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Kapitel 4

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Da saß ich al­so nun auf der klei­nen In­sel Sint Maar­ten vor dem Prin­cess Ju­lia­na In­ter­na­tio­nal Air­port auf ei­ner Bank in der Son­ne und war­te­te dar­auf, dass sich mein Kreis­lauf wie­der be­ru­hig­te. Die Zi­ga­ret­te in mei­ner Hand hat­te sich schon selbst ge­raucht. Mei­ne Bei­ne zit­ter­ten und vor mei­nen Au­gen wur­de es im­mer wie­der kurz schwarz. Ich ver­such­te es mit leich­ten Be­we­gun­gen, um mei­nen Kreis­lauf an­zu­re­gen, da­mit es mir bes­ser ging. Das dau­er­te fast ei­ne vier­tel Stun­de, bis ich wie­der halb­wegs auf dem Damm war. Erst dann wur­de mir be­wusst, wie schön es hier ei­gent­lich war. Die Son­ne schi­en, es war som­mer­lich warm und die Luft roch frisch nach Salz und ein biss­chen nach Blu­men. Vor al­lem war sie nicht so ver­staubt, wie in Bo­chum, stell­ten mei­ne Atem­we­ge fest. Noch et­was an­de­res fiel mir auf. Nach mei­ner in­ne­ren Uhr müss­te es schon fast wie­der dun­kel sein, aber die Son­ne war erst kurz über ih­ren Ze­nit ge­wan­dert. Die Uhr an mei­nem Hand­ge­lenk ver­mel­de­te, es wä­re 20 Uhr, aber die Uhr auf dem Park­platz zeig­te erst kurz nach 3 Uhr am Mit­tag. Ich hat­te wäh­rend des Flu­ges die Zeit­um­stel­lung kom­plett ver­ges­sen. Hier lag ich fünf Stun­den hin­ter Deutsch­land zu­rück.

Das schöns­te, was ich dort auf der Bank er­leb­te, war ein jun­ger Mann, der mich an­sprach, um zu fra­gen, ob es mir gut geht. Ich er­wähn­te ihm ge­gen­über nur mei­ne leich­ten Kreis­lauf­pro­ble­me, die ich nach dem Flug hat­te. Sei­ne Re­ak­ti­on dar­auf war ein scheu­es Lä­cheln und die Fra­ge, ob ich viel­leicht et­was zu Trin­ken brau­chen könn­te. Ich ver­nein­te und er nick­te nur kurz und ließ mich al­lei­ne. Kur­ze Zeit spä­ter stand er wie­der ne­ben mir und ser­vier­te mir ei­ne eis­kal­te Fla­sche Mi­ne­ral­was­ser. Zu­erst woll­te ich sie nicht an­neh­men. Ich war mir sehr un­si­cher, ob das nicht viel­leicht ein Ver­such war mich zu be­täu­ben und mei­ne Rei­se­kas­se zu steh­len. Man konn­te ja nie wis­sen, was er vor­hat­te. Al­ler­dings war sie noch ori­gi­nal ver­schlos­sen, denn der Ver­schluss war nicht an­ge­tas­tet. Er be­merk­te mein zö­gern. Um mir zu de­mons­trie­ren, dass dar­an nichts ma­ni­pu­liert wur­de, öff­ne­te er die Fla­sche, ließ sich Was­ser in die Hand lau­fen und trank es vor mei­nen Au­gen. Das über­zeug­te mich und ich nahm die Fla­sche an mich. Das kal­te Was­ser aus der Plas­tik­fla­sche zeig­te tat­säch­lich ei­ne be­le­ben­de Wir­kung.

