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Kapitel 5

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Erst dach­te ich, wir ste­hen in ir­gend­ei­nem zu­gi­gen Kel­ler, aber das, was sie mir zeig­te, war kei­ne Woh­nung oder ein Ap­par­te­ment. Es war ein ein­zel­ner Raum, der et­was von ei­nem Kel­ler­ver­lies hat­te. Und auch hier schlug mir wie­der die­ser mod­ri­ge Ge­ruch in die Na­se. Hier soll­te man woh­nen kön­nen? Spä­tes­tens nach dem ers­ten Auf­wa­chen be­kam man hier schon De­pres­sio­nen. Da hät­te ich mei­ne aus Deutsch­land gar nicht erst mit­brin­gen müs­sen. Die Ein­rich­tung ließ da­für kei­ne Wün­sche of­fen. Ein Pup­pen­bett wie aus ei­nem Mi­nia­tur­haus, ein schwe­rer dunk­ler Schrank, so­wie ein wack­li­ger Tisch mit ei­nem Stuhl da­vor. Die klei­ne Koch­ni­sche mit ei­nem win­zi­gen Kühl­schrank und ei­ne ver­dreck­te Spü­le an der Wand kom­plet­tier­te das Loch. Ich blick­te mich um auf der Su­che nach ei­ner Tür zum Ba­de­zim­mer. Wenn schon woh­nen, dann doch bit­te auch mit ei­ner Toi­let­te und we­nigs­tens ei­ner Du­sche. Da war aber wei­ter nichts. Nur die Ein­gangs­tür, die im Wind wa­ckel­te.

»Das Ba­de­zim­mer ist am an­de­ren En­de des Flurs«, er­klär­te sie mir, als wenn sie mei­ne Ge­dan­ken er­ra­ten hät­te.

»Und wann, sag­test du, kom­men die Zucht­haus­wär­ter vor­bei?«

»Ge­fällt es dir nicht?«, frag­te sie mit leicht be­lus­tig­tem Ton.

»Oh doch, na­tür­lich! Ich ver­spü­re das drin­gen­de Be­dürf­nis, mei­nen Kopf ge­gen die Wand zu wer­fen und mir ei­ne Ku­gel in den Kopf zu bal­lern.«

»Spaß ver­stehst du auch kei­nen«, grins­te sie mich an und ich konn­te ihr an­se­hen, dass sie auf ei­ne Ge­fühls­re­gung in mei­nem Ge­sicht war­te­te. Aber da war na­tür­lich nichts zu er­ken­nen.

»Vi­el­leicht soll­te ich et­was er­klä­ren. Ich bin krank und kann kei­ne Ge­füh­le zei­gen. Auf ein La­chen war­test du al­so ver­geb­lich.«

Sie mach­te ein sor­gen­vol­les Ge­sicht. Dann sag­te sie, »Ich hat­te mich schon ge­wun­dert, weil dei­ne Mi­mik die gan­ze Zeit aus­sah wie ei­ne Mas­ke. Zu­erst ver­mu­te­te ich Bo­tox, aber dann wä­re we­nigs­tens ein biss­chen was zu se­hen ge­we­sen.«

»Du könn­test mir den Arm bre­chen, oder mich an­zün­den und wür­dest trotz­dem nichts se­hen.«

Ich er­kann­te Ver­ständ­nis in ih­ren Zü­gen, als sie sag­te, »Okay, das war wirk­lich nur ein Scherz. Hier will na­tür­lich nie­mand woh­nen. Aber falls du die bil­ligs­te Woh­nung auf der In­sel suchst, weißt du jetzt, wo du sie fin­dest. Die­ses schmu­cke Heim kos­tet 100 Dol­lar im Mo­nat!«

