Читать книгу Die Dämonenschatz-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling - Carsten Zehm - Страница 13
Die Offenbarung des Verrückten von Pukuran
ОглавлениеBarella und Bandath reisten in der Zwischenzeit zum Berg Go-Ran, auf dem sich die Magierfeste Go-Ran-Goh befand. Als sie dort nach vier Tagen ankamen, herrschte Schweigen zwischen ihnen, ein unangenehmes, unfreundliches Schweigen. Bandath gab sich selbst die Schuld, wusste aber nicht genau, worin diese bestand. Er vermutete, dass die letzte ausführliche Unterhaltung dazu beigetragen hatte. Es hatte ganz simpel begonnen, wie es immer begann, wenn er mit Barella ins Streiten kam. Sie hatten sich über Korbinian unterhalten und waren sich einig gewesen. Da es bei langen Reisen oft so ist, dass das Gespräch von einem Punkt zum nächsten kommt, sich sozusagen verselbstständigt, kamen sie über Korbinian, Rulgo und Theodil schließlich zu Waltrude. Die alte Zwergin hatte besonders Bandath die letzten Tage sehr schwer gemacht. Trotzdem kam Barella, als er von seiner Haushälterin sprach, nicht umhin zu bemerken: „Du magst sie trotzdem sehr, nicht wahr?“
Bandath schwieg einen Moment, in dem ihre Reittiere den letzten steilen Abhang der Drummel-Drachen-Berge hinter sich ließen, bevor er antwortete. „Waltrude war die Hebamme, die meiner Mutter bei der Geburt half. Als meine Mutter dann später krank wurde und starb, kam Waltrude in das Haus meines Vaters und führte ihm den Haushalt. Ich sah, wie sie ihm bei seiner Trauer half. Sie erzog mich, entdeckte meine magische Begabung und sorgte dafür, dass ich nach Go-Ran-Goh gehen konnte. Nicht ohne mir in meiner Kindheit zuvor ausgiebig den Hintern zu versohlen, wenn ich es verdient hatte.“
„Hattest du es oft verdient?“
Bandath lachte auf. „Oh ja. Frage lieber nicht. Aber sie nahm mich auch in Schutz, wenn ich ihn brauchte. Waltrude war einfach immer da. Verstehst du?“
Barella nickte. „Wie meine Mutter.“
„Ja. Nur das meine Mutter starb, als ich fünf Jahre alt war.“
„Aber manchmal kann Waltrude ganz schön anstrengend sein.“
Bandath sah Barella erstaunt an. „Das sagst du? Du kannst doch gar nichts falsch machen. Im Gegenteil. Seit du da bist, habe ich eher den Eindruck, dass sie noch mehr auf mir herumhackt. Wie neulich Abend zum Beispiel, als du mit Korbinian aus dem Wirtshaus gekommen bist. Bis Mitternacht hat sie gezetert. Aber nicht mit dir, nein, ich allein habe den ganzen Frust abbekommen. Ihr passte einfach nicht, dass wir sie so kurz vor dem Winter allein lassen. Aber was soll schon passieren? Wir wohnen doch nicht mehr mitten im Wald, wie noch vor einem Jahr. Wenn sie Hilfe braucht, dann hat sie ein ganzes Dorf voller Menschen, Halblinge und Zwerge.“ Bandath schüttelte den Kopf. Er bemerkte gar nicht, wie sehr er sich in Rage redete. „Oder neulich. Weißt du, was sie mich da fragte?“
Barella verneinte.
„Sie wollte wissen, wann ich denn nun endlich gedenke, dich zu heiraten. Kannst du dir das vorstellen?“
„Und, was hast du geantwortet?“
Ihm fiel nicht auf, dass sich Barellas Tonfall geändert hatte. War er bisher unbeschwert gewesen, bekam er nun fast schon etwas Lauerndes.
„Was schon? Wieso sollen wir durch eine Heirat alles komplizierter machen? Es ist doch gut so, wie es ist. Du lebst bei mir, wir mögen uns. Fertig.“
„Fertig?“
„Fertig“, bestätigte er noch einmal.
„Es ist alles so, wie es sein soll?“
Bandath fiel der mittlerweile leicht eisige Unterton in Barellas Stimme immer noch nicht auf. „Na klar! Warum heiraten? Außerdem ist Waltrude doch allen Ernstes der Meinung, dass eine Frau gefragt werden will – vom Mann. Kannst du dir das vorstellen?“ Bandath schüttelte über so viel Unvernunft erneut den Kopf. „Wir und heiraten …“
In diesem Sinne hatte er noch gut eine halbe Stunde weitergeredet, ohne dass ihm auffiel, dass Barella immer stiller geworden war. Als er es dann doch bemerkt und sie gefragt hatte, was denn sei, hatte sie nur mit einem Wort geantwortet: „Nichts!“ Allerdings in einem Ton, der ihm deutlich machte, dass doch etwas im Argen lag. Was allerdings, müsse er schon selbst herausfinden.
Er fand es nicht heraus, da Barella an diesem Tag kein Wort mehr mit ihm sprach. Abends, nachdem sie ihr Lager aufgeschlagen, ein Feuer angezündet und gegessen hatten, breitete sie nicht, wie gewohnt, ihre Decke neben der seinen aus. Sie legte sich auf die andere Seite des Feuers.
„Kannst du mir bitte sagen, was ich jetzt wieder für einen Fehler gemacht haben soll?“, hatte er daraufhin gefragt.