Na­tür­lich woll­te ich das Was­ser auch be­zah­len, aber das lehn­te er ab. Wa­rum soll­te ich al­ler­dings erst spä­ter er­fah­ren! Für die ers­ten paar Ta­ge mei­nes neu­en Le­bens hat­te ich mir ein güns­ti­ges Ho­tel mit­ten in Phi­lips­burg, der Haupt­stadt des nie­der­län­di­schen Teils der In­sel ge­sucht. Das wür­de mei­ne Ba­sis wer­den, von der aus ich mein Le­ben hier auf­bau­en wür­de. Um fle­xi­bel zu sein, nahm ich mir ein klei­nes und güns­ti­ges Miet­au­to. Klein war er wirk­lich, aber für mei­ne Zwe­cke voll­kom­men aus­rei­chend. Au­ßer­dem woll­te ich mei­ne neue Hei­mat ja auch mal ken­nen­ler­nen. Für den klei­nen Hyun­dai be­zahl­te ich gleich ei­ne gan­ze Wo­che. Der Ver­lei­her war so­gar so freund­lich und half mir den großen schwe­ren Kof­fer ins Au­to zu le­gen. Hin­ter der Freund­lich­keit ver­mu­te­te ich einen psy­cho­lo­gi­schen Trick, der mir einen schö­nen Ur­laub brin­gen soll­te. Da­bei war ich gar nicht für einen Ur­laub hier. Ich star­te­te den klei­nen Flit­zer und fuhr der Stra­ße in Rich­tung Phi­lips­burg ent­ge­gen, wo­bei schlei­chen viel­leicht der bes­se­re Aus­druck war. Ich kam wirk­lich kaum vor­an, denn die Stra­ße war to­tal über­las­tet.

Di­rekt ne­ben der Start­bahn des Flug­ha­fens ver­lief die Stra­ße ge­ra­de­aus und ich stand im Stau. Was ich da sah, konn­te ich kaum glau­ben. Auf der of­fe­nen La­de­flä­che ei­nes Last­wa­gens sa­ßen et­wa 30 Men­schen. Hin­ter dem Trans­por­ter fuhr ein Fahr­zeug mit Blau­licht auf dem Dach und der Auf­schrift Po­li­ce. Da­mit wä­re der Füh­rer­schein in Deutsch­land auf der Stel­le ein­ge­zo­gen wor­den und die Men­schen müss­ten nach Hau­se lau­fen. Aber hier? Die Män­ner auf der La­de­flä­che scherz­ten so­gar noch mit den Be­am­ten. Sie rie­fen sich über den Lärm ein­zel­ne Sät­ze zu und lach­ten. Aber die Po­li­zis­ten ta­ten nichts. Das war für mich ab­so­lut un­glaub­lich und ich sah die Sze­ne­rie fas­sungs­los vor mir. Dann er­leb­te ich noch et­was Be­ein­dru­cken­de­res. Auf der Start­bahn zu mei­ner rech­ten wur­de es furcht­bar laut und der klei­ne Miet­wa­gen dröhn­te. Ein weiß glän­zen­des Flug­zeug rausch­te mit großer Ge­schwin­dig­keit an mir vor­bei. Die vier Trieb­wer­ke un­ter den Trag­flä­chen wir­bel­ten den Sand auf der Start­bahn auf. Plötz­lich er­hob sich die­ser Ko­loss ma­je­stä­tisch in die Lüf­te und dreh­te ei­ne klei­ne Kur­ve nach rechts.