100 Dol­lar? Ge­schenkt wä­re noch zu teu­er ge­we­sen. Ich woll­te nur noch dort weg und ei­ne, wenn auch kost­spie­li­ge­re Woh­nung se­hen, in der ich, wenn mög­lich, ei­ni­ge Mo­na­te zu­brin­gen konn­te. Wir ver­lie­ßen die Bruch­bu­de wie­der durch den fins­te­ren Gang nach un­ten. Als ich wie­der in den Wa­gen klet­tern woll­te, den sie un­ver­schlos­sen ste­hen ließ, hielt sie mich zu­rück. Sie zeig­te auf die an­de­re Stra­ßen­sei­te und bat mich, ihr zu fol­gen. Die­ses Haus sah schon we­sent­lich bes­ser aus. Die Fassa­de war in ei­nem leich­ten Gelb ge­hal­ten und der Weg zur Haus­tür war mit hel­len Plat­ten aus­ge­klei­det. Das ent­sprach schon eher mei­nen Er­war­tun­gen. Doch kurz vor der Ein­gangs­tür bog sie nach rechts ab und zog mich hin­ter ihr her. Es han­del­te sich da­bei um ei­ne Ein­lie­ger­woh­nung mit se­pa­ra­tem Ein­gang. Als sie die Tür öff­ne­te und den Blick in die Woh­nung er­mög­lich­te, fühl­te ich mich so­fort zu Hau­se. Die Woh­nung war hell und freund­lich ein­ge­rich­tet, be­saß ein ge­räu­mi­ges Ba­de­zim­mer, so­gar mit Ba­de­wan­ne und mach­te einen sau­be­ren Ein­druck. Lei­der fand ich kei­ne Kü­chen­zei­le und das war der große Nach­teil. Mein Geld als Start­ka­pi­tal hat­te, reich­te ein­fach nicht, um mir ei­ne Kü­che zu kau­fen. Auch die mo­nat­li­che Mie­te lag weit über mei­nem Bud­get. Ich konn­te mir das ein­fach nicht leis­ten.

Wir brauch­ten noch zwei wei­te­re Ver­su­che ei­ne Woh­nung zu fin­den, in der ich blei­ben konn­te. Letzt­end­lich ent­schied ich mich für ei­ne Zwei­zim­mer­woh­nung in ei­nem Mehr­fa­mi­li­en­haus na­he der Ame­ri­can Uni­ver­si­ty of the Ca­rib­be­an School of Me­di­ci­ne, die so­gar einen klei­nen Bal­kon hat­te. Der Aus­blick er­freu­te mich. Das Meer war zu se­hen, es gab ein paar schat­ten­spen­den­de Bäu­me und es war ru­hig. Aber sie hat­te be­dau­er­li­cher­wei­se nicht nur Vor­tei­le. Zum einen lag sie sehr weit ab von der Stadt und in der Nä­he gab es kei­nen Su­per­markt. Nächs­ter Nach­teil, sie lag auf der nie­der­län­di­schen Sei­te der In­sel. Das be­deu­te­te, ich brauch­te auch noch ein Vi­sum, um über­haupt dort­blei­ben zu dür­fen. Und es tauch­te gleich noch das nächs­te Pro­blem auf. Wie be­zahlt man ei­ne Woh­nung oh­ne Bank­kon­to. In mei­nem fei­nen Plan für die ers­ten Ta­ge hat­te ich näm­lich ge­nau das nicht be­dacht. Sehr pein­lich für ei­ne Bank­kauf­frau. Der nächs­te Rück­schlag er­eil­te mich dann in Form ei­ner Er­klä­rung. Wer auf der fran­zö­si­schen Sei­te ein Kon­to er­öff­nen woll­te, muss­te ei­ne Woh­nung so­wie min­des­tens drei Mo­na­te Strom und Was­ser­rech­nung nach­wei­sen.

