Читать книгу Die Dämonenschatz-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling - Carsten Zehm - Страница 10

Das Duell im Gasthaus Zum Rülpsenden Drummel-Drachen

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Der Troll kniff die Augen zusammen. Seine buschigen Brauen zogen sich tief herab, so tief, dass selbst die Augen kaum mehr zu sehen waren. Starr fixierten sie seinen Gegner. Der Blick des Elfen war genauso unnachgiebig auf den Troll gerichtet. Nicht eine Wimper zuckte. Ganz langsam hob sich seine Hand und strich eine Strähne des blonden Haares aus der Stirn. Der Troll entblößte im Gegenzug seine gelben Hauer. Schief und krumm standen sie. Besonders die beiden äußeren Zähne des Unterkiefers, die dick wie Zwergenfinger über die Oberlippe ragten, gaben dem Gesicht etwas Bedrohliches. Das Entblößen des ganzen Gebisses konnte genauso gut eine Drohung wie ein Grinsen sein. Die spitze Zunge des Elfen kam zum Vorschein. Nervös fuhr sie über die Lippen.

„Ich bin bereit für das Duell, Troll. Du auch?“

„Was fragst du, Elflein? Trolle kneifen nicht, Elfen schon eher. Ihr seid von Natur aus feige.“

„Hör auf mit deinen Sprüchen! Lass uns anfangen!“

Der Troll nickte zustimmend. Totenstille herrschte ringsumher. Langsam hob der Schiedsrichter, ein Zwerg, die Hand. „Bei drei“, sagte er und wartete, bis die beiden Kontrahenten mit dem Kopf genickt hatten.

„Eins!“

Jetzt zwinkerte der Troll doch.

„Zwei!“

Erneut leckte der Elf sich über die Lippen.

„Drei!“

Die schwielige Hand des Schiedsrichters krachte auf den Tisch und brüllendes Anfeuerungsgeschrei erhob sich in der Gaststube des Rülpsenden Drummel-Drachen. Die Hände des Trolls und des Elfen schossen zeitgleich nach vorn, packten einen der je zwanzig vor ihnen auf dem Tisch stehenden Bierkrüge und setzten zum Trinken an. Schaum schwappte aus den Humpen über ihre Münder und troff ihnen auf die Brust, als sie begannen, die Bierkrüge um die Wette zu leeren. Theodil Holznagel, der Schiedsrichter, beobachtete beide aufmerksam und zählte die geleerten Krüge. Der Rest der Gäste feuerte entweder den Troll oder den Elf an und brach in lauten Jubel aus, wann immer ihr Favorit einen geleerten Krug auf den Tisch knallte. Menschen, Halblinge und Zwerge, zum größten Teil Einwohner Neu-Drachenfurts, schwenkten Bierkrüge, Weinbecher, Zigarren oder längst erloschene Pfeifen, schlossen Wetten ab, klopften sich gegenseitig auf den Rücken, johlten, schrien, pfiffen. Kurz: Sie veranstalteten einen infernalischen Lärm, der außerhalb des Gasthauses dumpf bis weit ins Dorf schallte. So manch eine zu Hause gebliebene Frau verdrehte ob des Radaus die Augen und rechnete damit, ihren Mann heute nur unter großen Schwierigkeiten ins Bett bringen zu können.

Wie konnte man nur bereits weit vor dem Abend schon so gewaltig zechen? Der Zeitpunkt des Duells war aber bewusst auf den Nachmittag gelegt worden, da Rulgo, der Troll, sich bei Sonnenuntergang zu seiner Schlafstatt begeben musste. Als Taglicht-Troll verschlief er die Nacht.

