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3 Das Camp

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Hinter den Toren der Stadt Benghazi wurde es ruhiger. Aufgrund der vollkommen überfüllten Straßen und der zahlreichen Menschen, die die Durchfahrt blockierten, indem sie ihre Geschäfte mitten auf der Fahrbahn abhandelten, konnten sie den Stadtkern nur im Schritttempo durchfahren. Nun, da sie den Trubel hinter sich gelassen hatten, bogen sie auf eine gut ausgebaute Schnellstraße ab. Der Fahrtwind tat gut, doch schon bald waren sie wieder vollkommen der sengenden Sonne ausgesetzt, die ihre Strahlen wie Messer in die Erde zu stechen schien. Trotz Wasserflasche und Sonnencreme war es auf der Schotterpiste, über die sie nun holperten, kaum auszuhalten. Weit und breit kein Schatten in Sicht. Obwohl die eigentliche Lufttemperatur nicht annähernd der Hitze entsprach, die in der libyschen Wüste in den Sommermonaten vorherrschte, fühlte sich Colin Fox wie ausgetrocknet. Es wurde Zeit, dass sie das Gebirge erreichten. Aber mindestens eine gute Stunde Fahrt lag noch vor ihnen.

Auch Leonie Krüger schien sich mit der Hitze nicht anfreunden zu wollen. Mittlerweile trug sie lediglich noch ein graues Top, das bereits so nass war, dass sie ohne Weiteres an einem Wet-T-Shirt-Wettbewerb hätte teilnehmen können. Kraftlos warf sie ihre leere Wasserflasche aus dem Jeep. Fox wollte etwas sagen, aber er hielt es für besser, seine Kräfte zu sparen.

Nicht weit entfernt von dem Konvoi schlich eine Schildkröte über den sandigen Boden und einige Eidechsen flitzten hinter ihnen über die Fahrbahn. Es ging bereits leicht bergauf und in der Ferne konnte man erhöhte Felsen erkennen. Fox hob seine Sonnenbrille, weil er einen Fennek bei der Jagd auf kleinere Reptilien erblickte. Er setzte sie allerdings sofort wieder auf, da die vom Sand reflektierten Sonnenstrahlen ihm in die Augen stachen. So bemerkte er auch nicht den Schwarm Mauersegler über sich, der ebenfalls in Richtung des Gebirges flog.

-„Da vorne Al-Jabal Al-Akhdar“, sagte der Offizier vom Flughafen. „Gleich fahren durch Schlucht, dann Bergstraße. Von oben zirka achthundert Meter Sie können gucken wo ist Terroristencamp.“

Fox verstand sein Englisch trotz der Fehler und nahm die Schutzweste aus dem Fußraum.

-„Hier, ziehen Sie die jetzt wieder an. Wir werden bald in das Gebiet der Terroristen kommen und ab da sind wir anfällig.“

-„Wenn ich mir das Teil da überstreife, sterbe ich in dieser Hitze“, beschwerte sich Leonie Krüger.

-„Glauben Sie mir, ich hätte auch nichts dagegen, wenn Sie sich ganz ausziehen würden. Obwohl das ja eigentlich gar nicht mehr nötig ist.“ Fox schmunzelte beim Blick auf ihr durchsichtig gewordenes Top. Sie errötete. „Aber die Weste dient ihrem Schutz, also tun Sie mir den Gefallen und setzen Sie sich nicht schutzlos möglichen Angriffen aus.“

Widerwillig nahm seine Begleiterin die Schutzweste entgegen und streifte sie sich über den Körper.

