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Kapitel 3

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Durch mei­ne Ar­beit und das Geld, was ich da­für be­kam, ging es uns rich­tig gut. Wir hat­ten es uns so­gar rich­tig ge­müt­lich ein­ge­rich­tet. Ich fühl­te mich rich­tig zu Hau­se. Die Män­ner um mich her­um ver­hiel­ten sich vor­bild­lich. Wäh­rend der Fe­ri­en war ich auch viel mit Kars­ten un­ter­wegs. Wir wa­ren zu­sam­men im Frei­bad und in der Eis­die­le. Aus dem klei­nen Bru­der wur­de lang­sam mein bes­ter Freund, auch wenn er zehn Jah­re jün­ger war als ich. Je äl­ter er wur­de, um­so ein­fa­cher war es auch, uns zu tref­fen.

In der neu­en Schu­le ver­zich­te­te ich dar­auf, ir­gend­was über mich preis­zu­ge­ben. Es dau­er­te auch nicht lan­ge, bis ich wie­der An­schluss ge­fun­den hat­te. Doch nach we­ni­ger als ei­nem Jahr ging es wie­der von vor­ne los. Ich hat­te kei­ne Ah­nung, wie es in der neu­en Schu­le je­mand in Er­fah­rung brin­gen konn­te. Ich war in ei­nem an­de­ren Stadt­vier­tel, nie­mand kann­te mich in der Schu­le und al­ler Vor­sicht zum Trotz be­gann mei­ne Tor­tur wie­der von Neu­em. Mei­ne neu­en Mit­schü­ler über­nah­men so­gar die al­ten Schimpf­wor­te. Ich war wie­der kom­plett nie­der­ge­schla­gen, als ich aus der Schu­le kam. Wil­fried sah es mir auf An­hieb an und statt et­was zu es­sen gab es ein in­ten­si­ves Ge­spräch. Er­neut war ich wie­der al­lei­ne. Über Um­we­ge kam ich dem Ge­heim­nis auf die Spur. Ei­ne mei­ne Mit­schü­le­rin­nen ver­brach­te ih­re freie Zeit au­ßer­halb von Bo­chum auf ei­nem Rei­ter­hof, auf der zu­fäl­lig auch ei­ne mei­ner ehe­ma­li­gen Freun­din­nen rei­ten lern­te. Die­se bei­den ka­men un­ter­ein­an­der auch ins Ge­spräch und stell­ten fest, dass ich von der einen Schu­le auf die an­de­re ge­wech­selt bin. We­nigs­tens blieb das an­de­re Ge­heim­nis im Dun­keln. Mei­ne Er­zeu­ge­rin kam nicht ein­mal auf die Idee nach mir zu su­chen. Ihr war es auch völ­lig egal, wo ich jetzt leb­te und was ich aus mei­nem Le­ben mach­te. Sie war glück­lich, mich los zu sein, und ver­schenk­te ihr Le­ben an den Al­ko­hol. Das Letz­te, was ich von ihr er­fah­ren ha­be, war, dass sie sturz­be­trun­ken bei der Ar­beit er­schi­en und dar­auf­hin ge­kün­digt wur­de. Dann lag sie nur noch auf ih­rem So­fa und hat ge­trun­ken. Ge­se­hen ha­be ich sie dann nicht mehr.

Mei­ne Män­ner ga­ben mir so viel Rück­halt, um das letz­te Schul­jahr noch zu über­ste­hen. Trotz­dem ka­men in mir selbst im­mer wie­der Zwei­fel auf, warum ich mir das über­haupt noch an­tun soll­te. Was hat­te ich denn da­von? Egal wo­hin ich auch in Bo­chum wech­seln wür­de käme es über kurz oder lang wie­der zu ei­nem ver­damm­ten Zu­fall und das gan­ze be­gann ge­ra­de wie­der. Trotz al­ler Wi­d­rig­kei­ten mach­te ich mei­nen Ab­schluss und such­te mir ei­ne Lehr­stel­le. Vor­sichts­hal­ber aber in ei­nem ganz an­de­ren Stadt­vier­tel, weit weg von dort wo ich auf­wuchs. Da ich gut mit Zah­len um­ge­hen konn­te, ent­schied ich mich zu ei­ner Aus­bil­dung als Bank­kauf­frau.

