Читать книгу Die Dämonenschatz-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling - Carsten Zehm - Страница 12
Unterwegs
ОглавлениеRulgo, Niesputz und Korbinian hatten Flussburg bereits nach wenigen Tagen hinter sich gelassen. Die Entscheidung, nicht in Flussburg zu übernachten, fiel ihnen relativ leicht, da sie die Fähre am Ewigen Strom bereits am frühen Vormittag erreichten. Gegen Mittag hatten sie die Stadt auf der gegenüberliegenden Seite wieder verlassen und bewegten sich durch die Wälder westlich des Grünhaiflusses. Zwischen dem Troll und dem Elf herrschte eine gespannte Atmosphäre. Während Rulgo keine Gelegenheit ausließ, seinen beiden Begleitern ständig zu erklären, was Elfen „von Natur aus“ wären oder nicht könnten, machte Korbinian ihnen im Gegenzug begreiflich, was er von ihnen und ihren Freunden hielt. Und das zum Teil in recht drastischen Worten.
Sie folgten dem Nord-Süd-Handelsweg, der zunächst am Grünhaifluss entlangführte, um sie ein paar Tage später über eine Brücke auf die gegenüberliegende Seite zu führen. Das Gebiet der Elfen, die die Riesengras-Ebenen bewohnten, endete hier. Die Landschaft wurde vielgestaltiger und war dichter bewohnt. Im Westen erhoben sich Berge. Regelmäßig kamen sie an Bauernhöfen, kleinen Siedlungen und Dörfern vorbei. Öfter konnten sie jetzt auch in Wirtshäusern übernachten und mussten ihr Lager nicht mehr unter Bäumen aufschlagen. Eines der größeren Wirtshäuser auf ihrem Weg war der Blutige Knochen, eine heruntergekommene Kaschemme, die sie gegen Abend kurz vor Sonnenuntergang erreichten. Das Bier war fad, das Essen schlecht, aber Zimmer gab es, in denen sogar Trolle schlafen konnten und das gab den Ausschlag. Sie ließen sich ein großes Stück gebratenes Fleisch und Brot auf ihr Zimmer bringen. Von der angebotenen Suppe, die in einem Topf über dem Feuer in der Wirtsstube hing, nahmen sie nichts, da sie nicht erkennen konnten, welche Zutaten der Wirt für die Mahlzeit genutzt hatte. Betten waren in dem Zimmer nicht zu finden, aber schmierige Strohsäcke, die man nach Belieben zusammenschieben konnte. Hätte es draußen nicht ohne Unterlass geregnet, Rulgo, Korbinian und Niesputz wären gern wieder verschwunden. In seltener Einmütigkeit schlangen sie schweigend ihr ungewürztes Fleisch herunter, aßen das Brot dazu und spülten den schimmeligen Geschmack des Brotes mit fadem Bier aus dem Mund.
„Da schmeckt Wasser bedeutend besser“, grunzte Rulgo, schob sämtliche im Raum verteilten Strohsäcke mit den Füßen zusammen, schmiss sich auf sie und fiel sofort in den todesähnlichen Schlaf seiner Rasse, ohne Bewegung, ohne Schnarchen, schutzlos allem ausgeliefert, was sich ihm in böser Absicht nähern könnte.
Korbinian fluchte. „Trolle sind von Natur aus egoistisch!“ Wütend zerrte er zwei der Strohsäcke unter dem Troll hervor, breitete seine eigene Decke darüber und legte sich ebenfalls hin. Niesputz rauchte am offen stehenden Fenster noch eine Pfeife, blickte sinnend in die Dunkelheit, in der der Regen gleichmäßig rauschte und rollte sich schließlich auf der Fensterbank zusammen. Kurz darauf schlief er leise schnarchend ein.
Als er mitten in der Nacht wach wurde, wusste er sofort, dass etwas nicht stimmte. Er lauschte, hörte aber nur das Plätschern des vorübergehend nachlassenden Regens. Dann erhob er sich und sah sich um. Korbinian war weg. Er wusste nicht, wie lange schon. Unruhig surrte Niesputz in die Luft, flog zur halb offen stehenden Tür und dort dem Gang folgend bis zur Treppe, die in die Wirtsstube führte. Er sah den Elf, wie dieser, am Tresen stehend, einige Worte mit dem Wirt wechselte und dann eine Münze über den Tisch schob. Als sich Korbinian umdrehte und auf die Treppe zuschritt, flog Niesputz rasch ins Zimmer zurück und legte sich wieder auf die Fensterbank. Leise betrat der Elf den Raum, schloss die Tür vorsichtig und schlich unhörbar zu seiner Schlafstelle. Erst, als er sich hinlegte, knarrte eine Diele und die Strohsäcke raschelten.