Ich brauch­te al­so ei­ne an­de­re Bank. Näm­lich dort wo ich jetzt wohn­te, und da­für braucht man ein un­be­grenzt gül­ti­ges Vi­sum. Mei­ne Pro­ble­me häuf­ten sich und ich hat­te große Lust ein­fach al­les hin­zu­schmei­ßen. Es kann doch nicht so schwer sein ein neu­es Le­ben an­zu­fan­gen, aber ir­gend­je­mand warf mir stän­dig neue Knüp­pel zwi­schen die kur­z­en Bei­ne. An­statt einen Miet­ver­trag hat­te ich jetzt ei­ne Lis­te mit Punk­ten, die ich ab­ar­bei­ten muss­te. Ent­täuscht und mü­de fuhr ich wie­der in mein Ho­tel zu­rück. Ich brauch­te drin­gend ei­ne Pau­se, und was könn­te es da Schö­ne­res ge­ben, als ein paar Stun­den am Strand zu lie­gen, Son­ne zu tan­ken und ein biss­chen im Meer zu schwim­men. Al­lei­ne der Ge­dan­ke hei­ter­te mich schon auf. Es war No­vem­ber, in Deutsch­land kämpf­ten sie mit Eis und Schnee und ich le­ge mich ein­fach an den Strand. An­statt mich um mei­ne Lis­te zu küm­mern, zog ich mir mei­nen neu ge­kauf­ten Bi­ki­ni an und pack­te mir ei­ni­ge Hand­tü­cher ein.

Mit mei­ner Ta­sche mach­te ich mich auf den Weg zu dem großen Strand, wo auch die rie­si­gen Kreuz­fahrt­schif­fe vor An­ker la­gen. Das wa­ren von mei­nem Ho­tel ge­ra­de mal ein paar Mi­nu­ten zu Fuß. Trotz der vie­len Sor­gen, die an mir nag­ten, ver­brach­te ich einen schö­nen Nach­mit­tag an dem Strand mit dem fast wei­ßen Sand und dem tür­kis­blau­en Meer. In Bo­chum wä­re ich um die­se Zeit fast er­fro­ren und hier schwamm ich im war­men Meer, gönn­te mir noch ein großes Eis und et­was spä­ter am Abend auch noch ein le­cke­res Abendes­sen. An der Stra­ße, die ober­halb des Strands par­al­lel ver­lief, gab es ein net­tes Re­stau­rant. Da setz­te ich mich an einen frei­en Tisch und be­stell­te mir Chi­cken Al­fre­do. Das war Hähn­chen­fleisch in ei­ner Kä­se­sau­ce mit an­stän­dig Knob­lauch auf Nu­deln. Ich hät­te mich auf den Tel­ler le­gen kön­nen, so le­cker war das. Als die Son­ne dann hin­term Ho­ri­zont ver­schwand, was auf­grund der Nä­he zum Äqua­tor schon ge­gen 18 Uhr pas­sier­te, mach­te ich mich auf den Weg zum Ho­tel.

Die Du­sche an dem Abend war ei­ne Tor­tur. Die­ser fei­ne Sand kroch buch­stäb­lich in die kleins­te Rit­ze. Ich hat­te ein eher un­ge­woll­tes Ganz­kör­per­pee­ling. Noch un­an­ge­neh­mer war al­ler­dings das Scheu­ern des San­des in mei­nem In­tim­be­reich. Je mehr Was­ser an mir her­un­ter­lief, um­so mehr Sand fand sich an mir. Das nächs­te was ich nach der Kör­per­pfle­ge ge­tan ha­be, war mir einen Plan für den nächs­ten Tag zu­recht­zu­le­gen. Ich brauch­te drin­gend ein Kon­to und ein Vi­sum. Au­ßer­dem hat­te ich im­mer noch nicht nach ei­nem bil­li­gen Au­to ge­sucht und mei­ne neue Hei­mat im­mer noch nicht er­kun­det. Aber es gab auch et­was Po­si­ti­ves. Den rest­li­chen Abend ha­be ich vor dem Fern­se­her ver­bracht. Das hat mir enorm ge­hol­fen Eng­lisch zu ver­ste­hen. Die gan­zen Se­ri­en wa­ren auf Eng­lisch und ich konn­te da­mit mei­ne Sprach­fä­hig­kei­ten ver­bes­sern.

