Читать книгу Eine erfolgreiche Saison. Historischer Roman - Catherine St.John - Страница 3

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Dorothy sah auf und grinste undamenhaft, als ihr Bruder den Salon betrat. „Schau doch mal auf die Kaminuhr!“

Bertram drehte sich auf dem Absatz um, konnte an der Uhr aber nichts Sensationelles feststellen und drehte sich wieder zurück, nur um zu bemerken, dass seine Schwester begeistert kicherte.

„Dummes Huhn! Was ist jetzt wieder?“

„Du kannst deinen Kopf ja gar nicht bewegen, so mörderisch sind deine Kragenspitzen! Wie kann man sich so albern ausstaffieren?“

Sie musterte ihn von der abenteuerlichen Windstoßfrisur über die Kragenspitzen, die ihm bis zu den - im Moment ärgerlich geröteten – Ohren reichten, die nicht ganz gelungen geknotete Krawatte, die grellbunte und allzu knapp geschnittene Weste und die sandfarbenen Pantalons (gut, die waren nicht weiter aufsehenerregend) bis zu den spiegelblanken Stiefeln. Tatsächlich, so spiegelblank, dass sie glaubte, ihr eigenes graublaues Musselinkleid darin zu erkennen.

„Die Krawatte ist ein einziges Gewurstel“, informierte sie ihn, woraufhin sich die Ohren des Ehrenwerten Mr. Bertram Mallowe, einziger Sohn und Erbe Lord Graythorpes, noch stärker röteten.

„Das ist ein Trone d´ amour, du dumme Gans“, zischte er seine Schwester an, aber dann trat er doch vor den goldgefassten Spiegel zwischen den beiden Salonfenstern und versuchte, das Musselintuch gefälliger zu arrangieren. Dies erwies sich als gar nicht so leicht, denn zum einen hatte der junge Mann diese Art, eine Krawatte zu binden, eben erst gelernt, zum anderen war der Spiegel schon alt und recht blind.

„Soll ich dir helfen?“, fragte Dorothy und versuchte dabei, nicht allzu hämisch zu klingen. „Und wohin willst du denn in diesem übertriebenen Aufzug? Wir sind hier doch auf dem Land! Komm, ich binde dir deine Krawatte vernünftig!“

„Du? Was verstehst du schon von der neuesten Mode, schau dich doch bloß mal an!“

Sie folgte der Anweisung, konnte an ihrem Musselinkleid aber nichts Tadelnswertes entdecken. „Was meinst du denn?“

„In dem trüben Fetzen findest du garantiert keinen Mann!“

„Das ist ja wohl auch nicht so eilig“, entgegnete Dorothy ärgerlich. „Wenn die Saison anfängt, kann ich doch immer noch etwas Aufwendigeres anziehen.“

„Dot, du bist naiv“, stellte Bertie überlegen fest. „Du weißt doch, dass wir kein Geld haben! Glaubst du, zur Saison bekommst du Kisten voller Abendroben?“

„Das stimmt, aber dafür kann ich ja wohl nichts. Wer wettet und spielt denn hier andauernd und kauft sich scheußliche Westen? Zu eng ist diese da übrigens auch – oder isst du zu viel?“

„Das geht dich gar nichts an, das ist nichts für Mädchen. Was würdest du machen, wenn sich jetzt ein Gentleman melden würde – und du sitzt hier in diesem grauen Ding?“

„Ihn freundlich begrüßen, was sollte ich sonst tun? Bertie, was willst du? Alte Kleider soll ich nicht anziehen, neue bekomme ich nicht, weil du das ganze Geld dafür verbraucht hast – soll ich auf meinem Zimmer bleiben?“

Er beschränkte sich auf ausdrucksvolles Seufzen und Augenrollen, rückte seine Krawatte zurecht, was sie endgültig ruinierte, und verließ den Salon wieder.

Dorothy schüttelte den Kopf hinter ihm her und langte wieder nach ihrem Leihbibliotheksroman. Sehr aufregend und reichlich unlogisch – aber nicht halb so unlogisch wie Berties kryptische Äußerungen!

Heute kam sie allerdings nicht weit mit ihrer Lektüre, denn schon öffnete sich die Salontüre erneut und sie schob das anstößige Buch hastig unter ein geeignetes Kissen.

„Ah, Dottie, hier bist du!“ Lady Graythorpe sah sich prüfend um, stellte fest, dass das Zimmer vom Personal ordentlich gepflegt worden war, und setzte sich in das Sofa gegenüber.

