Читать книгу Das Euro-Attentat - Callum M. Conan - Страница 9

1 Back in Action

Оглавление

Die beißende Kälte, die derzeit auf den Straßen Sankt Petersburgs herrschte, war in dem gemütlichen Tanzlokal am Nevsky Prospekt in der Nähe der Fontanka nicht einmal zu erahnen. Die rund dreihundert Hochzeitsgäste tranken verschiedene alkoholische Getränke, tanzten, unterhielten sich oder saßen einfach in einer Ecke und erfreuten sich am Hochzeitstanz, den das Brautpaar gerade aufführte. Colin Fox saß am Tresen, vor ihm eine Schale mit Kaviar, etwas Brot und mehrere leere Wodka-Gläser. Diese Party war im Grunde die beste Ablenkung, die es für einen Mann wie ihn, mit etwas annähernd ähnlichem wie Liebeskummer überhaupt geben konnte. Er bestellte einen weiteren Wodka. Dann überließ er sich wieder seinem Elend und blickte nachdenklich, den Kopf in der linken Hand abgestützt, durch das leere Glas in seiner rechten. Seit über vierzehn Monaten hatte er seine große Liebe nun nicht mehr länger als wenige Stunden gesehen, geschweige denn etwas Nächtliches mit ihr unternommen. Daran hatte auch das kurze Telefonat, das er vor sechzig Stunden, an ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag, mit ihr geführt hatte nichts geändert. Vielmehr hatte es ihn in seine augenblickliche Depression geführt. Lavinia Lichtsteiner hatte ihn nicht etwa darum gebeten, endlich wieder einmal mit ihr auszugehen, um wenigstens ihren Geburtstag zu einem schönen zu machen; nein, sie hatte es sich sogar erlaubt, ihm von ihrem neuen Freund zu berichten, ihrer ersten ernsthaften Beziehung, seit er sie kannte und die erste echte Bedrohung für die Erfüllung seines innigsten Wunsches, irgendwann einmal dieses zauberhafte Mädchen mit den wunderschönen Augen und dem herzerwärmenden Lächeln zu heiraten. Allmählich wurde ihm klar, was die letzten Jahre über sein Fehler gewesen war. Die Frau Deiner Träume kommt nicht einfach auf Dich zu. Du musst schon etwas dafür tun, um Dein Leben mit ihr zu verbringen und vor allem: nicht zu lange warten!

Nun war es passiert. Sie hatte einen Anderen. Und alle Mühe, die er sich bislang bei ihr gegeben hatte, schien umsonst. Fox nahm einen tiefen Schluck aus seinem neuen Glas. Es hatte ja schon einen Hauch von Ironie, dass er hier über den Problemen in seinem Liebesleben verzweifelte, während um ihn herum dreihundert Menschen die Hochzeit seines guten Freundes Alexander Kessel mit dessen ihm nun angetrauten halbrussischer Ehefrau Anna Stan feierten. Das Brautpaar hatte seinen Tanz gerade beendet und der Bräutigam kam an den Tresen.

-„Du siehst aber nicht gerade fröhlich aus. Ich habe so die leise Ahnung, dass es mit Lavi zu tun hat, habe ich Recht?“

Fox nickte langsam.

-„Ich kann ja verstehen, wenn Dir nicht gefällt, dass Du jetzt einen Konkurrenten hast, der im Moment die Pole-Position innehat, aber das hier heute ist meine Hochzeit und ich möchte, dass alle Gäste fröhlich und zufrieden sind. Erst recht wenn ich seit über zehn Jahren mit ihnen befreundet bin.“ Kessel nahm seine Fliege ab, hängte sie sich offen um den Hals und klopfte Fox freundschaftlich auf die Schulter. „Komm schon. Heute Nacht kannst Du sowieso nichts mehr machen. Also amüsier Dich wenigstens und füll Dich nicht mit diesem widerlichen Zeug ab.“

-„Vermutlich hast Du Recht“, bestätigte Fox gequält.

-„Natürlich habe ich das. Übrigens hat die Cousine meiner Frau offensichtlich ein Auge auf Dich geworfen. Also vielleicht hilft sie Dir ja, Deinen Kummer zu vergessen. Was meinst Du? Wie in den alten Zeiten? Und diesmal könnte ich Dir sogar eine vorab-Bewertung geben. Im Gegensatz zu früher bewerte ich nicht nur nach Eindruck von außen, ich habe sie bereits getestet.“ Die beiden fingen an zu lachen.