„Lass mich einfach in Ruhe“, fauchte sie zurück und schloss die Augen. Obwohl sie natürlich nicht sofort einschlief, wie er an ihren Atemzügen erkennen konnte.
Die Unterhaltung an den nächsten Tagen beschränkte sich auf das Wesentliche. Es hatte sich bei ihnen eingebürgert, dass Barella die Mahlzeiten bereitete (sie konnte bedeutend besser kochen als der Magier) und er sich um das Feuer und den Abwasch ihres Essgeschirrs kümmerte. Dabei blieb es auch. Nur ihre Unterhaltungen schliefen ein. Barella war wegen irgendetwas, das Bandath gesagt hatte, sauer auf ihn – und zwar richtig sauer. Und allmählich griff diese Stimmung auch auf den Magier über.
Sollte sie doch sagen, welche Laus ihr über die Leber gelaufen war. Er war ein Magier, aber doch kein Gedankenleser. Hatte er sie irgendwie verletzt, dann konnte sie ihm das mitteilen und nicht alles in sich hineinfressen. Davon würde es auch nicht besser werden.
Die Zwelfe aber sagte nichts, antwortete auf seine Fragen einsilbig und sprach ihn von sich aus nicht an. Vergebens zerbrach sich Bandath den Kopf über den Grund. Als sie nach ein paar Tagen Go-Ran-Goh erreichten, war das Schweigen fest wie Erde, auf die mehrere Monde lang kein Wasser gefallen war.
Die Magierfeste erhob sich weit oben an der Flanke des Go-Ran, eines einsam stehenden Massivs. Der gewaltige Berg aus Kalkstein, die Flanken öde und leer, nur mit wenigen Bäumen bewachsen, die sich krumm und ängstlich an die Steine schmiegten, beherrschte das Land südwestlich des Drummel-Drachen-Gebirges. Am Fuße des Go-Ran dehnten sich Blutbuchenwälder, die jedoch recht schnell in Bereiche übergingen, die von Krüppelholz beherrscht wurden. Zerschnitten von Pfaden, die aus allen Richtungen auf die Feste zuführten, erstreckte sich die karge Öde der geröllübersäten Hänge. Die Spätherbstsonne tauchte den Hang in helles Licht. Ein mächtiges stählernes Tor öffnete sich nur für Magier und ausgewählte Besucher. Die Mauer aus grauem Stein schien nahtlos aus dem Berg zu wachsen, gekrönt von Zinnen, die jeden Angreifer, wenn es einen solchen gegeben hätte, abgeschreckt hätten. Hinter der hohen Mauer ragte das zentrale Gebäude der Feste hervor, das mit mehreren Seitenflügeln, etlichen Türmen, Hunderten von Erkern und Balkonen und mehreren hundert Fenstern versehen war. Überdachte Brücken überspannten den Abgrund zwischen den Türmen. Seit Tausenden von Jahren wurden in Go-Ran-Goh Magierschüler ausgebildet. Eine Gruppe hochrangiger Magier, der Ring, wie sie sich nannten, wählte unter den Bewerbern die aus, die in der Feste lernen durften. Verließen sie sie nach einer mehrjährigen Ausbildung, wurden sie automatisch Mitglied in der Magiergilde. Man erkannte sie an ihren Magierstäben, die meist ebenso groß wie ihre Träger waren. Bandath hatte seine Lehre vor vielen Jahren abgeschlossen, so erfolgreich, dass der Weise Romanoth Tharothil, der Schulleiter der Magierfeste, ihm einen Platz als Lehrer auf Go-Ran-Goh angeboten haben soll, so munkelte man. Aber das war schon fast hundert Jahre her. Der Zwergling jedoch hatte abgelehnt. Seiner Meinung nach verschanzte sich der Ring der Magier in der Feste. Diese Leute lebten ein Leben weitab von den täglichen Sorgen und Problemen der Bewohner in den umliegenden Ländern. Sie lehrten, wie ihre Vorgänger vor tausend Jahren gelehrt hatten. Nie durfte etwas Neues ausprobiert werden. Nur die alte Magie war gut und richtig, außerhalb dessen gab es nichts.
Es war ja nicht so, dass die alte Magie nichts taugte. Was aber, wenn sie eines Tages nicht mehr ausreichen würde? Solche Fragen aber durften auf Go-Ran-Goh nicht gestellt werden. Eine Änderung der Methoden auf der Feste oder gar der Ansichten der Magier dort schien weiter entfernt als der Mond, der in diesem Moment über dem Gipfel des Go-Ran stand.
Als Bandath weit unterhalb der Feste nach Süden abbog und an der Bergflanke entlangzog, anstatt zur Feste emporzusteigen, brach Barella doch das Schweigen.