Der Weg zu mei­ner Ar­beits­stel­le war ex­trem lang und ich brauch­te da­für drin­gend ei­ne an­nehm­ba­re Lö­sung. Lo­thar brach­te mich auf die Idee ein oder zwei Mo­na­te den wei­ten Weg, in Kauf zu neh­men und mir in dem neu­en Stadt­vier­tel ei­ne güns­ti­ge Wohn­ge­le­gen­heit zu su­chen. Es fiel mir schwer, die Jungs al­lei­ne zu las­sen. Sie wa­ren wie ei­ne Er­satz­fa­mi­lie für mich ge­wor­den und ich hat­te ih­nen viel zu ver­dan­ken. Aber sie er­klär­ten mir, dass es nicht um sie ging, son­dern um mich und mein Le­ben. Sie kämen auch ganz gut oh­ne mich und die fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung zu­recht. Ich ließ mir von ih­nen ver­spre­chen, dass sie mich hin und wie­der be­su­chen wür­den. Es war ein schwe­rer Schritt in die Un­ab­hän­gig­keit und die Ein­sam­keit. Zum ers­ten Mal in mei­nem Le­ben wohn­te ich ganz al­lei­ne in ei­ner klei­nen Woh­nung mit nur ei­nem Zim­mer. Das Geld mei­ner Aus­bil­dung reich­te ge­ra­de so, um mich über Was­ser zu hal­ten. Um ein biss­chen mehr Geld zu ha­ben und mir auch mal et­was leis­ten zu kön­nen fing ich an für einen Prü­fungs­nach­weis nach § 34a der Ge­wer­be­ord­nung zu ler­nen. Da­mit war es mir dann mög­lich, trotz mei­ner ge­rin­gen Grö­ße am Wo­che­n­en­de im Si­cher­heits­dienst zu ar­bei­ten. Al­so lern­te ich tags­über in der Bank mei­nen Job und am Wo­che­n­en­de ar­bei­te­te ich dann abends bis in die Nacht hin­ein im Si­cher­heits­dienst ei­ner Dis­ko­thek.

Lu­xus war ich so­wie­so nicht ge­wohnt und brauch­te es auch nicht. Ich schlief auf ei­ner dün­nen Schaum­stoff­ma­trat­ze auf dem Bo­den und be­nutz­te Um­zugs­kar­tons als Tisch. Tel­ler hat­te ich kei­ne, aber ich be­sorg­te mir für klei­nes Geld aus ei­nem Kauf­haus Papp­tel­ler und be­nutz­te sie gleich mehr­mals, be­vor ich sie dann weg­warf. Der klei­ne Herd in mei­ner neu­en Woh­nung hat­te auch meh­re­re Zi­cken. Teil­wei­se rea­gier­ten die Plat­ten nicht oder ich stand im Dun­keln, weil die Si­che­rung durch­brann­te, als ich ihn ein­schal­te­te. Zu­min­dest hat­te ich ein funk­tio­nie­ren­des Ba­de­zim­mer und ei­ne Hei­zung. Man lernt, die klei­nen Din­ge zu schät­zen, wenn man lan­ge Zeit in ei­ner al­ten und kal­ten Woh­nung le­ben muss­te. Im Win­ter be­nutz­te ich bei mei­nen Män­nern teil­wei­se vier oder fünf De­cken, um nicht zu er­frie­ren, wenn es drau­ßen rich­tig fros­tig kalt war. In mei­ner ers­ten Win­ter­nacht in der Woh­nung han­del­te ich aus Ge­wohn­heit wie­der so. Es dau­er­te kei­ne zwei Stun­den, bis ich schweiß­nass wie­der auf­wach­te. Es war ein­fach viel zu warm.