-„Was für Drogen geben die Euch eigentlich in der Kommission in Brüssel?“, witzelte Fox. „Du wirst ja immer verrückter.“

-„Lass bloß meine Arbeit aus dem Spiel. Ich bin froh, dass ich wenigstens jetzt Ruhe habe. So wie es aussieht, wird es nicht mal etwas mit ungestörten Flitterwochen. So, jetzt muss ich mich aber mal wieder auf der Tanzfläche sehen lassen. Dir wünsch ich viel Spaß.“ Mit einem Zwinkern ließ er Fox wieder allein.

Vermutlich hatte sein Freund Recht, er sollte wirklich versuchen sich zu amüsieren. Nur das Wie würde er sich noch einmal überlegen. Zuerst einmal musste er sich ein wenig aufpäppeln. Er machte sich langsam auf den Weg, durch den Verbindungsgang neben dem Tresen in einen großen Hinterraum, vorbei an weiteren Gästen und dann die Treppe hinunter, in den Keller, wo sich die Toilettenräume der Herren befanden.

Als er bereits die Hand auf die Klinke gelegt hatte, stockte er plötzlich. Was hatte er da gerade aus dem Augenwinkel gesehen? Nein, es konnte nicht sein. Unmöglich, ganz ausgeschlossen!

Fox ging ein paar Schritte zurück, um sich zu vergewissern. Vorsichtig drückte er sich an die Wand und blickte durch den größeren Spalt in einer Tür. Tatsächlich, er hatte sich nicht getäuscht. In dem Raum, der durch ein Schild an der Tür als Hausmeisterraum gekennzeichnet war, erkannte er Anna Stan, wie sie einen Mann küsste. Und dieser Mann war nicht ihr Ehemann.

Fox verspürte den Drang, die Tür weit aufzureißen und die Frau seines guten Freundes zur Rede zu stellen. Aber er nahm sich zurück und versuchte, sich das Gesicht des Mannes einzuprägen. Der insgesamt kleine Kopf, wie auch die kleine Gestalt und die schmalen, tief liegenden Augen verliehen dem Mann ein asiatisch angehauchtes Aussehen. Das übrige Gesicht und der kräftige Oberkörper deuteten allerdings doch eher auf russische Herkunft hin. Vor allem die typisch slawische Nase verbuchte Fox als klares Indiz dafür. Als der Mann sich nach dem Kuss kurz abwandte und lächelnd in Richtung Tür blickte, speicherte Fox noch die hohe Stirn und die dünnen blonden Haare, sowie die durch das Lächeln hervortretenden starken Wangenknochen und das kurze Kinn. So hatte er die wichtigsten Fakten, um den Kerl beschreiben zu können, falls er seinem Freund von diesem Kuss berichten sollte. Sein photographisches Gedächtnis würde ihn nicht im Stich lassen. Die Frage aber war, ob er Alexander Kessel überhaupt von diesem Kuss erzählen sollte. Wäre dieser Ort für einen Kuss nicht so absurd, hätte man ihn vermutlich unter Glückwünschen für die Braut verbucht, wenngleich auch die Leidenschaft der beiden, die Fox zu sehen glaubte, ein wenig verwunderte. Er entschied sich, zumindest erst einmal, abzuwarten und das Gesehene für sich zu behalten.

