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Waffenruhe unter Frauen

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Als Lucia nun endlich erkannte, dass ihr Dickkopf dem der alten, aber noch immer eindrucksvollen Dame nicht gewachsen war, gab sie den Widerstand auf und versuchte mitzuarbeiten. Als Gegenleistung gestatte ihr die Großmutter gelegentliche Ausritte und ein paar Fechtlektionen bei ihrem Vater. So kehrte endlich wieder Frieden ein.

Eines Tages, sie saß gerade mit Johanna im Salon bei einer Tasse Tee, konnte Lucia nicht mehr an sich halten. Seit dem Zwischenfall mit Fürst Harald hatte sie die Sache mit den Bora nicht mehr aus ihrem Kopf bekommen. Heute schien ein günstiger Zeitpunkt zu sein, um Näheres zu erfahren, denn die Großmutter hatte ausgesprochen gute Laune.

„Darf ich dir eine Frage stellen?“, fragte Lucia mit zuckersüßer Stimme.

„Du darfst, mein Kind! Was hast du auf dem Herzen?“ Mit einem freundlichen Lächeln blickte die alte Dame zu ihrer Enkelin herüber.

„Die Bora. Was hat König Roland eigentlich gegen sie?“

Lucia war auf eine lange Rede vorbereitet: Dass sie das alles nichts angehen würde, sie sich um ihre Dinge kümmern solle und so weiter. Doch zu ihrem Erstaunen stellte die Großmutter jetzt entschlossen ihre Teetasse ab.

„Ich glaube, es wird Zeit, dich darüber aufzuklären, was im Lande vor sich geht. Dein Vater ist zwar dagegen, dich mit diesen Dingen zu ängstigen, aber ich bin der Meinung, dass das Halbwissen, welches du dir bei deinen Lauschereien erworben hast, beunruhigender und auch gefährlicher ist als ordentliche Aufklärung.“

Lucias Welt stand Kopf. Die Großmutter wollte ihr die Antworten geben, die der Vater verweigerte? Hatte sie der alten Dame in diesem Fall etwa doch Unrecht getan?

„Ich sage dir jetzt, was ich von alldem weiß und was ich davon halte. Zu deinem Vater aber kein Wort, denn er würde es mir sicher verübeln!“

Lucia versprach es und fand das Gefühl spannend, so etwas wie ein Geheimnis mit ihrer Großmutter zu teilen. Aufmerksam hörte sie zu.

„Solange ich denken kann, leben diese Leute hier und haben sich nie etwas Schlimmes zu Schulden kommen lassen. Keiner hat sich an ihnen gestört, außer vielleicht ein paar abergläubische Wichtigtuer, die keiner wirklich ernst nahm. Seit König Roland nach dem überraschenden Tod seines älteren Bruders dessen Erbe angetreten hatte, geht es den Bora schlechter. Er hat ganz offen seine Zweifel an deren Gottesfürchtigkeit und Königstreue bekanntgegeben und ihr Recht infrage gestellt, das Land zu besiedeln. Jedoch ohne es wirklich zu begründen. Hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, dass er nur im Auftrag seines Beichtvaters, des Bischofs von Reichingen handelt. Man sagt, er ist ihm hörig. Ich weiß natürlich nicht, was davon wahr ist, jedoch gilt es als bewiesen, dass die Macht des Bischofs weit über die Befugnisse seines Amtes hinausgeht. Er gilt als intolerant gegenüber allem, was jenseits seiner eigenen Ideologie liegt und predigt offen seine Ablehnung gegen die Bora. Für ihn sind sie gottlose Heiden. Leider haben sich inzwischen viele der Adelshäuser von diesem Gedankengut anstecken lassen. Sie versprechen sich mehr Macht und Reichtum, wenn sie dem Bischof beipflichten und verkaufen dafür ihr Gewissen. Dein Vater hat immer weniger Gleichgesinnte auf seiner Seite. Zumindest steht kaum noch jemand öffentlich zu den Bora, da man befürchtet, die Gunst des Königs zu verlieren.

Diese armen Menschen stehen unter dem Schutz ihres jeweiligen Lehnsherren. Doch wenn sie diesen Schutz verlieren, sind sie Freiwild für alle, die ihnen etwas Übles wollen.“

Lucia war entsetzt. „Aber das ist ja furchtbar! Sie tun doch nicht wirklich etwas Böses, oder?“

„Natürlich nicht. Im Gegenteil, sie sind sehr kultiviert und gebildet, was sie für die Dummen allerdings noch gefährlicher erscheinen lässt!“

„Aber was ist mit ihrer Religion? Ich habe gehört, dass sie manchmal heidnische Riten zelebrieren sollen?“, fragte das Mädchen weiter.

„Nun ja, sie haben wohl schon einige Traditionen, die sie auch heute noch im Verborgenen ausführen. Ich hatte jedoch einmal die Möglichkeit zu einem Gespräch mit einem Mann, der Zeuge dieser harmlosen Rituale geworden ist. Er erklärte mir, dass sie nichts weiter tun, als Mutter Erde ihren Dank zu zollen. Sie glauben an Gott ebenso wie an Mutter Erde. Ich kann darin nichts Verwerfliches finden, da unser Vater im Himmel doch all die Wunder erschaffen hat, welche die Erde lebendig machen.“

Lucia dachte einen Moment über das Gehörte nach und es entstand Schweigen. Dann ergriff sie vertrauensvoll die Hand der alten Dame. „Danke, dass du so offen mit mir über alles geredet hast. Das hatte ich so nicht erwartet.“

Johanna lächelte und strich ihr das Haar aus der Stirn. „Auch ich kann noch für Überraschungen gut sein, mein Kind. Weißt du, du bist jetzt kein kleines Mädchen mehr. Ich bin der Meinung, du hast ein Recht zu wissen, womit sich dein Vater gerade herumschlägt. Er hat es nicht leicht im Moment. Die Lage spitzt sich zu. Immer häufiger hört man von Übergriffen und Beschimpfungen, denen die Bora ausgesetzt sind. Frederic nimmt sich das sehr zu Herzen. Er braucht unsere Unterstützung, Lucia! Und die können wir ihm am besten geben, wenn wir uns einig sind und alles von ihm fernhalten, was ihm zusätzlichen Ärger bereitet.“

„Das sehe ich ganz genauso!“, stimmte Lucia ihr zu, bevor sie sich herzlich umarmten.

Lucia im Netz der Lüge

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