„Ich dachte, du willst nach Go-Ran-Goh? Könntest du Planänderungen bitte mit mir absprechen!“
„Es gibt keine Planänderung. Wenn du mit mir reden würdest, dann hätte ich dir schon lange erklären können, dass die Bibliothek der Magierfeste etwas außerhalb der Burg in einer Höhle im Berg liegt und über einen zweiten Eingang verfügt. Nur wenige kennen ihn. Ich will aus naheliegenden Gründen nicht durch die Burg. Allein in die Bibliothek zu müssen, reicht mir völlig.“
Barella musste zugeben, dass sie seine Gründe nachvollziehen konnte. Während ihrer Suche nach dem Erd-Drachen im letzten Jahr war Bandath durch den Ring ständig gegängelt worden. Permanent bestanden sie darauf, dass er mit dem Diamantschwert zur Feste zurückkehren müsste. Sie würden schon einen Weg zur Lösung ihrer Probleme finden. Natürlich fanden sie keinen Weg und selbstverständlich war Bandath ihren Anweisungen nicht gefolgt und am Ende trotzdem – oder gerade deshalb – erfolgreich gewesen. Das hatte die Magier des Rings, allen voran den weisen Romanoth Tharothil, mächtig verärgert. Kein Wunder also, dass der Zwergling, auch wenn sich seine Handlungen letzten Endes als richtig erwiesen hatten, einer Begegnung möglichst aus dem Weg gehen wollte. Allerdings würde es nicht ganz ohne Begegnung mit einem Magier abgehen. Bandath hatte Barella bereits am Anfang ihrer Reise erzählt, dass sie sich mit Bethga würden einigen müssen. Sie war die Meisterin der Bücher auf Go-Ran-Goh. Auf Grund der exponierten Lage der Bibliothek hielt sie sich für etwas Besonderes. Kein Mitglied des Rings durfte ihr Anweisungen erteilen, auch wenn sie selbst dem Ring nicht angehörte. Sie entschied in der Bibliothek, und was sie entschied, geschah.
Nun gut, ein zweiter Eingang war für Bandath sehr praktisch, dachte Barella. Aber musste er ihr das so von oben herab mitteilen?
Der steinige Pfad wand sich halb um den Berg herum und stieg dann erneut an. Weit unter ihnen fiel der Hang des Berges in eine Ebene ab, in der das blaue Band des Ewigen Stroms schimmerte. Sie konnten eine Insel im Strom erkennen, die Geierinsel. Gnome betrieben dort eine Fähre.
Bandath führte sie bis zu einem kleinen Absatz. Dort hielt er an und stieg von Dwego.
„Du wirst hier mit den beiden warten müssen. Nicht-Magiern ist das Betreten der Bibliothek verboten.“
„Ach ja! Ihr und euer elitärer Kreis. Lass dir ruhig Zeit. Wir Normalen fühlen uns ganz wohl, wenn euresgleichen nicht da sind und versuchen, für Ordnung zu sorgen.“
Wortlos ließ Bandath die Zwelfe stehen. Versteh einer die Frauen, dachte er bei sich. Was sollte das nun wieder? Lange konnte er allerdings nicht grübeln. Die letzten Schritte des Aufstieges forderten seine uneingeschränkte Konzentration. Nicht nur lose Steine und der steile Hang, auch magische Fallstricke, getarnte Gruben und unsichtbare Eindringlings-Zermalmer säumten den Weg. Letztendlich stand er jedoch vor einer senkrechten Felswand, murmelte einen Spruch, hob seinen Magierstab etwas an und trat durch den Fels hindurch als wäre er Nebel.
Als Bandath die Bibliothek der Magierfeste Go-Ran-Goh betrat, nahm ihn sofort wieder die eigentümliche Atmosphäre gefangen, die ihn schon immer in diesen unterirdischen Räumen in ihren Bann gezogen hatte. Niemand wusste, wie es Bethga, der Meisterin der Bücher, gelang, diese Höhlen trocken zu halten. Wahrscheinlich setzte sie eine ordentliche Portion Magie ein, um hier ein Klima zu schaffen, das es gestattete, Bücher, Papyri, Pergamentrollen und ähnliches Hunderte von Jahren aufzuheben.
„Bandath.“ Die zischende Stimme der Meisterin ertönte hinter ihm. „Niemand hat mich über dein Kommen unterrichtet.“
Der Magier fuhr herum. Bethga hing hinter ihm an einem langen, klebrigen Faden, den sie an der Decke befestigt hatte. Acht ihrer zehn Spinnenbeine – jedes einzelne war mindestens dreimal so lang wie Bandath groß war – klammerten sich an den Faden, die anderen beiden bewegte sie langsam in der Luft, als wolle sie Bandath fassen und in einen dicken Kokon aus Spinnenfäden einwickeln. Ihr schwarz-roter Insektenkörper glänzte im Licht der Leuchtkristalle, die überall hier in den Wänden eingelassen waren. Bethgas Gesicht jedoch war menschlich. Über einer spitzen Nase funkelten ihn zwei kleine, schwarze Augen böse an. Bandath konnte sich nicht erinnern, sie jemals anders als böse funkeln gesehen zu haben. Die schmalen Lippen über dem eckigen Kinn hatten unentwegt verkniffen herabgezogene Mundwinkel. Ihr streng nach hinten gebundenes Harr war glatt und schimmerte schwarz. Nicht menschlich jedoch war die Farbe der Haut. Ein blasses, ungesundes Blau überzog das Gesicht von der hohen Stirn bis zum Kinn, aus dem einzelne borstige Haare sprossen.
Bethga war eine Yuveika – eine Spinnendame. Ihr menschliches Gesicht passte nicht zu dem Insektenkörper, war aber typisch für alle Vertreter dieser Rasse. Die Yuveika lebten zurückgezogen in einem Land, weit im Nordwesten der Drummel-Drachen-Berge. Fast alle anderen Völker übertrugen den ihnen anhaftenden Widerwillen gegen Spinnen automatisch auch auf die Yuveika und mieden den Kontakt zu ihnen. Bethga bildete, soweit Bandath wusste, eine Ausnahme. Sie war die einzige Magierin ihres Volkes, die sich je auf Go-Ran-Goh hatte ausbilden lassen. Unter den Schülern hatte die Meisterin der Bücher einen üblen Ruf. Es geschah nicht selten, dass sie einen Magierschüler, der gegen die strengen Regeln der Bibliothek verstieß, packte, in einen Kokon aus klebrigen Fäden einspann und mehrere Tage an die Decke der Bibliothek hängte. Bandath selbst hatte öfter mit dem Kopf nach unten in der Bibliothek gehangen, als ihm lieb gewesen war.