Nachdem er die Toilette besucht und sich frisch gemacht hatte, betrachtete er sein Gesicht im Spiegel. Abgesehen von seinem Kummer rund um Lavinia kam diese Party eigentlich genau richtig. Die letzten Monate waren die reinste Hölle für ihn gewesen. Langweilige Recherchearbeit noch und nöcher. Anstatt ihr bei seiner Einstellung gegebenes Versprechen zu halten, er würde keine langweiligen Arbeiten verrichten müssen, hatte Opal Alpha ihn auf die Fährte von William St. John-Smith gesetzt und diese Verfolgung durfte er in keinster Weise körperlich aufnehmen. Obwohl Colin Fox offiziell zur Abteilung Omega gehörte, jener Abteilung, die für Operationen aller Art im Service zuständig war, musste er auf ihren Befehl hin die Aufgaben eines Beamten in der Informationsbeschaffungsabteilung übernehmen. Und das hieß Langeweile am laufenden Band. Etliche Wochen und Monate vor Bildschirmen und Akten hatten auch in seinem sonst so vor Energie sprühenden Gesicht Spuren hinterlassen. Zahlreiche dubiose Hinweise auf den Aufenthaltsort des neuseeländischen Multi-Milliardärs, der vor gut einem Jahr die gesamte Energieversorgung der Welt als ein zu monopolisierendes Geschäft angesehen hatte und vor unlauteren Mitteln nicht zurückgeschreckt war, um sich dieses Monopol zu sichern, waren beim ESS eingegangen. Alle mussten bearbeitet werden, jedem noch so kleinen Ansatz wurde nachgegangen und Fox verfluchte zeitweise sogar, dass er unter tatkräftiger Mithilfe der jungen Australierin Amy Wells den Plan des Ozeaniers zerschlagen und diese virtuelle Hetzjagd so erst ermöglicht hatte. Dieser Dienst nach Vorschrift fand wenigstens jetzt eine Unterbrechung, da er sich für diese Feier in St. Petersburg eine Woche Urlaub genommen hatte. Noch einmal fuhr er sich mit der Hand durch die Haare, dann machte er Anstalten zu gehen, als plötzlich der Mann durch die Tür trat, den Fox vor wenigen Minuten noch in den Armen von Anna Stan gesehen hatte. Als er Fox bemerkte, verzog sich sein Gesicht zu einem gezwungenen Lächeln. Stumm ging er an ihm vorbei zu den Kabinen und drückte die Klinke hinunter. Die Tür ließ sich nicht öffnen, was offensichtlich an dem Münzschloss lag, das die Toiletten hier noch besaßen.

-„Wohl dem, der Kleingeld hat“, bemerkte der Mann.

Fox lachte kurz und reichte ihm ein Fünfzig-Kopeken-Stück.

-„Oh, vielen Dank. Kann ich mich dafür vielleicht gleich an der Bar mit einem Wodka revanchieren?“ Er reichte Fox die Hand. „Mein Name ist übrigens Andrej Koroljow. Ich bin ein Bekannter der Braut.“

Aha, ein Russe also. Wie er vermutet hatte. Fox schüttelte die angebotene Hand und sagte:

-„Sie müssen sich doch nicht revanchieren. Aber wenn Sie darauf bestehen, werde ich Sie nicht daran hindern, mir einen auszugeben.“ Er grinste.

-„In Ordnung“, erwiderte Koroljow. „Wie stehen Sie denn überhaupt zum Brautpaar?“

-„Ich bin ein guter Freund des Bräutigams. Noch aus alten Schulzeiten.“

-„Also dann bis gleich, Mister…“

-„Fox, Colin Fox. Sie werden mich an der Bar finden.“

Fox verließ den Toilettenraum, während Koroljow ein Salutieren andeutete und ihm ein „Alles klar“ nachrief. Aus der Damentoilette lief ihm draußen Anna Stan in die Arme.

-„Oh, entschuldige Anna.“

-„Aber das macht doch nichts, Colin“, lächelte sie. Fox überlegte, ob er sie auf den Kuss ansprechen sollte und auch Anna Stan schien etwas sagen zu wollen, als sein iPhone klingelte. Er entschuldigte sich und nahm das Gespräch entgegen. Noch bevor er etwas sagen konnte, meldete sich am anderen Ende der Leitung Opal Alpha mit erregter Stimme.

-„Keine Zeit für große Erklärungen, Fox. Sie müssen umgehend nach Konstanz kommen. Ich schicke Ihnen einen Wagen nach Kloten, der Sie abholen wird. Bis später.“