We­nigs­tens be­kam ich öf­ter Be­such. Wil­fried, Nils und Lo­thar be­such­ten mich, so oft sie konn­ten, und blie­ben in den kal­ten Mo­na­ten auch mal ger­ne über Nacht. Je­des Jahr an mei­nem Ge­burts­tag stan­den pünkt­lich al­le mit klei­nen lie­be­vol­len Ge­schen­ken vor der Tür. Ich ließ es mir nicht neh­men für die gan­ze Meu­te zu ko­chen. Auch Kars­ten, der an­ge­fan­gen hat­te zu bo­xen, war öf­ter bei mir als zu Hau­se. Aus dem klei­nen Jun­gen, der noch an mei­nen Bei­nen hing, wur­de lang­sam ein rich­ti­ger Mann. Er wuchs zu ei­ner im­po­san­ten Er­schei­nung her­an. Ich bin ir­gend­wann kurz über Zwer­gen­grö­ße ein­fach nicht mehr wei­ter ge­wach­sen. Trotz sei­nes jun­gen Al­ters von 12 Jah­ren über­rag­te er mich schon um einen hal­b­en Kopf. Zu mei­nem 23. Ge­burts­tag schenk­te er mir auch noch ei­ne Fla­sche Pflan­zen­dün­ger. Auf der Kar­te stand lie­be­voll, ich sol­le da­mit du­schen, dann wür­den aus den 156 cm viel­leicht noch ein biss­chen mehr.

Die Aus­bil­dung in der Bank war al­ler­dings auch nicht wirk­lich er­bau­lich. Die jun­gen Frau­en an der Kas­se wa­ren auch nur ge­ring­fü­gig äl­ter als ich und in den Pau­sen­zei­ten oder vor der Öff­nung blieb im­mer noch viel Zeit über Pri­va­tes zu re­den. Au­ßer­dem ha­ben meh­re­re jun­ge Frau­en auf ei­nem Hau­fen im­mer die An­ge­wohn­heit ex­trem viel zu trat­schen. Ich er­fuhr mehr über das, was sie im Bett mit ih­ren Ker­len an­stell­ten, als mir lieb war und fast je­den zwei­ten Tag hör­te ich die Fra­ge, ob ich mir auch einen an­ge­lacht hat­te. Na­tür­lich hat­te ich nie einen Freund an mei­ner Sei­te. Was soll­te ich auch mit ei­nem. Ich emp­fand sie als ab­sto­ßend und es wä­re mir im Traum nicht ein­ge­fal­len mit ei­nem et­was an­zu­fan­gen. Brüs­te zo­gen mich ma­gisch an, vor al­lem wenn die Da­me, die sie vor sich her­trug, auch op­tisch ei­ne Au­gen­wei­de war. Aber ich war über­aus vor­sich­tig, da­mit kei­ne mei­ner Kol­le­gin­nen mit­be­kam, dass mich nur das ei­ge­ne Ge­schlecht an­zog.

Kurz vor Kars­tens 14. Ge­burts­tag wur­de auch er schwer ver­letzt. Er hat­te sich in ei­ne jün­ge­re Mit­schü­le­rin ver­liebt und an ei­nem Sep­tem­ber­mor­gen in der Schu­le ihr das auch ge­sagt. Ei­gent­lich er­war­te­te man ja nur zwei mög­li­che Re­ak­tio­nen. Ent­we­der wur­de man ab­ge­wie­sen oder das Mäd­chen emp­fand auch et­was Zu­nei­gung. Er er­leb­te aber ei­ne drit­te Op­ti­on, mit der nie­mand ge­rech­net hat­te. Wäh­rend der Som­mer­fe­ri­en wa­ren die bei­den fast un­zer­trenn­lich ge­we­sen. Stän­dig trie­ben sie sich zu­sam­men in der Stadt her­um, wa­ren Schwim­men und klet­ter­ten auf die Kirsch­bäu­me, die es da­mals noch gab. Ei­nen gan­zen Mo­nat lang war es fast un­mög­lich ihn al­lei­ne an­zu­tref­fen. Als er ihr aber sei­ne Lie­be ge­stand, brach­te ihm das ei­ne hef­ti­ge Ohr­fei­ge ein. Dann hat sie ihn ein­fach ste­hen las­sen und ist flu­chend ver­schwun­den. Der Korb war al­so mehr als deut­lich, aber sie hat­te noch et­was viel Ge­mei­ne­res für ihn auf La­ger. Sie be­ach­te­te ihn nicht mehr. Selbst als er noch ein­mal ver­such­te, mit ihr zu re­den, be­han­del­te sie ihn wie Luft. Mei­ne Er­fah­run­gen auf dem Ge­biet der Lie­be wa­ren mit nicht vor­han­den noch sehr wohl­wol­lend um­schrie­ben. Al­ler­dings war es nicht un­ge­wöhn­li­ches in jun­gen Jah­ren und es hieß, man sol­le ein­fach ei­ni­ge Wo­chen war­ten und dann wä­re das The­ma er­le­digt, weil die nächs­te schon auf einen jun­gen Mann war­te­te. In sei­nem Fall al­ler­dings half auch ei­ne War­te­zeit von sechs Mo­na­ten nicht. Ich ver­such­te, ihn zu trös­ten, aber das war ver­geb­lich. Sie war weg und er konn­te nicht auf­hö­ren sie zu lie­ben. Da­ran zer­brach er im­mer wei­ter. Von dem eins­ti­gen so fröh­li­chen Jun­gen blieb nur noch ein wei­nen­des Häuf­chen zu­rück.