Niesputz knurrte, als sei er gerade erwacht. „Was schleichst du denn hier herum?“, fragte er, Müdigkeit vorspielend.
„Ich musste mal. Das Bier – du verstehst?“
Nein, Niesputz verstand überhaupt nicht, antwortete aber auch nicht. Jedoch nahm er sich vor, Korbinian etwas genauer im Auge zu behalten. Falls der etwas im Schilde führte, dann sollte es ihm nicht gelingen. Zuerst musste dieser Elf an ihm, Niesputz, vorbei. Und das hatten bisher noch nicht viele geschafft.
Waltrude, Theodil und Baldurion Schönklang erreichten den Blutigen Knochen zwei Tage später. Ein Reitknecht führte die Ponys und das Pferd in einen Stall, der aussah, als wäre er lange vor den großen Drummel-Drachen-Kriegen vor viertausend Jahren gebaut worden.
„Hier sollen wir übernachten?“ Waltrude stand in der Eingangstür des Wirtshauses, die Hände in die Hüften gestemmt, als wolle sie sofort zufassen und das gesamte Haus säubern. „Das ist nicht euer Ernst!“
Theodil sah sich zweifelnd um. „Der Fuhrmann heute Morgen hat gesagt, dass der Blutige Knochen das einzige Rasthaus weit und breit ist.“
Baldurion schob sich an den beiden Zwergen vorbei. „Auch wenn das Quartier nicht deinen Anforderungen entspricht, edle Zwergendame, so brauchen wir doch eine Unterkunft. Seit Tagen regnet es und wir haben keinen trockenen Faden mehr am Leib oder in unserem Gepäck. Zwei Zimmer für uns lassen sich hier bestimmt finden. Ich werde den Wirt fragen.“
Waltrude und Theodil beobachteten von der Tür aus, wie Baldurion sich durch die verqualmte Schankstube schob und am Tresen ein Gespräch mit dem Wirt begann.
„Ich mag den Flötenmann nicht“, knurrte die Zwergin. „Warum musstest du ihm sagen, dass wir nach Pilkristhal wollen?“
„Warum? Waltrude, du leidest unter Verfolgungswahn. Wieso sollte ich es ihm nicht sagen? Er will uns begleiten, dann hat er auch ein Recht zu erfahren, wo wir hinwollen.“
„Und wenn der Herr Magier bei unserer Ankunft schon weg ist? Erzählen wir Balduin dann auch, was er vorhat?“
Der Zwerg schwieg und beobachtete, wie der Musikant dem Wirt ein paar Münzen über den Tisch schob. Blitzschnell ließ der Wirt die Münzen verschwinden. Über seinem dicken Bauch spannte sich ein ehemals weißes, ärmelloses und sehr fleckiges Etwas, das früher wahrscheinlich einmal ein Hemd gewesen war. Aus dem Brustausschnitt quoll graues Haar. Von seiner speckig glänzenden Halbglatze ringelten sich einige fettige Haarsträhnen bis zu den Schultern.
„Fehlt bloß noch, dass von seinen Haaren das Fett in die Suppe tropft“, kommentierte Waltrude angeekelt.
Der Wirt schniefte und strich sich mit dem Handrücken unter der Nase entlang. Gleich darauf griff er mit derselben Hand hinter sich, nahm einen Suppenteller von einem schmierigen Wandbord und füllte ihn einem anderen Gast auf, während er zu Baldurion sprach.
„Uäks!“ Waltrude schüttelte sich. „Ich jedenfalls esse hier nichts. Wir haben noch Proviant und können in den nächsten Tagen bei einem Bauern unterwegs etwas kaufen.“
Baldurion kam zurück. „Der Wirt erinnert sich an einen Troll, einen Elf und einen kleinen, grünen Kerl, die vor zwei oder drei Tagen hier durchgekommen sind. Sie haben übernachtet und sind nach Sonnenaufgang und einem reichhaltigen Frühstück am nächsten Morgen weitergezogen.“
„Was denn nun? Zwei oder drei Tage?“ Waltrude funkelte ihn ungehalten an.
„Das weiß er nicht mehr so genau.“
„Aber an das reichhaltige Frühstück, daran erinnert er sich noch?“
„Ja, weil der Elf extra noch einmal herunterkam und das Frühstück für den nächsten Tag bestellt hat.“
„Was ist mit den Zimmern?“, fragte Theodil.