Nach dem fünften Bierkrug ging der Troll leicht in Führung. Seine Anhänger quittierten das mit noch lauterem Gejohle. Die Wetten stiegen. Einzig die Person neben Theodil Holznagel beteiligte sich nicht am allgemeinen Tumult. Auf den ersten Blick schien sie eine Zwergin zu sein. Wenn sie auch so groß war wie ein Zwerg, war sie dafür ausgesprochen schlank und grazil. Still beobachtete sie die beiden Wettkämpfer. Den Troll Rulgo kannte sie schon seit dem letzten Jahr, den Elf erst seit einigen Tagen. Und so unglaublich es erschien, der Elf war ihr Bruder. Oder zumindest ihr Halbbruder, der Sohn ihres Vaters. Dieser nämlich, Gilbath, der Fürst der Elfen der Riesengras-Ebene, hatte vor vielen Jahren ein Liebesabenteuer mit einer Zwergin gehabt, ihrer Mutter. Barella Morgentau war eine Zwelfe, das Kind einer Zwergin und eines Elfen. Sah man genauer hin, so konnte man es an ihren Augen erkennen, sie waren blau (Zwerge haben braune Augen) und an ihrer für Zwerge schlanken und athletischen Figur (Zwerge sind bekanntermaßen stämmig-untersetzt). Auch waren ihre Ohren spitz wie die der Elfen, was allerdings unter ihrer braunen Lockenpracht nicht auffiel.

Barella betrachtete ihren Halbbruder Korbinian skeptisch. Er war erst vor wenigen Tagen in Neu-Drachenfurt angekommen. Während der Ereignisse des letzten Jahres, die die alte Feindschaft zwischen Trollen und Elfen zu einem neuen Höhepunkt gebracht und beinahe zu einem Krieg zwischen den beiden Völkern geführt hatte, weilte er weit im Osten, noch hinter den Mogohani-Wäldern.1 Bei seiner Rückkehr konnte er sich nicht mit dem neuen Verhältnis zwischen Trollen und Elfen abfinden, das sein Vater mit Rulgo verhandelt hatte.

„Ich werde den Frieden, den du ausgehandelt hast, akzeptieren, Vater“, sagte er. „Aber verlange nicht, dass ich je einen Troll oder Zwerg meinen Freund nenne.“

Er war ein eingeschworener Feind der Trolle und betrachtete alle anderen Rassen als minderwertig. Das galt auch für seine Halbschwester und deren Freunde.

Nach dem zwölften Bierkrug musste der Troll lange, laut und ausführlich rülpsen. Korbinian holte auf.

Einer der Zwerge rief lautstark: „Eh, Kendor, du solltest das Gasthaus in Zum Rülpsenden Troll umbenennen!“ Gelächter folgte. Doch Rulgo hatte schnell weitergetrunken und, als er endlich zu seinem zwanzigsten Krug griff, stellte der Elf gerade den sechzehnten auf den Tisch.

„Sieg“, knurrte Rulgo mit schwerer Zunge und donnerte den geleerten Bierkrug auf die Tischplatte. Glasig stierte Korbinian die Humpen auf dem Tisch an und brauchte einen Moment, bis er seine Niederlage begriff.

„V-v-verflucht“, lallte er. Seine Zunge war noch schwerer als die des Trolls. „V-verf-fluchte Zwergensch…schei…“ Wütend wollte er mit der Hand auf den Tisch hauen, schlug aber vorbei. Durch den Schwung nach vorn gerissen krachte er mit dem Kopf zwischen den herumstehenden Bierkrügen auf die Tischplatte. Mühsam richtete er seinen Oberkörper wieder auf und rieb sich verdutzt die Stirn. Gelächter folgte. Allerdings, das musste man den Umstehenden lassen, klang im Lachen keine Gehässigkeit mit. Die Leute wussten, dass sie den letzten Winter, als ihr Dorf durch den Vulkanausbruch völlig zerstört worden war, nur durch die Hilfe der Trolle und Elfen überstanden hatten.

Rulgo erhob sich, wankte und trat um den Tisch herum. Vorsichtig, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, beugte er sich zu dem Elf.

„Wa ganichschlächt, Elflein. Hasdich wakka gehaltn. Obwohl ja Elfn vonnatur aus nüscht vertragn.“ Er hob seine Pranke und ließ sie auf die Schulter des trübe vor sich hin stierenden Elfen fallen. Der verlor jetzt seinerseits das Gleichgewicht und krachte erneut mit dem Kopf auf die Tischplatte.

„Umpf“, kommentierte er das Geschehen, bekam den Oberkörper aber dieses Mal nicht mehr in die senkrechte Position. Resigniert legte er die Arme um den Kopf und begann zu schnarchen. Der Troll lief, als würde er gleich umfallen, und verschwand durch die Tür der Gaststube nach draußen in die beginnende Dämmerung.