Die Nacht war noch nicht vorbei, als Colin Fox die wenigen Stufen in den Innenhof des ESS-Headquarters nahm und den gläsernen Aufzug betrat. Durch die Glasdecke des offiziell als Competence-Center Konstanz erbauten Komplexes schien das helle Mondlicht. Fox warf einen Blick auf den Seerhein, in dessen Wasser sich das Mondlicht spiegelte. Zur Wasserseite hin schien diese Stadt nachts wie ausgestorben. Vor dem Haupteingang auf der Reichenaustraße allerdings staute sich schon der morgendliche Verkehr, der in den nächsten rund achtzig Minuten die Straßen der Stadt vollkommen verstopfen würde. Leise drang der Verkehrslärm an sein Ohr, als die Fahrstuhlansage mit weiblicher Stimme die Ankunft im dritten Stock ankündigte. Der Fahrstuhl stoppte und Fox trat auf den Gang hinaus, der quer über den Innenhof des Gebäudes führte. Einen Moment blieb er stehen und sog den Duft des Neuen ein. Das neue Hauptquartier des European Secret Service war erst vor wenigen Monaten fertiggestellt worden und hatte noch den Glanz der ersten Tage an sich. Durch die erfolgreiche Arbeit bei ihrem ersten richtigen Fall hatte sich der Ausschuss der Vereinten Nationen dazu überreden lassen, den Umzug des ESS aus dem alten Gebäude der Handwerkskammer am anderen Rheinufer in dieses neue ultramoderne Zentrum zu genehmigen und den Mitarbeiterstab um eine erhebliche Anzahl zu vergrößern. Opal Alpha hatte für die Neuaufstellung des Stabes freie Hand bekommen und ein vierköpfiges Führungsteam unter ihrer Leitung zusammengestellt. So bestand der Service nun aus vier Abteilungen, die sich um die operativen Einsätze, die Ausrüstung und das Training, die Informationsbeschaffung und auch um die Verwaltung kümmerten. Auch wenn ihm diese Änderungen alle relativ egal waren, so erfreute er sich doch des Öfteren an der Verwaltungsabteilung, die überwiegend aus jungen Frauen bestand, die einen Großteil ihrer Arbeitszeit damit zubrachten, im Aufenthaltsraum zu tratschen und ab und an mit ihm zu flirten. Das Beste aber war, dass Lisa Maytree nun seine Privatsekretärin war. Als klar wurde, dass er eine gewisse Zeit am Schreibtisch anstatt in der weiten Welt zubringen würde, hatte Opal Alpha ihm den Gefallen getan, eine Unterstützung an seine Seite zu stellen. Während er nun auf die breite Glasschiebetür zuging, die sich bei einer kurzen Berührung eines Fingerabdruckscanners automatisch öffnete, kam Lisa Maytree bereits auf ihn zu. Sie trug die Haare offen und lächelte ihr schönstes Lächeln.

-„Einen wunderschönen guten Morgen und herzlich willkommen zurück“, begrüßte sie ihn. „Sie wartet bereits im Konferenzraum auf Dich. Wie war der Flug?“

-„Zu verschmerzen. Was hat sie denn auf dem Herzen?“

‚Sie‘ war zwischen Fox und Miss Maytree das geflügelte Wort für Opal Alpha. Seit geraumer Zeit sprachen sie nur noch so von ihrer Chefin.

-„Hast Du etwa noch nichts von dem Anschlag in Berlin gehört?“ Sie schien verwundert, während sie nebeneinander in Richtung Multimediatrakt gingen.

-„Doch, aber nur so nebenbei im Flugzeug, eine französische Familie unterhielt sich drüber. Al Kaida hat sich also dazu bekannt?“

-„Ja, das stimmt soweit. Aber wenn ich richtig informiert bin, sieht sie Verbindungen nach Libyen. Du wirst es sicher gleich erfahren.“

-„Was meint Gomez?“

-„Opal Omega hat sich mir gegenüber noch nicht dahingehend geäußert, ob er Dich einsetzen will. Wart’ s doch einfach ab.“

Fox brummelte irgendetwas Unverständliches und nahm sein iPhone hervor, um es gleich darauf wieder wegzustecken. Kurz bevor sie den Konferenzraum betraten, hielt Lisa Maytree ihn zurück. Noch ehe er sich versah, hatte sie ihn in ihre Arme geschlossen und ihn fest an sich gedrückt.

-„Es ist wirklich schön, dass Du wieder da bist“, flüsterte sie. Dann ließ sie ihn los und ging vor ihm her in den sinnlos verdunkelten Konferenzraum.

-„Da sind Sie ja endlich, Fox.“ Rebecca Lavoir zwang sich zu einem Lächeln, als die beiden eintraten. Zumindest meinte Fox diesen Zwang in ihrem Lächeln zu sehen. An dem ovalen Tisch saßen neben der ESS-Chefin noch zwei weitere Mitglieder des Führungsstabes: Opal Omega und Opal Gamma. Beide nickten Fox freundlich zu. „Da Sie den Weg hierher ja nun doch gefunden haben, können wir anfangen, denke ich. Setzen Sie sich doch. Es könnte ein paar Minuten in Anspruch nehmen, Ihnen die Sachlage zu erläutern.“