Nach et­wa ei­ner Vier­tel­stun­de Still­stand lös­te sich der Stau in Wohl­ge­fal­len auf und ich konn­te wei­ter­fah­ren. Der Last­wa­gen mit den Bau­ar­bei­tern dar­auf fuhr ein­fach los, die Be­am­ten da­hin­ter über­hol­ten und ich dach­te, ich wür­de gleich wie­der ste­hen, aber es pas­sier­te nichts der­glei­chen. Lang­sam kam ich der Stadt nä­her und ich ge­noss die Son­ne auf mei­ner Haut. Das lös­te ei­ne gan­ze Rei­he schö­ner Ge­füh­le in mir aus. Die Pal­men­blät­ter am Stra­ßen­rand be­weg­ten sich leicht im Wind und ich er­kann­te den Grund für den Stau. Es war ei­ne Brücke, die man nach oben zie­hen konn­te, um Schif­fe in den Ha­fen fah­ren zu las­sen. Aber was mich wun­der­te war, dass ich kei­ne Am­pel zu se­hen be­kam. Ich pas­sier­te drei Kreis­ver­keh­re, aber es gab kei­ne Am­pel. In Bo­chum wä­re ich al­le hun­dert Me­ter an ei­nem ro­ten Licht ge­stan­den. Hier nicht ein­mal. Die Stra­ße führ­te mich einen klei­nen Hü­gel hin­auf, die mir einen wun­der­schö­nen Blick über das Meer er­mög­lich­te. Das Was­ser zeig­te ver­schie­de­ne Far­ben und re­flek­tier­te die Son­ne. Es war atem­be­rau­bend, und doch nur ein Vor­ge­schmack auf das, was noch folg­te. Nach ei­ni­gen wei­te­ren Kur­ven an die­sem Berg­hang führ­te die Stra­ße mich wei­ter nach un­ten. Dann pas­sier­te ich ei­ne lang­ge­zo­ge­ne Links­kur­ve und sah ei­ne lan­ge Bucht mit weißem Sand. Da­vor das tür­kis­blaue Meer und im Hin­ter­grund drei rie­si­ge Pas­sa­gier­schif­fe. Ich muss­te wirk­lich am Fahr­ban­d­rand ste­hen blei­ben und die­ses Bild in mir auf­neh­men.

Als ich mich dar­an satt­ge­se­hen hat­te, stieg ich wie­der in mei­nen Miet­wa­gen und setz­te mei­nen Weg zu dem klei­nen Ho­tel fort. Es lag mit­ten in der Stadt und bot mir das, was ich brauch­te. Ein großes Bett für die klei­ne Ca­tha­ri­na al­lei­ne, ein Ba­de­zim­mer mit Du­sche und WC und am einen klei­nen Fern­se­her. Ich stell­te mei­nen Kof­fer in den Schrank und leg­te mich aufs Bett. Die lan­ge An­rei­se for­der­te ih­ren Tri­but. Al­ler­dings woll­te ich al­les, nur nicht Nach­mit­tags ein­schla­fen. Sonst wä­re ich spä­tes­tens mit­ten in der Nacht wie­der hell­wach. Ich ent­schied mich für ei­ne kur­ze Du­sche und leich­te­re Klei­dung. Mein Kör­per war von Zu­hau­se ja die nied­ri­gen Tem­pe­ra­tu­ren ge­wohnt, aber hier hat­te es fast 30 Grad. Dann ver­ließ ich mein Zim­mer und lief durch die Stra­ßen. Es roch herr­lich nach fri­schem Es­sen und die fri­sche Bri­se vom Meer sorg­te für et­was Ab­küh­lung. Was mich er­staun­te wa­ren die Prei­se. An je­dem Re­stau­rant hing drau­ßen ei­ne Kar­te und da­hin­ter stan­den Prei­se in ame­ri­ka­ni­schen Dol­lar an­ge­ge­ben. Lei­der hat­te ich nur Deut­sche Mark in der Ta­sche. Zu die­ser Zeit war die Mark noch dop­pelt so viel wert wie der Dol­lar, be­zie­hungs­wei­se so­gar noch ein biss­chen mehr. Auf mei­nem wei­te­ren Weg kam ich auch an ei­ner Bank vor­bei. Dann kam mir die Idee, ich könn­te mei­nen De­vi­se­num­tausch ja auch gleich für ei­ne Be­wer­bung nut­zen.