Mittlerweile hatten sie die Schlucht fast erreicht und bei dem Gedanken an den kühlenden Schatten vergaß Fox beinahe die Dringlichkeit der Mission. Der Wechsel aus dem kalten Mitteleuropa ins warme Nordafrika schien sein Übriges bei der gefühlten Lufttemperatur zu tun, sodass ihnen die eigentlich erträgliche Wärme wie erdrückende Hitze vorkam. Das ständige um-die-Welt-Reisen wirkte sich allmählich ohnehin auf sein Befinden aus. Seit dem Flug aus Russland zurück nach Deutschland plagten Fox Kopfschmerzen, die er zwischenzeitlich fast vergessen hatte, aufgrund der körperlichen Belastung durch die Hitze nun aber wieder stärker spürte.

Aus der Einfahrt in die Schlucht krochen zwei Wüstenwarane und als sie die größten Felshügel passiert hatten, um sich vor einem kleinen Tal mit üppiger Vegetation wiederzufinden, entfuhr ihnen beiden ein Seufzer der Erleichterung. Sie hatten es aus der Wüste des Todes heraus geschafft.

Schnell durchquerten sie das Tal, fuhren vorbei an Bachläufen und einem kleineren Wasserfall, gesäumt von Palmen und subtropischen Pflanzen. Einige Minuten später erreichten sie ein Plateau genau über dem Tal, auf dem sich die Quelle des Wasserfalls befand. Sie hielten hinter einem kleinen Felsen, um ihre Wasservorräte aufzufüllen.

-„Nichts zu sehen, hä?“, fragte der libysche Offizier.

Fox schüttelte den Kopf, während er den Deckel seiner Flasche auf den Schraubverschluss drehte.

-„Sind wir jetzt schon auf achthundert Metern Höhe?“

-„Fast, nicht voll.“

Fox amüsierte sich über die ungelenke Ausdrucksweise des Soldaten. Plötzlich ließ ein lauter Knall und ein kreischender Schwarm bunter Vögel sie aufhorchen. Erschrocken blickten die Soldaten gen Himmel und dann in die Richtung, aus der die Vögel geflogen kamen. Der Offizier trat neben ihn.

-„War sicher nur großes Tier, das Vogelschwarm aufgeschreckt hat.“

Fox ließ seinen geübten Blick schnell über die Landschaft schweifen, um die Situation analysieren zu können. Alles schien wieder ruhig. Die Vögel waren verschwunden und außer dem Rauschen des Wasserfalls war kein Laut zu hören. Aber irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Seine Intuition sagte ihm, dass sie beobachtet wurden und sie hatte ihn bislang nie getrogen. Mit einem Finger vor den Lippen deutete er dem Offizier an, nicht zu sprechen und nahm ihm sein Fernglas ab. Dann schlich er zu dem kleinen Vorsprung neben der Quelle des Wasserfalls und legte sich flach auf den harten Boden. Fox spähte durch das Fernglas. Im Tal war nichts zu erkennen. Aber gerade das war vielleicht ein schlechtes Zeichen. Als sie vor einigen Minuten die Schlucht und das grüne Tal passiert hatten, war es noch voll von Leben. Nun erkannte er nicht einmal mehr einen kleinen Wiedehopf. Die ganze Szenerie wirkte tot und so unwirklich wie in einem alten Western. Als er gerade das Fernglas schärfer stellte, um einen dunklen Punkt zwischen den Felsen besser zu erkennen, hörte er ein Zischen und gleich darauf ein Ploppen, wie von einem Korken. Als er sich umdrehte, sackte einer der Soldaten stöhnend zu Boden. Die anderen, die scheinbar nichts von dem plötzlichen Dahinscheiden eines ihrer Kameraden mitbekommen hatten, starrten gebannt in seine Richtung. Fox wollte etwas sagen, aber da brach auch schon das Inferno los. Erst eine kleinere Explosion, bei der die Männer aus dem ersten Jeep durch die Luft geschleudert wurden, dann mehrere Schüsse aus einem Maschinengewehr. Gleich darauf gesellten sich weitere Schusswaffen dazu, alle veranstalteten einen ohrenbetäubenden Lärm. Fox erkannte die etwa zwei Dutzend Männer auf der anderen Seite des kleinen Wasserspeichers, der die Quelle des Wasserfalls darstellte. Blitzschnell rannte er zum Jeep, packte ein Maschinengewehr und schleuderte es mit einem lauten Schrei zu dem Offizier, der bislang wie angewurzelt dagestanden hatte, aber nun gut reagierte und die Waffe auffing. Dann nahm er das zweite MG aus dem Fußraum und sprang förmlich zu Leonie Krüger herüber, die laut kreischte, als neben ihr ein Kugelhagel einschlug. Er riss sie mit sich und zog sie hinter einen Felsen, der außerhalb des Schussfeldes der Angreifer lag. Sie zitterte und krallte sich an seinem Arm fest.