Aber auch bei mir lief es nicht mehr rund. Das Ge­tu­schel der Kol­le­gin­nen in der Bank wur­de im­mer lau­ter. Es war viel zu un­ge­wöhn­lich, für ei­ne Frau mit 24 Jah­ren noch nie mit ei­nem Mann an der Hand ge­se­hen wor­den zu sein. Die Ver­mu­tun­gen nah­men im­mer mehr zu. Auch mei­ne De­men­tis än­der­ten dar­an nichts mehr. Aber was hät­te ich auch ma­chen sol­len? Mir ir­gend­ei­nen zu su­chen, der in mir we­der et­was aus­lös­te noch das ich ihn, als an­ge­nehm emp­fand und ihm et­was vor­spie­len? Mit Ge­füh­len spielt man nicht, den bes­ten Be­weis sah ich da­für in mei­ner Woh­nung mit Kars­ten. Er war schon lan­ge nicht mehr das, was er vor die­sem Mäd­chen war. Aber je län­ger ich dar­auf hoff­te, das Gan­ze wür­de sich mit ge­nü­gend Zeit im Sand ver­lau­fen, wur­de es im­mer schlim­mer. In den frei­en Mi­nu­ten war das schon längst zum be­lieb­tes­ten The­ma avan­ciert. Je­den Tag hör­te ich ei­ne neue Ge­schich­te, die durch die Bank wan­der­te.

Kars­ten brauch­te drin­gend Ab­stand zu sei­nem ge­wohn­ten Um­feld. Sei­ne Mut­ter, die mich noch im­mer als den An­ti­chris­ten an­sah, konn­te nicht ein­mal et­was da­ge­gen tun. Er pack­te ein paar Sa­chen zu­sam­men und zog vor­über­ge­hend zu mir. Trotz­dem wur­de er nicht mehr der Al­te. Kars­ten hat­te sei­nen Le­bens­mut völ­lig ver­lo­ren. So weit es mir mög­lich war, ver­such­te ich ihn et­was ab­zu­len­ken, aber es war ver­dammt schwer ihn auf an­de­re Ge­dan­ken zu brin­gen. Es war ein­fach nichts mehr da, auf das ich hät­te auf­bau­en kön­nen. Auch mei­ne Jungs hal­fen mit, ihn wie­der ein biss­chen in die Spur zu be­kom­men. Sie wa­ren in die­sen Din­gen ein­fach viel er­fah­re­ner als ich. Viel ge­bracht hat es aber nicht.