„Was ist mit deiner Stickerei, Dottie?“

Dottie seufzte und angelte nach dem Beutel, in dem sich ihr kleiner Stickrahmen befand. Unlustig zog sie die Nadel ein paar Mal durch das feine Leinen und ließ den Rahmen dann wieder sinken. „Mama, was soll man denn mit diesem furchtbaren Ding später anfangen?“

„Wie bitte?“

Dorothy hielt ihren Stickrahmen anklagend hoch. Der Stoff zeigte einen Bogenschützen in der Tracht des vierzehnten Jahrhunderts, aber man brauchte schon etwas guten Willen, um das Motiv zu identifizieren; die Stiche waren ungleichmäßig fest, so dass sich das Bild verzogen hatte und der Stoff sich unschön wellte.

Lady Graythorpe seufzte. „Na, geschickt bist du wirklich nicht. Du musst mehr sticken, um Übung zu bekommen. Was soll dein künftiger Gemahl von dir denken, wenn du in den weiblichen Künsten nicht besser bewandert bist?“

„Ich frage mich eher, was er von mir denken wird, wenn er mich solch nutzlosen Kram herstellen sieht. Mama, ernsthaft – was machen wir später mit diesem Bogenschützen? Als Taschentuch eignet er sich doch nicht, man kann dieses - Ding ja kaum waschen.“

„Natürlich nicht, Dummchen. Das ist eine Erinnerung an unseren Stammvater, den wirst du doch nicht vergessen haben?“

„Nein, natürlich nicht. Henry Mallowe, nach der Schlacht bei Crécy wegen seiner Verdienste zum Baron Graythorpe ernannt und mit der Burg Graythorpe belehnt“, leierte Dorothy gehorsam her, während sie versuchte, einen rosaroten Faden aus der hoffnungslos verfilzten Stickseide herauszulösen. „Deshalb weiß ich aber immer noch nicht, was ich damit anfangen soll. Ich könnte es mir auf ein Kleid nähen, damit jeder meine vornehme Abkunft gleich auf den ersten Blick erkennt“, schlug sie vor, riss den rosaroten Faden ungeduldig ab und fädelte ihn ein.

„Die Stickereien deiner älteren Schwestern sahen stets viel ordentlicher aus“, tadelte ihre Mutter, die Provokation überhörend. „Und natürlich kann man die Stickerei verwenden, zum Beispiel auf einem Kissen.“

Dorothy betrachtete ihr Machwerk zweifelnd, während sie ihrem Bogenschützen eine rosarote Nase verpasste. Kissen? Höchstens für ein Zimmer, indem man nur ungeliebte Verwandtschaft unterbrachte.

Ihre Mutter bemerkte diese Farbwahl glücklicherweise nicht, sondern fuhr fort: „Dottie, du musst dich als eine Lady erweisen, die in allen weiblichen Künsten erfahren ist. Du möchtest doch gut heiraten?“

„Nun ja…“ Eigentlich hatte sie noch gar keine Lust zu heiraten. Die Ehemänner von Amelia und Lizzie wirkten da nicht unbedingt motivierend. Lizzies Morecliff stand bereits mit einem Bein im Grab, da half es auch nicht viel, dass Lizzie eine Gräfin geworden war. Immerhin hatte sie nun endlich einem Sohn das Leben geschenkt und die Graythorpes hofften, dass es vor dem Ableben des Schwiegersohns (er war älter als Lizzies Papa, Graythorpe!) noch zur Geburt eines Ersatzerben kam.

Charles Sutton, Amelias Mann, war zwar noch jung und einigermaßen ansehnlich, aber sterbenslangweilig. Amelia bemühte sich ja, seine Vorzüge gegenüber den Geschwistern zu betonen, loyal, wie sie war, aber nach Dorothys Ansicht war der Mann schlicht und ergreifend dumm. Und er wusste rein gar nichts – warum man ihn überhaupt auf eine Schule geschickt hatte, verstand wirklich niemand. Amelia hatte auch noch keine Kinder, obwohl sie fast zwei Jahre älter war als Lizzie. Seltsam – aber wie das alles genau zusammenhing, würde Mama ihr erst in der Nacht vor ihrer eigenen Hochzeit erzählen.

So, die Nase war fertig. Vielleicht noch ein rosarotes Ohr?