„Sei gegrüßt, Bethga“, sagte Bandath und neigte zum Gruß den Kopf, ohne die Yuveika aus den Augen zu lassen.
„Wieso weiß ich nichts von deinem Kommen?“, wiederholte Bethga. Sie erwiderte den Gruß des Magiers nicht. Höflichkeit gehörte nicht zu ihrem normalen Verhalten.
„Ich bin nur zu dir in die Bibliothek gekommen.“
„Das heißt, der Ring der Magier weiß nichts von deinem Erscheinen?“
Ich hoffe nicht, dachte Bandath, sagte aber: „Ich glaube nicht.“
„So? In dem Falle: Was willst du?“ Bethga zischte. Es schien ihr Spaß zu machen, den Magiern oben in der Feste etwas vorauszuhaben.
„Ich bin auf dem Weg in die Todeswüste, zur Oase Cora-Lega …“
„Oh“, unterbrach sie ihn. „Der kleine Magier will den großen Dämonenschatz heben. Ist deine Gier nach Gold so übermäßig geworden, dass du in den sicheren Tod rennen willst?“
„Ich glaube nicht, dass mich dort der Tod erwartet.“
Bethga schwieg und musterte Bandath interessiert. „Nun“, sagte sie dann, „möglicherweise könntest du recht haben. Es hat auch niemand damit gerechnet, dass du mit deiner kleinen Freundin lebend aus den Tiefen des Drummel-Drachen-Gebirges zurückkommst.“
Der Magier sah der Spinnenfrau fest in die Augen. „Ich brauche Informationen zur Todeswüste und der Oase – und alles, was du über den Dämonenschatz hast.“
Sie ließ sich vom Faden fallen, drehte sich in der Luft und landete, auf ihren Beinen wippend, vor Bandath auf dem Boden. „Komm mit!“ Rasselnd huschte sie durch die Gänge, so dass der Magier Mühe hatte, ihr zu folgen. Dabei lief sie sowohl auf dem Boden als auch an den Regalen entlang oder an der Decke. Rechts und links an den Wänden befanden sich Regale, voll mit alten und uralten Folianten, Büchern und Urkunden. Papyrusrollen stapelten sich neben Tontafeln mit eingeritzten Zeichen nach einem System, dass sich nur Bethga erschloss. In unregelmäßigen Abständen hingen die klebrigen Seile der Spinnendame von der Decke. Suchte man hier etwas zu einem bestimmten Thema, kam man ohne ihre Hilfe nicht aus. Es konnte passieren, dass man für die Beantwortung einer einzigen Frage zwei Bücher mit ähnlichen Inhalten brauchte, die Bethga aus Regalen an entgegengesetzten Enden der Bibliothek klaubte. Zielsicher führte sie den Magier durch Gänge, Kammern, Treppen herauf und Leitern herab, durch einen Saal, von dem er sicher war, dass er ihn noch nie gesehen hatte, bis in einen winzigen Raum. Wie der Rest der Bibliothek war er mit Regalen vollgestellt, deren Fächer bis zur Decke mit Büchern, Folianten, Papierrollen und Wälzern gefüllt waren.
„Cora-Lega soll es also dieses Mal sein?“ Ihr menschlicher Kopf nickte, als würde er jeden Moment abfallen. „Kleiner ging es wohl nicht?“
Sie zischte wie eine Schlange. „Obwohl, wer schon das ganze Gebirge mit all seinen kleingeistigen Bewohnern gerettet hat, der kann sich auch an die Geisteroase und den Dämonenschatz wagen.“ Sie kletterte flink an einem der Regale empor. „Wie fühlt man sich so, als Held?“
Bandath reagierte nicht auf ihre Stichelei. „Hast du jetzt etwas über Cora-Lega, die Oase oder den Dämonenschatz?“, wiederholte er seine Bitte.
Bethgas Kichern klang spöttisch. „Jaja. Immer fordert ihr alle was von der alten Bethga.“ Sie zog zwei Rollen aus einem der oberen Fächer und kletterte wieder am Regal zu Bandath herunter.
„Was meinst du? Wie würden die Magier oben reagieren, wenn sie wüssten, dass du hier bist?“
Bandath zuckte mit den Schultern. „Was sollen sie schon machen?“ Er sah auf die Dokumente, die Bethga in ihren Klauen hielt.
„Nun, es gibt Stimmen, die verlangen, dass du aus der Magiergilde ausgeschlossen wirst.“
Jetzt war Bandath doch überrascht. Sein Blick wanderte von den Papierrollen weg zu ihrem blauen, gefühllos wirkenden Gesicht. In ihre Augen trat ein Ausdruck, als würde sie sich über Bandaths Reaktion freuen, als liebte sie es, die Überbringerin schlechter Nachrichten zu sein.
