Читать книгу Eine erfolgreiche Saison. Historischer Roman - Catherine St.John - Страница 8

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Als die Zofe mit ihr fertig war, musterte Dorothy sich tatsächlich recht zufrieden im Spiegel: Das cremeweiße Musselinkleid mit den schmalen silbernen Bändern an den kurzen Ärmeln und an der hohen Taille sah wirklich gut aus, schlicht, aber nicht billig – nein, es war eine elegante Schlichtheit. Genau, wie es sein sollte!

Ein wenig kühl fand sie das Kleid allerdings – hoffentlich hatten ihre Gastgeber den Ballsaal ordentlich geheizt! Leider konnte man in einem Ballsaal wohl keinen Schal tragen – dabei hatte sie im Grafton House einen sehr, sehr hübschen dünnen Wollschal ergattert – cremeweiß und mit kleinen blauen Blümchen bestickt. Nicht wirklich aus der teuren Kaschmirwolle, aber doch ein sehr feines und weiches Gewebe – und verblüffend preiswert, wie sogar ihre Mutter zugegeben hatte. Zu diesem Kleid passte er aber ohnehin nicht.

Nun, Mama hatte auch erzählt, dass wirklich feine Bälle immer unglaublich überfüllt waren – und viele Menschen mussten doch auch viel Wärme verbreiten? Und dazu kamen ja noch die zahllosen Kerzen…

Wahrscheinlich war dann die Luft miserabel – nun, sie würde es ertragen. Zum Wohle der Graythorpeschen Besitzungen würde sie einen Mann mit respektabler Abstammung und zufriedenstellendem Vermögen heiraten… hoffentlich war er weder senil noch unfassbar fett und auch kein übler Charakter. Man hörte so allerlei über Männer, die ihr Vermögen verspielten, ihre Frauen quälten oder ihre Kinder misshandelten. Mit einem gleichgültigen Mann verheiratet zu sein – dieses Los traf viele Frauen, gerade in den höheren Ständen; aber schlimmer wollte sie es bitte sehr nicht treffen!

Nun also, sie war gerüstet! Mit ihrem Retikül am Arm verließ sie das Zimmer.

Ihre Mutter, die, elegant in dunkelgrüne Seide mit einem passenden Turban gekleidet, in der Halle wartete, war beinahe noch nervöser als sie selbst, nickte aber befriedigt, als sie ihrer Tochter ansichtig wurde.

„Hübsch, wirklich. Der schlichte Stil ist tatsächlich genau das Passende für dich. Bitte benimm dich auch entsprechend – gewandt, aber zurückhaltend.“

Dorothy warf ihr einen missmutigen Blick zu. „Fürchtest du, ich könnte mich einem passenden Kandidaten gleich an den Hals werfen?“

„Dottie! Würdest du bitte keine so derben Bemerkungen machen? Du bist eine Lady, vergiss das nicht!“

Dorothy knickste ironisch und ließ sich von einem Mädchen ihren Umhang umlegen. „Kommt Bertie wohl nicht mit?“

„Er wird später bei Lord und Lady Havill erscheinen.“

„Woher kennst du die Havills eigentlich, Mama? Oder hast du uns die Einladungen auf anderen Wegen beschafft?“, fragte Dorothy neugierig.

Lady Graythorpe maß ihre Tochter mit stolzem Blick. „Du vergisst wohl, meine Liebe, dass ich als Tochter eines Baronets in London aufgewachsen bin. Aus meiner Schulzeit in Mrs. Healeys Institut für junge Damen kenne ich noch einige heute einflussreiche Ladies. Diese Kontakte etwas aufzufrischen hat mich zwar etwas Mühe gekostet, aber für deine Zukunft ist mir nichts zu teuer.“

Dorothy verspürte die Aufforderung, gefälligst dankbar zu sein, und lenkte schnell ab: „Also ist Lady Havill eine alte Schulfreundin von dir?“

„Nun, alt…? Du solltest deine Wortwahl überdenken. Aber in der Sache hast du Recht – Lady Lavinia Selwyn, das war sie damals… und dann hat sie Lord Havill geheiratet und drei Söhne und eine Tochter in die Welt gesetzt. Die Tochter ist so alt wie du und debütiert auch in diesem Jahr. Sehr, sehr günstig für uns.“

„Wie heißt denn diese Tochter?“, fragte Dorothy auf dem Weg nach draußen, wo schon der Wagen wartete.

„Marianna, glaube ich.“

Das Stadtpalais der Havills war hell erleuchtet und sie mussten einige Minuten im Wagen warten, bis sie vor das Portal fahren konnten. Hinter ihnen gab es ebenfalls eine eindrucksvolle Schlange, stellten sie fest, als sie endlich, die Röcke graziös gerafft, auf der Treppe standen.

„Fast so schön wie das Haus der Claremonts“, fand Dorothy.