„Toll!“ Barella sah ihren Halbbruder verächtlich an. „Und du willst mit mir verwandt sein?“

Theodil hob jetzt seinerseits den Krug und prostete der Zwelfe zu. „Nimm es ihm nicht krumm, Barella.“

„Nicht krumm? Ich weiß seit vier Tagen, dass ich einen Bruder habe. Er kommt nach Neu-Drachenfurt, tönt laut herum, dass er mit mir verwandt sei und stößt hier alle Leute mit seiner Art vor den Kopf. Ich weiß überhaupt nicht, warum er hierher gekommen ist.“

„Er meint es nicht so“, versuchte Theodil sie zu beruhigen. Es hatte genau den gegenteiligen Effekt.

„Er stänkert, Theodil. Mit mir, mit den Zwergen, den Menschen, den Halblingen, er stänkert sogar mit Waltrude, aber vor allem mit den Trollen und Bandath. Ich dachte schon, mein Vater sei ein Idiot. Der hat sich allerdings im letzten Jahr einigermaßen auf die Reihe gekriegt. Korbinian aber setzt allen Elfen die Krone auf, die Narrenkrone. Er ist überheblicher und eingebildeter als das ganze Elfenvolk zusammen. An keiner anderen Rasse lässt er ein gutes Haar. Seit er hier ist, hat er sich mit Thordred Weißbuche geprügelt, Menach zum Messerwerfen herausgefordert, Kendor im Schwertkampf und mich im Bogenschießen. Und er hat alle Wettkämpfe verloren. Ich meine, Theodil, er ist ein Elf! Wie kann er gegen einen Zwerg im Ringkampf und einen Menschen im Schwertkampf verlieren?“ Frustriert setzte Barella ihren Krug an und leerte ihn mit einem Zug. Die Zuschauer rund um die zwei Duelltrinker hatten sich gegenseitig ihre Wetteinsätze ausbezahlt und saßen jetzt wieder in der Wirtsstube verteilt an ihren Tischen. Sie werteten das Geschehene aus und bestellten bei Kendor Bier, Wein oder eine Mahlzeit.

Den Neu-Drachenfurtern ging es gut. Im Frühjahr des letzten Jahres hatte der Vulkan den nördlichen Pass zerstört. Nur der Winter war zwischendurch hart gewesen, aber ein erlegter Schweine-Drache hatte den Bewohnern geholfen, die drohende Hungersnot zu überwinden. Seit diesem Frühjahr jedoch kamen viele Händler auf dem Weg zum Großen Markt am Nebelgipfel durch den Ort. Kendors Wirtshaus war zu einem beliebten Haltepunkt auf dieser Reise geworden. Die Bewohner des Ortes nutzten das und boten ihre Produkte auf dem Platz vor dem Wirtshaus den Händler an oder kauften von ihnen Waren.

„Komm, Bruderherz!“ Barella erhob sich und zog den Elf hoch, der sich schwer auf ihre Schultern stützte.

„Brauchst du Hilfe?“, wurde sie von Theodil gefragt, der sich halb erhob und seine Bereitschaft andeutete, nötigenfalls mit anzufassen.

„Nein, danke. Wenn ich dafür Hilfe brauche, dann bin ich entweder zu alt oder schwanger. Und für beides ist noch lange nicht die Zeit.“

„Was’n los?“, lallte Korbinian.

„Nach Hause geht’s. Ich stelle dir einen Eimer vors Bett und der Urzwerg sei mit dir, wenn du den nicht triffst. Dann wird Waltrude dich morgen das ganze Haus schrubben lassen.“ Sie zerrte ihn unsanft vorwärts.

„Barella!“, rief ihr Theodil hinterher. Die Zwelfe, schon auf halbem Weg zur Tür, hielt an und drehte sich noch einmal um.

„Wann brecht ihr auf?“

„In zwei Tagen.“

„Isch gommit“, stammelte ihr Halbbruder, den Kopf vor der Brust pendelnd.

„Du schlaf erst mal deinen Rausch aus, bevor wir darüber reden“, bemerkte Barella und zerrte den viel größeren Elf aus dem Wirtshaus.