In dem Ge­bäu­de war es rich­tig kühl und das Sum­men der Kli­ma­an­la­ge war dann doch et­was laut. Es sah völ­lig an­ders aus als die Bank, in der ich ge­ar­bei­tet hat­te. Al­les war of­fen, es gab kei­ne Pan­zerglas­schei­ben, nur ei­ni­ge Bü­ros zu den Sei­ten, aber das auf­fäl­ligs­te wa­ren die bei­den Si­cher­heits­män­ner mit Waf­fen an der Hüf­te. So et­was kann­te ich nicht. Ei­ner der bei­den, frag­te mich auch gleich, was ich woll­te und ich muss­te fest­stel­len, dass mein Eng­lisch doch nicht so gut war wie ich dach­te. Ich ver­stand den dunklen Rie­sen fast nicht. Da­für ver­stand er mich aber um­so bes­ser. Das Ler­nen hat­te al­so doch einen po­si­ti­ven Ef­fekt. Die Fra­ge war nur, warum ich ihn kaum ver­ste­hen konn­te. Die Lö­sung war ei­gent­lich ganz ein­fach. Da ich die Wör­ter im­mer nur ge­le­sen hat­te und sel­ber sprach, ver­stand ich nur mein Eng­lisch. Er sprach aber mit ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Dia­lekt, ver­schluck­te ei­ni­ge Sil­ben und be­ton­te an­ders. Das war mein großes Pro­blem. Der Um­tausch war gar nicht schwie­rig und ich durf­te so­gar den Fi­li­al­lei­ter spre­chen. Der war auch deut­lich bes­ser zu ver­ste­hen, al­ler­dings wa­ren mei­ne Sprach­kennt­nis­se für einen Job viel zu schlecht. Er gab mir zu ver­ste­hen, dass ich es ger­ne in ei­ni­gen Wo­chen er­neut ver­su­chen durf­te, aber mein Eng­lisch muss­te deut­lich bes­ser wer­den.

Mit den er­wor­be­nen Dol­lars leis­te­te ich mir ein le­cke­res Abendes­sen in ei­nem Re­stau­rant fast di­rekt am Strand. Ich such­te fast zwang­haft nach ei­nem Ha­ken bei der Be­zah­lung. Ir­gen­det­was muss­te ich über­se­hen ha­ben. Ich konn­te mir nicht vor­stel­len, dass ein Es­sen fast nichts kos­te­te. Als die Rech­nung kam, stand aber wirk­lich nur der Be­trag auf dem Zet­tel, den ich vor­her schon aus­ge­rech­net hat­te. In Bo­chum gab es das nur in ei­ner Cur­ry­wurst­bu­de, aber das hier war ein rich­ti­ges Re­stau­rant. Mein nächs­ter Weg führ­te mich in einen Su­per­markt, denn ich brauch­te noch Ge­trän­ke. Mein Zim­mer war nur zur Über­nach­tung mit Früh­stück, al­so muss­te ich ein biss­chen Ver­pfle­gung be­sor­gen. Das Was­ser aus dem Hahn soll­te man nicht un­be­dingt trin­ken hat­te ich ge­le­sen. Es hieß man wür­de da­von Ma­gen­pro­ble­me be­kom­men, al­so ver­zich­te­te ich dar­auf. Die Prei­se wa­ren aber deut­lich güns­ti­ger als ich sie mir vor­ge­stellt ha­be. Ich rech­ne­te al­les in die mir be­kann­te Wäh­rung um und war deut­lich über­rascht. Was ich noch brauch­te, wa­ren Zi­ga­ret­ten, die da­mals in Bo­chum noch vier Mark am Au­to­ma­ten kos­te­ten. Hier kos­te­te die Schach­tel nur einen Dol­lar. Ei­ne Stan­ge gab es für gan­ze 10 Dol­lar. Da ich so­wie­so ge­nug brauch­te, nahm ich gleich mal zwei Stan­gen mit. Das nächs­te was mir auf­fiel, wa­ren die zwei Prei­se an den Re­ga­len. Dort stand ne­ben den Dol­lar­prei­sen noch ein wei­te­rer Preis in ANG an­ge­ge­ben. Die­se Be­zeich­nung hat­te ich über­all er­war­tet, denn es war die ei­gent­li­che Wäh­rung. Der so­ge­nann­te An­til­len­gul­den. Aber das meist­ver­wen­de­te Zah­lungs­mit­tel war der ame­ri­ka­ni­sche Dol­lar. Aus­ge­wie­sen we­gen der vie­len Be­su­cher aus den Ve­rei­nig­ten Staa­ten. An der Kas­se er­war­te­te mich die nächs­te Über­ra­schung, die ich nicht ver­stand. Hin­ter dem Kas­sen­band stand ein jun­ger Mann und pack­te mei­ne Ein­käu­fe fein säu­ber­lich in Plas­tik­tü­ten. Da ich nicht be­son­ders viel ge­kauft hat­te, übergab er mir die drei Tü­ten mit ei­nem Lä­cheln und wünsch­te mir einen schö­nen Abend.