„Dottie, bitte sag das den Havills nicht in diesen Worten! Sie wollen gewiss nicht hören, dass ein Haus, das seit George I in Familienbesitz ist, an das Haus eines neureichen Geschäftsmanns nicht ganz heranreicht.“

„Ja, Mama. Ich werde höflich und nichtssagend sein, du musst dir keine Sorgen machen. Aber ich möchte wirklich wissen, warum in diesen Kreisen niemand eine ehrliche Aussage verträgt. Claremont House ist schöner.“

Durch das weitgeöffnete Portal betraten sie eine hell erleuchtete Halle und stiegen dann eine elegant geschwungene Treppe hinauf, um die Gastgeber zu begrüßen.

Lady Havill umarmte Lady Graythorpe kurz. „Abigail… wie schön, dass du kommen konntest! Und das ist deine reizende Tochter? Aber doch nicht deine Älteste?“

„Nein, meine dritte – die Ehrenwerte Dorothy Mallowe.“

Dorothy knickste gehorsam und bedankte sich für die Einladung.

„Reizend“, wiederholte Lady Havill. „Dann hoffe ich, dass ihr euch gut amüsiert – und es sind viele interessante Gentlemen anwesend, Dorothy!“

Die Aufforderung war unmissverständlich – der reinste Heiratsmarkt waren diese Bälle, aber das hatte Dorothy ja vorher schon gewusst.

Ihre Mutter führte sie in den Ballsaal, der mit Farntöpfen und Rosen dekoriert war und am Rand ungefähr fünfzig Stühle mit passend rosenroten Polstern aufwies. Leider erinnerten die Polster Dorothy an ihren verhunzten Bogenschützen und sie gluckste leise, was ihr einen scharfen Seitenblick ihrer Mutter eintrug.

Umso gehorsamer ließ sie sich an der Seite Lady Graythorpes nieder und betrachtete die anderen Gäste – Mütter und Töchter auf der einen Seite, die Mütter den Töchtern letzte Instruktionen ins Ohr murmelnd, junge Männer auf der anderen Seite, soweit sie sich nicht schon in Richtung Kartenzimmer davongemacht hatten.

Manche der Herren inspizierten das Angebot an vornehmen Töchtern recht ungeniert – einer sogar mit einem juwelenverzierten Einglas, wie unverschämt! –, andere wirkten nervös oder gaben sich betont desinteressiert.

Vielleicht mochten die Gentlemen, die nach einer Ehefrau Ausschau halten mussten (aus welchen Gründen auch immer), das auch als Belastung empfinden? Das machte sie ihr ja fast schon sympathisch!

In dieser nachsichtigen Stimmung lächelte sie dem jungen Mann, der sie nach der Vorstellung durch Lady Havill um den ersten Tanz bat, freundlicher zu, als es ursprünglich ihre Absicht gewesen war. Wenn die Figuren der Quadrille sie zusammenführten, plauderte dieser Sir Henry Tonwich recht angenehm, über London, das Wetter, die aktuelle Mode und die harmloseren der aktuellen Gesellschaftsgerüchte. Dorothy ging einigermaßen gewandt darauf ein, wenn sie auch angesichts dieser Themenauswahl das Gefühl beschlich, dieser Sir Henry halte sie für ein naives Dummchen. Als die Musik verklang, führte er sie höflich zu ihrem Platz zurück, plauderte noch einige Minuten mit Lady Graythorpe und verabschiedete sich dann.

„Nun?“, fragte ihre Mutter danach.

Dorothy hob die Schultern. „Durchaus sympathisch, aber wohl jemand, der Frauen nicht weiter ernst nimmt - oder der selbst sehr oberflächlich ist. Stimmt es, dass die Havills kaum noch Vermögen besitzen?“

„Was! Das hat er behauptet?“

„Angedeutet wäre wohl die passendere Formulierung. Stimmt es?“

„Nicht, dass ich wüsste. Würden sie sonst einen so aufwendigen Ball veranstalten?“ Dies unterstrich Lady Graythorpe mit einer ausladenden Handbewegung.

„Hast du nicht gesagt, sie haben ebenfalls eine Tochter zu verheiraten? Miss Marianna?“

„Du hast Recht, Dottie. Bist ja doch ein kluges Kind! Natürlich sinken Mariannas Aussichten, wenn bekannt wird, dass sie nicht mehr viel mitbekommt… armes Kind.“

„Aber ist das überhaupt sicher?“

„Ich weiß es doch gar nicht – dieser junge Tonwich hat es dir erzählt, denke daran.“

