Читать книгу Der Schatten des Leoparden - Carola Hansson - Страница 7

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Der Abend, an dem sie ihm von ihrer Erscheinung erzählen wird.

Vielleicht das erste Mal, daß er den Wunsch, davonzulaufen verspürt?

Sie sind auf dem Weg zum Hagnästorget, zum Restaurant Alkola.

Sie gehen schweigend nebeneinander her.

Blaue Abenddämmerung, ein schwacher Wind weht vom Meer, ihr helles Kleid leuchtet im Halbdunkel. Eine Straßenbahn rasselt dem Quai entlang, die Schienen glitzern wie Wasser, und hinter einem Holzstapel bei der Brückenverankerung sehen sie zwei bleiche, verkniffene Jungengesichter.

Das Schweigen beunruhigt ihn. Es scheint ihm auf einmal ein Makel zu sein. Ein Mangel an Worten. An Worten oder an Gesprächsstoff, er weiß nicht, welches von beiden.

Er überlegt, ob er ihr von seiner Arbeit erzählen soll. Von der zauberhaften Blüte des Gefleckten Knabenkrautes mit ihrer blaßroten Glocke und der lila Innenseite, wo die purpurroten Nerven ein geheimnisvolles Muster um die rosa, rotgefleckte Lippe bilden. Vom milden, süßlichen Duft des Frauenschuhs in der Dämmerung. Und von den eigenartigen Fliegenblumen, deren Blüten keinen Honig enthalten, aber einer wirklichen Fliege so ähnlich sehen, daß sie die Männchen der Feldwespen für die Bestäubung anlocken können.

Ja, er wird plötzlich von dem unbändigen Drang ergriffen, ihr von etwas zu erzählen, das weit zurückliegt, von etwas Wunderbarem: der schmächtigen Eberesche, die auf einem Weidenbaum wuchs, den ihm sein Vater vom Zugfenster aus gezeigt hatte – nie wird er den Anblick dieses schmarotzenden Baumes vergessen, sein zierliches, leichtes Astwerk gegen den grauen Himmel, darunter die knorrige, schwarze Weide, die Ebene, der graurissige Lehmboden.

Aber während er nach den passenden Worten sucht, befürchtet er plötzlich, daß sie das, was er sagen will, nicht versteht, daß sie alles in einer Weise auffaßt, die sich von seiner Absicht unterscheidet. Da zieht er sie stattdessen an sich und küßt sie.

Lange hält er ihr Gesicht zwischen seinen Händen.

Das Restaurant ist gut besetzt, Familien in Sonntagskleidung und stille, herausgeputzte Kinder. Es ist sehr warm und rauchig. Die Tische sind weiß gedeckt, und auf jedem steht eine Vase mit Birkenlaub und roten Rosen. Auf dem Podium hinten im Saal spielt ein kleines Streichorchester ungarische Walzer. Sie bestellen Schildkrötensuppe, Hackbeefsteak und Rotwein. Marjatta breitet die gestärkte Serviette über die Knie und sagt, daß ihr Bruder hier zu spielen pflegt. Aber nicht oft, fügt sie hinzu, nachdem sie lange und nachdenklich einen kleinen Jungen am Nebentisch betrachtet hat, dessen Haare so kurz geschnitten sind, daß die Kopfhaut weiß unter den schwarzen Stoppeln hervorschimmert – nur wenn er unbedingt Geld braucht.

– Mein Bruder, sagt sie, mag es nicht, wenn jemand falsch spielt.

Er sieht sie an und lacht. Sie erwähnt zum ersten Mal, daß sie einen Bruder hat, und dieses neuerworbene Wissen versetzt ihn in glänzende Laune.

– Spielt er Cello? fragt er. Das Cello ist ein Instrument, das ihm gefällt.

– Er spielt Geige, antwortet sie, im Stadtorchester. Aber nicht im Sommer. Da ist er meistens draußen im Schärengarten. Wir sind in Kimito geboren, mein Bruder und ich, in einem Dorf, das Tjuda heißt und für seine mittelalterliche Feldsteinkirche bekannt ist. Dorthin fährt er, sobald er frei hat, er schläft viel, läßt sich von Mutter bedienen und wildert Seevögel.

Die Schildkrötensuppe ist versalzen, aber sie essen sie dennoch. Sie trinken und streicheln einander heimlich die Knie unter dem Tisch.

Sie sind sehr glücklich.

Später tanzen sie im Gedränge zwischen den anderen Paaren im Erdgeschoß. Hier werden Blues gespielt, und es ist noch wärmer und verrauchter als im Speisesaal. Sie tanzen, bis sie schwitzen, sie lachen und pressen sich eng aneinander.

Dann, in einer Pause zwischen den Tänzen – sie stehen an der Wand und blicken über die leere Tanzfläche – beginnt sie ohne Vorwarnung zu erzählen, etwas, erklärt sie und sieht ihn seltsam an, wovon sie noch niemandem erzählt hat.

Sie war damals gerade dreizehn Jahre alt geworden, und die Erscheinung war das Merkwürdigste und Phantastischste, das sie je erlebt hat.

Sie zögert nicht, sucht nicht nach Worten.

Und während sie redet, ist ihm, als ändere sich das Licht unmerklich, als entdecke er plötzlich an allem eine andere und fremde Seite. Endlich schweigt sie – die Musik hat bereits wieder zu spielen begonnen – , er steht da, mit dem Kopf gegen die Wand gelehnt und betrachtet unter halbgeschlossenen Augenlidern die tanzenden Paare vor ihm auf der Tanzfläche: die dunklen, schweren Körper der Männer, die helleren der Frauen, die Ovale der Gesichter, die sich wie weiße, starre Flecken im Halbdunkel ausnehmen, die nackten Arme und roten Lippen und der plötzlich sehr aufdringliche Geruch nach Schweiß und Parfüm und Sex.

So banal, denkt er angeekelt, so lächerlich und widerlich banal.

Verliebt zu sein ist nichts anderes als das blinde Aufeinandertreffen von Körpern, von zufälligen und auswechselbaren Körpern.

Er könnte heulen vor Ekel.

Und gleichzeitig packt ihn ein heftiger Zorn gegen sie, ist sie nicht irgendwie schuld an der Veränderung, die eingetreten ist?

Der Schatten des Leoparden

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