„Wir haben zwei Räume, einen für die Dame und einen für uns beide.“
Waltrude stapfte die Stufen der altersschwachen Treppe nach oben. Sie verdrehte übertrieben die Augen, hatte die Oberlippe über die Zähne gezogen und äffte den Musiker nach. „Wir haben zwei Zimmer. Eines für die Dame.“ Wütend schüttelte sie den Kopf. „Wann begreift dieser Gargylendrecksammler, dass Zwergenfrauen keine Damen sind?“ Gargyle waren für sie die furchtbarsten Lebewesen, seit die beiden Kopfgeldjäger im letzten Jahr auf diesen Tieren in Drachenfurt aufgetaucht waren.
Am nächsten Morgen, als sie das Rasthaus verließen, hatte der Regen endlich aufgehört.
Abends betraten zwei neue Gäste den Schankraum: Sergio die Knochenzange und Claudio Bluthammer. Wortlos setzten sie sich an einen der freien Tische, weitab von Zwergen, Menschen und anderem Gesindel, das sich in der Schankstube herumtrieb. Diensteifrig eilte der Wirt herbei und wischte mit einem Lappen von undefinierbarer Farbe und unbestimmbarem Alter die schmierige Tischplatte ab, deren Sauberkeit sich nach diesem symbolischen Vorgang um keinen Deut gebessert hatte.
„Die Herren wünschen?“
Sergio schnippte mit dem Daumen eine Münze aus der Hand in die Luft und fing sie geschickt wieder auf. Die Augen des Wirtes waren gierig dem goldenen Glitzern gefolgt.
„Essen? Trinken? Ein Zimmer?“ Er senkte verschwörerisch die Stimme. „Gesellschaft?“
„Essen und Trinken und ein Zimmer“, antwortete der Minotaurus. „Aber nicht den gleichen Fraß, den du deinen anderen Gästen anbietest!“
Der Wirt nickte, dass man denken konnte, sein Kopf würde bald abfallen. Er verbeugte sich und wollte gehen.
„Halt!“, herrschte Sergio ihn an. „Warte!“
Der Wirt blieb stehen, legte den Kopf schief und musterte die beiden Gäste abwartend.
Sergio legte die Goldmünze auf den Tisch und senkte jetzt seinerseits die Stimme. „Vor einigen Tagen sind zwei Gruppen von Reisenden hier durchgekommen. In der einen müsste ein Troll und ein Elf gewesen sein, in der anderen eine alte, fette Zwergin.“
Der Wirt nickte zögernd. „Und?“
„Hat man für uns eine Nachricht hinterlassen?“
„Eine Nachricht?“ Nachdenklich starrte der Wirt auf die einzelne Goldmünze, die auf der Tischplatte lag. Sergio legte eine zweite daneben. Wie nebenbei strich die Hand des Wirtes über den Tisch und die Münzen verschwanden.
„Pilkristhal. Er hat gesagt, ich soll euch ausrichten: Sie wollen nach Pilkristhal und den Magier dort treffen.“
„Mehr hat er nicht gesagt?“
Der Wirt schüttelte den Kopf und verschwand in Richtung Tresen.
Sergio lehnte sich zufrieden zurück, verschränkte die Hände hinter seinem mächtigen Stierschädel und grinste breit. „Na also! Klappt doch.“
Alles lief, wie er es geplant hatte.
„Pilkristhal?“ Der Bauer schüttelte den Kopf. „Zu Fuß und mit dem Pferd könnt ihr das vergessen. Die Herbstregenfälle haben den Wasserdrachen-Fluss viele Tagesreisen weit über die Ufer treten lassen, schlimmer, als all die Jahre zuvor. Da kommt keiner durch.“ Er packte Rulgo und Korbinian die gekauften Vorräte ein und reichte ihnen die Pakete. „Das passiert jedes Jahr. Ihr müsst einfach einen bis zwei Mondzyklen warten, dann wird das Land wieder passierbar.“
„Jetzt könnten wir eine Karte gut gebrauchen“, knurrte der Troll ratlos. „Wir müssen unbedingt nach Pilkristhal.“
„Trolle können Karten lesen?“, stichelte Korbinian, wurde aber ignoriert.