„Ja, aber ist er vertrauenswürdig?“

„So gut kenne ich ihn nicht. Als Tänzer ist er akzeptabel, aber ermutige ihn nicht zu sehr. Nach dem, was ich weiß, hat er nur ein recht kleines Vermögen. Vergiss bitte nicht, dass auch unsere Familienfinanzen nicht zum Besten stehen. Es wäre uns eine große Beruhigung, dich gut versorgt zu wissen. Vielleicht sogar so gut, dass du dich auch Cecilys annehmen kannst, wenn es einmal so weit ist.“

Dorothy nickte gedankenvoll. „Dann müsstet ihr nur noch die Extravaganzen Berties bestreiten, ich verstehe. Aber was sollte ein wirklich reicher Mann denn an mir finden? Ich bin doch wirklich keine besondere Partie!“

Ihre Mutter tätschelte ihr die sittsam im Schoß gefalteten Hände in den nagelneuen silbergrauen Handschuhen. „Wer dich einmal bekommt, kann sich glücklich schätzen, Dottie. Und du gehörst einer sehr alten und vornehmen Familie an.“

„Ja, Mama, ich weiß, aber wen soll das reizen – außer einem reichen Bürgerlichen? Alle anderen haben doch ebenfalls eine Familie von Stand. Vielleicht sogar eine vornehmere Familie als unsere…“

So eindrucksvoll war der rotnasige Bogenschütze schließlich auch nicht; andere hatten da verwandtschaftliche Beziehungen zum Königshaus oder wenigstens einen Earl oder Herzog in der weitläufigen Verwandtschaft vorzuweisen.

„Nein, einen Bürgerlichen sollst du natürlich nicht heiraten, meine Kleine – wo denkst du hin?“

„Dann frage ich mich wirklich, was wir einem wünschenswerten Kandidaten zu bieten haben: Er soll von Stand sein, von beträchtlichem Vermögen – dann muss er doch ein ausgesprochen unangenehmer Mensch sein dürfen? Das sind ja wunderbare Aussichten!“

„Sei nicht albern, Dottie. Das hier ist keiner deiner heißgeliebten Romane, in denen die Heldin am Ende aus Liebe heiratet.“

Dottie schwieg verstockt; als die Musik wieder einsetzte und ein anderer junger Gentleman sich vor ihr verbeugte, erhob sie sich gehorsam, aber betont schicksalsergeben und legte ihre Hand auf seinen Arm.

Der Ländler war schnell vorbei und der junge Mann, der sich ihrer Mutter als Arthur Sinbury vorgestellt hatte, führte Dorothy ohne ein weiteres Wort zu ihrer Mutter, wobei er immer wieder furchtsame Blicke auf die Reihen der Matronen warf, die an der Wand saßen. Besonders ängstlich schielte er auf eine sehr voluminöse Dame in purpurfarbener, goldgestickter Seide und einem dazu passenden Turban, der mit einer golden gefärbten Straußenfeder von schier unglaublicher Größe geschmückt war. Die Dame hob immer wieder ein – natürlich - goldgefasstes Einglas ans Auge und schien sie beide zu beobachten.

„Wer ist die Dame in dem prächtigen Purpurkleid, Mr. Sinbury?“

„Äh – ja, das ist meine Mutter, die Countess of Inwood. Sie möchte, dass ich mir endlich eine Frau suche.“

„So früh schon? Verzeihen Sie, Lord Arthur – der Titel ist dann doch wohl korrekt? – aber Sie sind ja noch recht jung, nicht wahr?“

„Vierundzwanzig“, gab Lord Arthur, etwas entspannter, zu. „Ich gebe Ihnen durchaus Recht, aber mit meiner Mutter ist in dieser Hinsicht nicht zu diskutieren. Die Erbfolge von Inwood ist ihr heilig, weiß der Geier, warum – oh, verzeihen Sie meine Ausdrucksweise, Miss Mallowe.“

Dorothy beruhigte ihn mit dem Verweis auf ihren Bruder, von dem sie solche Redewendungen durchaus gewöhnt sei. Als sie noch einmal einen Blick in Richtung der purpurnen Pracht warf, ertappte sie die Countess dabei, sie immer noch durch das Einglas zu beobachten. Eine solche Frau als Schwiegermutter? Niemals, gleichgültig, welche Pläne ihre Eltern hatten!

Der Blick dieser Frau war auch nicht im Mindesten freundlich, also konnte man wohl davon ausgehen, dass sie sich einer solchen Verbindung ohnehin widersetzen würde. Man musste dem Schicksal auch für Kleinigkeiten dankbar sein…

Lady Graythorpe wechselte einige gnädige Worte mit Lord Arthur und entließ ihn dann.

„Ist er ein brauchbarer Kandidat?“, fragte Dorothy mit betont frommer Miene.