-„Alles ist gut“, wisperte er und strich ihr über die Wange. „Atmen Sie ruhig und bleiben Sie hier.“ Dann schüttelte er sie ab und sprang mit dem Gewehr im Anschlag aus der Deckung.

Nachdem er wenige Augenblicke später das Magazin leer geschossen hatte, rannte er zu ihrem Jeep zurück und fingerte aus einem kleinen Fach in der Tür ein Reservemagazin. Um nachladen und die Situation überblicken zu können, suchte er Deckung vor der Kühlerhaube des Wagens. Er hatte fünf Männer erwischt und auch die übrigen Soldaten hatten immerhin ein halbes Dutzend Männer ausschalten können. Aber nun waren die Angreifer in der Überzahl, da bis auf den Offizier und drei weitere Soldaten auch ihre Männer ausgeschaltet worden waren. Fox überlegte. Sekundenbruchteile später rief er, so laut er konnte, die verbliebenen Soldaten zusammen.

-„Wir müssen uns gleich formieren und versuchen, die Angreifer so in die Flucht zu schlagen. Wie viel Munition haben wir noch?“

Vor ihm kippte der Offizier eine ganze Tasche mit Reservemagazinen aus. „In Ordnung, das müsste reichen. Also, jeder nimmt sich ein volles Magazin, lädt seine Waffe nach und läuft dann in einer Reihe mit den anderen auf die Angreifer zu. Wir sollten versuchen, immer hinter Deckungen zu bleiben. Die Felsen bieten guten Schutz. Alles klar?“

Die Soldaten nickten. „Na dann los!“

Sie sprangen aus der Deckung und liefen unter Dauerfeuer auf die Angreifer zu. Diese schienen mit der plötzlichen Attacke nicht gerechnet zu haben und wichen zurück. Einige ergriffen die Flucht, andere wurden sofort von einem Kugelhagel durchlöchert und nur wenige stellten sich ihnen in den Weg und schossen zurück. Stück für Stück rückten sie vor, stiegen über die Leichen der Angreifer und feuerten unerbittlich weiter. Kugel für Kugel flog aus den Läufen. Ein ohrenbetäubender Lärm erschütterte das Plateau. Zusätzlich machte ihnen der aufgewirbelte Staub mit der Zeit das Leben schwer. Gerade war das Magazin eines Soldaten leer. Er versuchte es aus dem Metallgehäuse zu ziehen, doch es klemmte. Fox beobachtete aus dem Augenwinkel, wie der Soldat panisch wurde.

-„Ruckartig ziehen!“, rief er noch, aber da hatte eine Kugel bereits ein Loch in dessen Hals gerissen. Das Blut spritzte zur Seite, genauer gesagt sprudelte es geradezu aus der Öffnung, in der bei genauerem Betrachten Reste der gesprengten Knochen und Sehnen zu sehen gewesen wären. Der Soldat kippte nach hinten, noch ehe Fox über das gerade Gesehene nachdenken konnte. Dafür blieb genau genommen ja auch keine Zeit. Und er war mittlerweile Profi genug um zu wissen, dass zu viele Gedanken tödlich sein konnten und dass er so etwas ausblenden musste. Außerhalb einer solchen Gefahrensituation hätte sich jeder Mensch bei dem Anblick des Toten vermutlich übergeben, aber im Einsatz und unter Beschuss handelte ein erfahrener Soldat souveräner. Soweit hatte ihn seine Ausbildung zumindest gebracht.