Nach dem Früh­stück am nächs­ten Tag mach­te ich mich auf den Weg zu der Ob­rig­keit. Ich brauch­te un­be­dingt ein Vi­sum für ein Kon­to, da­mit ich auch mei­ne Woh­nung be­kam. Lei­der war ich da­bei nicht wirk­lich so er­folg­reich, wie ich mir das wünsch­te. Denn ein Vi­sum gab es nur, wenn ich einen Job hat­te. Was war das nur für ein däm­li­ches Spiel? Al­les war völ­lig ver­dreht. Nur wo soll­te ich einen Job her­neh­men? Die Bank woll­te mich ja we­gen mei­ner be­grenz­ten Eng­lisch­kennt­nis­se nicht ein­stel­len. Ich brauch­te aber einen Job da­mit es vor­an­ging. Auf dem Weg zu­rück kam ich am Ha­fen vor­bei, wo ge­ra­de ein schö­nes Schiff an­leg­te. Es war die Ho­ri­zon, die ge­ra­de vom Meer in den Ha­fen ein­lief. Da ich sonst nichts wei­ter tun konn­te, sah ich mir das Schau­spiel aus der Nä­he an. Ich hat­te kei­ne Ah­nung, wie vie­le Men­schen auf so ei­nem Kreuz­fahrt­schiff ih­ren Ur­laub ver­brach­ten und wie vie­le auf ei­nes da­von pass­ten. Der gan­ze Steg war über­füllt von Men­schen, die sich erst lang­sam an Land be­weg­ten.

Als sich die Rei­hen et­was lich­te­ten, fiel mein Blick auf ein Bü­ro vor dem vie­le Be­su­cher noch im­mer war­te­ten. In­ter­es­siert sah ich et­was ge­nau­er hin und ent­deck­te ein Schild auf dem stand Help nee­ded. Ich brauch­te doch einen Job und wenn die schon su­chen sprach ja nichts da­ge­gen sich da zu be­wer­ben. Mehr wie schief­ge­hen konn­te es ja nicht. Was hat­te ich schon zu ver­lie­ren? Ich war­te­te bis der größ­te An­drang weg war und be­trat dann das Bü­ro. Ei­ne hel­le Schön­heit hin­ter dem Tre­sen blit­ze mich mit ih­ren strah­lend wei­ßen Zäh­nen an. Auf dem Na­mens­schild auf ih­rer Blu­se stand der Na­me Ro­chel­le. Die ers­te Fra­ge die sie mir nach der freund­li­chen Be­grü­ßung stell­te war, ob ich mich be­reits ent­schie­den hät­te.

»Ja, ich ha­be mich für einen Job ent­schie­den«, sag­te ich zu ihr.

