einen freundlichen, aber doch verbindlichen Tonfall.

»Philipp, ich habe den Eindruck, dass du mit meiner Vorgehensweise nicht immer einverstanden bist. Wenn du ein Problem damit hast, dann kannst du das sagen. Wir sind ein Team.«

Der junge Kollege hielt seinen Blick auf die Straße gerichtet. Seine Miene war unbewegt. Sylke wartete einen Moment. »Willst du irgendetwas dazu sagen?«

»Ist schon okay.«

»Wenn es dir gegen den Strich geht, dass mir die Leitung übertragen wurde, dann kannst du das auch sagen.«

Wieder eine Pause. Auf der linken Seite schimmerte für Sekundenbruchteile rötlicher Backstein durch Hecken und Bäume – die Klosterruine von Eldena.

»Wie gesagt: Ist schon okay.«

Sylke wartete, aber es kam nichts mehr. »Kannst du auch etwas anderes sagen als ›ist schon okay‹?«

Vor ihnen rumpelte ein Tanklastfahrzeug durch Schlaglöcher. Philipp setzte zum Überholen an. Der Wagen schoss nach vorn, als er das Gaspedal durchtrat. Es war nicht ohne Risiko. Sylke musste sich beherrschen, um nicht laut zu werden. Dass er auf diese Art und Weise seinen Ärger abreagierte, war beschämend. Einschüchtern ließ sie sich aber nicht. Das hatte sie noch nie getan. »Ich habe doch gemerkt, dass du sauer bist. Das ist dein gutes Recht. Aber denk dran: In dem Moment, als uns dieser Fall angetragen wurde, hast du zurückgezogen. Das war deine Entscheidung. Du kannst dich dann nicht hinterher darüber beschweren, wenn andere dir das dann auch nicht mehr zutrauen. Ich will, dass wir gut zusammenarbeiten. Je eher du deine Vorbehalte überwindest, umso besser ist deine Chance, am Ende dieser Ermittlung die Dienstgruppenleitung zu übernehmen.«

Philipp schnaufte. »Du willst doch, dass Lisa das macht.«

»Ich will, dass es der Beste macht. Das sage ich auch Lisa.«

»Aber du hast dir längst eine Meinung darüber gebildet, wer der Bessere von uns beiden ist.«

Immerhin, dachte sie, das war ein Standpunkt. Etwas, womit man weiterarbeiten konnte. »Ich glaube, du solltest uns beiden mehr Offenheit zugestehen. Du gibst dich gern spontan und aktiv, aber im Grunde versuchst du, an einem einmal gefassten Urteil um jeden Preis festzuhalten. Es ist richtig: Ich war gestern sehr angetan von Lisa. Sie ist sofort engagiert auf die Herausforderung eingestiegen, während du damit beschäftigt warst, dich für den Vortag zu rechtfertigen. Wenn ich einen guten Eindruck von Lisa hatte, dann heißt das aber nicht, dass ich irgendein Urteil über eure Qualifikation gefällt hätte. Wirklich nicht. So schnell geht das nicht.«

Philipp schob die Unterlippe vor und sagte nichts mehr. Sie fuhren jetzt durch kleine Dörfer, vorbei an der Abzweigung, die zum Fundort der Leiche führte, bis nach Katzow, dem Ort, aus dem Pölzner stammte. Am Ortseingang ging es scharf nach rechts, dann weiter über Feldwege. Wiesen und Waldstücke wechselten sich ab, hier und da passierten sie einzelne Gehöfte. Von Pölzner und dem Unbekannten war nichts zu sehen. Philipp wurde ungeduldig. »Hier hätten sie eigentlich sein müssen. Was sollen wir machen?«

»Wir suchen zu Fuß weiter.«

Eine halbe Stunde später liefen sie noch immer durch den Wald. Philipps Laune hatte sich stetig verschlechtert und Sylke bereute, dass sie keinen Mittagsimbiss eingepackt hatte. Sie ärgerte sich weniger darüber, dass sie Pölzner nicht fanden, sondern vor allem, weil sie die gesamte Aktion inzwischen für Zeitverschwendung hielt.

Auf einer Anhöhe entdeckte sie einen Hochsitz. »Lass uns da oben Pause machen. Wir halten noch etwas Ausschau, aber wenn sich Pölzner in einer Viertelstunde nicht blicken lässt, brechen wir das Ganze ab. Soll der Staatsanwalt ihn vorladen. Dann bleibt ihm keine Wahl.«

Sylke stieg todesmutig die etwa fünf Meter lange Holzleiter hinauf.

»Na toll«, hörte sie Philipp sagen. Er folgte ihr wie ein unwilliger Schüler beim Wandertag. Dann saßen sie in luftiger Höhe auf einem regenfeuchten Holzbrett und observierten die Umgebung. Philipps Laune war weiterhin gedämpft. »Wir könnten einen Hubschrauber anfordern.«

»Klar – warum nicht gleich zwei Hundertschaften von der Bundespolizei? Pölzner ist bislang Zeuge, nicht mehr.«

»Ich hasse diesen Wald.«

Sylke sah amüsiert zu ihm rüber. Mit seinem struppigen Bart und dem Rollkragenpullover unter dem Sommermantel hatte er beste Voraussetzungen für einen anständigen Waidmann. Aber manche Leute wollten ihre Bestimmung einfach nicht erkennen. Philipp nahm ihr das Fernglas aus der Hand und suchte ein weiteres Mal den Waldrand ab. »Ist doch merkwürdig, dass er zwei Tage, nachdem die Leiche gefunden wurde, mit einem Typen hier herumstreunt, den im Dorf niemand kennt.«

»Kann Zufall sein«, sagte Sylke. »Vielleicht ein ehemaliger Kollege, dem er das Naturschutzgebiet zeigen will.«