Was er allerdings registrierte, war die Tatsache, dass sie nun ein Mann weniger waren. Es wurde also noch schwieriger. Auch Fox‘ Magazin war leer. Geschickt tauschte er das alte gegen ein Reservemagazin. Er setzte ein paar Schüsse, dann bemerkte er, dass keiner der Angreifer mehr zu sehen war. Die Gewehre im Anschlag gingen sie ein paar Meter, bis sie am Abhang auf der anderen Seite des Wasserspeichers standen. Am Fuße des kleinen Berges sah man drei Männer, die sich hinter eine Felsgruppe verzogen. Der Staub legte sich so langsam und ein Hauch von Frieden erfüllte die Szenerie. Fox ließ die Waffe sinken und trat an die Kante des Plateaus. Nichts mehr. Dann drehte er sich um, nickte den verbliebenen Soldaten zu und ging langsam zu den Jeeps zurück, von denen einer nur noch ansatzweise zu erkennen war. Ein Gefühl des Sieges breitete sich in ihm aus, als er etwas kleines Rundes über sich hinweg fliegen sah. Einen winzigen Moment lang blickte er zurück. Dann explodierte die Granate.


Eine ganze Zeit später erwachte Fox mit großen Schmerzen auf unbequemem Boden liegend durch eine kühlende Hand auf seiner Stirn. Als er die Augen öffnete, sah er verschwommen in die sinnlichen Züge von Leonie Krügers Gesicht. Sie lächelte. Ohne ein Wort zu sagen richtete er sich auf und schüttelte seinen Kopf um die Benommenheit loszuwerden. Erst jetzt bemerkte er, dass sie sich in einer Art Zelle befanden. Vor ihm war ein dickes Eisengitter angebracht und die Wände schienen aus Lehm und Stein zu bestehen. Als er sich umdrehen und die Lichtquelle hinter seinem Kopf begutachten wollte, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz in der Nackengegend. Er ließ seinen Oberkörper langsam wieder zu Boden sinken. Unsicher betrachtete er seinen Körper. Das hieß, zumindest den Teil seines Körpers, der in seinem Blickfeld lag. Arme und Hände waren verschrammt und an seinem rechten Unterarm hatte sich eine dicke Blutkruste gebildet. Sein Hemd war mit roten Flecken übersät und seine Hose zerfetzt und völlig verstaubt. Nach seinem aktuellen Befinden zu urteilen konnte es gut sein, dass er sich eine mehr oder weniger harte Rippenprellung zugezogen hatte. Während seiner ganzen Orientierungs- und Betrachtungsphase hatte Leonie Krüger nur still dagesessen und ihm zugesehen. Nun beugte sie sich über ihn und lächelte erneut. Sie war immer noch lediglich mit ihrem Top und dem zerfetzten Rock bekleidet und mittlerweile hatte sie auch die Schutzweste wieder abgelegt. Fox konnte ihre wohlgeformten Rundungen sehen, während sie ihm mit der Hand über die Wange strich.

-„Wie geht es Dir?“, fragte sie fast im Flüsterton.

-„Den Umständen entsprechend. Und Ihnen?“

-„Lass doch endlich das mit dem Sie! Du hast mir das Leben gerettet. Und wenn der eine von diesen Männern, die uns angegriffen haben, nicht die Granate geworfen hätte, dann wäre die Rettung unseres Konvois allein auf Deine Rechnung gegangen.“

Fox erinnerte sich vage an das, was vor seiner Bewusstlosigkeit passiert war. Sie waren in einen Hinterhalt geraten. Und gerade als er glaubte, sie hätten es geschafft, flog dieses Ding über ihn hinweg und alles war verschwunden. Eine Granate, hatte Leonie Krüger gesagt. Und sie wollte, dass er sie duzte. Die nach außen hin so harte Schale schien allmählich zu schmelzen. Wie sie so über ihm kniete und lächelte, wirkte sie fast wie ein Engel.