Sie schenk­te mir ein wun­der­schö­nes Lä­cheln und bat mich einen Mo­ment zu war­ten. Sie muss­te erst den Ge­schäfts­füh­rer ru­fen der ge­ra­de un­ter­wegs war. Für die War­te­zeit bot sie mir einen Kaf­fee an, den ich ger­ne an­nahm. Über­all an den Wän­den hin­gen An­ge­bo­te für Ta­ges­aus­flü­ge auf der In­sel. Die Prei­se ka­men mir ziem­lich ge­sal­zen vor, aber das soll­te mich nicht stö­ren. Ich woll­te ja Geld ver­die­nen und nicht aus­ge­ben. Nach et­wa ei­ner hal­b­en Stun­de stell­te sich mir ein äl­te­rer un­ter­setz­ter Mann als Grant At­kins vor. Er trug kein Na­mens­schild, da­für aber ei­ne di­cke Horn­bril­le mit Fens­ter­schei­ben als Glä­sern. Was mir an ihm auf­fiel, war das ro­sa­far­be­ne Hemd, was er trug und ihm ziem­lich um die Brust spann­te. Er warf mir einen ab­schät­zen­den Blick zu und bat mich in sein Bü­ro am En­de des Gan­ges. Ich dach­te, ich wür­de er­frie­ren. In sei­nem Bü­ro war es so kalt wie in ei­nem Kühl­schrank. Um den Job zu be­kom­men, ver­such­te ich ihn mit dem biss­chen Eng­lisch was ich konn­te, zu über­zeu­gen. Das spiel­te für ihn aber kaum ei­ne Rol­le. Er leg­te mehr Wert dar­auf, wel­che Fremd­spra­chen ich konn­te. Als er deutsch als mei­ne Mut­ter­spra­che hör­te, sah ich ein deut­li­ches Grin­sen über sein Ge­sicht hu­schen. Ich brauch­te nur knapp zehn Mi­nu­ten bis ich den Ar­beits­ver­trag in der Hand hat­te. Mein ers­ter Ar­beits­tag soll­te der fünf­zehn­te No­vem­ber sein. Das hieß, ich hat­te noch elf Ta­ge Zeit mei­ne Auf­ga­ben zu er­le­di­gen.

Dann fiel mir auf, dass ich ja jetzt mit dem Ar­beits­ver­trag mein Vi­sum be­kom­men konn­te. Es war ja noch früh am Tag. Al­so kehr­te ich wie­der zur Ver­wal­tung zu­rück und leg­te der Sach­be­ar­bei­te­rin den un­ter­schrie­be­nen Ar­beits­ver­trag vor. Nach nicht ein­mal zwan­zig Mi­nu­ten hat­te ich mein un­be­grenz­tes Vi­sum, so­lan­ge ich dort ar­bei­te­te. Ich konn­te es kaum glau­ben, wie schnell ich jetzt mei­ne Lis­te ab­ar­bei­ten konn­te. Mit dem neu­en Vi­sum be­such­te ich die Bank, um ein Kon­to zu er­öff­nen und mach­te mich dann auf den Weg zu mei­ner Mak­le­rin für den Miet­ver­trag. Dann er­laub­te ich mir ein klei­nes Mit­ta­ges­sen. Nach­mit­tags woll­te ich mei­ne Er­spar­nis­se noch auf mein Kon­to ein­zah­len. Da war es de­fi­ni­tiv si­che­rer als in dem klei­nen Sa­fe in mei­nem Ho­tel­zim­mer. Im Kopf über­schlug ich kurz, was ich pro Tag ei­gent­lich an Geld bräuch­te. Was soll­te ich auch groß­ar­tig an Geld mit mir her­um­tra­gen. Hoch­ge­rech­net auf ei­ne Wo­che kam ich auf knapp ein­hun­dert Dol­lar. Das wür­de mir für ei­ne Wo­che als Bar­geld lo­cker rei­chen. Dann fiel mir erst auf, dass ich kaum noch Dol­lar hat­te, da­für aber je­de Men­ge Deut­sche Mark. Ich hat­te ja nicht wirk­lich viel Geld um­ge­tauscht. Da ich so­wie­so ge­ra­de in der Nä­he der Wech­sel­stu­be war, nahm ich einen klei­nen Um­weg. Der ak­tu­el­le Um­tausch­kurs war für mich in­ter­essant. Das Glück schi­en mir zum ers­ten Mal seit vie­len Jah­ren einen gran­dio­sen Tag zu be­sche­ren. Der ak­tu­el­le Kurs war hö­her als bei mei­nem ers­ten Um­tausch und die Bank er­hob we­ni­ger Ge­büh­ren als die Wech­sel­stu­ben.