Mit der Zeit wur­de es bei mir auf der Ar­beit zu ei­ner rich­ti­gen He­xen­jagd. Die­se dau­ern­den Ver­däch­ti­gun­gen und Aus­sa­gen mei­ner Kol­le­gin­nen kratz­ten zu­neh­mend an mei­ner Lust, dort zu ar­bei­ten. Es wur­de höchs­te Zeit für ei­ne an­de­re Stra­te­gie. Hil­f­reich war in die­ser Zeit aus­ge­rech­net Kars­ten, der mit sei­nen ei­ge­nen Dä­mo­nen zu kämp­fen hat­te. Er ani­mier­te mich ein­fach die Flucht nach vor­ne an­zu­tre­ten. Al­so kei­ne De­men­tis mehr, son­dern ein­fach nur noch Zu­stim­mung. Egal, was sie auch ver­mu­te­ten. Mehr als schief­ge­hen konn­te es ja nicht. Da­nach gab ich ih­nen ein­fach recht. Was sie auch sag­ten, be­stä­tig­te ich ein­fach nur noch. Auf ein­mal war ich nicht nur les­bisch, ar­bei­te­te am Wo­che­n­en­de auf dem Strich, hat­te ein ei­ge­nes Bor­dell und nahm mehr Dro­gen zu mir als ei­ne kom­plet­te Rock­band. Bluf­fen war ja nicht mein Pro­blem. Durch mei­ne Krank­heit konn­te ja nie­mand an mei­nem Ge­sicht ab­le­sen, ob ich auch wirk­lich die Wahr­heit sag­te.

Dann be­gann ich aber da­mit ein­fach mein ei­ge­nes Ding durch­zu­zie­hen. Ich ar­bei­te­te nicht mehr nur durch­ge­hend, son­dern nahm mir auch Zeit aus­zu­ge­hen. Kars­ten half mir so­gar da­bei. Er hat­te sich wie­der ei­ni­ger­ma­ßen ge­fan­gen und gab mir ein biss­chen Hil­fe­stel­lung. Er war ge­ra­de 16 ge­wor­den, sah mitt­ler­wei­le aus wie Mi­ke Ty­son, wo­bei nur die Haut­far­be nicht ganz pass­te, und war re­la­tiv wort­karg. Die in­ter­essan­tes­te Ver­än­de­rung an ihm aber war sei­ne wirk­lich be­ein­dru­cken­de Beo­b­ach­tungs­ga­be. Zu­sam­men mit sei­nem her­vor­ra­gend funk­tio­nie­ren­den Kopf ei­ne rich­tig ge­fähr­li­che Kom­bi­na­ti­on. Lo­gik war ein­fach un­be­stech­lich und er war dar­in zu ei­nem Meis­ter mu­tiert. Durch sei­ne Beo­b­ach­tun­gen und die Lo­gik sei­nes Kop­fes er­kann­te er die Ge­schich­te hin­ter ei­nem Men­schen.

Ich nahm mir die Sonn­ta­ge frei und ging in die ein­schlä­gi­gen Bars. Mit der Zeit hat­te ich im­mer wei­te­re Treff­punk­te für Ho­mo­se­xu­el­le ent­deckt, die ich dann an den Wo­che­n­en­den be­such­te. Der Er­folg blieb lei­der in den meis­ten Fäl­len aus, aber es war für mich ei­ne Wohl­tat mit Frau­en zu spre­chen, die den glei­chen An­fein­dun­gen wie ich aus­ge­setzt wa­ren. Daraus ent­stan­den auch ein paar schö­ne Freund­schaf­ten. Plötz­lich war das al­les nicht mehr so schwie­rig für mich. Aber mein Le­ben hat­te strikt et­was da­ge­gen mir et­was Lie­be­vol­les zu schen­ken. Mei­ne pri­va­ten Be­su­che in den Bars blie­ben nicht wirk­lich lan­ge ge­heim und ich fand mich in der glei­chen Si­tua­ti­on wie be­reits zwei­mal zu­vor. Von Tag zu Tag wur­de es schlim­mer. Trotz des Zu­spruchs mei­ner Jungs und Kars­ten ent­wi­ckel­te ich ei­ne tief sit­zen­de De­pres­si­on. Da man mir nicht an­se­hen konn­te, wie ich mich fühl­te, blieb den meis­ten ver­bor­gen, dass ich viel zu häu­fig an Sui­zid dach­te. Kars­ten war in­ter­essan­ter­wei­se der Ein­zi­ge, der es ziem­lich schnell her­aus­fand. Dann the­ra­pier­ten wir uns fast ge­gen­sei­tig. Ich half ihm über sei­ne Dä­mo­nen hin­weg, zu­min­dest dach­te ich das bis da­hin und er trieb mir mei­ne bö­sen Ge­dan­ken aus.

