Читать книгу Der Schatten des Leoparden - Carola Hansson - Страница 9

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Er wußte nicht, wie lange er gewartet hatte, als er im Halbschlaf ein Auto zu hören glaubte. Hastig sprang er auf und stieß die Fensterläden zurück, sofort fiel Sonnenlicht ein, die Hitze brannte ihm in der Lunge, und er fühlte sein Herz gegen die Rippen hämmern, suchend blickte er über den offenen Platz zur hellblauen Holzbaracke hinüber und zum Grün, wo der Junge mit seinem weißen Ochsen verschwunden war. Kein Auto war zu sehen, kein Blatt rührte sich am Baum, der schmale Weg lag verlassen da, sogar die Männer unter dem Baum waren verschwunden. Einige magere Hunde schnupperten an der Stelle, wo sie gesessen hatten.

Er dachte, daß er sich geirrt haben mußte. Daß ihm die Hitze und das zunehmende Gefühl von Unwirklichkeit einen Streich gespielt hatten.

Ihm war übel. Als wüchse ihm auf einmal alles über den Kopf, als drohten ihn dieser allzu kleine Raum, die brütende Hitze und der aufdringliche Geruch nach gärender Fäulnis zu ersticken. Angeekelt schob er den Teller mit dem fettigen Maisbrot und den schmierigen Mangos von sich, fiel schwer gegen die Stuhllehne zurück und schloß die Augen.

Alles, nur nicht dieses entsetzliche Gefühl der sich langsam ausbreitenden Panik.

Heute war Karsamstag. Er sagte sich, daß er sich zwingen müsse, vorwärts zu blicken. Anfang April. Daß er an all das denken müsse, was er sich zu tun vorgenommen hatte. Er wurde mehr Pflanzen sammeln in diesem Gebiet als irgend jemand zuvor. Er würde die Wälder erforschen, er würde jeden Baum, der dort wuchs, jede Blume, jeden Strauch und jeden Grashalm kennenlernen. Aber vor allem wollte er sich mit den Epiphyten beschäftigen. Er würde von allem, was er sah, Aufzeichnungen machen, die verschiedenen Epiphytenarten sollten die Grundlage seiner Arbeit bilden. Sie waren sein Spezialgebiet. Mit seiner Sammlung von tausenden, ja zehntausenden von Epiphyten würde er bei seinen Kollegen Bewunderung und Neid wecken.

Es war wichtig, dachte er, daß er so bald als möglich damit anfing.

Bereits morgen würde er mit dem Sammeln beginnen. Konnte er sich nicht auf eine größere Expedition begeben – die Berge im nördlichen Teil von Guanacaste lockten ihn besonders – würde er in der Umgebung der Hazienda sicher eine Menge interessanter Arten finden.

In diesem Augenblick hörte er, wie sich schräg hinter ihm die Türe öffnete, und er wandte sich hastig um.

Leonard stand in der Türöffnung. In dem weißen Hemd und den weißen Hosen schien seine Gestalt im schwachen Licht von der Veranda von selbst zu leuchten, das Gesicht lag im Schatten und war unmöglich zu erkennen. Einen Moment blieb er auf der Türschwelle stehen, abwartend, dann breitete er die Arme aus und eilte durchs Zimmer.

– Viktor, du bist gekommen, wie du versprochen hast.

Sie umarmten einander. Leonard ließ lachend seine Hand auf Viktors Schulter ruhen, Viktor bemerkte den Glanz in seinen Augen und erinnerte sich plötzlich ganz deutlich an den naßgrauen, bleichen Wintermorgen in Helsingfors, unmittelbar bevor sie sich getrennt hatten, an das leichte Schneetreiben und das bestimmte Gefühl, daß sie sich nicht zufällig begegnet waren.

Lange betrachteten sie einander. Dann wandte sich Leonard um und rief dem Mädchen, das gegen den Rahmen der Küchentüre gedrückt stand, auf Spanisch etwas zu. Seine Stimme klang ungeduldig, beinahe herrisch.

Viktor fiel auf, daß Leonard seit ihrer letzten Begegnung schlanker geworden war, merkwürdigerweise auch bleicher. Seine Art, sich zu bewegen, war jedoch unverändert, rasch, mit unvermittelten, unerwarteten Gesten und gleichzeitig sehr kontrolliert. Unverändert auch die auffallend hellen Augen, der seltsame Glanz – und dann das Lachen.