„Nun ja… Ich habe mich während eures Tanzes ein wenig umgehört. Dort hinten sitzt seine Mutter, immerhin die Countess of Inwood.“

„Das hat er mir auch erzählt. Sie möchte, dass er bald heiratet, obwohl er dazu noch viel zu jung ist.“

„Er kann nicht der Erbe sein“, sinnierte Lady Graythorpe. „Warum hat sie es dann so eilig?“

„Ich glaube, das wusste er selbst nicht. Warum kann er nicht der Erbe sein?“

„Er würde einen Familientitel führen, als Erbe eines Earls. Wenn er wirklich nur Lord Arthur Sinbury ist, ist er ein jüngerer Sohn… ich fürchte, in Andrews Bibliothek werde ich darüber keine weiteren Informationen finden.“

„Seine Bibliothek ist sehr gut ausgestattet!“, fuhr Dorothy hitzig auf.

„Das mag ja sein, aber Debrett´s Peerage finde ich dort bestimmt nicht, und das bräuchte ich jetzt.“

„Wahrscheinlich haben die Sinburys für eure Ansprüche ohnehin nicht genug Geld“, murrte Dorothy.

„Ach – hat er etwas in dieser Richtung angedeutet?“

„Nein, das hat er nicht. So geschäftsmäßig ist der Heiratsmarkt ja wohl doch nicht“, war die unwirsche Antwort. „Aber wahrscheinlich wäre es ehrlicher. Man könnte sich das Tanzen und die teuren Bälle sparen, jeder hält eine Karte hoch, auf der steht, was er in Bezug auf Rang und Vermögen zu bieten hat, und dann werden die Paare zusammengestellt und gleich in die Kirche getrieben. Wäre das nicht ausgesprochen praktisch und obendrein preiswert?“

„Du bist ausgesprochen geschmacklos, Dorothy!“

Oh. Wenn Mama ihren vollen Namen verwendete, war sie ernsthaft verärgert.

„Ich finde, ich nenne die Dinge einfach beim Namen.“

„Genau das wirst du bitte unterlassen! Es gibt so etwas wie gesellschaftliche Regeln, an die auch du dich halten musst, wenn du einen Gemahl finden willst.“

Will ich ja gar nicht, dachte Dorothy zornig, aber das sagte sie lieber nicht laut. Stattdessen sah sie so trotzig drein, dass sich die nächsten Tänze hindurch niemand heranwagte, um sie aufzufordern.

Lady Graythorpe verpasste ihr schließlich einen Rippenstoß. „Lächle! Mit deiner sauren Miene schreckst du die Herren nur ab.“

Dorothy versuchte, etwas verbindlicher dreinzuschauen, und ließ ihren Blick wandern: Wie fühlten sich wohl die anderen jungen Ladys, die hier vorgeführt wurden?

Sie erkannte die Tochter des Hauses, Marianna, an den nussbraunen Locken und den blassrosa Blüten im Haar, die genau zur zartrosa Robe passten. Sie tanzte gerade mit einem sehr großen und sehr massigen Herrn in den frühen Vierzigern. Sollte der denn nicht längst verheiratet sein? Oder hatte er seine erste Gemahlin bereits ins Grab gebracht? Marianna sah jedenfalls nicht so aus, als sei sie von diesem Tanzpartner sonderlich angetan. Die Dame, die neben ihr mit einem Gentleman tanzte, der offenbar völlig unmusikalisch war, hätte besser zu dem dicken Tänzer gepasst: groß, eine junonische Figur, die ein silbern schimmerndes Kleid mehr ent- als verhüllte (sehr unpassend für eine Debütantin) und unangemessen viel Schmuck. Ein recht hübsches Gesicht mit ansprechenden rosigen Pausbäckchen hatte sie immerhin.

„Mama? Wer ist das Mädchen, das neben Marianna Havill tanzt?“

Lady Graythorpe spähte in die bezeichnete Richtung. „Die große Blonde? Ich glaube, sie heißt Georgiana Irgendwas… hm…“ Sie wandte sich an ihre Nachbarin und tuschelte mit ihr, dann nickte sie. „Also, Georgiana Turnbull. Die Tochter von Lord Cray. Noch nicht lange geadelt, aber mit einer riesigen Mitgift.”

Sie seufzte neidisch.

„Der Name klingt, als habe man sich beim Königshaus einschmeicheln wollen“, mutmaßte die Nachbarin gutgelaunt.

„Das ist meine Tochter Dorothy Mallowe, Lady Holworth“, stellte Lady Graythorpe hastig vor. Dorothy erhob sich schnell und knickste graziös.

„Reizend, Miss Mallowe. Sie müssen meine Tochter Hannah kennenlernen. Sie tanzt irgendwo dort in der Menge. Dunkle Locken und ein blassgrünes Gewand, vielleicht können Sie sie erspähen?“

Dorothy, die noch stand, erblickte Hannah tatsächlich. „Sie sieht Ihnen recht ähnlich, Mylady“, verkündete sie dann; Lady Holworth lächelte geschmeichelt und strich sich über die hochaufgetürmten schwarzen Locken. Ihr Schwarz war freilich schon ein wenig von Silber durchzogen, aber man erkannte, dass sie einmal sehr hübsch gewesen sein musste.