Innerhalb der nächsten knapp fünfzehn Minuten erläuterte Opal Alpha mithilfe einiger Animationen die Geschehnisse in Berlin und die ersten Hinweise auf Verantwortliche. Dabei bemerkte Fox wieder einmal, wie gefasst er grausame Bilder und Nachrichten mittlerweile aufnahm. In den letzten fünfzehn Monaten hatte sich sein Empfinden in dieser Hinsicht ganz schön verändert. Immer wieder ertappte er sich, wie er für Bilder von verstümmelten Leichen oder in Blutpfützen liegenden Menschen nur wenige Empfindungen übrig hatte und nicht einmal mit der Wimper zuckte. Früher hätte sein Idealismus ihn daran erinnert, dass es etwas Schreckliches war, was da über die Bildschirme lief, und er hätte ein flaues Gefühl in der Magengegend verspürt. Aber seit er diesen Job beim ESS angetreten hatte und spätestens seit seinem ersten richtigen Einsatz, war dieses Gefühl praktisch verflogen. Diese Dinge gehörten jetzt zu seinem Leben.

Nicht zuletzt der Besuch des Fach-Psychologen, den Opal Alpha ihm nach seinen Gewissensbissen, die durch die Tötung eines feindlichen Killers entstanden waren, verordnet hatte, trug zu dieser Entwicklung bei. Der Psychologe hatte eine moralische Schizophrenie bei ihm diagnostiziert und ihm einen dreimonatigen Kurs verschrieben, in dem Fox lernte, sein Gewissen in bestimmten Situationen gezielt auszuschalten. Diese Kurse wurden von der Europäischen Union finanziert, sodass er nie daran dachte, das Ziel dieses Kurses sei, aus ihm einen gefühllosen Killer zu machen. Und auch jetzt kam dieser Gedanke ihm nicht in den Sinn, er schob es einfach auf den Stress.

Opal Alpha beendete ihren Vortrag und setzte sich.

-„Was ist Ihre erste Einschätzung, Fox?“

-„Schwer zu sagen“, befand er. „Die Frage ist meiner Meinung nach, ob die Verbindung nach Libyen bedeutet, dass Al Kaida erneut mit der Kampfgruppe aus Nordafrika zusammenarbeitet oder dass wir es bei dem Bekennerschreiben mit einem Ablenkungsmanöver zu tun haben.“

-„Zu einem ähnlichen Ergebnis sind wir in dieser Runde auch gekommen.“ Opal Alpha blickte zu den beiden anderen Mitgliedern des Führungsstabs.

-„Neben unseren grundsätzlichen Untersuchungen des Anschlags in Deutschland ist es also nun unser Ziel, Libyen und die Kampfgruppe unter die Lupe zu nehmen. Wir haben keine Kontaktleute in Nordafrika, wenn man von Tanger und Kairo mal absieht und deshalb müssen wir selbst jemanden hinschicken. Dieser jemand werden Sie sein, Fox! Die nötigen Infos gibt’s gleich von Opal Omega. Mir bleibt nur noch Ihnen mitzuteilen, dass das Deutsche Innenministerium einen Mitarbeiter dabei haben will, wenn Sie Ihre Untersuchungen beginnen.“

Fox schnaubte.

-„Das kommt gar nicht in Frage! Viel zu gefährlich! Was denken die sich eigentlich? Wir können nicht gerade davon ausgehen, dass wir da in das Gebiet der Terroristen einmarschieren und dann mit denen in Ruhe einen Tee trinken werden. Wenn ich meine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit ausführen soll, dann kann ich mich nicht nebenbei auch noch um die Sicherheit eines Beamten kümmern, der mir über die Schulter sehen will.“

-„Ob es Ihnen passt oder nicht, Sie werden diese Begleitung akzeptieren müssen. Wir haben strikte Anweisungen von ganz oben, dass allen Wünschen der Bundesregierung entsprochen werden soll.“

Für seine Chefin schien die Diskussion beendet, aber Fox redete sich in Rage:

-„Warum richten wir uns denn nach der Deutschen Regierung? Ich dachte, der Grundsatz unseres Geheimdienstes wäre die Unabhängigkeit, und jetzt das!“

-„Schluss jetzt!“, unterbrach Opal Alpha ihn barsch. „Wir sind kein Schützenverein. Wenn es Anweisungen von ganz oben gibt, dann gilt es diese zu befolgen. Und wenn hier jemand Probleme damit haben sollte, dann wird er ganz schnell versetzt werden. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

Fox blickte verärgert zu Boden, dann zu Opal Gamma, der ihn achselzuckend ansah und schließlich zu Opal Alpha.