Plötz­lich hat­te ich deut­lich mehr Geld ein­ge­plant als ich tat­säch­lich brau­chen wür­de. In Deutsch­land hat­ten Kars­ten und ich über­legt wie viel Geld ich be­nö­tig­te um hier neu star­ten zu kön­nen. Un­se­re Be­rech­nun­gen la­gen bei min­des­tens fünf Mo­na­ten plus Au­to und Mie­te. Jetzt hat­te ich für über vier Mo­na­te zu viel Geld ge­sam­melt als ich ei­gent­lich brauch­te. Ehr­lich ge­sagt, wenn mei­ne Krank­heit mich wür­de strah­len las­sen hät­te ich den Ver­gleich mit der Son­ne lo­cker ge­won­nen. Zum ers­ten Mal spür­te ich kei­ne De­pres­si­on mehr, son­dern Glück und ei­ne un­glaub­li­che Freu­de. Die­ses Ge­fühl woll­te ich mir un­ter al­len Um­stän­den be­wah­ren. Wa­rum konn­te es die gan­zen ver­gan­ge­nen Jah­re nicht so sein? Okay, das warum war ei­gent­lich klar. Als Ho­mo­se­xu­el­le hat­te ich einen ex­trem schwe­ren Be­ginn in Deutsch­land. Hier wuss­te ja noch nie­mand was da­von und ich woll­te das auch Ge­heim­hal­ten so lan­ge es nur ging. Wür­de das hier je­mand her­aus­fin­den, wä­re mein Aben­teu­er schnel­ler zu En­de als ein Spiel­film im Fern­se­hen. So weit soll­te es un­ter gar kei­nen Um­stän­den kom­men. Ich war be­reit mei­ne ei­ge­ne Se­xua­li­tät bis an mein En­de zu ver­leug­nen, wenn ich da­für nicht mehr lei­den muss­te.

Phi­lips­burg kann­te ich jetzt schon ziem­lich gut, aber mei­ne Woh­nung lag nicht in Phi­lips­burg, son­dern in der Nä­he des Golf­plat­zes. Die Ge­gend kann­te ich al­ler­dings noch nicht. Ich soll­te sie mir un­be­dingt ge­nau­er an­se­hen. Das soll­te ich drin­gend noch er­le­di­gen be­vor ich mein Ho­tel auf­gab und in das Ap­par­te­ment zog. Al­ler­dings gab es ja noch das Pro­blem mit dem Au­to. Mei­nen Miet­wa­gen konn­te ich ja nicht ewig be­hal­ten. Die­ses ewig wa­ren noch ziem­lich ge­nau vier Ta­ge, dann müss­te ich ihn für viel Geld ver­län­gern oder einen ge­kauft ha­ben. Es muss­te ja nichts Gro­ßes sein. Mit mei­ner kur­z­en Kör­per­län­ge reich­te ja auch ein Klein­wa­gen. Das hat­te auch den Vor­teil, dass er nicht so viel Ben­zin brau­chen wür­de. Da­vor drück­te ich mich schon die gan­ze Zeit. Den Wa­gen soll­te ich wirk­lich mal voll­tan­ken, aber die Sprit­prei­se von Deutsch­land kann­te ich ja noch. Da wur­de es re­gel­mä­ßig ziem­lich teu­er. In Bo­chum zahl­te man für einen Li­ter Ben­zin da­mals schon 1,35 D-Mark. Die Ben­zin­prei­se an den Tank­stel­len hier la­gen al­ler­dings auch in die­sem Be­reich. Al­ler­dings wa­ren es Dol­lar­prei­se, al­so rein rech­ne­risch un­ge­fähr die Hälf­te.