»Oder der Typ soll ihm helfen, Spuren zu beseitigen, die wir noch nicht gefunden haben. Die Tatwaffe fehlt ja auch noch.« Er hielt plötzlich inne. Dann sprach er weiter, ohne das Fernglas abzusetzen, im Flüsterton eines Großwildjägers. »Da sind sie. Wir haben sie.«

Sylke wollte ihm das Fernglas abnehmen, aber Philipp hielt es fest. »Warte. Der Typ neben Pölzner ist bestimmt kein Handwerkerkollege. Lederjacke, Cordhose, Schiebermütze. Seine Tasche sieht aus wie der Ranzen meines Großvaters.«

Sylke musste lachen. »Dein Großvater war damals sicher stolz auf seinen Ranzen. Jetzt gib mir endlich das Fernglas.«

Philipp reichte ihr den Feldstecher. »Immerhin hat er es bis auf die höhere Schule geschafft und dann vierzig Jahre lang als Schiffsbauingenieur gearbeitet. Na ja, heute ist das auch kein sicherer Job mehr.«

Sylke hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Als sie die beiden Gestalten, die am Waldrand entlang stapften, endlich in voller Größe vor die Linse bekam, erstarrte sie. Das Lachen verging ihr. »Das ist ja … Scheiße. Das ist …«

Philipp sah sie misstrauisch an. »Wie … kennst du den Vogel?«

»Und wie ich den kenne. Ich hatte schon öfter mit ihm zu tun.«

»Und das bedeutet was?«

»Er heißt Tom Brauer und ist Privatermittler.« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist unberechenbar und ziemlich eigensinnig. Leider auch nicht ganz dumm.«

Sie stiegen die morschen Stufen vom Hochsitz ab. Sylke musste an ihre bisherigen Begegnungen mit Tom denken. Es war ja nicht alles schlecht, was sie mit ihm erlebt hatte. Sie war sogar mal etwas verliebt gewesen in ihn.

»Wo bleibst du denn?« Philipp hatte es eilig und ging schon einige Schritte voraus. »Scheint dich ja sehr zu beschäftigen, dass dieser Tom Brauer hier rumläuft.«

Sylke winkte ab. Sie versuchte, sich wieder auf das eigentliche Ziel zu konzentrieren. Tom war im Augenblick nicht wichtig und sie würde alles dafür tun, dass sich daran auch nichts änderte. Hinter einer Wegbiegung kamen die beiden Waldspaziergänger in Sicht. Pölzner war die Begegnung mit den beiden Ermittlern sichtlich unangenehm. Aber für eine plötzliche Umkehr war es längst zu spät, das hätte ausgesehen wie Flucht. Sylke sah, dass Tom auf den Dicken einredete. Sicher gab er ihm Tipps, wie er sich nun verhalten sollte. Trotzdem stotterte Pölzner wie ein ertappter Lausbub herum, als sie ihm gegenüberstanden. »Also, ich weiß, dass Sie mich ja gebeten hatten … ich hatte auch vor … also ich wollte …«

Sylke beachtete ihn für den Moment gar nicht, sondern wandte sich Tom zu, in dessen Gesichtsausdruck sie Argwohn, aber auch eine gewisse Belustigung zu erkennen glaubte. »Können wir mal kurz unter vier Augen sprechen?«

Tom sah sie beinahe mitleidig an, folgte ihr aber brav, bis sie außer Hörweite der beiden anderen waren.

»Nanu, neues Revier, Frau Oberförsterin?«

»Darf ich fragen, was du hier machst?«

»Ich gehe spazieren und informiere mich über die Belange des Naturschutzes. Wusstest du, dass Biber die intelligentesten Nagetiere sind, die man sich vorstellen kann, und beim Bau von Dämmen …«

»Tom, hör auf mit dem Mist. Wieso bist du mit dem Mann hier unterwegs – einen Steinwurf entfernt von dem Ort, an dem er vorgestern eine Leiche entdeckt hat? Wenn das Zufall ist, dann … «

»… dann bist du Lady Gaga. Nein, keine Sorge, du musst jetzt nicht singen lernen. Und ja, du hast recht: Es kommt selten vor, dass ich mich rein zufällig so weit von meinen Heimatgewässern wegbewege.«

»Hast du dem Pölzner eingeredet, nicht auf dem Polizeirevier zu erscheinen?«

»Ich habe ihn nur über seine Rechte aufgeklärt.«

»Du bringst mich hier in eine blöde Situation.« Sie sah sich zu den anderen um. Philipp redete auf Pölzner ein, der im Wald herumstand wie eine gerupfte Birke nach einem Orkan. Es war nicht gut, die beiden allein zu lassen. »Können wir uns mal unterhalten, also abseits des rein Dienstlichen?« Tom sah Sylke mit schief gelegtem Kopf an. »Klar. Immer. Gern.«

»Ich rufe dich an«, sagte sie, während sie bereits wieder auf dem Weg zu Philipp und Pölzner war.

»Herr Pölzner wird uns jetzt begleiten«, verkündete Philipp staatstragend.

Sylke drehte sich noch einmal zu Tom um. Er war stehen geblieben, als wolle er mitten auf dem Waldweg zum Denkmal werden, und blickte ihnen versonnen hinterher. Seine Gelassenheit reizte sie. Merkte er mal wieder nicht, wie sehr er ihre Ermittlungen behinderte? Andererseits war es beinahe schon ein vertrautes Gefühl, den Störenfried in der Nähe zu wissen. Sie schüttelte sich innerlich. Es war ja nichts Dramatisches passiert. Trotzdem hatte sie die Begegnung mit Tom aus dem Konzept gebracht.

Greifswalder Gespenster

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