-„Ja, Ma’am.“

-„Gut. Sie werden den Mitarbeiter des Innenministeriums also in knapp zwei Stunden am Friedrichshafener Flughafen treffen. Charlie, mein persönlicher Fahrer, fährt Sie und Opal Gamma kann Ihnen die letzten Instruktionen auf der Fahrt geben. Er und Miss Maytree werden einen Sprengstoffexperten abholen. Nun überlasse ich das Wort aber Ihrem Abteilungsleiter.“

Opal Omega erhob sich und begann mit den Instruktionen für die Mission Libyen. Fox aber hörte nur mit einem Ohr zu und war in Gedanken ganz weit weg. Er dachte an die Hochzeit seines guten Freundes in St. Petersburg, an den mysteriösen Kuss zwischen dessen Frau Anna und diesem Russen und an seine Probleme mit Lavinia. All das musste er nun hinter sich lassen. Wieder einmal raus aus den Problemen des Alltags und rein in das Außergewöhnliche, das Gefährliche, in das echte Leben.

Seine Gedanken befassten sich gerade mit Lisa Maytree und ihren Annäherungsversuchen, als Opal Omega seinen Namen sagte.

-„Hören Sie mir überhaupt zu, Fox?“, wiederholte er seine Frage, nachdem Fox ihn überrascht angesehen hatte. Der kam nicht dazu, seine Frage zu beantworten, denn Opal Delta erschien in der Tür.

-„Sie sollten sich das unbedingt ansehen. Ich fürchte, das wird uns nicht gefallen.“

Er tippte etwas auf dem in den Tisch eingelassenen Touchpad und auf dem Bildschirm erschien wieder eine Nachrichtensprecherin in einem Studio.

-„Uns erreicht soeben eine Eilmeldung aus Frankfurt. Ich übergebe an meinen Kollegen in der Mainmetropole.“ Das Bild verschwand für einen Augenblick, dann sah man einen Reporter auf dem Frankfurter Messegelände, hinter ihm panische Menschen, Hilfskräfte und ein zerstörter Messetower.

-„Dieses Video ist drei Minuten alt“, bemerkte Opal Delta.

Der Reporter in Frankfurt fasste sich an seinen Minikopfhörer, dann begann er zu sprechen.

-„Also ich habe jetzt gerade so gut wie nichts verstanden, aber ich kann ja einfach mal meine Eindrücke schildern: Vor wenigen Minuten ist hier ein Sportflugzeug in den Frankfurter Messetower geflogen. Der gesamte obere Teil des Turms ist daraufhin zusammengebrochen und abgestürzt, mehrere Häuser sind unter den Trümmern zerquetscht worden. Auch etliche Passanten scheinen ums Leben gekommen zu sein. So ein bisschen erinnert das alles an Nine-Eleven. Die Ursache ist noch vollkommen unklar. Es kann natürlich ein Unfall gewesen sein, aber nach den Geschehnissen in Berlin glaubt hier niemand an diese Erklärungsmöglichkeit.“

Opal Delta schaltete den Bildschirm aus. Niemand sagte etwas. Die einzigen Geräusche im Raum waren das Summen der Elektronik und das rhythmische Geklapper des Kugelschreibers, mit dem Fox nun spielte.

-„Ich denke, damit erreicht die ganze Angelegenheit eine neue Dimension. Von einem einfachen Anschlag können wir nicht mehr sprechen.“

-„Da haben Sie vollkommen Recht“, befand Rebecca Lavoir. „Ziehen Sie alle Leute von bestehenden Fällen ab und setzen Sie sie an diesen Fall. Wir brauchen schnellstmöglich alle Informationen. Wirklich alles. Und ich denke für unseren Agenten hier ist es höchste Zeit anzufangen. Keine weitere Diskussion, der Wagen steht unten bereit. Wenn Sie noch etwas von Zuhause benötigen, kann Charlie Sie im Grüngang vorbeifahren. Also: an die Arbeit!“

Fox legte den Kugelschreiber beiseite und erhob sich. Der Druck unter dem er nun arbeiten musste, stellte eine neue Herausforderung dar. Es ging also wieder los.

Das Euro-Attentat

Подняться наверх