-„Wo war denn der Angreifer mit der Granate?“, fragte er, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen.

-„Er hatte sich hinter einem Felsen versteckt. Ihr konntet ihn nicht sehen, weil der Abhang einen zu starken Neigungswinkel hatte.“

Fox wollte etwas erwidern, aber Leonie kam ihm dazwischen. Sie küsste ihn zärtlich. Der Kuss wurde lang und länger und er wollte sich aufrichten, um es besser zu können, aber wieder durchfuhr ihn ein Schmerz und er sackte stöhnend zurück.

Sie blickte erschrocken auf ihn hinunter, aber Fox lächelte.

-„Tut mir leid. durch die Folgen der Explosion bin ich nicht mal in der Lage Dich richtig zu küssen.“

-„Das wird schon wieder“, schmunzelte sie und erhob sich. „Allerdings müssen wir irgendwann hier raus. Und ich denke, das sollte möglichst bald sein. Wer weiß, was die noch mit uns vorhaben.“

Mit einem Mal war Fox wieder voll da. Die Erkenntnis in Gefahr zu sein, brachte seinem Verstand die volle Leistungsfähigkeit zurück. Seine Gedanken ordneten sich und es ergab sich so langsam ein Bild von dem, was seit ihrer Ankunft in Libyen passiert war. Wenn er die Angelegenheit richtig einschätzte, war ihre Lage nicht besonders vielversprechend.

-„Was ist mit den drei Soldaten passiert, die noch bei uns waren?“, fragte er mit zusammengekniffenen Augen.

Leonie setzte eine etwas besorgte Miene auf.

-„Ich habe nicht alles mitbekommen; nachdem die Männer mich gefunden hatten, wurde ich gefesselt und auf die Rückbank unseres Jeeps gelegt. Vorher konnte ich aber noch mit ansehen, wie der Mann, der uns am Flughafen empfangen hat, von den Angreifern erschossen wurde. Und einer der anderen schien bei der Explosion getötet worden zu sein. Aber vielleicht war er auch nur schwer verletzt, immerhin habe ich zuerst ja auch geglaubt, dass Du tot seist.“

Fox nickte nachdenklich.

-„Der Offizier und ein weiterer Mann sind also vermutlich tot. Bliebe noch einer, der auf unserer Seite steht. Hast Du irgendetwas von dem Ort sehen können, an dem wir jetzt sind?“

Sie überlegte.

-„Hm, ja, habe ich. Wir sind etwa eine halbe Stunde mit dem Jeep weiter ins Landesinnere gefahren. Irgendwann haben sie mich dann aus dem Wagen gezerrt und an einigen Zelten vorbei in dieses kleine Haus geführt. Davon gibt es mindestens noch ein weiteres hier. Ich konnte in der kurzen Zeit natürlich nicht alles genau erkennen, aber es scheint alles hier etwas provisorisch angelegt. Die alten Häuser werden zwar genutzt, wirken aber wie Überreste einer alten Stadt. Du siehst es ja allein an unserem Gefängnis hier.“

Alle Fakten, die er nun kannte, ließen die schlimmsten Befürchtungen in ihm aufkommen. Ein kleines provisorisches Dorf, bestehend aus Zelten und einigen Ruinen – was sollte es anderes sein als ein Terroristencamp? Immerhin war diese Gegend genau dafür bekannt, dass die Libysch-Islamische Kampfgruppe ihre Mitglieder hier rekrutierte. Karawanen durchzogen das Gebiet aus diesem Grund schon lange nicht mehr. Im Grunde hatten sie ihr Ziel erreicht. Nur auf der falschen Seite. Nicht innerhalb, sondern außerhalb des Camps hatte er sein wollen.