Trotz­dem muss­te et­was pas­sie­ren. Es konn­te so ein­fach nicht mehr wei­ter­ge­hen. Bo­chum war zwar nicht ge­ra­de klein, aber ich konn­te ja nicht in schö­ner Re­gel­mä­ßig­keit al­le paar Mo­na­te das Stadt­vier­tel wech­seln. Au­ßer­dem wa­ren ja nicht mehr so vie­le da­von üb­rig und mein Na­me mach­te auch schon lang­sam die Run­de. Das war mei­ne schwers­te Zeit. Ich konn­te den Men­schen, de­nen ich zum ers­ten Mal be­geg­ne­te, di­rekt an­se­hen, was der Na­me Ca­tha­ri­na Reh­berg aus­lös­te. Teil­wei­se konn­te ich, nach­dem ich mei­nen Na­men ge­nannt hat­te, auch ein­fach wie­der ge­hen, oh­ne mei­nen Ge­sprächs­part­ner et­was sa­gen zu hö­ren. Ich sah es ih­nen an den Re­ak­tio­nen schon an, dass sie die­sen Na­men schon öf­ter im Zu­sam­men­hang mit den wil­des­ten Ge­schich­ten ge­hört hat­ten.

Ich fühl­te mich mit zu­neh­men­der Zeit ein­fach im­mer schlech­ter. Auch Kars­ten merk­te mir das deut­lich an. Nach ei­nem lan­gen, sehr an­stren­gen­den Ar­beits­tag in der Bank kam ich nach Hau­se und fiel ein­fach nur noch auf die Couch. Ich woll­te nicht mehr. Nie mehr! Kars­ten ließ mir mehr als zwei Stun­den Zeit, um her­un­ter­zu­kom­men. Er koch­te, stell­te mir das Es­sen auf den Tisch und brach­te mir, et­was Küh­les zu trin­ken. So­gar die Ba­de­wan­ne ließ er für mich ein­lau­fen, da­mit ich mich ir­gend­wie ent­span­nen konn­te. Erst am spä­ten Abend sprach er mich an.

»Cat, du bleibst mor­gen hier. So geht das nicht mehr wei­ter!«

Ich schüt­tel­te den Kopf. »Ich kann nicht zu Hau­se blei­ben. Wie stellst du dir das vor? Ich muss ar­bei­ten!«

»Hör auf, mich an­zulü­gen! Ent­we­der du bleibst mor­gen hier auf dem So­fa, oder ich ge­he mit dir zur Ar­beit und baue ei­ne Bank um. Dei­ne Ent­schei­dung!«

»Was soll ich denn dei­ner Mei­nung nach ma­chen?«

»Du brauchst einen Neu­an­fang, das ist das Ein­zi­ge, was noch hilft, an­sons­ten gehst du dar­an ka­putt.«

Ich wuss­te, dass er recht hat­te. »Ich bin schon lan­ge ka­putt. So wie du auch.«

»Uner­laub­ter Tief­schlag, Cat«, brumm­te er, »Egal, was du hier auch noch ver­suchst, lei­dest du so wie ich. Das ist es nicht wert!«