Als ich end­lich wie­der in mei­nem Ho­tel an­kam, war ich wirk­lich mü­de. Ich fiel ein­fach nur noch in mein Bett und schlief wie ein Stein. Am nächs­ten Mor­gen wur­de ich durch einen Vo­gel ge­weckt der vor mei­nem Zim­mer auf ei­ner Strom­lei­tung fröh­lich zwit­scher­te. Mei­ne ers­te Auf­ga­be nach dem Früh­stück war ei­ne Woh­nung zu be­sor­gen. Mög­lichst güns­tig, da mei­ne Geld­mit­tel doch be­grenzt wa­ren und auf der fran­zö­si­schen Sei­te, da­mit ich kein Vi­sum be­nö­tig­te. Mei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis war auf drei Mo­na­te be­grenzt, al­ler­dings durf­te ich mich ja un­be­grenzt in Frank­reich auf­hal­ten. Das nächs­te was ich brauch­te, war ein güns­ti­ges Fahr­zeug und am bes­ten einen Job. Ich star­te­te mit ei­ner Zei­tung und durch­such­te sie nach den Woh­nungs­an­zei­gen. War ei­ne blö­de Idee, denn ich fand dar­in nicht ei­ne ein­zi­ge. Ich ver­mu­te­te, es wä­re der falsche Tag ge­we­sen, weil man sie sam­mel­te und nur an be­stimm­ten Ta­gen ab­druck­te. Um die­se Ver­mu­tung zu prü­fen, frag­te ich den Ver­käu­fer. Er fing an zu la­chen und er­klär­te mir, dass es kei­ne Woh­nungs­an­zei­gen in den Zei­tun­gen gab. Was hat­te ich auch an­de­res er­war­tet? Ver­mie­tun­gen gab es nur an zwei Stel­len. Ein­mal in je­dem großen Su­per­markt an den An­zei­gen­bret­tern, oder über einen Im­mo­bi­li­en­mak­ler. Er emp­fahl mir letz­te­res, denn die ge­schrie­be­nen An­zei­gen in den Ein­kaufs­zen­tren wa­ren meist über­teu­ert oder mit ver­steck­ten Kos­ten be­haf­tet. Al­so brauch­te ich einen Mak­ler. Den Weg gab er mir gleich noch mit und ich frag­te mich, warum die Men­schen hier al­le so freund­lich wa­ren.