Wenn es wirklich ein Lachen war. Er spürte, daß er auf der Hut sein mußte.

– Daß du gerade heute gekommen bist, sagte Leonard, ist ein gutes Zeichen. Heute vormittag – er warf sich unvermutet gegen die Stuhllehne zurück und begann in den Taschen seines weißen Hemdes zu suchen –, vor wenigen Stunden, ist die erste positive Antwort auf meine jahrelangen Bettelbriefe gekommen.

Das Mädchen kam mit einer Flasche Rum und drei Gläsern. Es trug noch immer die magere Katze unter dem Arm, und erst jetzt bemerkte Viktor, daß ihr Fell gelb und zottig war, wie verdorrtes Gras, und daß ihr rechtes Hinterbein in einer eigenartig verdrehten Stellung gekrümmt war.

Nachdem Leonard genau, überaus genau, dachte Viktor, die beiden Taschen seines Hemdes durchsucht hatte, ging er zu den Hosentaschen über. Alles, was Leonard tat, jede Bewegung und jeder Ausruf, erschien Viktor sorgfältig durchdacht, Teil eines von Anfang an befolgten Plans, und als Leonard schließlich – nachdem er die Hosentaschen umgekrempelt und sich an die Stirn geschlagen hatte, vom Stuhl aufgeschossen und im Zimmer herumgelaufen war – mit den Fingern schnalzte, als wäre ihm eben etwas eingefallen, schien auch diese Geste einem detaillierten Szenario zu entstammen, einem unwirklichen, traumartigen Szenario, das Viktor zunehmend mißmutiger stimmte. Es fiel ihm schwer, dem erwartungsvollen Blick zu begegnen, der ihn von der anderen Seite des Tisches her beobachtete, als Leonard endlich seine Hand nach dem weichen, weißen Stoffhut ausstreckte und wie ein Zauberkünstler etwas aus dessen Innerem hervorholte.

Leonard hielt einen weißen Umschlag hoch, öffnete ihn und nahm einen zerknitterten Schein heraus, den er glättete und zwischen ihnen auf den Tisch legte. Es war ein Zehnpfundschein, so abgenutzt und zerschlissen, daß er sich an den Rändern aufzulösen begann.

Leonard lachte.

– Diesen Schein, sagte er, habe ich heute vormittag von der Ortsgruppe Somerset der «Friends of the Earth» erhalten. Das bedeutet, er lehnte sich über den Tisch und sah Viktor mit seinen hellen Augen an, daß nur noch sechstausend-neunhundertneunzig Dollar fehlen, bevor ich – bevor wir – wenigstens jenes Waldstück kaufen können, das sich auf dem südlichsten Teil der Halbinsel Nicoya befindet.

Viktor hob unsicher die Achseln.

Leonard schenkte nach. Das dritte Glas, erklärte er, sei für Pater Claude. Pater Claude lebe in Montezuma, die Jesuiten hätten schon vor vielen Jahren ein kleines Missionshaus am Rand des Dorfes errichtet. Pater Claude unterrichte, eine andere Schule gebe es meilenweit nicht, und einheimische Lehrer könne man nicht bekommen. Pater Claude sei außerdem der einzige in der Gegend, der ein Auto besitze, einen alten, aber noch durchaus brauchbaren Jeep, den er vom französischen Konsul in San José übernommen habe.

Leonard lehnte sich zurück und zeigte auf das hellblaue Holzgebäude.

– Pater Claude ist gerade im Laden und holt deine Pakete ab, die vor mehr als einer Woche eingetroffen sind.

Viktor war erleichtert. Daß die Presse und das Löschpapier angekommen waren, hob seine Stimmung. Wieder packte ihn die Ungeduld, am liebsten hätte er sich gleich auf den Weg zur Hazienda gemacht. Er brannte vor Neugier, sich die Umgebung anzusehen, bevor die Dunkelheit einbrach. Als dürfe er nicht einen Augenblick verlieren.

In diesem Moment hob Leonard sein Glas und brachte einen Toast auf Viktors Ankunft aus.

Der Schatten des Leoparden

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