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Sylke Bartel schob ihre Papiere zusammen und blickte den Anwesenden reihum in die Augen. »Vielen Dank, so viel für heute. Ihr wisst, das war unser letzter gemeinsamer Tag. Ich komme morgen Vormittag nochmal vorbei, um mich zu verabschieden. Philipp, kannst du noch einen Moment bleiben?«

Während die Kolleginnen und Kollegen der Greifswalder Polizei ihre Sachen einpackten, lehnte Sylke am Fensterbrett und nickte denjenigen zu, die den Schulungsraum verließen. Sie trug eine schwarze Stoffhose und eine meerblaue Bluse, hatte dieser eher gedeckten Kombination aber ein cremefarbenes Halstuch mit feinen, blutroten Streifen entgegengesetzt. Erst im Laufe des Tages war ihr aufgefallen, dass diese Farbgebung in einem Workshop, in dem es um die Aufklärung von Gewaltverbrechen ging, einen sonderbaren Eindruck erwecken konnte. Aber die jungen Kollegen schien es in dieser Hinsicht glücklicherweise an Interpretationslust zu fehlen.

Das Greifswalder Kriminalpolizeikommissariat hatte erst vor wenigen Monaten zusammen mit anderen Dienststellen das neue Polizeihauptgebäude in der Brinkstraße bezogen. Gänge, Wände, Böden – alles wirkte noch glatt und sauber, die modisch grünen Bauelemente erinnerten Sylke an Schulgebäude, die um jeden Preis hipp wirken wollten. Und dazu passte diese neu zusammengewürfelte Truppe aus Nachwuchskräften, die sich durch eine Kombination aus Übermotiviertheit, Naivität und Lässigkeit auszeichnete.

Sylke war sich in den letzten Tagen oft alt vorgekommen. Dabei war sie selbst auch noch gar nicht so lange bei der Kriminalpolizei. Offenbar waren die leitenden Kräfte der Meinung, dass ihre wechselvolle Karriere sie dafür qualifizierte, einen Haufen junger Leute in ein professionell arbeitendes Team zu verwandeln.

»Warum läuft es nicht, Philipp? Was denkst du?«

Der dunkelhaarige Mittdreißiger stand etwas verloren zwischen den u-förmig aufgestellten Tischen. Er war nicht groß, aber von kräftiger Statur, trug einen grauen Rollkragenpullover und einen Backenbart, der wohl seine Abenteuerlust hervorheben sollte. Seine linke Hand hatte er in die Tasche seiner Jeanshose eingehängt, die rechte fuchtelte ziellos in der Luft herum.

»Wir haben die Abläufe noch nicht verinnerlicht.«

»Welche Abläufe willst du denn noch verinnerlichen?«

»Na ja, Tatortuntersuchung, Zeugenbefragung, Gerichtsmedizin, Motivbewertung und dann die zirkuläre Struktur der …«

»Philipp, das ist doch alles Kinderkram. Die Arbeitsschritte kennt ihr. Wie konnte es trotzdem passieren, dass bei der Entführungslage die Überwachung der Ex-Frau des Verdächtigen vergessen wurde? Und warum habt ihr bei dem toten Obdachlosen im Stadtpark nicht gemerkt, dass es sich um eine Kopie des Falles von vor zwei Jahren handelte? Ich habe diese Übung einfach nur aus den Akten abgeschrieben.«

Während Sylke auf den jungen Polizisten einredete, hatte dieser nach seinem Mantel gegriffen und einen Apfel aus der Tasche gezogen. Es war Sylke schon mehrfach aufgefallen, dass Philipp in schwierigen Situationen Obst aß. Sie fand das einigermaßen kurios und hatte ihm insgeheim den Decknamen Fruchtzwerg gegeben. Kauend unternahm der Fruchtzwerg jetzt halbherzige Rechtfertigungsversuche. »Wir hätten das besser strukturieren müssen.«

»Ihr hättet miteinander reden müssen! Kommunikation ist alles.«

»Aber wir haben doch die täglichen Briefings angesetzt.«

»Lisa hatte gute Ideen, das hast du gar nicht mitbekommen. Du musst auch auf die hören, die nicht lautstark losquatschen. Ich hätte nicht gedacht, dass das so schwierig ist. Aber das scheinbar Einfache ist in Wirklichkeit wohl oft das Komplizierte.«

Philipp strich sich mit der freien Hand durch die Haare. »Ja, wir haben hier einige Defizite. Das sehe ich auch so. Die Kollegen …«

»Schieb es nicht auf die Kollegen«, unterbrach Sylke ihn. »Wenn du Dienstgruppenleiter werden willst, dann du bist dafür verantwortlich, dass jede und jeder sich mitteilt. Und dass alle die Zusammenhänge kennen. Ich hatte heute zeitweise das Gefühl, dass fünf Tage Schulung komplett an euch vorbeigegangen sind.«

Philipp verzog den Mund, bevor er grimmig in seinen Apfel biss. Es war Sylke nicht klar, ob er damit seine Verachtung für die Workshopleiterin oder Selbstkritik ausdrücken wollte. War sie zu streng? Überspielte sie mit ihrer Härte ihre eigene Ratlosigkeit? Während sie noch grübelte und Philipp versuchte, seinen halblangen Wollmantel überzuziehen, ohne ihn mit dem angebissenen Apfel zu berühren, öffnete sich die Tür. Eine uniformierte Kollegin steckte ihren Lockenkopf in den Seminarraum. »Entschuldigung, da ist gerade ein Anruf aus Wolgast gekommen. Die wollen wissen, ob das Team hier schon einsatzbereit ist.« Sie blickte zwischen Philipp und Sylke hin und her, wartete aber keine Antwort ab. »Da draußen wurde irgendwo eine Leiche gefunden.«

Obwohl er sich mit seinem Mantel regelrecht gefesselt hatte, schaffte es Philipp, sich an der Schläfe zu kratzen. »Damit erwischen die uns jetzt gerade auf dem ganz falschen Fuß. Ich würde sagen …«

»Das Team ist bereit und übernimmt die Sache«, sagte Sylke trocken. »Legen Sie alle Anrufe auf die bekannte Nummer um und leiten Sie alle Infos unverzüglich weiter.«

Die Sachbearbeiterin nickte und zog sich zurück. Philipp drehte sich verwirrt zu Sylke um. »Es ist doch noch gar nichts organisiert.«

»Dann tust du das jetzt. Das ist deine Chance. Ein perfekter Einstieg.«

Er schluckte und sah sie mit einem Kleine-Jungen-Blick an. »Und was machst du?«

»Meine Zeit hier ist zu Ende.« Sie kostete die lange Pause aus, die sie ihren Worten folgen ließ. »Aber wenn du willst, fahre ich noch mit raus zum Fundort der Leiche und unterstütze euch.«

Greifswalder Gespenster

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