Aus Bo­chum kann­te ich das an­ders. Die meis­ten Men­schen küm­mer­ten sich um ih­re ei­ge­nen Be­lan­ge, mach­ten ein ab­wei­sen­des Ge­sicht und rea­gier­ten be­lei­digt, wenn man ih­nen ei­ne Fra­ge stell­te. Die Ant­wort lie­fer­te aus­ge­rech­net das Kenn­zei­chen mei­nes Miet­wa­gens. Ober­halb der Num­mer stand dar­auf ›The fri­end­ly Is­land‹. Das er­klär­te auch warum al­le Men­schen die ich traf aus­ge­spro­chen freund­lich wa­ren. Über­haupt wa­ren sie viel ent­spann­ter als die Be­woh­ner mei­ner Hei­mat­stadt. Ich folg­te der Weg­be­schrei­bung, sie ich von mei­nem Zei­tungs­ver­käu­fer er­hal­ten hat­te und fand mich vor ei­nem hell wei­ßen Ge­bäu­de wie­der, das in der Son­ne glänz­te. Da­rin fand ich aber nicht nur das Bü­ro ei­nes Mak­lers, son­dern auch noch vie­le an­de­re Ge­schäf­te. Un­ter an­de­rem ei­ne Zoo­hand­lung, einen zu klein ge­ra­te­nen Back­shop und et­was, was ich bis da­hin noch nie ge­se­hen hat­te, einen Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­la­den. Aber ich war we­gen ei­ner Woh­nung hier. Für das Ent­de­cken neu­ar­ti­ger Spiel­zeu­ge blieb noch ge­nug Zeit.

Das Mak­ler­bü­ro ver­steck­te sich hin­ter ei­ner dunklen Schei­be, ne­ben der in ei­nem Holz­kas­ten ei­ni­ge An­zei­gen auf­ge­hängt wa­ren. Ein kur­z­er Blick zeig­te al­ler­dings nur Häu­ser, die man für Sum­men kau­fen konn­te, die jen­seits mei­nes schma­len Bud­gets la­gen. Ich be­trat das Bü­ro und sah mich zwei Schreib­ti­schen ge­gen­über. Hin­ter dem rech­ten da­von saß ei­ne et­wa 40-jäh­ri­ge Frau im Bu­si­ness­ko­stüm und blät­ter­te in ei­nem Ord­ner. Sie sah auf, und ich spür­te so­fort ih­ren prü­fen­den Blick auf mir. Es roch nach Pa­pier und ei­nem zar­ten Hauch ei­nes eher hol­zi­gen Parf­ums. Die Da­me er­hob sich, kam mit ei­nem freund­li­chen Lä­cheln auf mich zu und streck­te mir ih­re Hand ent­ge­gen. Sie bat mich Platz zu neh­men und frag­te, wo­mit sie mir hel­fen könn­te. Blö­de Fra­ge, wahr­schein­lich möch­te ich Zi­ga­ret­ten kau­fen und setz­te mich des­halb zu ei­nem Mak­ler. Ich er­klär­te ihr kurz ei­ni­ge Eck­da­ten. Ge­sucht wur­de ei­ne klei­ne Woh­nung oder ein Ap­par­te­ment, mög­lichst auf der fran­zö­si­schen Sei­te der In­sel, mit ein biss­chen Ein­rich­tung und für klei­nes Geld zur Mie­te. Mit je­der Be­din­gung wur­de ihr Ge­sichts­aus­druck ein we­nig düs­te­rer. An mei­nem Eng­lisch er­kann­te sie, dass es nicht mei­ne ei­gent­li­che Spra­che war und frag­te ganz di­rekt wo­her ich denn käme. Als ich ihr er­klär­te, dass ich bis­her in Deutsch­land ge­lebt hat­te und hier ein neu­es Le­ben an­fan­gen woll­te, wur­de ihr Blick wei­cher und sie fing an zu grin­sen. Zu mei­ner Ver­wun­de­rung be­gann sie das Ge­spräch er­neut, die­ses Mal al­ler­dings in mei­ner Mut­ter­spra­che, mit deut­li­chem Ak­zent aus Ber­lin.