„Hörst du mir überhaupt zu?“ Lady Graythorpe klang ungeduldig.

„Entschuldige, Mama, ich war gerade in Gedanken.“

„Hoffentlich bei deiner Heirat!“

„Äh – ja, gewiss, Mama.“

Ihr frommer Augenaufschlag täuschte Lady Graythorpe keinesfalls. Dorothy, ihre Zweitjüngste, war wirklich ihr schwierigstes Kind. Amelia und Elizabeth hatten gehorsam geeignete Gentlemen geheiratet. Der Earl of Morecliff hob den Rang der ganzen Familie, Sir Charles Sutton war zwar nur ein Baronet, hatte aber sehr gute Beziehungen, die – über einige Ecken – bis zum Herzog von Dunham reichten, der wiederum mit mehreren der königlichen Herzögen gut bekannt war.

Woran es jetzt noch fehlte, um dem etwas verblichenen Namen Graythorpe wieder neuen Glanz zu verleihen, war ein Vermögen. Der Besitz war nicht allzu groß – und wenn man vier Töchter unter die Haube zu bringen und einen Sohn mit viel Sinn für einen amüsanten Lebenswandel zu finanzieren hatte…

Dottie war recht hübsch, mit ihren goldbraunen Locken, den großen grauen Augen und dem Porzellanteint der sprichwörtlichen English Rose; sie tanzte recht hübsch, saß gut zu Pferde und konnte sich gewandt unterhalten.

Lady Graythorpe seufzte. Vielleicht zu gewandt – Dottie hatte leichte Neigungen zum Blaustrumpf, sie las sogar antike Texte, natürlich nur in der englischen Übersetzung. Ein Mädchen und Latein und Griechisch? Unmöglich!

Und mit romantischer Lyrik konnte sie so gut wie nichts anfangen, stattdessen interessierte sie sich für politische Fragen. Absolut unmöglich!

Lady Graythorpe hatte gehofft, Dotties eigenartige Neigungen würden sich mit zunehmender Reife legen, aber nun war das Mädchen schon über neunzehn und musste dringend debütieren. Und dabei sollte sie unbedingt das Interesse eines vermögenden Gentlemans auf sich ziehen und ihn keinesfalls durch unangemessene Konversation verschrecken!

„Wir werden gleich zu Beginn der Saison nach London ziehen, damit wir dich noch ausstatten können. Tanzen kannst du ja glücklicherweise, also können wir die Kosten für einen Tanzlehrer einsparen.“

„Wird mein Debüt nicht ohnehin furchtbar teuer, Mama? Können wir uns das eigentlich leisten?“

„Das schaffen wir schon“, gab ihre Mutter sich optimistisch. „Dafür muss dein Vater das Geld eben beschaffen.“

„Wir müssen doch auch in London wohnen – und ein Stadthaus haben wir schließlich dort seit ungefähr den Rosenkriegen nicht mehr, oder?“ Dorothy kicherte. „Ein solches Haus wäre mittlerweile wohl ohnehin vor Altersschwäche zusammengebrochen…“

„Keine Angst, mein Kind. Ich habe mich an meinen Cousin Claremont gewandt und er hat uns sein Haus angeboten.“

„Oh, das ist aber nett – aber warum tut er das? Und warum habe ich von diesem Cousin noch nie gehört?“

Lady Graythorpe errötete zart. „Nun… Andrew Claremont ist – nun ja – im Handel tätig.“

„Oh!“ Sogar Dorothy wusste, dass dies in den Augen der feinen Gesellschaft unverzeihlich war. „Womit - handelt er denn?“

„Ach, das weiß ich gar nicht so genau. Mit so etwas befasst man sich schließlich nicht so gerne, nicht wahr? Nun, jedenfalls hat Andrew viel Geld verdient und besitzt ein recht angemessenes Haus in der Brook Street. Er würde uns für die Saison aufnehmen. Gut, ob er uns dort einen Ball für dich ermöglicht, weiß ich noch nicht.“

„Warum sollte er das auch tun?“, fragte Dorothy entrüstet. „Er sollte sich über die Schulter ansehen lassen, weil er zum Geschäftswelt gehört, aber die adelige Verwandtschaft beherbergen und ihr womöglich noch einen Ball finanzieren?“

„Dottie, du lässt es am nötigen Respekt fehlen! Andrew ist nun einmal nicht standesgemäß, daran lässt sich nicht rütteln!“

„Aber sein Haus und sein Geld nehmen wir gerne“, murmelte Dorothy aufsässig.