Leonie hatte recht. Sie sollten versuchen, hier wegzukommen. Und zwar möglichst schnell. Dafür mussten sie allerdings erst einmal hier rauskommen. Unter fast unerträglichen Schmerzen stand er auf und humpelte zu dem Eisengitter. Die Stäbe waren zu eng, um den Kopf hindurch zu stecken. Also konnte er nicht sehen, ob Wachen abgestellt waren, die sie möglicherweise an einem Fluchtversuch hindern konnten. Er befühlte das Eisen. Es war tatsächlich zu massiv. Keinerlei Möglichkeiten die Stäbe zu verbiegen. Eine andere Fluchtvariante musste her. Nachdenklich humpelte er durch die Zelle. durch den Boden würden sie nicht wegkommen – ohne Werkzeug oder andere Gegenstände, mit denen sie hätten graben können, war es reine Utopie zu glauben, sie könnten den steinharten Untergrund durchbrechen. Dasselbe galt für Wände und Decke. Zwar konnte Lehm nach dem Bau ein wenig instabil sein, aber diese Mauern standen schon seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden hier und hatten jedem Naturereignis getrotzt.

Der letzte verbliebene Ausweg war das schmale Gitterfenster. Beim Betrachten des kleinen Lochs in der Wand, durch das die letzten Lichter des Tages fielen, wurde Fox allerdings schnell klar, dass sie sich niemals durch diese enge Öffnung würden zwängen können. Somit saßen sie fest. Es gab keinen Ausweg. Er selbst hatte keine Idee, wie er sie ohne jedwede Ausrüstung befreien konnte, solange man sie in dieser Zelle gefangen hielt. Und die Leere des etwa neun Quadratmeter großen Raumes bot auch nicht den Hauch einer Chance sich anderweitig zu behelfen.

Fox setzte sich in die Mitte des Raumes und massierte sich die Schläfen.

-„Es gibt keinen Ausweg, habe ich recht?“ Leonie sah ihm mit sorgenvollem Blick in die Augen.

-„Irgendetwas muss es doch geben“, murmelte er. „Irgendwas!“

Krampfhaft suchte er weiter nach Alternativen zu ihrem Schicksal, aber nichts Bahnbrechendes wollte ihm in den Sinn kommen. Die einzige Chance etwas zu tun, um das Heft des Handelns wieder in der eigenen Hand zu haben, war, sobald ein Wärter sie abholen würde, die Initiative zu ergreifen und ihn zu überwältigen. Aber auch das wäre natürlich mit Risiken verbunden.

-„Ich fürchte, uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten. Wenigstens werden wir hier nicht frieren.“

-„Ach, ich hätte da aber schon eine Idee gehabt, wie wir uns gewärmt hätten“, entgegnete Leonie mit gespielter Enttäuschung.

Fox setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. -„Davon bin ich überzeugt.“

Er ging mit schon wieder etwas festerem Tritt zu dem kleinen Kerkerfenster, durch das mittlerweile die Sterne hereinschienen. Wenn man es mal anders betrachtete, hatte dieser Ort etwas Romantisches an sich. Und die Tatsache, dass sie zu zweit in dieser Zelle eingesperrt waren, trübte diesen Anschein nicht gerade. Lediglich die Aussicht auf das, was kommen würde, machte die Chance auf ein mehr oder weniger gemütliches Zusammensein zunichte. Was war, wenn sie es nicht schafften zu entkommen? Er hätte es Leonie gegenüber nie offen zugegeben, aber sein Optimismus, den er nach außen hin so grenzenlos darstellte, war in dieser Situation doch arg angeschlagen und die vollkommene Überzeugung, dass sie es schaffen würden, war einigen Zweifeln gewichen. Er würde sicher noch nicht wieder voll auf dem Damm sein, wenn er da sein musste, um sie zu befreien und Leonie würde auch keine große Hilfe sein, davon musste er ausgehen. Zum ersten Mal in seinem Leben war er sich nicht sicher, ob er eine Herausforderung meistern würde. Der Grat zwischen Leben und Tod, auf dem sie momentan wandelten, war äußerst schmal und bei einem falschen (oder auch gar keinem) Schritt konnten sie dem Tod näher kommen, als ihnen lieb war. Und das schon am Anfang dieser Mission. Nicht einmal die Chance wirklich in diese Aufgabe hineinzuwachsen, war ihm vergönnt. Sieg oder stirb war die Devise.

