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Die Sonntags-Wikinger

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Um den Treptower Rathausmarkt herum dreht er vor der Weiterfahrt noch eine Abschiedsrunde. Nochmals lässt er seinen Blick über die Vorkriegsbauten dieser Kleinstadt im Sonntagsschlaf schweifen. An den alten Bürgerhäusern, von denen einige sogar aus der Kaiserzeit stammen, sind über den Läden teilweise noch deutsche Schriftzüge zu entziffern. Auch nach der Runde hocken die braven Punker von Trzebiatów noch mit ihren Bierflaschen vor der Rathausschänke in der Sonntagssonne. Kolobrzeg/ Kolberg kann warten! Denn das Rock-Ereignis der Saison, der Live-Auftrirtt der Band, die in der Kellerschänke aus dem Lautsprecher tönt, steigt ja erst am Montagabend. Ihnen bleibt noch genügend Zeit.

Karl, der deutsche Radler, macht sich indes umgehend dorthin auf den Weg. Für die knapp 30 Kilometer braucht er etwa eineinhalb Stunden, streckenweise zwischen den Pkw’s der Ausflügler eingekeilt. Ab Trzebiatów befindet er sich nämlich wieder auf der Hauptstraße zwischen Stettin und Kolberg. An diesem Nachmittag strömt es in die alte pommersche Hafenstadt.

Pommernland war hier besonders gründlich abgebrannt. Vom historischen Kolberg steht nur noch verschwindend wenig. Vor allem der wuchtige Mariendom zeugt von der deutschen Vergangenheit. Die deutsche Ära endete im März 1945. Die sowjetische Großoffensive, die seit Januar die deutsche Front von den Karpaten bis zur Ostsee durchbrochen hatte, erreichte den Hafen Kolberg und schnitt den Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen den Weg nach Westen ab. Der Hafen, der seit dem 14. Jahrhundert zur Hanse gehörte, bot keine Zuflucht und keine Weiterfahrt, sondern war vorerst Endstation bis zur Vertreibung durch die Polen.

Denn nach der russischen Eroberung kam der gesamte Regierungsbezirk Köslin, der zusammen mit Stralsund und Stettin das deutsche Pommern gebildet hatte, zu Polen. Kolberg kehrte zu den Anfängen seiner Geschichte zurück, die mit einer slawischen Burg und zugehöriger städtischer Siedlung im 9. Jahrhundert begann und in der die verschiedensten Belagerer und Besatzer aufkreuzten: Dänen, Deutsche, Polen, Russen, 1807 auf Napoleons Russlandfeldzug sogar die Franzosen und im Dreißigjährigen Krieg natürlich die Schweden.

Im Hafen- und Kurgebiet etwa zweieinhalb Kilometer unterhalb des Stadtbergs trifft Karl auf Polen, die sich einen Heidenspaß mit den Schiffen der einstigen Eroberer machen. Im Hafenbecken liegt ein Wikingerschiff. Seefahrtsüchtige Polen drängeln an Deck. Ein zweites erdbraunes Drachenschiff – auch dieses randvoll mit Sonntags-Seeleuten – verlässt gerade die Hafenausfahrt hinaus auf die offene Ostsee. Die Sonne lacht, aber ein kräftiger Wind bläst, und das baltische Meer grimmt. Der Wellengang lässt das Kielboot hoch schwappen, so dass es den Vergügungssuchenden an Bord ergeht wie auf einer Kirmes-Schiffschaukel. Es ist ein Juchzen und ein Kreischen. Hunderte schauen von den Kaimauern dem Spektakel zu. An den Masten der Wikingerboote flattern bunte Fahnen mit martialischen Symbolen. Doch an diesem so oft kriegsgeschüttelten Ort herrscht an diesem Sonntag ein friedliches Tohuwabohu. Sommerkirmes im Hafen: Kaffee und Kuchen auf allen Terrassen – und altskandinavische Kriegsschiffe als exotische Dreingabe.

Baltischer Zirkel

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