„Damit hast du nicht gerechnet, oder?“, zischte sie wie eine Schling-Würg-Natter, die das Opfer mit ihrem starren Hypnoseblick festhielt. „Du hast nur noch drei Magier hinter dir: Der weise Romanoth Tharothil persönlich, der Schulleiter unserer heiß geliebten Magierfeste, steht zu dir, wenn auch nicht mehr uneingeschränkt und obwohl keiner seine Haltung nachvollziehen kann. Moargid, die Heilmagierin ist sowieso auf deiner Seite, seit sie damals deine Verbrennungen auf dem Rücken kuriert hatte. Na, und selbstverständlich Malog der Troll, der Pförtner.“ Sie spuckte das letzte Wort förmlich aus. „Ich habe nie begriffen, warum man den Pförtner zum Mitglied des Inneren Ringes macht, die Meisterin der Bücher aber nicht. Ein typisches Beispiel dafür, dass Zweibeiner gegen alles und jeden zusammenhalten, egal wie zuwider sie einander auch sind.“ Ihr Blick wanderte kurz zur Decke, als würden direkt darüber die von ihr verachteten Mitglieder des Inneren Ringes sitzen. Dann kehrte er zu Bandath zurück.
„Ich sage dir, wenn der Ring der Magier dort oben erfährt, dass du in der Bibliothek warst, ohne ihrer dringenden Einladung in die Feste gefolgt zu sein …“
„Von wem sollten sie es erfahren?“, unterbrach Bandath den Redefluss der Spinnendame.
„Du müsstest wissen, dass sie fast immer herausbekommen, wo sich ein Magier aufhält, wenn sie das wissen wollen!“
„Im Moment interessieren sie sich nicht für mich, sie haben vor mehreren Mondzyklen aufgegeben, mich in die Magierfeste zu bitten. Woher also sollten sie es wissen?“
„Von mir, kleiner Magier“, flüsterte die Yuveika. „Von mir! Von wem denn sonst?“ Ihre funkelnden Augen ließen keinen Zweifel daran, dass ihr genau das Spaß machen würde.
Bandath fluchte innerlich. Das sah dieser verknöcherten, vergreisten und weltfremden Ansammlung alter Magier in der Feste über ihnen wirklich ähnlich. Nicht das Ergebnis zählte für sie. Immerhin hatte er, Bandath der Zwergling, mit Hilfe seiner Freunde das ganze Drummel-Drachen-Gebirge gerettet. Nein, für die war nur wichtig, dass er sich von ihnen nicht hatte gängeln lassen, dass er noch nie so gehandelt hatte, wie sie es ihm von ihrer sicheren Feste aus vorschreiben wollten. Vielleicht sollte er wirklich die Einladung des Inneren Ringes nicht weiter ausschlagen und ihnen einmal ausführlich darlegen, wie die Dinge im letzten Jahr gelaufen waren.
Aber vorher musste er mit Barella nach Cora-Lega. Versprochen war versprochen. Sie hätte kein Verständnis dafür, wenn er jetzt für mehrere Tage auf Go-Ran-Goh bliebe.
„Was ist nun, Bethga? Hast du etwas über Cora-Lega für mich?“
Die Spinnendame kicherte. „Das Thema passt dir nicht, was? Nun, du wirst schon sehen. Ich denke, hier kommen noch ganz große Probleme auf dich zu. Du weißt genau: Wenn du erst aus der Magiergilde ausgeschlossen bist, dann hast du keinen Zugang mehr zur Bibliothek und brauchst von Go-Ran-Goh keinerlei Hilfe mehr zu erwarten.“
„Cora-Lega!“, erinnerte Bandath mit drängender Stimme an den Grund seines Besuches.
Bethga hielt die beiden Papierrollen hoch. Sie sahen uralt aus. „Die eine ist mehr als zweitausend Jahre alt und von einem gewissen Ib-Allo-Gandor. Er behauptet, in Cora-Lega gewesen zu sein. Allerdings ist sie in Alt-Baldit geschrieben. Kannst du das lesen?“
„Mühsam, aber es geht.“
„Die andere ist nur fünfhundert Jahre alt. In ihr berichtet ein Schreiber des Meisters der Stadt Pukuran über einen Verrückten, der angeblich eine Offenbarung gehabt haben soll. Pukuran wurde kurz nach der Niederschrift dieses Ereignisses durch einen unglaublichen Sandsturm aus der Todeswüste zerstört. Die Rolle wurde erst vor fünfzig Jahren gefunden.“ Sie reichte Bandath unwillig die beiden Stücke. „Du hast eine Stunde. Keine Notizen, keine Abschriften.“
Bandath nickte. Er würde sich weder Notizen noch die Mühe machen, die Dokumente abzuschreiben. Bethga funkelte ihn misstrauisch an, kletterte an einem der Bücherregale hoch und hangelte sich an der Decke, den Kopf nach unten hängend, aus dem Raum.
„Eine Stunde!“ Ihre Stimme hallte durch die Gänge zu Bandath.
