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Prolog

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Es war ein kühler Novemberabend in der deutschen Hauptstadt. Zu dieser Jahreszeit war Berlin nicht gerade der gemütlichste Ort Europas. Die Temperaturen sanken in den frühen Abendstunden bereits unter den Nullpunkt und in der Dunkelheit kamen einem Pendler die Wartezeiten an Bahnhöfen und Haltestellen noch unerträglicher vor, als an normalen Tagen sowieso schon. Daran änderte auch die durch den Adventsschmuck und die aufgestellten Verkaufsbuden bereits auf Weihnachten eingestellte Bahnhofshalle des Hauptbahnhofes nichts. Der Intercity aus München fuhr gerade ein und brachte eine weitere kalte Welle mit sich.

Gerhard Bröker rückte seinen Hut zurecht und band seinen langen beigen Mantel zu. Diese Treffen der Hoteliers wurden immer langweiliger. Und dann durfte er nun auch noch in der Kälte auf seinen Zug warten, der ihn zurück in die Heimat nach Stuttgart bringen sollte. Die alten Zeiten seien vorbei, hatte ein Kollege aus Hamburg gemeint. Niemand wolle heutzutage noch in gemütlichen, aber überhitzten Zimmern sitzen. Ein Hotel brauche Erlebnischarakter. Häuser der hanseatischen Art, wie das seine in Stuttgart, hätten eine Überholung dringend nötig, eigentlich ihre besten Tage sogar hinter sich. Wie blöd diese Ignoranten doch waren, dachte Bröker. Nicht jeder Gast zieht einen Luxusschuppen mit Wellness, Spa und kostenlosem W-Lan den guten alten Häusern mit Tradition vor. Mit der Zeit würden sie vielleicht den Fehler in ihrer Kalkulation bemerken. Und dann würden sie Hotels wie das seine wieder in den Himmel loben. Ja, die Zeit war schon etwas Gutes. Wenn man sie denn hatte und nicht in der Kälte am Berliner Hauptbahnhof verbringen musste. Dieser bescheuerte Zug hatte bereits einige Minuten Verspätung und noch immer war nichts von ihm, geschweige denn einer Meldung über die Verspätung auf der digitalen Anzeige zu sehen.

Der Bahnsteig war für einen Montagabend erstaunlich leer und doch breitete sich unter den wenigen Wartenden eine gewisse Unruhe aus. Bröker beobachtete einige Tauben, die von einem Stahlträger zum andern flogen und sich dann auf ein Paar Brotkrumen auf dem Bahnsteig stürzten. Der kurze Signalton, der eine Ansage ankündigte, ließ den Hotelier aufhorchen. Na endlich, nun würde der Intercity-Express angekündigt werden und in den Bahnhof einfahren. Er nahm seinen Koffer und schlenderte näher an die Bahnsteigkante heran.

„An Gleis dreizehn, bitte beachten Sie: ICE-Sprinter 1093 von Berlin Ostbahnhof zur Weiterfahrt nach Stuttgart Hauptbahnhof über Berlin-Spandau, Frankfurt am Main und Mannheim; ohne Halt zwischen Berlin-Spandau und Frankfurt am Main Hauptbahnhof; planmäßige Abfahrtszeit 18:05 Uhr, wird heute voraussichtlich eine Stunde später abfahren. Die Platzreservierungen bleiben erhalten.“ Die Frauenstimme verstummte. Auf dem Bahnsteig wurde es dafür lebhafter. Alle Gedanken an die Kälte schienen verflogen. Bröker wandte sich um und ging in Richtung Treppe. Typisch Deutsche Bahn, dachte er, nicht einmal das kurze Stück vom Ostbahnhof hierher schaffen die, ohne sich Verspätung einzuhandeln. Die Reaktionen der anderen Menschen auf dem Bahnsteig waren ähnlich. Mal etwas lauter, mal etwas leiser ereiferten sich im Stich gelassene Kunden über die üblichen Zustände im System der Deutschen Bahn. Seinen Koffer in der rechten und die linke Hand in der Manteltasche schritt er verärgert die Stufen in die Aufenthaltshalle im ersten Obergeschoss hinab. Er würde sich die verbleibende Zeit irgendwo im Bereich des Brandenburger Tores vertreiben. Seine Frau schwärmte schon eine ganze Weile von so einer Souvenir-Schneekugel mit einem Brandenburger Tor im Inneren. Vielleicht hatten sie ja etwas in der Art in den Souvenirshops im Angebot.