„Herr Magier, du wirst doch wohl nicht wirklich so kurz vor dem Winter noch einen längeren Ausflug unternehmen wollen?“

Wie gelang es Waltrude nur, die Worte ‚Herr Magier‘ stets so auszusprechen, als glaube sie nicht an seine magische Begabungen?, fragte sich Bandath zum wiederholten Male. Die alte Zwergin stand mitten in seinem Arbeitszimmer. Auf ihrer großen Schürze schimmerten feuchte Flecken vom Abwasch. Beide Hände hatte sie in die Hüften gestemmt, rechts hielt sie einen hölzernen Kochlöffel, als wolle sie einem Lausbuben damit das Hinterteil versohlen. Und immer, wenn Waltrude in diesem Ton mit ihm sprach, kam er sich vor wie ein solcher Lausbub kurz vor einer berechtigten Tracht Prügel – auch wenn er schon weit über hundert Jahre alt und damit im besten Alter war. Die Zwergin, seine Haushälterin und gleichzeitig ein wichtiges Mitglied des vierköpfigen Rates von Neu-Drachenfurt, starrte ihn wütend an.

„Oh!“ Niesputz erhob sich sirrend in die Luft. „Da fällt mir ein, ich habe noch eine wichtige Verabredung mit einigen Gräsern, draußen im Wald. Da ihr eure schwerwiegenden Probleme sicherlich allein lösen könnt, gehe ich dann mal. Ihr wisst ja, wenn’s am Schönsten ist …“

Niesputz war ein Ährchen-Knörgi, ein Angehöriger eines kleinen Volkes weit im Süden – das behauptete er jedenfalls von sich. Der Magier jedoch hatte im letzten Jahr feststellen müssen, das bedeutend mehr in seinem kleinen, grünen Freund steckte, als dieser zugab. Smaragdfarbene Funken versprühend surrte das Ährchen-Knörgi aus dem offenen Fenster in die Dämmerung davon.

„Sieh deinem kleinen Kameraden nicht so traurig hinterher, Herr Magier, ich rede mit dir“, herrschte die Zwergin ihn an. Seit Jahren bat er sie, ihn mit seinem Namen anzureden, vergebens. Sie hatte zwar bei seiner Geburt geholfen und ihm nach dem frühen Tod seiner Mutter erzogen, aber seit er von seiner Magierausbildung aus Go-Ran-Goh zurückgekehrt war, redete sie ihn nur noch mit Herr Magier an.

„Ich habe mir im letzten Jahr genug Sorgen um dich gemacht. Da musst du nicht schon wieder losziehen, vor allem, da du nun endlich eine junge und hübsche Frau in deinem Haus hast.“

„Aber von Barella stammt doch die Idee, nach Cora-Lega zu gehen! Sie hatte den Wunsch und ich habe es ihr im letzten Jahr versprochen“, wagte Bandath einen Einwurf.

Natürlich überhörte Waltrude diesen Zwischenruf. Wenn sie Bandath die Leviten lesen wollte, dann tat sie das auch und zwar gründlich. Irgendwelche Gegenargumente zählten da nicht und brauchten also auch nicht beachtet werden. Kleinliche Hinweise auf Schuld oder Unschuld tat sie mit einer Handbewegung ab, gerade so, als wolle sie eine lästige Stechfliege verscheuchen. Ihr war das Abendessen nicht gelungen (schließlich hatte Bandath ihr mitgeteilt, dass Barella, Niesputz und er in zwei Tagen aufbrechen würden) und soeben hatte sie eines der guten Gläser zerbrochen, die sie erst beim letzten Vollmond von diesem aalglatten Händler aus dem Westen erstanden hatte. Übrigens ein ausgekochtes Schlitzohr und ein Betrüger obendrein, wenn man sie fragte. Aber sie wurde ja nicht gefragt, niemals fragte auch nur irgendeiner nach ihrer Meinung. Es hieß ja hier in diesem Haus einfach: „Waltrude, wir ziehen los“, und sie konnte sehen, wie sie zurande kam, so kurz vor dem Winter. Sie wurde ja nie gefragt, ihr teilte man einfach mit.