Der Magier rollte zuerst den Bericht Ib-Allo-Gandors auf dem kleinen, in der Mitte des Raumes stehenden Tisch aus. Die zweitausend Jahre alte Rolle knisterte besorgniserregend. Als Bandath Bethga gesagt hatte, er könnte Alt-Baldit mühsam übersetzen, war das geschmeichelt gewesen, sehr geschmeichelt. Selbstverständlich konnte er als Magier eine ganze Menge alte und ausgestorbene Sprachen, schon deshalb, weil viele Sprüche in diesen Sprachen abgefasst waren und man die Sprüche verstehen musste. Auswendiglernen half bei Magie nicht viel. Alt-Baldit gehörte allerdings nicht zu diesen Sprachen und so beschränkten seine Kenntnisse sich auf wenige Worte. Die Rolle war so lang wie sein Arm und sehr eng mit einer kleinen, feinen Handschrift beschrieben. Zügig überflog er den Inhalt. Mehrmals tauchten die Worte Cora-Lega auf. Verschiedene Städte wurden genannt, die rund um die Wüste lagen, von denen die meisten allerdings schon lange nicht mehr existierten. Ein paar Mal wurde auch Pukuran erwähnt, öfter, als andere Städte. Noch häufiger fand er allerdings die Worte Gero-Scha und Scha-Gero, beides Worte, die mit Dämon übersetzt wurden, falls er sich nicht irrte. Auch die Entsprechungen für Sonne, Nacht, Wüste und Tod fand er – Tod weitaus häufiger, als ihm lieb war. Scho-Bakka war ein weiteres Wort, das sich großer Beliebtheit erfreute und an einigen Stellen sogar unterstrichen und fetter geschrieben war als der Rest des Textes. Dessen Bedeutung kannte der Magier allerdings nicht.
Genervt strich er sich über den Kopf. Das war nicht sehr fruchtbar. Er lauschte in den Gang – kein Ton zu hören. Bethga krabbelte wahrscheinlich weit weg durch die Katakomben der Bibliothek. Leise kramte er in seinem Schultersack herum und zog einen in einen weichen Lederlappen gehüllten Gegenstand hervor. Behutsam legte er das Objekt frei, indem er Ecke für Ecke des Lappens öffnete. Ein smaragdgrünes, handlanges Prisma kam zum Vorschein, glasklar geschliffen, bis auf die milchige Unterseite. Das Licht der leuchtenden Kristalle an den Wänden wurde von dem Prisma aufgefangen und in tausend Farben gebrochen zurückgeworfen. Ein Regenbogen spannte sich in Kopfhöhe Bandaths über den Tisch. Vorsichtig nahm er leise murmelnd den Kristall auf und legte ihn mit der Unterseite auf die beschriebene Rolle. Langsam zog er den Lese-Kristall, denn um einen solchen handelte es sich, über die Schrift. So war er in der Lage, den Inhalt der Schriftrolle beliebig oft wieder erscheinen zu lassen und konnte sich in den kommenden Mondzyklen ausführlich und in aller Ruhe mit der Übersetzung beschäftigen. Er hoffte auch, sich ein Wörterbuch besorgen zu können. Allerdings würden Barella und er dazu einen kleinen Umweg über Konulan in Kauf nehmen müssen. Die Stadt war berühmt für ihre Buchbinder, Bibliotheken und Buchhändler. Nun, man konnte das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Er hatte sowieso vor, seinen Bücherbestand wieder aufzustocken, nachdem ihm die beiden Kopfgeldjäger im letzten Jahr seine Bibliothek verbrannt hatten.
Dann musste er kichern, als er an Bethga dachte. Das, was er gerade getan hatte, war weder eine Notiz noch eine Abschrift. Sorgfältig rollte er das Papier zusammen und widmete sich der zweiten Schrift. Der Schreiber erging sich in weitschweifigen und blumigen Bemerkungen über den Meister der Stadt und seine weisen Entscheidungen. Bandath spürte einen Anflug von Übelkeit, als er diese Lobhudelei las. Ob dem Schreiber die Heuchelei etwas genützt hatte? Egal, es war mehrere hundert Jahre her. Erst ganz am Ende der Schrift erwähnte der Schreiber das, was er die Offenbarung des Verrückten von Pukuran nannte. Wörtlich, so der Schreiber, sei diese Offenbarung in einem Buch aufgeführt, das Die Heyligen Schrifften des Almo von Konulan über Profeten, Hell-Seher, Rufer und Wahr-Sager hieß. Bandath hatte noch nie etwas über Almo von Konulan gehört, noch über seine Heyligen Schrifften. Aber vielleicht könnte er auch darüber in Konulan einige Nachforschungen anstellen.
Er konzentrierte sich wieder auf den Text. Der Verrückte, wie der Schreiber ihn nannte, hätte mehrere Mondzyklen lang die Straßen der Stadt verunsichert und die Bürger Pukurans mit seiner Offenbarung, wie er selbst es nannte, beunruhigt. Natürlich hatte niemand dem Verrückten geglaubt. Erst als der Meister den Verrückten gefangen nehmen und hinrichten ließ, wäre die Unruhe unter den Bürgern Pukurans wieder abgeklungen. Es wurde geschildert, dass der erste Teil der Offenbarung in der Verkündung eines gewaltigen Staubsturmes bestand, der die ganze Stadt Pukuran zerstören und alle Einwohner töten würde. Ursache des Sturmes sollte ein Dämon sein, der in der Wüste hauste. Er wollte in dieser Form Rache nehmen an den Nachfahren des Herrschers von Cora-Lega.
Bandath kratzte sich nachdenklich am Kopf. Schon wieder wurde auf einen Dämon hingewiesen. Sollte das wirklich ein Zufall sein, das Pukuran kurz danach durch einen Staubsturm zerstört worden war? Er war lange genug Magier, um zu wissen, dass solche Zufälle eher unwahrscheinlich waren. Das Schicksal wählte sich oft unbedarfte, unauffällige Personen aus, die im entscheidenden Augenblick eine wichtige Rolle zu spielen hatten. Hätten die Einwohner Pukurans auf den Verrückten gehört, wäre ein großer Teil von ihnen wahrscheinlich mit dem Leben davongekommen.