Der Bauer, ein gutmütiger, älterer Mann, kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Also, wenn das unbedingt sein muss, dann geht nach Holzhafen. Das ist die Siedlung der Flößer am Heißen Strom, etwa sechs Tagesreisen von hier Richtung Westen. Die können euch für ein paar Goldmünzen ein ganzes Stück den Fluss abwärts nach Süden bringen, bis auf Höhe der Calonischen Weinberge, da gibt es eine Fähre. Dort geht an Land, ihr müsstet dann das Überschwemmungsgebiet hinter euch gelassen haben. Eine Straße führt euch direkt nach Pilkristhal. Ich schätze, von da braucht ihr nicht mehr als zehn oder zwölf Tage.“
„Pilkristhal? Ihr auch?“ Der Bauer sah Waltrude, Theodil und Baldurion erstaunt an. „Ich habe es vor zwei Tagen schon jemandem empfohlen. Die Flößer am Heißen Strom haben momentan nichts zu tun. Gegen ein paar Goldmünzen bringen die euch den Fluss hinunter bis zur Fähre an den Calonischen Weinbergen. Von dort ist der Weg nach Pilkristhal wieder frei, glaube ich.“
„Wem habt ihr es denn empfohlen, guter Mann?“ Baldurion wedelte mit dem rechten Arm, als wolle er sich verbeugen. Der Bauer hob erstaunt die Augenbrauen. In seinen Blick trat ein leiser Zweifel an der Intelligenz des Musikanten.
„Was heißt hier ‚guter Mann‘? Ich bin ein Bauer und verkaufe meine Waren an Durchreisende und Händler. Und was soll das Gefuchtel mit dem Arm?“
„Lass mal.“ Waltrude rutschte von ihrem Pony. „Der ist nicht ganz richtig im Oberstübchen“, flüsterte sie dem Bauer zu. „Waren die anderen vielleicht so ein spitzohriger Galgenstrick, ein trampeliger Troll und ein kleiner, fliegender Mann?“
Der Bauer nickte. „Freunde von euch?“
„Nun, nicht unbedingt“, entgegnete Waltrude. „Ich würde sie eher als entfernte Bekannte bezeichnen. Welchen Weg sind sie gegangen?“
„Es gibt nur einen Weg nach Holzhafen.“ Er wies auf die nach Westen führende Straße. „Passt aber auf. Gegen Abend erreicht ihr eine Weggabelung. Nehmt den linken Weg, den südlichen. Wenn ihr falsch abbiegt, dann kommt ihr nach Wellenruh. Das ist auch eine Flößersiedlung, sie liegt aber viel weiter stromaufwärts. Für euch würde das einen Umweg von mindestens sechs bis sieben Tagen bedeuten.“
Waltrude bedankte sich und während Theodil die gekauften Vorräte in ihre Satteltaschen packte, bestieg Waltrude wieder ihr Pony. „Was ist, Theodil? Wie lange brauchst du noch für die paar Brote und das Fleisch? Wir müssen schneller werden, sonst holen wir sie nie ein.“
Sergio und Claudio knurrten unwillig. „Das kostet uns viele Tage!“, fauchte der Gnom den Bauern an, als ob dieser etwas für die Herbstüberschwemmung konnte. „Wieso sollen wir nach Wellenruh? Holzhafen liegt viel näher.“
„Weil“, erklärte der Bauer geduldig, „die Flößer von Holzhafen beim alljährlichen Herbstflößerfest in den Calonischen Weinbergen sind. Ihr werdet in Holzhafen nicht einen Flößer finden, der euch den Heißen Strom herab bringt.“
„Und warum sind die Wellenruher Flößer nicht bei dem Fest?“
„Die feiern ihr eigenes, in etwa zwanzig Tagen. Die Wellenruher waren noch nie zum Flößerfest in den Calonischen Bergen.“ Der Bauer sah die beiden Magier an. Sie hatten es nicht einmal für nötig gehalten, abzusteigen, als sie Brot, Fleisch und Wein für ihre Proviantsäcke orderten und ihn dann nach dem besten Weg nach Pilkristhal und anderen Reisenden in diese Richtung ausfragten. Er hatte ihnen den dreifachen Preis abverlangt und, weil sie sich so überheblich gebärdeten, den schlechtesten Wein, das älteste Fleisch und hartes Brot in ihre Proviantsäcke gepackt. Vermutlich waren sie hinter dem Troll, dem Elf und den Zwergen her, würden also nicht so bald wieder hier vorbeikommen. Solche Typen konnte er „besonders gut“ leiden.
„Woher wissen wir, dass du die Wahrheit sagst?“, zischte der Gnom.
„Oh“, der Bauer blieb ganz ruhig. „Wenn ihr mir nicht glaubt, dann geht ruhig nach Holzhafen. Der Weg nach Wellenruh wird für euch aber dann fünf“, er sah sich die Reittiere der zwei Magier an und korrigierte sich, „nun vielleicht drei Tage länger werden.“
„Die anderen …?“, grollte der Minotaurus.
„… sind auch nach Wellenruh gegangen“, ergänzte der Bauer seelenruhig.
Das gab den Ausschlag. Sergio und Claudio machten sich auf den Weg nach Wellenruh – in aller Ruhe, schließlich waren ihre einäugigen Drago-Zentauren bedeutend schneller als all die Ponys und Pferde, die die Zwerge, Elfen und Menschen ritten.