„Besuchen Sie uns doch mal“, wandte sich Lady Holworth an Lady Graythorpe. „Wir wohnen am Grosvenor Square. Und Sie?“

„In der Brook Street”, antwortete Lady Graythorpe mit einem Hauch echter Röte auf den Wangen, aber glücklicherweise verzichtete Lady Holworth darauf, genauer nachzufragen.

Dorothy bedankte sich artig für die Einladung, während die Musik verklang.

Hannah kam am Arm ihres Tänzers herangehüpft, den ihre Mutter als Sir Frederick begrüßte. Lady Graythorpe beobachtete mit hochgezogenen Augenbrauen, wie vertraut Miss Hannah mit ihrem Tänzer war. Ja, er küsste ihr sogar andeutungsweise die – natürlich behandschuhte – Hand, als er sich verabschiedete, nicht ohne den anderen Damen eine ehrerbietige Verneigung zu gönnen.

„Ist er nicht süß?“, fragte Hannah, als Sir Frederick kaum außer Hörweite war. Dorothy schien es, als zuckten seine Schultern vor Amüsement.

„Kind!“, mahnte Lady Holworth mit erkennbarer Routine, und Dorothy konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Hannah grinste ihr vergnügt zu. „Mütter! Immer soll man sich brav benehmen – damit langweilt man die Herren doch nur!”

„Originell ist es jedenfalls nicht – oder erst wieder, wenn sich alle anderen benehmen, wie es ihnen gerade einfällt“, antwortete Dorothy und stellte sich selbst vor.

„Sie gefallen mir!“, verkündete Hannah und setzte sich zu Dorothy. „Wir müssen uns unbedingt häufiger sehen. Ich bin sicher, zusammen können wir diesen öden Bällen etwas mehr Pep verleihen.“

Dorothys Mutter gab ein entsetztes Keuchen von sich, Lady Holworth seufzte. „Hannah, dies ist gerade einmal dein zweiter Ball, wie kannst du ihn öde nennen? Und bitte, benimm dich nicht so farouche – das schickt sich nicht.“

Hannah zwinkerte Dorothy zu, dann setzte sie eine fromme Miene auf und flötete: „Gewiss, Mama – kommen Sie, Dorothy, wir werden ein bisschen herumwandern. Dürfen wir, Mama?“

Lady Holworth nickte resigniert. „Aber ihr geht auf keinen Fall nach draußen - du verbürgst dich dafür, Hannah!“

Hannah versprach alles, Dorothy registrierte das halb geschmeichelte, halb ängstliche Nicken ihrer Mutter und die beiden Mädchen schlenderten davon, zuerst zum Buffet auf ein Glas Limonade.

„Ihr erster Ball?“, fragte Hannah. „Oder wollen wir uns du sagen? Das Sie macht ja so alt – und ich bin schließlich noch nicht einmal achtzehn!“

„Ja, gerne. Ich bin schon neunzehn – warum debütierst du so früh, Hannah?“

Hannah kicherte. „Ich glaube, meine Eltern wollen mich schnell loswerden, bevor ich sie mit meinen Einfällen noch ins Grab bringe. Das behauptet Papa wenigstens – dabei bin ich das artigste Kind überhaupt!“

Ihre fromme Miene war so drollig, dass Dorothy schallend lachte, woraufhin sich einige Herren nach ihr umdrehten. Einer musterte sie sogar kurz durch ein Lorgnon, bevor er sich achselzuckend abwandte.

„Das ist Mr. Ridgeley“, flüsterte Hannah ihr zu. „Angeblich steinreich und mit allen wichtigen Leuten verwandt. Und er glaubt, er alleine könne bestimmen, wie sich die Herren zu kleiden und zu benehmen haben. Anscheinend möchte er die Nachfolge von Beau Brummell antreten, der ja nach Frankreich gegangen ist.“

„Oh! Und ich habe sein Missfallen erregt – wie entsetzlich!“ Dorothys Stimme zitterte vor unterdrücktem Gelächter. „Erinnere ich mich recht – er trug ein zartrosa Halstuch?“

Hannah lachte spöttisch. „Nach dem, was mein Bruder Charles erzählt, strebt er an, sich von Brummells eher schlichter Eleganz abzuheben, indem er den Herrenanzug farbiger gestaltet. Er hat durchaus Nachahmer, siehst du?“

Tatsächlich standen neben dem Getränkebuffet drei recht milchbärtige junge Herren, die sich ebenfalls in pastellfarbenen Halstüchern gefielen – in hellgelb, blassblau und ebenfalls zartrosa, alle drei exakt auf die bestickten Westen abgestimmt.