Man soll­te es nicht für mög­lich hal­ten, aber die Mak­le­rin war vor Jah­ren schon aus Ber­lin Zeh­len­dorf auf die­se In­sel ge­zo­gen und ver­tick­te jetzt Woh­nun­gen. Al­so er­klär­te ich ihr ge­nau das was ich such­te er­neut, al­ler­dings in mei­ner Mut­ter­spra­che. Sie er­kann­te mei­nen Dia­lekt und tipp­te auf Es­sen. Gar nicht weit weg ge­ra­ten, dach­te ich bei mir und nann­te ihr Bo­chum als Hei­mat­stadt. Sie nahm sich einen Block zur Hand und no­tier­te die An­ga­ben, die ich ihr gab. Com­pu­ter gab es zwar schon, aber sie wa­ren noch nicht so weit ver­brei­tet. Auch in Deutsch­land in der Bank gab es da­mals noch kei­ne. Die Spar­bü­cher die ich schrei­ben muss­te wur­den noch fein säu­ber­lich von Hand ge­führt. Ich hass­te es wie die Pest in die­sen klei­nen Heft­chen zu schrei­ben und dann mit ei­nem Li­ne­al noch Li­ni­en zu zie­hen. Sie griff sich einen di­cken Ord­ner aus ei­nem Re­gal und klapp­te ihn auf. Da­rin wa­ren tau­sen­de Woh­nun­gen auf­ge­führt. Zu­erst nahm sie einen gan­zen Sta­pel und schob ihn auf die an­de­re Sei­te. Fast am En­de des Ord­ners wa­ren wohl die Woh­nun­gen, die mei­nen An­for­de­run­gen ent­spra­chen.

Dann blick­te sie auf, sah mir in die Au­gen und frag­te: »Hast du heu­te noch was vor?«

Ich ant­wor­te­te, »Nicht viel. Ganz oben auf mei­ner Lis­te steht ei­ne be­zahl­ba­re Woh­nung und wenn noch Zeit bleibt ein Fahr­zeug.«

Sie no­tier­te sich ei­ni­ge Da­ten auf ih­rem Blatt, stand auf und sag­te nur »Komm mit, wir fin­den ei­ne Woh­nung für dich!«

Wir ver­lie­ßen das Bü­ro. Sie häng­te ein Schild in die Tür, schloss ab und führ­te mich zu ei­nem großen Ge­län­de­wa­gen auf dem Park­platz. Ich hat­te doch ei­ni­ge Mü­he auf den Bei­fah­rer­sitz zu klet­tern. Dann saß ich end­lich drin und sie star­te­te den Mo­tor. Den Blick den sie mir zu­warf, als ich mei­nen Gurt an­leg­te, konn­te ich nicht ein­ord­nen. Sie lach­te mich nur an und schüt­tel­te den Kopf.

»Ty­pisch Deutsch. Erst set­zen und dann so­fort den Gurt schlie­ßen. Das ge­wöhnst du dir ganz schnell ab.«

»Vor­schrift«, er­wi­der­te ich nur knapp.

»In Deutsch­land viel­leicht, aber nicht hier. Kei­ner schnallt sich hier an und die Po­li­zei in­ter­es­siert es so­wie­so nicht.«

»Das hab ich be­reits fest­ge­stellt als ich von Flug­ha­fen in mein Ho­tel ge­fah­ren bin. Aber wie kommt das?«

»Die Cops ha­ben hier Bes­se­res zu tun, als sich um den Ver­kehr zu küm­mern. Es in­ter­es­siert sie einen Scheiß, ob du mit 90 durch die Stadt jagst, an­ge­schnallt bist oder so viel Al­ko­hol ge­schluckt hast wie ein Ke­gel­ver­ein auf ei­nem Aus­flug. So­lan­ge du einen Füh­rer­schein hast, kannst du hier an­stel­len, was du willst.«

»Du ver­arschst mich doch!«

»Kei­nes­wegs. Du wirst den Ver­kehr bald ken­nen­ler­nen. Und nur ein klei­ner Tipp am Ran­de, du soll­test es mög­lichst ver­mei­den frei­tags Nach­mit­tags mit dem Au­to un­ter­wegs zu sein.«