„Wie kommst du überhaupt zu einem Vetter aus dem Handel?“

Diese Frage war Lady Graythorpe ganz offensichtlich peinlich; sie zögerte etwas und seufzte dann: „Nun ja…“

„Ja?“

„Mein Großvater, Sir Barnaby Morley, hatte zwei Söhne.“

Dorothy nickte, das wusste sie schon. „Der Ältere hat den Titel gerbt und war dein Vater. Und was hat dein Onkel gemacht?“

„Ich glaube, er wurde Geistlicher. Natürlich war er immer noch ein Gentleman.“

Dorothys ungezogenes Schnauben quittierte Lady Graythorpe mit einer Geste des Unmuts. „Onkel William hat die Tochter eines ländlichen Gutsbesitzers geheiratet und sie hatten eine Tochter, Mariana. Meine Cousine."

„Soweit kann ich dir folgen, Mama. Lass mich raten – Mariana hat diesen Andrew Claremont geheiratet?“

„Ach ja…“

„Und? Wurde sie verstoßen? Enterbt? Aus der Familienbibel gestrichen?“

„Sei nicht albern, Dottie. So schlimm war es auch wieder nicht. Andrew hatte damals schon ein ansehnliches Vermögen erworben und Onkel William war so gut wie bankrott, da musste man über diesen Handelsaspekt eben hinwegsehen. Also ist Andrew Claremont mein angeheirateter Cousin. Sag bitte nie Vetter, mein Kind, das klingt bäurisch.“

„Und nichts könnte schlimmer sein“, murmelte Dorothy fast unhörbar. Ihre Mutter runzelte die Stirn, aber es war in der Familie bekannt, dass ihr Gehör nicht das allerbeste war.

„Sein Haus ist für eine Familie von Stand durchaus angemessen, und Brook Street ist eine ernstklassige Adresse.“

„Ich verstehe nur nicht, warum dieser Andrew sich darauf eingelassen hat. Er hat doch gar nichts davon? Nur Kosten und abfällige Gesichter.“

Lady Graythorpe war der Verzweiflung nahe: „Wie kannst du so – so kleinbürgerlich denken?“

„Wieso ist das kleinbürgerlich? Ich nenne so etwas einfach logisch, Mama! Wenn ihr euch wenigstens gut verstehen würdet – aber du verachtest ihn doch. Das ist sehr altmodisch.“

„Ich nenne das traditionsbewusst. Wir müssen doch die Werte unseres Standes hochhalten!“

Welche Werte waren das schon, dachte Dorothy respektlos – am Rande des Bankrotts balancieren, aber keiner vernünftigen Tätigkeit nachgehen? Dafür seit Jahrhunderten tote Vorfahren verehren, die wahrscheinlich nur unnütze Raufbolde gewesen waren?

„Aber deshalb verstehe ich immer noch nicht, warum Mr. Claremont sich darauf einlässt. Wenn er ein solches Haus besitzt, muss er doch einigermaßen wohlhabend sein. Hat er es da nötig, vor den Graythorpes zu katzbuckeln?“

„Er war sofort bereit – das ist alles, was ich sagen kann. Es gibt auch wirklich Wichtigeres zu klären. Ich habe Miss Franklin für nächste Woche bestellt. Sie wird einige geeignete Stoffe mitbringen, pastellfarbenen und weißen Musselin natürlich.“

„Natürlich“, murmelte Dorothy, die sich für Kleider nur mäßig interessierte und bereit war, alles zu tragen, was ihrer Mutter zufolge notwendig war.

„Kostbarere Roben werden wir natürlich in London machen lassen, schließlich sollst du ja überzeugend auftreten können.“

„Wenn du meinst, Mama… ich weiß gar nicht, ob ich schon heiraten möchte.“

„Dottie! Welche Zukunft läge denn sonst vor dir? Natürlich wirst du heiraten! Einen angesehenen, wohlhabenden Mann, der dir ein standesgemäßes Leben bieten wird. Denke an deine Schwestern und wie gut es ihnen geht!“

Nun ja. Ein Tattergreis und ein Langweiler, aber das konnte sie ihrer Mutter gegenüber natürlich nicht erwähnen. Immerhin waren beide wenigstens nicht bösartig. Solche Ehemänner sollte es schließlich auch geben!

Eine erfolgreiche Saison. Historischer Roman

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