Der zweite Teil der Offenbarung handelte wohl von einer Armee aus Sand, die aus der Wüste kommen und den Rest der Nachfahren auslöschen würde. Der Schreiber deutete an, dass in der Offenbarung auch etwas zur Bekämpfung dieser Armee aus Sand gesagt wurde – was genau jedoch, führte er nicht auf.
Mit langatmigen Schilderungen der Schönheit der Gattin des Meisters endete die Papierrolle. Was für ein kurzbeiniges Sumpfhuhn musste diese Frau gewesen sein, dass sie solch eine Schmeichelei nötig hatte.
Die Rolle würde Bandath nicht kopieren müssen. Vorsichtig wickelte er das Prisma wieder in sein Ledertuch und verstaute es in den unergründlichen Tiefen seines Schultersackes. Er hatte den Papyrus wieder zusammengerollt, als Bethga erschien.
„Nun, kleiner Magier“, sagte sie, während ihr magisch verstärkter Blick Bandath und seinen Schultersack nach verbotenen Abschriften durchsuchte, „hat es dir etwas genützt?“
„Sagen dir die Heyligen Schrifften des Almo von Konulan über Profeten, Hell-Seher, Rufer und Wahr-Sager etwas?“
„Almo von Konulan ist sehr umstritten. Ich habe mehrere Werke von ihm, aber dieses nicht. Die Schriftrolle ist der einzige Hinweis auf dieses Werk, den ich kenne.“ Sie sah Bandath lange an. „Was wirst du jetzt tun? Gehst du direkt nach Cora-Lega?“ Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, Bandath der Magier nicht – nicht, ehe er sich alle Quellen angesehen hat, derer er habhaft werden kann.“ Wieder musterte sie ihn prüfend. „Nach Konulan wirst du gehen, denke ich. Die Stadt der Bücher hatte es dir schon immer angetan. Nun, vielleicht wirst du dort etwas erfahren. Es ist nicht die schlechteste Idee, kleiner Magier.“ Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und huschte durch die Gänge davon. Japsend folgte ihr Bandath, mit seinen kurzen Beinen schnelle Trippelschritte machend. Die Audienz in der Bibliothek war beendet, mehr würde er nicht erfahren.
Kurz vor dem Ausgang blieb Bethga so abrupt stehen, dass er beinahe gegen sie gelaufen wäre. Ohne sich umzudrehen sagte sie: „Wenn du die Heyligen Schrifften findest, lass es mich wissen.“ Dann schwang sie sich an die Decke und eilte über sie zurück in die Tiefen der unterirdischen Büchersammlung. Bandath durchschritt die Wand und blickte über den Berghang. Dwego stand friedlich an der Stelle, an der er ihn zurückgelassen hatte – allein. Barella war verschwunden.
Bandath fand Barella an der Fähre, die die Gnome am Fuße des Go-Ran betrieben, dort, wo die große Ost-West-Handelsstraße den Ewigen Strom überquerte. In einem weiten Bogen zog sich der Fluss um den gewaltigen Berg, auf dem kurz unter dem Gipfel die Magierfeste thronte und das Land südlich der Drummel-Drachen-Berge übersah. In der Nähe der Fähre betrieben die Gnome ein Wirtshaus, nicht besonders groß und auch nicht besonders erfolgreich. Gnome waren keine guten Gastgeber, das sollten sie lieber den Halblingen oder den Menschen überlassen. Bandath dachte das jedes Mal, wenn er die Fähre benutzte. Er war noch nie in den Magier-Krug eingekehrt, wie die Gnome das Wirtshaus nannten. Barella hatte sich dort mit gebratenem Fleisch, ein paar Brotfladen und einem Krug Wein eingedeckt, sich dann aber zu einer Steingruppe etwas abseits der Bänke gesetzt, die die Gnome vor dem Haus für die Reisenden aufgestellt hatten. Für Bandath stand ein extra Becher bereit, auch vom Brot und dem Fleisch lag etwas für ihn auf einem sauberen Tuch. Als Dwego neben ihr hielt und Bandath aus dem Sattel glitt, wies sie wortlos auf das Essen, sah jedoch nicht auf. Schweigend setzte sich der Zwergling, nahm einen Schluck, aß einen Bissen, sah sich den gemächlichen Fährbetrieb an, blickte zu Barella. Das Schweigen wurde drückend. Er hüstelte.
„Warum hast du nicht auf mich gewartet?“
„Ich hatte Hunger“, knurrte sie einsilbig.
„Du hast doch Proviant in deinen Satteltaschen. Waltrude hat uns gut versorgt.“
„Wir hatten nicht ausgemacht, dass ich warten soll. Wieso soll ich blöd vor der Felswand herumstehen, während der Herr Magier sich irgendwo dort drinnen mit alten Büchern amüsiert?“
Bandath sah sie an, sah ihre wütend blitzenden Augen, die zusammengezogenen Brauen und verkniffenen Lippen und spürte, dass da mehr war. Barellas Ärger ging tiefer.
„Was ist dein Problem?“, fragte er leise. Er hakte zum ersten Mal auf ihrer Tour nach. Es war an der Zeit, das zu klären.
„Mein Problem?“, fauchte sie und warf das angebissene Fleisch wütend Bandaths Laufdrachen zu. „Mein Problem?“, wiederholte sie und atmete tief ein. „Du! Du bist mein verdammtes Problem!“
„Ich?“ Bandath schnappte hörbar nach Luft. „Du bist doch diejenige, die seit Tagen schweigt.“
„Genau das ist es. Du verwechselst Ursache mit Wirkung. Wenn du das bei deiner Zauberei auch machst …“
„Magie“, korrigierte Bandath automatisch.
