Читать книгу Der Schatten des Leoparden - Carola Hansson - Страница 5

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War die Angst im Grunde nicht von Anfang an dagewesen?

Er glaubt sich ganz deutlich zu erinnern.

Sonnenlicht fällt durch die schmuddeligen Spitzengardinen auf Marjattas nackte Schultern, flimmert über der schweißglänzenden Haut wie große, weiße Schneeflocken, weit weg, kaum hörbar, der dumpfe Klang der Glocken vom Dom. Sie hält die Arme über der Brust gekreuzt, schaut hinaus auf den sonntagsstillen Hof, die Finger, die noch eben mit dem schmalen Träger des Unterrockes spielten, verharren reglos in der Luft, wie wenn ihr gerade etwas aufgefallen wäre. Im Halbdunkel hinter ihrem Rücken, ganz hinten im Zimmer, leuchtet das Weiß des Kachelofens, prangen die Messingknäufe des Bettgestells, auf dem Stuhl bei der Türe, achtlos hingeworfen, das blaue Kleid, gleich daneben auf dem Boden die leere Wasserkanne.

Hatte er nicht schon damals Angst verspürt? Wie ein plötzliches Unbehagen: Was sieht sie denn?

Vom Nachbarn dringt Radiogeplärr durch den Fußboden und der Geruch nach gebratenem Fisch, er weiß, daß sie aus diesem sonnenüberfluteten Zimmer fort will, daß sie sich nach dem Tag sehnt, an dem sein Stipendium ausläuft und an dem sie ihm nach Schweden folgen wird, wo sie noch nie gewesen ist.

Draußen das sonnenwarme Kopfsteinpflaster des Hofs, das Teppichgestänge, der Flieder mit seinen verblühten Dolden, der Kehrrichteimer im Bretterverschlag neben dem Holzschuppen.

Seine sich steigernde Sorge: Wenn sie nicht das, sondern etwas ganz anderes vor Augen hat? Etwas aus einer Zeit lang vor dem Sommer da draußen, aus einer Zeit, von der er nichts weiß. Er überlegt, ob er aufstehen soll, sie an der Schulter packen, sie rütteln und zurückfordern soll.

Aber er rührt sich nicht. Betrachtet sie stattdessen mit angehaltenem Atem, während die Aschenspitze zwischen seinen Fingern wächst. Er weiß, ohne hinzusehen, daß der Staub langsam in der Sonne wirbelt, daß der Schatten des Fensterkreuzes jetzt bis zum Bett reicht, einen herabhängenden Zipfel des Lakens und die geblümte Bettdecke streift. Ein plötzliches, lautes Lachen auf dem Hof, das durchdringende Kreischen der Wasserpumpe auf der Straße, ein süßlicher Geruch nach Geißblatt und Pferdeäpfeln – und auf einmal sieht er die beiden kleinen Mädchen vor sich, die mit ihren Puppen Tag für Tag auf der Treppe des gegenüberliegenden Hauses sitzen. Ob sie wohl auch jetzt dort sind: mit mageren, bleichen Armen und Haaren, die ihnen strähnig ins Gesicht fallen, den gelenklosen Körpern der Puppen, an denen sie zerren und die sie zwischen ihren Knien verdrehen, den gestrickten Jacken, den schlotternden Strümpfen und dem leuchtend roten Puppenwagen zu ihren Füßen.

Sind es vielleicht die beiden, die sie mit solcher Aufmerksamkeit betrachtet?

Da dreht sie sich um und begegnet seinem Blick.

Einige Tauben flattern unerwartet hinter ihrem Rücken auf, fliegen mit schweren Flügelschlägen durch die brütende Hitze über dem Schuppendach und verschwinden hinter dem Fensterrahmen. Sie hält die Arme noch immer über der Brust gekreuzt, ihr Gesicht liegt im Schatten, und die Grübchen der Schlüsselbeine sind randvoll gefüllt mit grauem, weichem Licht. Gleich muß sie lachen.

Er läßt sich davon durchströmen: Zärtlichkeit, Verlangen, Freude.

Jetzt, in diesem dunklen, stickigen Speisezimmer, war er sich auf einmal sicher, daß es Monate wirklichen Schreckens gegeben hatte: vor der schwindelerregenden Bedeutung des Augenblicks, vor der Intensität ihrer Liebe, vor dem Anblick ihres weißen Fußes auf den dunklen Blumen der Bettdecke, vor dem Duft nach Meer und Eisen und Hochsommergrün. Daß er sich manchmal auch gefürchtet haben mußte, die Kontrolle über sein Leben werde ihm genommen. Ein Gefühl von Abscheu und Ekel.

Aber auch Momente der Wehmut: inmitten von Lust und Nähe ein plötzliches Gefühl von Trauer. Von etwas bereits Unwiederbringlichem.

Der Schatten des Leoparden

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