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DER BESTE SUIZID IST IMMER NOCH, SICH TOT ZU LEBEN
ОглавлениеVielleicht nicht der spektakulärste, aber immerhin. Ja, das machen fast alle, sich tot leben. So wie fast alle essen und trinken, mittelprächtige Jobs erledigen, ein paar Träume hüten, andere verwerfen und in manchen Nächten ihren Nächsten lieben.
All das kleine Glück und auch das große. Die Schnappatmung von Zeit zu Zeit und die Suche nach dem Ankommen, ohne etwas aufzugeben, obwohl du dir doch bereits zehntausendfach selbst bewiesen hast, dass das Glück nur ein Hochplateau sein kann, ein erklommener Aussichtsfleck zum Atemholen und Vertrauenschöpfen.
In den Moment. Oder in das gute Gefühl, einmal wieder ganz weit oben zu stehen und den Blick über die Zukunft schweifen zu lassen, die dort in Zartpastell und dauerglücklich vor dir liegt. Dann, wenn wir lächelnd zusammenrücken und uns gegenseitig, mit einer ausladenden Weltumarmung, die Fototapete zeigen.
„Ach schau doch nur, wie wundervoll, wie einzigartig groß und mächtig. Das ist doch für die Ewigkeit und nachts sogar illuminiert. Komm, greif nach einem Stern und steck ihn dir ins Haar. Du bist so schön, im schönen Schein und unvergesslich.“
Direkt mit den Füßen am Abgrund und ignorierend wie ein Blinder, dass all das, auf das wir da so sentimental schauen, nicht vor, sondern unter uns liegt. In dieser hübschen Hügellandschaft aus Auf und Ab und tausend Meilen Weg dazwischen.
Das machen alle gleich, da gibt es keine allzu großen Unterschiede.
Nicht mal der Schmerz ist exklusiv, der ist ein Abziehbild vom anderen.
Von deinem, auch wenn du das so gar nicht glauben willst, und ganz egal, wie sehr du Hinz und Kunz verteufelst und auf Wackelbeinchen über ihnen stehst. Ins Kissen heulen alle gleich. Und irgendeine andere, kleine Liebe schüttelt gerade auch irgendeinen anderen durch.
Da ist nicht ein großer Gedanke in deinem Kopf, der nicht längst gedacht und sicherlich sogar gesprochen wurde. Während du selbst um Worte ringst oder deine einzigartigen Gefühle sezierst, um ihnen neue Namen zu geben. Als hätten der blasse Typ von nebenan oder die Dicke hinter der Wursttheke nicht längst gefühlt, wofür du selbst gerade die Welt zum Teufel jagst und in deiner kleinen, selbst gebauten Eremitenhölle Therapiestunden abfackelst.
Das ist so grenzenlos banal, dass man es sich gar nicht vorstellen mag, ohne eine schlechte Vorstellung abzugeben, bei der in den hinteren Rängen bereits getuschelt wird, weil dieselbe Inszenierung längst tausendfach gefeiert wurde, auch wenn du sie dir selbst immer wieder als Premiere verkaufst.
Nein, das hörst du nicht gerne.
Das gefällt dir nicht, weil dir sowieso kaum etwas gefällt, das viel mit der Realität und wenig mit deinen exklusiven Alleingängen zu tun hat. Aber sei doch einfach einmal ehrlich und fasse zusammen, was denn genau den tollen Fisch in dir ausmacht. Der du so gerne wärst, aber einfach nicht bist, wenn du doch alles genauso machst wie alle anderen.
Was nicht das Schlechteste ist, sondern einfach nur der Kern vom großen Ganzen. Und selbst wenn du dich wirklich das eine kleine Stückchen mehr ins Leben hineingeschmissen hast, dann hast du eben auch immer wieder dasselbe Stück zurückzurudern.
Wobei die Frage danach, wie viel Vergangenheit die Zukunft wohl verträgt, die Antwort schuldig bleibt. Im besten Fall. Weil wir alles verlassen können, aber nichts davon wieder losbekommen.
Nicht einen Satz, nicht einen Fehler, kein Gefühl und keinen Menschen.
Nicht einen.
Nicht eines, das dich schont, wenn du ohne Schonung rechnest.
Doch, der beste Suizid ist immer noch, sich tot zu leben. Vielleicht nicht der spektakulärste, aber immerhin. Ja, das machen fast alle, sich tot leben. Aber schau mal an, so ganz selbstverständlich ist das dann eben doch nicht, über die unbekannte Strecke.
Um deren bewiesene Kürze du gerne jaulst. Und deren gefühlte Länge dich kraftlos werden lässt. Bis zum nächsten Glücksplateau, der nächsten Umarmung der Fototapete. Und dem unausgesprochenen Wissen, dass du dich auch diesmal nicht hinunterwerfen wirst, in die einzig existente Zukunft.
Sondern, von dir selbst unbemerkt, wieder absteigst.
In diese hübsche Hügellandschaft aus Auf und Ab und tausend Meilen Weg dazwischen.
Was nicht das Schlechteste ist.
Manchmal sogar dein Spektakulärstes.