Dass sie als eines der angesehensten Mitglieder des Rates von Neu-Drachenfurt galt, interessierte sie im Moment nicht. Die einzige Person, auf die sie sich augenblicklich konzentrierte, saß vor ihr im Lehnsessel des Arbeitszimmers, machte einen außergewöhnlich unglücklichen Eindruck und schaute sehnsüchtig aus dem offenen Fenster dem grünen Leuchten seines Freundes hinterher. Dieses aber verlor sich bald zwischen den dunklen Schatten des Waldes. Der einzige Ausgang des Raumes, die Tür zum Flur, war durch Waltrudes füllige Gestalt versperrt, als wäre die Zwergin mit voller Absicht dort stehen geblieben. Kurz nur überlegte der Magier, ob er Niesputz durch das Fenster folgen sollte. Sein geheiltes Knie würde es erlauben. Nur ein leichter Schmerz und ein kaum wahrnehmbares Hinken wiesen auf die schwere Verletzung hin, deren Ausheilung über ein Jahr benötigt hatte. Aber wie würde das aussehen? Er, Bandath, der berühmte Magier, floh vor seiner Haushälterin durch das offene Fenster seines Arbeitszimmers. Garantiert würde genau in diesem Moment irgendjemand draußen vorbeigehen. Mindestens ein halbes Jahr würde er sich daraufhin nicht im Rülpsenden Drummel-Drachen sehen lassen können.

Resigniert drehte er sich wieder Waltrude zu. „Also gut, sag, was du zu sagen hast und dann lass mich nachdenken.“ Er wusste im selben Moment, dass er mit diesem Satz einen Fehler gemacht hatte. Zu oft kamen ihm solch unachtsame Worte über die Lippen, ohne dass er die Folgen bedachte.

„Ach? Stellen wir uns das so einfach vor? Mag die alte Waltrude ruhig ein wenig meckern und jammern, Hauptsache sie wird schnell fertig und ich, der berühmte und bedeutende Magier, habe dann wieder meine Ruhe und kann mich meinen schwerwiegenden Gedanken widmen, ja? Haben wir uns das so gedacht, Herr Magier?“

Es war wirklich ein Fehler gewesen. Bandath seufzte und schloss resigniert die Augen. Das hier würde auf keinen Fall schnell vorbeigehen, wenn nicht ein Wunder geschah.

„Nein, Waltrude, habe ich nicht. Entschuldige bitte.“ Er wünschte, er wäre mit Barella und Korbinian ins Wirtshaus gegangen, auch wenn er im Normalfall keinen Wert auf die Gegenwart des Elfen legte.

„Was soll ich entschuldigen? Dass du mich abwimmeln willst wie einen lästigen Vertreter für Giftstaub gegen Wollspinnen? Oder dass du deine junge Frau nimmst und sie kurz vor dem Winter aus ihrem warmen Haus reißt?“

Es war schlimmer, als er gedacht hatte. Egal, was er sagte, es war verkehrt. Das Problem war nur, dass er reagieren musste, sonst würde er Waltrude noch mehr erzürnen. „Wir wollen in den Süden, Waltrude, weit in den Süden, dort liegt kein Schnee.“

„Papperlapapp! Kein Schnee im Winter? Hast du das aus deinen schlauen Büchern?“

Jedes Wort schien zwecklos. Er hätte genauso gut darauf bestehen können, dass dies hier nicht Barellas, sondern zumindest ihr gemeinsames Haus war (so hoffte er jedenfalls) und dass es nicht seine, sondern Barellas Idee gewesen war, den Dämonenschatz von Cora-Lega zu finden. All diese Bemerkungen wären völlig ungehört verhallt. Wenn Waltrude in dieser Stimmung war, half kein noch so durchdachtes Argument. Hätte er darauf bestanden, dass Barella nicht seine Frau war, so hieße das nur, Öl in ein weiteres von Waltrudes Feuern zu gießen. Seit dem Frühjahr lag sie vornehmlich ihm (eigentlich nur ihm) in den Ohren. Es würde ja auch zu gut passen: Er, der Zwergling, dessen von Zwergen abstammender Vater damals eine junge Halbling-Frau geheiratet hatte, heiratet eine Zwelfe.

Was hatte sie vor nicht einmal ein paar Tagen gefragt? Ob er denn nun endlich mal an Heirat gedacht hätte?