Ich kehr­te zu­rück in mein Ho­tel und nahm das Geld aus dem Sa­fe. Dann setz­te ich mich wie­der in den Miet­wa­gen und fuhr zu mei­ner Bank. Die An­ge­stell­te hin­ter dem Schal­ter staun­te nicht schlecht, als ich be­reits zum zwei­ten Mal an die­sem Tag vor ihr stand. Ich übergab ihr mei­ne Bar­mit­tel und bat sie es um­zut­au­schen und auf mein Kon­to ein­zu­zah­len. Das dau­er­te ei­ne gan­ze Wei­le. Sie muss­te erst zwei­mal müh­sam nach­zäh­len, dann den Be­trag um­rech­nen, die Ge­bühr ab­zie­hen und dann auf mei­nem Kon­to ver­mer­ken. Was ich al­ler­dings toll fand, war die Kon­to­kar­te. Wäh­rend man in Deutsch­land teil­wei­se über zwei Wo­chen dar­auf war­ten muss­te, gab es sie hier gleich bei der Kon­to­er­öff­nung schon da­zu. Den vier­stel­li­gen Co­de für den Au­to­ma­ten konn­te man di­rekt vor Ort fest­le­gen und schon 24 Stun­den spä­ter brauch­te man kei­nen frei­en Schal­ter mehr. Ich hät­te nie­mals ver­mu­tet, dass die an­geb­li­chen Ent­wick­lungs­län­der den Deut­schen um Licht­jah­re vor­aus wa­ren. Noch da­zu wa­ren sie deut­lich ent­spann­ter und freund­li­cher. Zeit hat­te hier ei­ne ganz an­de­re Be­deu­tung.

Al­ler­dings hat­te das mit der Zeit nicht nur Vor­tei­le, wie ich fest­stel­len muss­te. Die Men­schen wa­ren zwar ru­hig und um­gäng­lich, aber wenn man War­te­zeit hat­te, konn­te man ir­re wer­den. Die be­rühm­ten fünf Mi­nu­ten, die man in Deutsch­land so ger­ne nann­te, konn­ten hier auch ger­ne mal zwei Stun­den be­deu­ten. Das war ins­be­son­de­re dann ex­trem an­stren­gend, wenn man an ei­nem Schal­ter stand und auf et­was war­ten soll­te. Nie­mand moch­te es, wenn man ein­fach mal ei­ne Drei­vier­tel­stun­de blöd in der Ge­gend stand, weil man in der Zwi­schen­zeit auch noch et­was an­de­res er­le­di­gen konn­te. Das pas­sier­te mir in den ers­ten Ta­gen hier häu­fig. Im­mer wie­der hat­te ich War­te­zei­ten zu über­brücken, die mir schier end­los er­schie­nen. In Deutsch­land war man es ja ge­wohnt al­les so­fort zu be­kom­men, und die zi­tier­ten fünf Mi­nu­ten wa­ren meist auch kür­zer. Hier dehn­ten sie sich aus wie Kau­gum­mi. Das ist für die un­ge­dul­di­gen Deut­schen nicht nur un­ge­wohnt, son­dern auch un­end­lich ner­vig.

Auf der Rück­fahrt von der Bank zu mei­nem Ho­tel leuch­te­te be­reits die Tan­k­an­zei­ge in mei­nem Hyun­dai. Ich muss­te drin­gend tan­ken, be­vor ich mit ihm ir­gend­wo lie­gen blieb. Am En­de der Simp­son Bay, wo auch mei­ne Bank ih­re Fi­lia­le hat­te, fand sich auch ei­ne Tank­stel­le ei­ner großen Ket­te. Ge­zwun­ge­ner­ma­ßen brauch­te ich neu­es Ben­zin und über­leg­te schon, wie viel Geld mich das wohl kos­ten wür­de. Au­ßer­dem hoff­te ich in­stän­dig, dass man in der Nä­he der Zapf­säu­le auch sol­che über­großen Plas­tik­hand­schu­he be­kom­men wür­de. Ich moch­te es nicht, wenn ich mit dem Treib­stoff in Berüh­rung kam. Der Ge­ruch war mir ei­gent­lich egal, aber die­ses Ge­schmie­re an den Fin­gern war nichts für mich. Ich fuhr al­so an die Tank­stel­le und hielt an. Doch be­vor ich mich aus dem Au­to zwän­gen konn­te, er­schi­en schon ein freund­lich lä­cheln­der jun­ger Mann ne­ben mei­nem Fens­ter und frag­te mich, wie viel Ben­zin ich ha­ben woll­te. Ich war baff. Man muss­te nicht selbst tan­ken, man wur­de ein­fach be­tankt.

