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Tanja Grundler war pünktlich und sie stand genau dort, wo sie sich verabredet hatten: an der Spitze der Mole, auf einer kleinen Aussichtsplattform. Sie trug eine weinrote Daunenjacke und blickte hinaus auf die Dänische Wiek, besser gesagt: in einen weiten Raum undurchdringlicher Grautöne. Als sie Toms Schritte hörte, wandte sie sich um.

Sie mochte um die vierzig Jahre alt sein, ihre Gesichtshaut war hell und auffallend glatt, unter dem Saum der Kapuze lugten braun gelockte Haare hervor.

»Ich mag diesen Nebel«, sagte sie.

»Ich hasse ihn.«

Er wollte nicht ganz so schroff wirken und schob noch eine Erklärung hinterher. »Mir wäre da draußen beinahe ein Angler vor den Bug gefahren.«

Sie hatte ihre Hände tief in den Taschen ihrer Jacke versenkt. So tief, dass Tom darauf verzichtete, sie mit einem Handschlag zu begrüßen. Er beschränkte sich auf ein Nicken.

»Ich habe beobachtet, wie Sie in den Hafen reingefahren sind. Das war fantastisch.«

»Wieso fantastisch?«

»Kennen Sie Rain, Speed and Steam – das Gemälde?«

Tom schüttelte den Kopf.

»Kennen Sie William Turner?«

Er zuckte mit den Schultern.

»Dann haben Sie etwas verpasst. Niemand malt Dunst und Nebel so wie Turner. Auf Rain, Speed and Steam sieht man einen Zug mit Dampflok, genauer gesagt, man ahnt, dass es diesen Zug gibt, so sehr verschwimmt er mit den aufgewirbelten Elementen. Und obwohl man diesen Zug kaum erkennt, hat man das Gefühl, dass er mit einer großen Geschwindigkeit durch diese Dunstwolken rast – das ist einfach fantastisch. Und daran musste ich gerade denken. Ihr Boot war allerdings etwas langsamer.« Sie lächelte mitleidig. »Sie interessieren sich nicht für Kunst, oder?«

»Nicht wirklich. Meine Freundin ist zwar Künstlerin, aber …«

»Ach ja? Ist sie hier?«

»Nein, sie ist in Philadelphia, da hat sie ein Stipendium bekommen und …« Er brach ab. Nie im Leben hatte er vorgehabt, mit einer ihm völlig unbekannten Frau über Clara und ihre etwas überraschende Reise in die Vereinigten Staaten zu plaudern. Es war ein merkwürdiger Anfang. »Lassen Sie uns über Ihr Anliegen sprechen«, sagte er und fragte sich, warum sie sich überhaupt mit ihm verabredet hatte. Wollte sie ihn testen?

»Ist das Ihr eigenes Boot?«

Er nickte.

»Und während Sie hier sind, wohnen Sie darauf?«

Wieder nickte er.

»Toll. Das ist … irgendwie romantisch, oder?«

Tom hatte inzwischen den dringenden Wunsch, zur Sache zu kommen. Ihm war kalt, in seinem Gesicht hingen Wassertropfen, die lange Fahrt ohne Sicht hatte ihn angestrengt. »Wenn man es schafft, nicht an die Unterhaltskosten zu denken, ist das eine schöne Sache. Die MATHILDA ist nicht mehr die jüngste. Ich werde in den nächsten Tagen einige Reparaturen durchführen lassen, hinten in Greifswald.«

Die Frau in der weinroten Jacke lächelte. »Na, da schlagen Sie ja zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil ich dachte, dass Sie extra meinetwegen …«

»Um ganz ehrlich zu sein: Wenn ich diesen Aufenthalt hier nicht sowieso geplant hätte, dann wäre ich gar nicht nach Greifswald gekommen.«

Seine Offenherzigkeit enttäuschte sie, das spürte er. Aber so war es nun mal: Die dürftigen Informationen, die sie am Telefon herausgerückt hatte, deuteten darauf hin, dass er vermutlich nicht helfen konnte.