»Wo soll ich denn hin?«

»Weg von hier, ganz egal wo­hin, nur ein­fach weg.«

Ich brauch­te nicht zu lan­ge dar­über nach­zu­den­ken. Kars­ten hat­te mehr als recht. Ich wä­re dar­an zer­bro­chen, wenn er nicht ge­we­sen wä­re. Am nächs­ten Tag blieb ich wirk­lich in mei­nem Bett lie­gen und ging nicht zur Ar­beit. Kars­ten koch­te Kaf­fee und brach­te mir so­gar Früh­stück ans Bett. Da­nach be­rie­ten wir meh­re­re Stun­den und dis­ku­tier­ten ei­ni­ge Vor­schlä­ge. Ich woll­te ei­gent­lich in Deutsch­land blei­ben. Ei­ne an­de­re Spra­che konn­te ich nicht. Das biss­chen Eng­lisch, was ich in der Schu­le ge­lernt hat­te, reich­te nicht ein­mal für ei­ne Be­stel­lung in ei­nem Lo­kal. Vor al­lem war es völ­lig falsch, aber zu mei­ner Zeit konn­ten nicht mal die Leh­rer an­stän­di­ges Eng­lisch, wie soll­ten sie auch den Schü­lern die Spra­che ver­mit­teln. Kars­ten war da­ge­gen. Trotz sei­ner jun­gen Jah­re war er kopf­mä­ßig viel wei­ter. Sein Vor­schlag lau­te­te Nie­der­lan­de. Die Spra­che dort war en­ger mit dem Deut­schen ver­wandt und sie wa­ren, was die Ho­mo­se­xua­li­tät an­ging, deut­lich li­be­ra­ler als al­le an­de­ren Staa­ten.

Ich war da­ge­gen. Die Spra­che wür­de ich in tau­send Jah­ren nicht mehr ler­nen und die Nie­der­lan­de hat­ten ir­gend­wie nichts Schö­nes. Scherz­haft sag­te er, man soll­te mich in die Ka­ri­bik schi­cken, das gä­be ers­tens Son­ne und die Frost­beu­le Ca­tha­ri­na be­kommt nicht mal im Win­ter einen kal­ten Arsch. Ir­gend­wie hat­te er da­mit schon recht. Al­ler­dings wa­ren die meis­ten Län­der na­he am Äqua­tor we­der li­be­ral, noch pass­te die Spra­che. Nur Fran­zö­sisch und Spa­nisch, aber kein Eng­lisch. Was Spra­chen an­ging, war ich ei­ne Nie­te und fran­zö­sisch moch­te ich schon vom Klang her nicht. Das war ein ein­zi­ges Nä­seln und hör­te sich im­mer an, als wür­de je­mand über mich läs­tern. Zu Spa­nisch fand ich kei­nen rech­ten Zu­gang. Wir hat­ten da­mals zwar schon das In­ter­net, aber das war da­mals tat­säch­lich noch Neu­land. Kars­ten sprach dann von Gre­na­da. Ich dach­te die gan­ze Zeit über, er meint ei­ne Stadt in Spa­ni­en, aber er hat­te es von ei­ner In­sel in der Ka­ri­bik, die un­ter eng­li­scher Ver­wal­tung stand. Al­ler­dings war Eng­land bei der To­le­ranz ge­gen­über Ho­mo­se­xu­el­len fast noch schlim­mer als Deutsch­land. Nach ei­ni­gen Näch­ten kam Kars­ten schließ­lich mit der klei­nen In­sel Saint Mar­tin um die Ecke. Mei­ne Ab­leh­nung war ihm da­mit si­cher. Kein Fran­zö­sisch, und was soll­te al­lei­ne der Na­me schon ver­mu­ten las­sen. Aber er hat­te sei­nen Jo­ker ge­zo­gen und mir er­klärt, dass die­se klei­ne In­sel zwei­ge­teilt ist. Der größ­te Teil ge­hört zu Frank­reich, aber der süd­li­che Zip­fel des Ei­lands war ei­ne nie­der­län­di­sche Ko­lo­nie. Amtss­pra­che war Eng­lisch und noch et­was war be­son­ders. Der fran­zö­si­sche Teil die­ser In­sel ge­hört of­fi­zi­ell zur EU, der nie­der­län­di­sche al­ler­dings nicht. Es gab kei­ne Pass- und Zoll­kon­trol­le. Au­ßer­dem hat­te ich als deut­sche Staats­bür­ge­rin den Vor­teil mei­nen Wohn­sitz, so­lan­ge ich woll­te, in­ner­halb der EU zu ver­le­gen oh­ne ein Vi­sum oder sons­ti­gen Un­sinn zu brau­chen.