Wenige Minuten später passierte Gerhard Bröker bereits die Greifskulptur aus rotem Sandstein auf der Südostseite der Moltkebrücke und schlenderte gemütlich durch den Spreebogenpark entlang der Willy-Brandt-Straße in Richtung Regierungsviertel und Brandenburger Tor. Trotz Kälte und Dunkelheit waren die Wege der Grünanlage nicht vollkommen leer. Einige verrücke Berliner liefen bei lauter Musik aus einem Ghettoblaster in kurzen Hosen und Hotpants in Richtung Spreeufer, während andere, etwas seriöser wirkende Männer in Anzügen auf das Kanzleramt zusteuerten. Die Laternen warfen ein freundliches Licht auf den Gehweg und die nun leiser werdende Musik überließ dem üblichen Verkehrslärm das Geräuschfeld. Ruhe durfte man hier nicht erwarten. Zu keinem Zeitpunkt. Bröker sah auf seine Uhr. Er lag gut in der Zeit. Wenn sein Zug wirklich erst mit einer Stunde Verspätung abfahren sollte, würde er es locker schaffen, pünktlich wieder zurück zu sein. Er schlenderte weiter in Richtung Schweizer Botschaft, die nun direkt in seinem Blickfeld lag und an der er vorbei käme, bevor er den Platz der Republik vor sich hatte. Berlin war wirklich eine interessante Stadt. Sehenswürdigkeiten ohne Ende und jede Menge Baumaßnahmen, die in einigen Monaten zu weiteren großartigen Bauwerken führen würden. Oder eben nicht.

Dass sich besonders hier im Stadtteil Mitte schon einige große Architekten versucht hatten, war durchaus erkennbar. Zu den imposantesten Bauwerken gehörte sicher auch der Hauptbahnhof auf der gegenüberliegenden Seite der Spree. Bröker drehte sich um. Jetzt, da die vielen Glasflächen des Bahnhofsgebäudes von etlichen Lichtern beschienen wurden, wirkte der Komplex noch eindrucksvoller als ohnehin schon. Der hellerleuchtete Haupttower mit dem Bahnlogo versperrte ein wenig die Sicht auf das eigentliche Lichterspektakel, das die vielen unterschiedlichen Farbsignale innerhalb des Bahnhofes, entstehend durch Züge, Lampen, Signale und Werbeanzeigen boten. Gerade wechselte das Licht von einem dunklen Rot in ein helles Orange. Bröker, fasziniert von der Lichterschau, lächelte. Er hätte noch eine ganze Weile hier stehen und auf die Fassade des Hauptbahnhofs blicken können.

Plötzlich schoss aus einer Glasfront zwischen Haupttower und westlichem Hallenkomplex ein Feuerball. Ein lauter Knall folgte und Bröker wurde gemeinsam mit einigen anderen Passanten von der folgenden Druck- und Hitzewelle erfasst und zu Boden geworfen. Der Hotelier wusste nicht, wie ihm geschah. Er lag auf dem Boden und anstelle der eben noch herrschenden Kälte breitete sich nun eine fast unerträgliche Hitze um ihn herum aus. Weitere Explosionen an und im Bauwerk verwandelten die eben noch so anmutige Lichterschau in ein tosendes Inferno. Die großen Stahlträger, um die es beim Bau des Bahnhofs so große Diskussionen gegeben hatte, fielen mit einem Krachen, das selbst aus dieser Entfernung noch wie ein lauter Donnerschlag klang, zu Boden. Stöhnend versuchte Bröker aufzustehen. Es ging nicht. Der Schock hatte ihn gelähmt. Er tastete nach seiner Tasche. Sie war zumindest noch da, wenngleich sein Laptop darin wohl zerstört sein durfte. Um ihn herum kreischten die Menschen voller Panik; einige hatten sich schon wieder aufgerappelt und liefen verängstigt durch die Gegend. Gerhard Bröker versuchte zu realisieren, was da gerade eigentlich passiert war, aber seine Gedanken ließen sich nicht ordnen. Vom Boden aus konnte er noch erkennen, dass einige kleine Trümmerteile in seine Richtung flogen. Kurz darauf traf ihn etwas Hartes, Spitzes mit unglaublicher Wucht an Oberkörper und Kopf. Er zuckte noch einmal kurz, dann entspannten sich seine Muskeln.


Wenige Stunden später saßen Rebecca Lavoir (Opal Alpha), die Chefin des European Secret Service, und ihr Führungsstab bei einer eilig einberufenen Krisensitzung zu den aktuellen Geschehnissen in einem Konferenzraum des neuen ESS-Headquarters in Konstanz vor einer heruntergelassenen Leinwand und verfolgten die Berichterstattung im Fernsehen. Gerade wurde ein Interview mit einem Terrorismus-Experten unterbrochen, um die aktuellen Zahlen von Toten und Verletzten zu präsentieren. Gespannt blickten alle auf die Leinwand. Als die kurze Aktualisierung beendet war, stellte Opal Alpha den Ton auf stumm.