„Heirat?“, hatte er geantwortet. „Barella soll mich heiraten? Aber es ist doch alles gut so, wie es ist. Warum denn alles durch eine Heirat noch komplizierter gestalten?“

Man hatte Waltrudes Stimme daraufhin wahrscheinlich weit außerhalb des Hauses gehört. Das solle er nur nicht Barella hören lassen! Eine Frau wolle geheiratet werden und der Mann habe den ersten Schritt zu machen! So sehe das aus. Alle aus dem Dorf würden damit rechnen.

Das stimmte allerdings. Hier in Neu-Drachenfurt hatte er etwas gefunden, was er als „Mischling“, wie er während seiner Lehrzeit in Go-Ran-Goh von einigen seiner Mitschüler abfällig genannt worden war, nirgends sonst gefunden hatte. Und Barella hatte es ihm bestätigt. Sie wurden beide akzeptiert und als ganz normale Bewohner der Siedlung betrachtet. Diese Art von Akzeptanz und Toleranz suchte er in anderen Siedlungen und Städten rund um die Drummel-Drachen-Berge vergeblich. Wahrscheinlich, weil einerseits Bandath seit hundert Jahren hier lebte, andererseits hatten die Menschen, Halblinge und Zwerge gemeinsam die Probleme des Vulkanausbruchs gemeistert. In dieser Hinsicht bildete die Siedlung eine löbliche Ausnahme. Selbst Trolle und Elfen, die seit einem Jahr in einem bedeutend stabileren Frieden lebten, hatten ihre Probleme mit anderen Rassen. Eigentlich bildete niemand eine Ausnahme. Die Menschen biederten sich bei den Elfen an, Gnome verachteten alle anderen, Zwerge lebten am liebsten für sich, Halblinge wollten ihre Ruhe, Trolle dachten, sie seien die Stärksten … Wen man auch ansah, keiner, wirklich nicht einer sah vorurteilsfrei auf andere Rassen. Vor allem die Elfen nicht. Und von allen Elfen, die er kannte, war Korbinian, Barellas Halbbruder, einer der Schlimmsten.

Wie auf dieses geheime Stichwort hin polterte es plötzlich an der Eingangstür und unterbrach Waltrudes Rede, die unbeachtet an ihm vorübergezogen war.

„Na toll“, knurrte die Zwergin. „Jetzt kommt wohl der andere Taugenichts.“ Dass sie Bandath mit diesen Worten auf eine Stufe mit Korbinian stellte, war wirklich hart für den Magier. Sie drehte sich um und sah die Zwelfe in der Tür.

„Barella, Liebes, was ist passiert?“

„Ein Wettkampf! Mit Rulgo!“

„Ein Trinkwettkampf? Am helllichten Tag?“ Obwohl Bandath Waltrude nur von hinten sah, konnte er an ihrer Körperhaltung förmlich sehen, wie sie die Augen verdrehte. „Typisch Männer. Schon vor Sonnenuntergang saufen, dass sie nicht mehr stehen können. Ich war ja von Anfang an gegen dieses Wirtshaus. Aber wer hört schon auf mich?“

Auch hier war völlig egal, dass Rulgo als Taglicht-Troll grundsätzlich alles vor Sonnenuntergang machen musste. Aber wie gesagt (jetzt verdrehte Bandath die Augen), wenn Waltrude in dieser Stimmung war …

„Leg ihn ins Bett, Kind. Ich hole ihm einen Eimer mit Wasser. Und wenn er den nicht trifft, dann sollen diesem Nichtsnutz all unsere und seine Vorfahren gnädig sein.“

Wieso eigentlich konnte Barella in Waltrudes Augen keinen Fehler machen? Sie hieß immer nur ‚Kind‘ oder ‚Liebes‘ bei ihr. Bandath hingegen bekam den ganzen Ärger ab.

Erneut seufzte Bandath, dieses Mal schicksalsergeben: Der Abend war noch lange nicht zu Ende – und Waltrude hatte noch so viel zu sagen …

1 Die komplette Darstellung der Ereignisse des letzten Jahres findest du in dem Buch „Die Diamantschwert-Saga“.

Die Dämonenschatz-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling

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