Je mehr wir über die­se In­sel in Er­fah­rung brin­gen konn­ten, um­so bes­ser ge­fiel es mir. Aber ich brauch­te ei­ne Men­ge Start­ka­pi­tal und na­tür­lich muss­te ich die Spra­che ler­nen. Die nächs­ten Mo­na­te ha­be ich tags­über in der Bank ge­ar­bei­tet, so viel Geld wie mög­lich ge­spart und mit Kars­ten zu­sam­men abends die eng­li­sche Spra­che ge­paukt. Ei­gent­lich woll­te ich mei­ne Sa­chen mit­neh­men, aber das gin­ge nur, wenn ich mein Ei­gen­tum in einen Con­tai­ner pa­cken wür­de und den dann mit ei­nem Schiff da­hin schip­pern las­se. Al­lei­ne das wür­de mich aber schon einen Klein­wa­gen kos­ten. Das war ein­fach nicht drin. Ich brauch­te al­les an Geld, was ich be­kom­men konn­te. Ich ent­schied mich da­her al­les, was ich hat­te bis na­tür­lich auf mei­ne Kla­mot­ten und die per­sön­li­chen Wert­sa­chen zu ver­kau­fen. Das brach­te mir mehr Start­ka­pi­tal und ich brauch­te nicht so­fort einen Job, be­vor ich Plei­te war. Kurz nach Kars­tens Ge­burts­tag hat­te ich mein Start­geld zu­sam­men. Ich brauch­te nur noch das Geld für den Flug, was aber auch noch einen Tau­sen­der er­for­dern wür­de. Ich stell­te mich al­so ge­dank­lich noch ein­mal auf min­des­tens ein hal­b­es Jahr täg­li­cher Fol­ter ein. So lan­ge wür­de ich min­des­tens brau­chen das Geld für den Flug auf die Sei­te zu le­gen.

Ei­nes Mor­gens, als ich auf­stand, um zur Ar­beit zu ge­hen, kam Kars­ten mit ei­nem teuf­li­schen Grin­sen auf mich zu und reich­te mir einen Um­schlag. Als ich ihn öff­ne­te, fie­len mir zwei Flug­tickets ent­ge­gen. Aus­ge­stellt auf mei­nen Na­men und be­zahlt. Kars­ten hat­te mir ver­schwie­gen, dass er das Geld da­für ir­gend­wie zu­sam­men­ge­tra­gen hat­te und dann auch gleich die Flü­ge ge­bucht hat­te. Es war ein Ge­schenk für mich. An­statt zur Ar­beit zu ge­hen, setz­te ich mich an den Tisch und freu­te mich wie ein klei­nes Kind, wenn Os­tern, Weih­nach­ten und Sil­ves­ter auf ein und den­sel­ben Tag fal­len wür­den. Am nächs­ten Tag ging ich noch ein­mal, in sei­ner Beglei­tung zu mei­ner Ar­beits­stel­le in der Bank. Die Ge­sich­ter mei­ner Kol­le­gin­nen wer­de ich nie ver­ges­sen, als ich mit Kars­ten in die Bank kam. Er sah aus wie mein per­sön­li­cher Bo­dy­guard, mit sei­nen schwar­zen Kla­mot­ten und den di­cken Stie­feln. Da­zu mach­te er ein Ge­sicht, das schon von Wei­tem si­gna­li­sier­te, dass ein Wort aus­reich­te, um ei­ne Prü­ge­lei zu pro­vo­zie­ren. Im Stil­len ge­noss ich un­se­ren Auf­tritt. Oh­ne Um­weg gin­gen wir zum Bü­ro mei­nes Chefs und ich warf ihm mei­ne Kün­di­gung und mei­ne Zu­gangs­kar­te auf den Tisch. Dann pack­te ich mei­ne Sa­chen auf mei­nem Schreib­tisch in einen Kar­ton. Ei­ne Kol­le­gin woll­te noch et­was sa­gen, aber Kars­ten pack­te sie und warf sie auf den Schreib­tisch ne­ben­an. Dann ging ich, wie von ei­ner schwe­ren Last be­freit nach drau­ßen.

Kars­ten be­glei­te­te mich so­gar nach Düs­sel­dorf für mei­nen Flug nach Ams­ter­dam. Von dort gab es einen Di­rekt­flug nach Sint Maar­ten mit der KLM. Am 3. No­vem­ber hob ich ab in ein neu­es Le­ben.

Das Leben der Catharina R.

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