Читать книгу Der beste Suizid ist immer noch sich tot zu leben - Candy Bukowski - Страница 11
DAS LEBEN IST KEIN VERDAMMTER ROMAN
ОглавлениеWenn du schreiben willst, dann schreibe.
Das sei dir völlig frei und unbenommen.
Gut oder schlecht, nur Mittelmaß gilt es vielleicht ernsthaft zu vermeiden, dann formuliere dich lieber böse an den Abgründen entlang, denn Mittelmaß, ganz ehrlich, das ist gerade mal nett und somit bekanntlich wirklich nah an Scheiße. Im Mittelmaß ersäuft die Welt, also lass dich nicht hinreißen zu blutleeren Sätzen, geboren aus plätschernden Gedanken, dann wage lieber einen sauberen Aderlass und blute dich Wort für Wort in einer Wanne aus.
Wenn du schreiben willst, dann schreibe. Hacke dich in die Tastatur oder verschmiere dich handschriftlich in Briefen, auf Kladden, lege dich in die Schubladen für bessere Zeiten oder stelle dich direkt ins Netz. Das hat so viel Platz, da kommt es auf einen mehr oder weniger nicht an und irgendwem gefällt es auch, da sei mal optimistisch, und damit ist es doch auch gut.
Willst du allerdings gelesen werden, dann schreibe einen Roman. Sagen sie. Und heißt es dort draußen. Ein echter Autor braucht einen echten Roman, da trennen sich die Spreu vom Weizen und das Wollen vom Können, da beweisen sich die Kunst und der lange Atem für die größeren Zusammenhänge.
Weil Leser nur Romane lesen, Buchhandlungen Warengruppen haben, Lektorate klare Zuständigkeiten und das Marketing ja schließlich eine Basis braucht, der Werbeetat eine Zuordnung und das Kind einen Namen. Also bitteschön: einen ordentlichen Roman, ein klares Genre und ein unverwechselbares Exposé! Das ist Pflicht, sagen sie und heißt es dort draußen.
Aber das Leben ist kein verdammter Roman. Sage ich.
Nicht einmal eine Erzählung, kein langer, ruhiger Fluss und kein dauerhaftes Abenteuer. Es besitzt keinen ausgezirkelten Spannungsbogen, es ist ein Auf und Ab und seine Kapitel verlaufen manchmal haltlos ineinander.
An manchen Stellen gibt es einen Tintenfleck, an manchen radierst du hilflos herum und Schusterjungen oder Hurenkinder finden sich zuhauf. Wenn du glaubst, einen Abschnitt sauber zu Ende gebracht zu haben. Und dann kommt doch noch etwas Unverhofftes nach und schafft sich Platz, ganz unerlaubt und hässlich, wo doch kein Rest mehr sein dürfte, auf Blankoweiß und frisch gerade umgeblättert.
Jeder gut aufgebaute Protagonist kann dir zwischendrin einfach verloren gehen und hin und wieder fällt dir das tatsächlich erst 100 Seiten später auf. Dann, wenn aus der Liebesgeschichte ein Horrorszenario wurde. Oder eine glatte Glosse.
Seitenjahrelang kannst du dich beim Langweilen in Normalität ertappen. Zwischen Aufwachen und Schlafengehen und all dem wundervollen Nichts dazwischen. Die Steuererklärung als Highlight des Jahres, trotzdem der Herzschlag so schwer und mandelbitter der Geschmack von Verpasst, Ungenutzt und dennoch Durchgestanden.
Das Leben ist kein Roman. Es wirbelt uns mit wiederkehrenden Zeitwechseln durch den sinnlos aufgebauten Strang, wirft in Zukunftsausblicke, verharrt in Rückblenden, nutzt viel zu viel vom destruktiven Konjunktiv und jeder Ich-Erzähler kennt eine fremde Stimme aus dem Off, die jeder gute Lektor streichen würde.
Das Leben ist Prosa. Und hin und wieder ein Gedicht.
Zwischen nicht zueinanderpassen wollenden Fragmenten, deren Zusammenhang sich, selbst gezwungen, nicht erschließen mag. Wir widmen gerne und streichen manchen Absatz sichtbar wieder aus.
Wir wünschen uns ein Märchen und ein Heldenlied, glauben an unsere Legenden, erzählen unsere Schwänke und hoffen zumindest auf einen Schelmenroman. Wir flechten das hohe Lied der Liebe ein und schreiben manche Pornosequenz. Mit den Quellenangaben huren wir leidlich und leben weite Strecken unter Pseudonym. Über den wahrhaftigen Autor besteht letztendlich keine Einigkeit, selbst wenn wir die dunkelsten Stunden im Gebet verbringen.
Die reine Komödie ist keinem gegeben. Und dennoch erlaubt die Banalität kein echtes Melodram. Preise sind nur wenigen vorbehalten und ausgeschrieben ist letztendlich nichts, außer dem reinen Sein auf unbestimmte Zeit und Mach-was-draus. Es gibt kein Happy End, nur schlicht Vorbei, und dennoch lohnt sich jede einzelne Zeile. Und jedes noch leere, unbeschriebene Blatt.
Willst du wirklich gelesen werden, dann schreibe endlich den Roman.
Fuck you, Belletristik!
Das Leben ist reine Prosa.
Und hin und wieder ein Gedicht.