»Okay, aber warum?«

»Frei­tags Nach­mit­tags be­ginnt hier die Hap­py Hour. Die kön­nen we­der ge­hen, noch sich ar­ti­ku­lie­ren, aber fah­ren kön­nen sie noch. Mit den Blut­pro­ben könn­te man ei­ne Al­ko­hol­par­ty ver­an­stal­ten. Die kip­pen sich mit Hoch­pro­zen­ti­gem zu, set­zen sich in die Au­tos und ma­chen sich auf den Heim­weg. Dann sit­zen sie zu­sam­men und schie­ßen sich ab. Das Wo­che­n­en­de ver­brin­gen sie dann im De­li­ri­um.«

Dann fuhr sie los und reih­te sich in den flie­ßen­den Ver­kehr ein. Mit­ten auf of­fe­ner Stre­cke bog sie in ei­ne klei­ne Sei­ten­stra­ße ab und be­schleu­nig­te. Das Schild zeig­te ei­ne Ge­schwin­dig­keits­be­gren­zung von 30 km/h an. Ein kur­z­er Blick auf den Ta­cho ver­riet mir aber, dass sie mit 80 Sa­chen durch die klei­ne Sei­ten­stra­ße bret­ter­te. Plötz­lich brems­te sie stark bis auf Schritt­ge­schwin­dig­keit her­un­ter, über­fuhr ei­ne Bo­den­wel­le, um dann wie­der zu be­schleu­ni­gen. Wie durch Zau­be­rei ver­än­der­te sich das Aus­se­hen der Stra­ße. Die Mit­tel­strei­fen wa­ren nicht mehr weiß, son­dern leuch­te­ten in ei­nem tie­fen Gelb und auch die Sei­ten­strei­fen färb­ten sich in den glei­chen Farb­ton. Ihr kur­z­er Kom­men­tar ver­riet mir, dass wir so­eben die Gren­ze über­quert hat­ten und jetzt in Frank­reich wa­ren. Ei­gent­lich er­war­te­te ich Schlag­bäu­me und Zäu­ne an ei­ner Gren­ze, aber die gab es nicht. Ein Orts­schild am Rand gab den Na­men des Or­tes be­kannt. Ich las ›Ma­ri­got‹ als wir vor­beiflo­gen. Das war al­so die Haupt­stadt des fran­zö­si­schen Teils der In­sel. Das hat­te ich be­reits über mei­ne neue Hei­mat ge­lernt. Aber auch hier gab es kei­ne Am­peln. In­ter­essan­tes Kon­zept wie ich fand. Die Mak­le­rin steu­er­te den schwe­ren Ge­län­de­wa­gen über ei­ni­ge klei­ne Ne­ben­stra­ßen und hielt dann vor ei­nem schä­big aus­se­hen­den Haus.

Be­son­ders ein­la­dend war der Ein­gang nicht und als sie mit ei­nem al­ten klo­bi­gen Schlüs­sel die Tür auf­sperr­te, wur­de es nicht bes­ser. Mir schlug ein Schwall muf­fig rie­chen­der Luft ent­ge­gen. Der ers­te Blick zeig­te ei­ne klei­ne Trep­pe aus Holz und Wän­de in ei­ner sehr dunklen Far­be. Sie be­tä­tig­te einen Schal­ter an der Wand und ei­ne nack­te Glüh­bir­ne flamm­te kurz auf, um dann so­fort wie­der zu er­lö­schen. So­viel zum The­ma Licht. Vor­sich­tig stie­gen wir im Dun­keln die Trep­pe nach oben und be­hiel­ten ei­ne Hand an der Wand. An der obers­ten Stu­fe an­ge­kom­men führ­te ei­ne Tür nach links wie­der ins Freie. Dann stan­den wir auch schon vor der nächs­ten Tür in ei­nem ver­schmier­ten braun ge­hal­ten und mit schie­fen ver­bo­ge­nen Kup­fer­zah­len dar­auf. Es soll­te wohl mal ei­ne 14 sein. Auch die­se Tür öff­ne­te sie und gab ihr einen Stoß, um den Raum da­hin­ter zu zei­gen.

Das Leben der Catharina R.

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