„Ach, halt den Mund!“, schrie Barella wütend und sprang auf. Unten am Weg zügelten ein paar Reisende ihre Pferde und starrten zu ihnen hoch. Zu seinem Erstaunen gewahrte Bandath Tränen in Barellas Augen. Hilflos stand er ebenfalls auf und breitete die Hände aus.
„Was …“
„Du mit deiner ewigen Selbstgerechtigkeit! Merkst du überhaupt, dass es noch andere neben dir gibt? Immer denkst du, du hast recht.“
„Was meinst du denn?“
„Hast du mich jemals gefragt, was ich will?“
„Du willst den Schatz von Cora-Lega.“
„Das meine ich doch nicht, du … du …“ Atemlos suchte sie nach einem Wort, dass sie ihm an den Kopf werfen konnte. „… du vernagelter Hexenmeister!“
„Ich bin kein Hexenmeister, sondern ein Magier. Dreimal getrockneter Zwergenmist! Dann hilf mir doch. Was willst du?“
„Dich, du Idiot. Noch nie wollte ich jemanden so sehr, wie ich dich wollte. Aber du sollst mich fragen, verdammt, wenn du etwas entscheidest. Du sollst es nicht als Selbstverständlichkeit hinnehmen, dass ich bei dir bin. Bemühe dich um mich, verflucht noch mal. Ich bin doch kein Möbelstück, für das du in deinem neuen Haus ein Zimmer mehr brauchst und das dort für den Rest aller Tage abgestellt wird.“ Jetzt liefen Barella tatsächlich die Tränen über die Wangen.
„Barella … ich …“, stotterte Bandath.
„Ach, lass mich in Ruhe!“ Barella raffte die Sachen zusammen und pfiff nach Sokah. Mit wenigen Handgriffen hatte sie den Proviant verstaut. Sie schwang sich in den Sattel und sah zu Bandath herab.
„Können wir?“
Bandath nickte, völlig betäubt von ihrem Ausbruch. „Wir …“, seine Stimme klang brüchig. Er räusperte sich. „Wir müssen …“ Er stockte, schluckte und begann noch einmal von Neuem. „Ich würde gern nach Konulan, wenn du nichts dagegen hast. In der Bibliothek gab es ein paar Hinweise, die ich dir unterwegs näher erläutern werde. Es ist wahrscheinlich, dass ich … wir in Konulan mehr Informationen über Cora-Lega bekommen können. Das würde uns helfen, glaube ich.“
Obwohl in Barellas Augen noch Tränen schimmerten, spielte ein angedeutetes Lächeln um ihre Mundwinkel. „Dann lass uns nach Konulan reiten. Wir sollten das in fünf bis sechs Tagen geschafft haben. Du … vernagelter Hexenmeister!“
„Entschuldige, aber das ist nicht richtig. Hexenmeister sind ehemalige Magier, die unabhängig arbeiten und jeden Kontakt zur Magiergilde und Go-Ran-Goh abgebrochen haben. Oder sie haben ganz und gar nie dort gelernt. Sie sind sozusagen geächtet.“ Er sah zurück zum Berg. „Ich bin ein Mitglied der Magiergilde.“ Noch – dachte er, sagte es aber nicht.
Als sie sich auf der Fähre befanden, erzählte er Barella alles, was er aus den beiden Schriftrollen erfahren hatte. Sie legten gerade am anderen Ufer an, als Bandath mit seinen Ausführungen endete.
„Und du glaubst wirklich, dass wir in Konulan diese Heyligen Schrifften finden werden?“
Der Magier zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber wenn nicht dort, dann nirgendwo.“
Bandath schritt ans Ufer, zog Dwego hinter sich her. Barella folgte mit Sokah. Langsam und nachdenklich gestimmt gingen sie zur Mitte der Insel, einem steinernen Hügel mitten im Strom. Bandath blieb stehen und schaute nach Südwesten. Dort irgendwo mussten seine Gefährten sein.
Barella legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du machst dir Sorgen?“
Der Zwergling nickte. Barellas Händedruck wurde fester. „Brauchst du nicht. Die drei sind erwachsen. Sie werden das schon meistern.“
„Hätte ich doch nur daran gedacht, etwas von ihnen einzustecken, dann könnte ich sie mit Fernsicht-Magie beobachten.“
„Du kannst nicht an alles denken.“
„Vor einer halben Stunde hast du genau das von mir verlangt.“
Barella schüttelte den Kopf. „Nein, an mich sollst du denken. Aber hier, bei dieser Sache, werden wir auf Situationen treffen, die auch ein mächtiger Magier wie du nicht voraussehen kann. Und die er nicht allein bestehen kann.“
Sie strich ihm über die Schulter und er genoss die Berührung, merkte erst jetzt, wie sehr er ihre Nähe in den letzten Tagen vermisst hatte.
Vorsichtig fasste er nach ihrer Hand. „Ich bin nicht allein.“
„Ängstige dich nicht um sie. Die kommen schon zurecht – Niesputz ist bei ihnen.“
Jetzt atmete der Magier tief durch. „Das ist meine Hoffnung.“
Sie schritten nebeneinander zur Fähre auf der anderen Seite der Insel, die sie zum gegenüberliegenden Ufer bringen würde.