„S-sehr elegant“, lobte Dorothy mit zitternder Stimme. Sie musste sich keine besondere Mühe geben, diskret zu sein – die drei Möchtegern-Dandys interessierten sich nur für sich selbst und die Aktionen ihres Idols. Mr. Ridgeley allerdings tat nichts Aufregenderes, als an der Wand zu lehnen, an einem Glas Champagner zu nippen und blicklos vor sich hin zu starren.

Beobachtete er vielleicht jemanden? Nein, stellte sie fest, sein Blick war abwärts gerichtet, wenn er sich nicht gerade zu einem Schlückchen verhalf.

„Bewundert er tatsächlich seine Stiefel?“, flüsterte Hannah ungläubig.

„Kein Wunder“, tuschelte Dorothy zurück, „hast du nicht gesehen, dass sie oben an der Seite mit Juwelen besetzt sind?“

„Juwelen?“, keuchte Hannah und gluckste hilflos.

„Hühnereigroß und zartrosa“, bestätigte Dorothy, deren Stimme schon wieder zitterte. „Können die überhaupt echt sein?“

Hannah schluckte einige Male krampfhaft. „Vielleicht ist es gefärbtes Glas“, japste sie dann. „Komm weg hier, ich lache ihm sonst lauthals ins Gesicht.“

Auf dem Weg zu den Sitzgelegenheiten trafen sie auf eine zierliche und ungewöhnlich kleine Blondine, die Hannah sofort um den Hals fiel. „´annah, wie schön!“

„Suzette! Ich darf dir Dorothy Mallowe vorstellen – Dorothy, das ist Suzette Deschamps.“

Die beiden Damen begrüßten sich förmlich, aber dann zwitscherte Suzette: „´allo, Dorothy - ´assen Sie die Saison auch so sehr?“

„Ich weiß es noch nicht so recht. Dieser Heiratsmarkt gefällt mir nicht besonders, aber London ist eine wunderbare Stadt, kein Vergleich mit zu Hause.“

„Isch ´asse die Saison. Mama will, dass isch einen Engländer ´eirate, damit wir ´ierbleiben können, aber Papa möschte nach Frankreich zurückkehren, jetzt, da der König wieder auf dem Thron sitzt.“

Dorothy hatte Bilder des dicken Ludwig gesehen und war nicht sicher, ob seine Restauration wirklich ein Fortschritt war – aber konnte sie das Suzette sagen? Vielleicht waren sogar Verwandte von ihr auf dem Schafott geendet? Also lächelte sie nur höflich, aber Hannah war direkter: „Und was möchtest du, Suzette?“

„Je ne sais pas… es gefällt mir in England, aber nischt in London… in eine kleine Dorf, wie zu Hause en France…“ Sie seufzte halb ernstgemeint, halb komisch.

„Ach, Suzette“ lachte Hannah, „komm, wir suchen dir einen freundlichen Gutsbesitzer, der sogar Französisch spricht. Und was möchtest du, Dorothy?“

„Ich möchte mir die Museen und Bibliotheken Londons anschauen und vielleicht in einigen Jahren über das Heiraten nachdenken.“

Suzette kicherte. „Was tust du dann ´ier?“

Dorothy verdrehte die Augen. „Meine Familie! Ich soll heiraten. Zwei meiner Schwestern sind schon unter der Haube, jetzt bin ich dran – sozusagen. Da hilft alles nichts. Naja, einmal muss es doch ohnehin sein.“

„Dann geht es uns dreien ja mehr oder weniger ähnlich“, stellte Hannah fest. „Was wünscht sich deine Familie? Einen Titel oder ein Vermögen?“

„Nachdem meine Schwestern schon zwei Titel in die Familie gebracht haben, soll ich jetzt wohl eher die Familienschatztruhe auffüllen. Aber ein wirklich reicher Kaufmann darf es natürlich auch nicht sein. Diese Feinheiten sind mir ein Buch mit sieben Siegeln.“

„Bitte? Ein Buch…?“ Suzette staunte.

Hannah sprang in die Bresche. „Vollkommen unverständlich. Und du bist auch nicht gerade begierig, dir diese Feinheiten anzueignen, oder?“

Dorothy grinste breit. „Nichts könnte mich weniger interessieren!“

Sie näherten sich plaudernd den Sitzgelegenheiten weiter, aber da trat ihnen Lady Graythorpe entgegen. „Dorothy!“

Diese knickste. „Mama – ich darf dir Suzette Deschamps vorstellen? Sie ist eine Freundin von Hannah.“

„Ach – tatsächlich?“ Lady Graythorpe nickte Suzette kühl zu. „Dottie, dies ist Sir Theobald Chumsby, der gerne den nächsten Tanz mit dir tanzen würde.“

Dorothy versuchte, freundlich zu lächeln, aber leicht fiel ihr das nicht, denn Chumsby war der übergroße, füllige Gentleman, der neben der blondgelockten Rubensschönheit getanzt hatte.