Um mei­ne Bar­mit­tel ein biss­chen bei­sam­men zu­hal­ten ent­schied ich mich für einen Be­trag von 30 Dol­lar. Der jun­ge Mann grins­te mich wei­ter an und gab mir zu ver­ste­hen, dass er nicht glaub­te, dass in den Tank mei­nes Miet­wa­gens so viel Sprit pass­te. Gut, er muss­te es wis­sen, im­mer­hin war es sein Job und er hat­te si­cher schon tau­sen­de Au­tos be­tankt. Ich bat ihn dar­um, das Au­to dann voll­zu­ma­chen, aber bei 30 Dol­lar auf­zu­hö­ren. Lä­chelnd nahm er den Hahn und steck­te ihn in den Zu­gang mei­nes Klein­wa­gens. Dann hör­te ich auch schon das be­kann­te Geräusch, wenn Ben­zin in den Tank ge­pumpt wird. Aus mei­nem Sei­ten­fens­ter er­kann­te ich die Zah­len, die sich er­höh­ten. Ich wun­der­te mich nur, warum der Preis im Ge­gen­satz zum Sprit so lang­sam an­wuchs. Bei knapp 17 Dol­lar blieb es dann auch und das Be­tan­ken war be­en­det. Ich hat­te in mei­nem dum­men Kopf wie­der et­was über­se­hen. Der Preis auf der An­zei­ge­ta­fel war pro Gal­lo­ne an­ge­ge­ben. Ei­ne Gal­lo­ne wa­ren im­mer­hin fast vier Li­ter. Das muss­te ich erst­mal ver­dau­en. Ich be­zahl­te mei­ne Rech­nung bei dem jun­gen Mann mit 20 Dol­lar und roll­te vom Ge­län­de der Tank­stel­le.

Der Preis pro Gal­lo­ne war halb so viel wie in Deutsch­land für einen Li­ter. Das hieß, ich be­zahl­te nur ein Vier­tel des­sen, was ich kann­te. Ich hat­te mir völ­lig un­nö­tig Ge­dan­ken ge­macht. Kei­ne schmie­ri­gen Fin­ger durch das Ben­zin. Ich muss­te nicht den Wa­gen ver­las­sen und be­zahl­te fast nichts für Ben­zin. Konn­te es ei­gent­lich noch bes­ser wer­den? Schein­bar war das ein Tag in mei­nem Le­ben an dem al­les funk­tio­nier­te. Die Glücks­fee muss­te heu­te di­rekt auf mei­ner Schul­ter sit­zen. Schon den gan­zen Tag lief al­les wie am Schnür­chen. In Deutsch­land hät­te ich mir di­rekt einen Lot­to­schein ge­kauft. Hier be­lohn­te ich mich statt­des­sen mit ei­nem Eis und ei­nem Kaf­fee mit herr­li­chem Aus­blick auf das Meer. Jetzt brauch­te ich nur noch einen Au­to­händ­ler der mir et­was Bil­li­ges an­bie­ten konn­te. Dann er­in­ner­te ich mich an das ei­ne Au­to­haus was ich ge­se­hen hat­te als ich vom Flug­ha­fen zu mei­nem Ho­tel ge­fah­ren war. Der war nur we­nig ent­fernt und ich ent­schied mich da mal vor­bei­zu­schau­en.

Das Leben der Catharina R.

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