-„Also, meine Herren, Sie sehen, wir stehen vor einigen Problemen. Die Ausmaße des Anschlags sind jetzt noch gar nicht abzusehen. Noch können wir zumindest hoffen, dass dies der einzige war und die Lage alsbald unter Kontrolle zu bekommen ist. Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise haben wir schon genug Probleme in Europa, da hat uns eine nationale Krise in Deutschland gerade noch gefehlt. Wie steht es mit weiteren Hintergrundinformationen? Die Medien haben ja bislang herzlich wenig geboten.“ Sie blickte fragend in die Runde. Niemand schien so wirklich eine passende Antwort parat zu haben. Opal Alpha schüttelte verärgert den Kopf. Gerade wollte sie die Anwesenden zurechtweisen, als Opal Gamma nach kurzem Klopfen die Tür öffnete.

-„Haben Sie wenigstens etwas Brauchbares?“, fragte sie barsch.

-„In der Tat, so ist es. Ich habe gerade ein Telefonat mit einem befreundeten Sprengstoffexperten hinter mir, der mit der Untersuchung der Sprengsätze in Berlin beauftragt ist. Zu Einzelheiten will er sich noch nicht äußern, aber er meint, man könne mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass das verwendete Material aus Libyen stammt.“

-„Welche Anhaltspunkte hat denn Ihr Kontakt?“

Opal Gamma setzte sich auf einen der freien Bürosessel an dem ovalen Konferenztisch. Das herunter gedimmte Licht ließ eine Kommunikation mit Blickkontakt so gerade noch zu.

-„Wie bereits gesagt: Details hat er noch keine, aber soweit ich alles verstanden habe, hat er die Sprengstoffmischungen und Detonationswellen bereits analysiert und obendrein den Anhaltspunkt, dass Sprengsätze dieser Art bei den NATO-Einsätzen in Libyen gefunden wurden. Ich werde in den nächsten Stunden eine Probe von meinem Kollegen bekommen und habe dann die Möglichkeit diese auszuwerten.“

-„In Ordnung.“ Opal Alpha schien für den Moment zufrieden. „Wenigstens einer, der hier seine Arbeit erledigt.“

Opal Gamma nahm das Lob mit einem Lächeln zur Kenntnis und nickte. Opal Alpha hingegen wandte sich bereits wieder den anderen Männern in der Runde zu.

-„Wir haben also zumindest einen Anhaltspunkt. Ich will alle Informationen, die über libysche Terroristen zu finden sind; wirklich alles. Das übernehmen Sie, Ekholm.“ Der Schwede, Leiter der Informationsbeschaffungsabteilung Delta, stand auf und ging, ohne ein Wort zu sagen. Opal Alpha überlegte einen Moment. Dann nahm sie die Fernbedienung und schaltete den Ton wieder ein.

-„Eine grobe Einordnung können wir also vornehmen“, sagte sie laut, um die Stimme der Reporterin zu übertönen. „Wie sieht es eigentlich mit…“; sie unterbrach sich. Die Bundeskanzlerin erschien mit besorgter Miene auf dem Bildschirm. Hinter ihr konnte man Blaulichter erkennen; sie schien noch im Kanzleramt zu sein. Opal Alpha stellte den Ton lauter.

-„Meine Damen und Herren. Dies ist eine schwere Stunde für unser Land.“ Die Kanzlerin unterbrach sich, ihre Finger krampften sich in das Rednerpult. „Der vor wenigen Stunden verübte Anschlag hat den Frieden unseres Landes und das Gefühl von Sicherheit in Deutschland in einem bislang unvorstellbaren Ausmaß beschädigt. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Sie sind Opfer eines schrecklichen Verbrechens, das die Lage nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa erheblich verschlechtert. Bislang hatten wir Probleme finanzieller und wirtschaftlicher Art. Aber all diese Probleme, und mögen sie auch noch so groß gewesen sein, sind nichts gegen das, was uns hier ereilt hat. Der Terror war und ist eine der größten Bedrohungen für das gesicherte Leben auf dieser Erde. Nicht erst seit dem 11. September 2001 ist uns diese Gefahr allgegenwärtig, aber einen Anschlag von dieser Härte hätte wohl niemand hier für möglich gehalten. Ich habe vor wenigen Minuten mit dem Innenminister telefoniert. Die Analysen der Anschläge sind bereits angelaufen und wir hoffen, dass bald nähere Informationen vorliegen werden. Wir haben noch kein abschließendes Bild von der Tat und auch die Analysen werden nicht alle Fragen beantworten können. Vor knapp einer halben Stunde hat uns allerdings ein Bekennerschreiben erreicht, in dem die Terrororganisation Al Kaida die Verantwortung für das Geschehene übernimmt. Unser oberstes Ziel, neben der Aufarbeitung dieses einen Szenarios muss also sein, den Kampf gegen den Terror neu aufzunehmen. Wir alle, die wir an die Freiheit, den Respekt und das friedliche Zusammenleben glauben, wir alle müssen diesem Feind, dem Terror mit aller Macht entgegentreten. Das ist es, neben der Trauer und dem Mitgefühl, was mich heute bewegt und was unser Land und all unsere Verbündeten auch in Zukunft leiten sollte.“ Die Kanzlerin nickte noch einmal und verschwand dann aus dem Bild. Opal Alpha blickte nachdenklich auf die Leinwand. Nach einer Weile schaltete sie erneut den Ton aus.