»Also«, begann sie, »ich denke …«

Abermals unterbrach Tom sie. »Wäre es wohl möglich, dass wir das Gespräch woanders als auf dieser nasskalten Mole führen? Drüben auf der anderen Seite des Hafens ist mindestens ein Restaurant geöffnet.«

Sie schüttelte den Kopf. »Lieber nicht. Entschuldigung. Aber ich möchte hier nicht zu vielen Menschen begegnen. Ich habe meine Gründe.«

Tom schluckte seinen Ärger herunter. Er war nun entschlossen, die Sache möglichst zügig zu beenden. Tanja Grundler schien das zu spüren. Sie wurde plötzlich nervös. Mit einer ruckhaften Bewegung öffnete sie ihre Handtasche und reichte ihm eine Fotografie. »Dieser Mann ist verschwunden. Ich habe mehrmals bei ihm geklingelt, er reagiert nicht auf Anrufe und seine Nachbarn haben ihn auch seit etwa einer Woche nicht mehr gesehen.«

Die Fotografie zeigte einen Mittvierziger, der mit zusammengekniffenen Augen in die Welt blickte. Sonnengebräunte Haut, leicht zerzaustes Haar, Dreitagebart. ›Das Bild eines Abenteurers‹, dachte er. »Haben Sie die Polizei eingeschaltet?«

»Hab’s versucht. Ich bin keine direkte Angehörige. Die Polizei hat mit seiner Frau gesprochen, die von ihm getrennt lebt. Sie hält das Verschwinden wohl für normal und dieser Meinung hat sich die Polizei dann angeschlossen. Aber ich mache mir große Sorgen um Malte.«

Tom blickte über die Frau hinweg. Aus dem Nebel über dem Greifswalder Bodden tauchte das Bild eines Beziehungsdreiecks auf: Eine gekränkte Nicht-mehr-Ehefrau, eine besorgte Geliebte und dazwischen ein cooler Naturbursche, dem vielleicht alles zu viel geworden war. »Haben Sie mal darüber nachgedacht, ob Malte sich vielleicht absichtlich zurückgezogen hat?«

Seine Möchtegern-Auftraggeberin nahm ihm ohne Vorwarnung die Fotografie aus der Hand. »Das ist genau die Frage, die ich jetzt nicht hören wollte. Das ist so eine Beamtenfrage.«

»Sorry, aber solche Fragen müssen möglich sein.«

»Er hat sich noch nie auf diese Weise zurückgezogen! Er ist sonst sehr verbindlich, sehr klar im Umgang mit mir. Ja, er fährt manchmal spontan eine Weile weg. Aber er hat sich dann bislang immer bei mir gemeldet. Und ich weiß, dass er in Gefahr ist.«

»Was für eine Gefahr?«

Sie wich seinem Blick aus. Es schien so, als merke sie, dass alles komplizierter war, als sie sich das ausgemalt hatte. »Ja«, sagte sie zögernd, »das muss ich Ihnen dann wohl erzählen.«

Beinahe hätte Tom laut gelacht. »Wenn ich etwas für Sie tun soll«, rief er, jetzt fast schon wütend, »dann müssen Sie mir noch viel mehr erzählen. Sie müssen mir alles erzählen. Und Sie müssen sich darauf einstellen, dass ich vielleicht weniger für Sie tun kann, als Sie hoffen. Ich will ganz ehrlich sein: Ich habe nicht die gleichen Möglichkeiten wie die Polizei. Telefone abhören kann ich nicht, Wohnungen durchsuchen auch nicht. Ich habe andere, aber insgesamt weniger Möglichkeiten. Und ich brauche Anhaltspunkte. Alles, was Ihnen einfällt. Orte, Kontakte, private und berufliche Probleme. Sie werden mich von Anfang an bezahlen müssen, unabhängig vom Erfolg meiner Arbeit. Denken Sie darüber nach, ob Sie mich wirklich engagieren wollen.«

Während er gesprochen hatte, war Tanja Grundler einen Schritt zurückgewichen, bis an das Eisengeländer der kleinen Plattform. Sie sah ihn überrascht an. Dann musste sie lachen. Es war ein etwas hilfloses, fast schon verzweifeltes Lachen. »Das war jetzt aber keine Bewerbungsrede, oder?«

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