Chumsby griff lächelnd nach ihrer Hand – und seine fühlte sich durch den Handschuh hindurch unangenehm an, wie der Griff ihrer allzu stattlichen Tante Phoebe, der älteren Schwester von Lord Graythorpe.

Sie spürte selbst, wie ihr Lächeln etwas Gezwungenes bekam, als Chumsby sie zur Tanzfläche führte.

Glücklicherweise hatte das Orchester eine Quadrille angestimmt und die Figuren trennten sie immer wieder voneinander. Einmal drehte sie sich sogar mit Hannah, die ihr zuzwinkerte, dann wieder tanzte sie einige Schritte mit Hannahs Partner, einem harmlosen blonden Jüngling mit zartlila Halstuch – aber ab und zu musste sie zu Chumsby zurück. Sie wollte seine Hand nicht um die ihre spüren und auch nicht nahe an ihn herankommen, denn er hatte sich allzu reichlich mit einem recht süßen Duftwasser begossen. Außerdem irritierte sie ein leise knarrendes Geräusch, wenn er sich bewegte.

Endlich, endlich schien die Quadrille zu ihrem Ende zu kommen; Chumsby schien das zu bedauern, obwohl Dorothy so einsilbig wie nur irgend vertretbar auf seine Konversationsversuche eingegangen war.

Sie atmete deutlich auf, als dieser Tanz vorbei war; Chumsby führte sie zu ihrer Mutter zurück, verbeugte sich und bat darum, Miss Mallowe seine Aufwartung machen zu dürfen. Dorothy erschrak fürchterlich, aber Lady Graythorpe nickte huldvoll und verwies auf die Adresse in der Brook Street. „Nachmittags sind wir eigentlich immer anzutreffen, Sir Theobald.“

Theobald! Schon der Name war eine Katastrophe.

Kaum hatte er sich endlich außer Hörweite begeben, als Dorothy sich wütend an ihre Mutter wandte: „Mama, bitte – dieser unangenehme Mensch! Ich möchte nicht, dass er uns besucht.“

„Dottie, das geht nicht. Man kann doch einen angesehenen Gentleman nicht so brüskieren! Einen bekannten Mitgiftjäger vielleicht -“

„So einer wird sich ohnehin nicht für mich interessieren“, konnte sich Dorothy nicht verkneifen.

„- oder einen Wüstling, der nur deinen guten Ruf gefährdet. Oder natürlich jemanden, der nicht – nun ja – der nicht aus einer angemessenen Familie stammt.“

„Oder ein zu kleines Vermögen besitzt? Du hast dich wohl bereits über diesen Chumsby informiert?“

„Sir Theobald“, korrigierte ihre Mutter verdrießlich. „Bitte beziehe dich korrekt auf ihn. Du hast freilich nicht Unrecht, einen unpassenden Kandidaten würden wir nicht empfangen. Sir Theobald ist in jeder Hinsicht passend. Der vierte Baronet. Die Familie wurde noch unter dem ersten George geadelt und hat ein beträchtliches Vermögen angehäuft. Sir Theobald besitzt ein Stadthaus in der Mount Street und ein Landhaus in Hertfordshire. Wo genau, wusste Lady Holworth leider auch nicht.“

„Aha. Lady Holworth hat dir also alles erzählt – dann hat sie ihn nicht für Hannah ins Auge gefasst? Ich frage mich ja, warum nur…“

„Was meinst du?”

„Nun, für Hannah ist er offenbar nicht gut genug, oder?”

„Oh!“ Das brachte Lady Graythorpe zum Nachdenken.

Dorothy nutzte den Moment. „Er ist mir wirklich unangenehm. So weichlich und dick, er parfümiert sich so, dass man fast ohnmächtig wird, und er gibt merkwürdige Geräusche von sich.“

„Dottie! Über so etwas spricht man doch nicht! Eine Dame schon gar nicht!“

„Nein, so etwas meine ich doch gar nicht. Er knarrt leise, wenn er sich bewegt. Sehr irritierend.“

„Ach so. Was das Parfüm betrifft, das kannst du ihm ja später wohl abgewöhnen. Über solche Äußerlichkeiten muss eine Frau einfach hinwegsehen oder sie diskret ändern.“

Dorothy murrte. „Über unsere Äußerlichkeiten sehen die Männer doch auch nicht hinweg!“

„Du bist albern. Würden wir Frauen die Männer ernähren und versorgen, könnten wir uns sicher die hübschesten aussuchen – aber so funktioniert das Leben eben nicht.“

„Leider…“

„Wovon wolltest du einen Gemahl denn ernähren?“

Dorothy warf ihrer Mutter einen verschmitzten Blick zu. „Du hättest ja ein Vermögen. Papa wäre schließlich nur für den Haushalt zuständig, und Bertie hätten wir längst einer wohlhabenden Dame angehängt. Wäre ich etwa nicht deine Erbin?“

„Nein. Meine Erbin wäre natürlich Amelia als die Älteste. Du wärst - bist – die dritte Tochter, also kannst es dir aussuchen: Möchtest du lieber eine Pfarrstelle oder ein Offizierspatent? Als Pfarrerin kannst du deine Augen freilich nicht allzu hoch erheben…“

„Oh.“ Das bestürzte Dorothy und sie beschloss, dieses Gedankenspiel bei der ersten Gelegenheit Hannah vorzutragen.