-„Al Kaida also? Doch nicht Libyen. Oder beides?“

Opal Omega meldete sich das erste Mal in dieser Nacht zu Wort:

-„Ich könnte mir einen Zusammenhang vorstellen. Wir sollten ihn zumindest nicht ausschließen. Die Libysche Islamische Kampfgruppe soll unseren Informationen zufolge enge Kontakte mit den Führern von Al Kaida pflegen. Ihr Durst nach Vergeltung scheint noch immer nicht gestillt. Gegründet wurde diese Organisation in den Neunzigern von heimkehrenden Mujaheddin aus Afghanistan. Der Kampf, der für sie viele Jahre im Mittelpunkt stand, ist nun gewonnen. Gaddafi ist tot und das Land von seiner Herrschaft befreit. Aufgrund der wirtschaftlichen Beziehungen und des demokratisierenden Einflusses Europas und vor allem Deutschlands auf Libyen könnten die Terroristen der Kampfgruppe uns als nächsten großen Feind ansehen. Zwar ist eine gewisse Kartei vorhanden, die uns bei der Einreise von Anhängern der Organisation hätte alarmieren müssen, jedoch leben einige von ihnen als Asylanten in Großbritannien. Es ist also durchaus möglich, dass sie so nach Deutschland gelangten.“

Opal Alpha nickte, ging dann zu dem Videoprojektor, schaltete ihn aus und dafür das Licht ein. Sie blickte zum wiederholten Male in die Runde, die mittlerweile aus einem Mann weniger bestand.

-„Was denken Sie, wäre das Beste in dieser Situation? Ich erwarte Vorschläge. Bedenken Sie aber bitte, dass wir nicht im Namen Deutschlands handeln. Als Regierungsunabhängiger Geheimdienst haben wir den Auftrag, die Weltsicherheit zu gewährleisten und nicht Vergeltungsmaßnahmen im Sinne des deutschen Volkes oder der Bundesregierung zu unternehmen. Die Bundeskanzlerin lag schon richtig mit der Aussage, dass der Kampf gegen den Terror die Zukunft bestimmen wird. Aber wir werden diesen Kampf mit verdeckten Karten führen. Und? Schon irgendwelche Ideen?“

-„Mein Vorschlag wäre, diese Terrorgruppe in Libyen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen“, merkte Opal Omega an. „Und zwar nicht durch die Abteilung Delta, sondern vor Ort. Wir wissen, dass die Organisation die Rekrutierung vorwiegend im Nordosten, in der Kyrenaika, vornimmt. Das wäre ein Anhaltspunkt, der uns helfen könnte.“

-„Haben wir einen Mann in Libyen?“, fragte Opal Alpha an Opal Sigma, den Leiter der Kommunikations- und Verwaltungsabteilung gewandt, wohl wissend, dass Opal Omega diese Frage eigentlich auch hätte selbst beantworten können.

-„Derzeit leider nicht. In Nordafrika fehlen uns schon seit geraumer Zeit die Agenten. Wir müssten jemanden hinschicken. Ich..“

-„Die Aufgabe sollte einer unserer Besten übernehmen“, unterbrach ihn Opal Omega. „Die Sache darf nicht vermasselt werden. Die Sicherheit der ganzen Welt steht auf dem Spiel.“

Opal Alpha blickte den Spanier (Opal Omegas bürgerlicher Name war Orlando Gomez) fragend an. Da der nicht antwortete, ergriff sie wieder die Initiative.

-„In Ordnung. Wir brauchen also einen unserer Besten. Vielleicht sogar den Besten. Wo genau hält sich Colin Fox eigentlich zurzeit auf?“

Das Euro-Attentat

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