Fox drehte sich um. Wenn sie schon den Tod vor Augen hatten, wollte er wenigstens wissen, mit wem er sterben würde. Über ihr Aussehen und ihr Verhalten hatte er zwar schon so einige Schlüsse über diese bezaubernde Mitarbeiterin des Innenministeriums ziehen können, aber wirklich etwas über Leonie Krüger zu wissen, konnte er nicht behaupten.

-„Ich weiß ja mittlerweile, dass Du vom Innenministerium beauftragt bist, die Schritte meines Vorgehens und meiner Erkenntnissammlung zu dokumentieren und gegebenenfalls weiterzuleiten, aber über Dich weiß ich eigentlich noch gar nichts. Wie kommt es denn zum Beispiel, dass Du nicht über einen Laufsteg in Paris läufst oder vor einer Kamera in Hollywood stehst, sondern in einem Büro in Berlin oder Bonn sitzt?“

Sie fuhr sich verlegen lächelnd durch ihr blondes Haar.

-„Ich glaub nicht, dass ich eine Chance hätte, in diesem Business zu überleben“, begann sie, bis sie von Fox unterbrochen wurde:

-„Das denke ich doch. Bei Deinem Aussehen.“ Und er meinte es auch so. Allerdings schien ihre Formulierung in der aktuellen Situation doch ein bisschen ironisch. Denn die Gewissheit zu überleben, hatte sie in diesem Moment sicher zu einem großen Prozentsatz weniger.

-„Reduzierst Du mich als Frau etwa gerade nur auf mein Aussehen?“ Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als Fox entschuldigend die Hände hob.

-„Ich bitte vielmals um Verzeihung. So war das natürlich nicht gemeint.“

-„Na gut, ich vergebe Dir noch mal. Aber Spaß beiseite – um Deine Frage zu beantworten: Ich denke, eine Berufswahl hat nicht immer nur mit Wünschen zu tun und mit dem Job beim Innenministerium bin ich eigentlich ganz zufrieden. Zum einen liegt mir diese Büroarbeit, zum anderen passt auch die Entlohnung und ich habe diesen Job ohne großen Aufwand bekommen, weil meine Mutter seit Jahren mit dem Innenminister befreundet ist. Und was vor allem noch hinzukommt, ist die Tatsache, dass ich so meinen Kopf einsetzen muss, was bei einem Model- oder Schauspielengagement wohl eher weniger der Fall gewesen wäre.“

-„Aber überanstrenge Dein hübsches Köpfchen bloß nicht. Es wäre schade drum.“

-„Blödmann“, lachte sie, wobei er sich sicher war, dass sie etwas nach ihm geworfen hätte, wenn es in diesem Raum auch nur einen geeigneten Gegenstand gegeben hätte.

Einen Moment standen sie nur so da und starrten sich an. Dann schlang Leonie ihre Arme um ihn und küsste ihn. Genau in dem Moment als sich ihre Lippen berührten, flog die Tür auf und eine laute Stimme, die durch das Tuch vor dem Mund des Mannes gedämpft klang, sagte in perfektem Französisch: -„Viens! Allez! Vite!“

Das Euro-Attentat

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