„Aber meinst du nicht, ich könnte doch noch einen weniger abstoßenden Mann als diesen – äh – Sir Theobold finden?“

„Nicht, wenn sich herumspricht, dass du unhöflich zu den Herren bist.“

„Ja, aber wenn ich zu Sir Theobold freundlich bin, denken sie doch, ich hätte keinerlei Geschmack!“

„Er heißt Sir Theobald“, kommentierte Lady Graythorpe ärgerlich, ohne auf das letzte Argument weiter einzugehen.

Die Musik setzte wieder ein und Lady Holworth kam mit einem jungen Mann heran. Wahrscheinlich wieder jemand, für den ihr ihre eigene Tochter zu kostbar war, dachte Dorothy resigniert und lächelte reserviert. Immerhin war dieser junge Mann vergleichsweise attraktiv.

Erst als sie gehorsam ihre Hand auf seinen Arm gelegt hatte, bemerkte sie, dass dieser junge Mr. Longbourn offenbar zu den Anhängern des göttlichen Mr. Ridgeley gehörte – sein Halstuch war in zartestem Türkis getönt und ein rascher Blick auf die blassbraunen Stiefel ließ sie erkennen, dass oben am Schaft ebenfalls türkisfarbene Seidentroddeln befestigt waren. Sie nahm sich vor, bei Gelegenheit auch nach blassblauen falschen Juwelen in Hühnereigröße Ausschau zu halten. Hinterher musste sie unbedingt Hannah Bericht erstatten!

Mr. Longbourn tanzte immerhin gewandt und plauderte nett, leider nur über Modefragen. Immerhin interessierte er sich auch für Dorothys Ansichten: „Miss Mallowe, was meinen Sie? Sollte ich mir auch ein Halstuch in hellem Gelbrot zulegen? Sozusagen in der Farbe reifer Aprikosen?“

Sie musterte das freundliche, etwas naive Gesicht mit der hellen Haut und den blassblauen Augen und entschied sich dann: „Nein, das würde ich nicht riskieren. Ich denke, eine Aprikosenfarbe ließe Sie blass erscheinen, womöglich kränklich. Haben Sie es denn einmal mit hellem Blau versucht? In ihrer Augenfarbe?“

„Oh!“ Mr. Longbourn dachte darüber so heftig nach, dass er aus dem Takt geriet. „Meinen Sie wirklich? Ich sollte diese Überlegung vielleicht Mr. Ridgeley vorlegen…“

Er fand in den Takt zurück und Dorothy konnte es sich nicht versagen, ihn zu fragen: „Berät Mr. Ridgeley denn alle seine Anhänger persönlich in Modefragen?“

„Nun…“ Er lächelte albern-geschmeichelt, „vielleicht nicht alle – aber gute Freunde durchaus. Und eine solche Frage sollte man doch auch grundsätzlich untersuchen, meinen Sie nicht, Miss Mallowe? Immerhin könnte ein generelles Urteil doch auch verhindern, dass sich unerfahrene Modejünger in der Öffentlichkeit unglücklich präsentieren, nicht wahr?“

„Oh, gewiss. So etwas könnte schließlich katastrophale Folgen haben, nicht wahr?“

Sein Blick schien eine Mischung aus Freude und Misstrauen widerzuspiegeln, was Dorothy angenehm überraschte – offenbar war Mr. Longbourn nicht ganz so beschränkt, wie sie anfangs vermutet hatte. Im nächsten Moment aber irrte dieser Blick zum Rand der Tanzfläche, wo Mr. Ridgeley, von pastellfarbenen Halstüchern umringt, Hof hielt und ab und zu die tanzenden Paare geringschätzig musterte. „Wer ist denn dieser Gentleman?“, fragte er dann, mehr wohl an sich selbst als an Dorothy gerichtet.

Dorothy folgte seinem Blick und sah einen jungen Mann mit absurd hohen Kragenspitzen und einem schwarzen Abendanzug mit allzu engen Beinkleidern, dafür aber auf Hochglanz polierten Stiefeln. „Ach, das ist mein Bruder Bertram“, meinte sie dann gleichgültig.

„Bertram Mallowe?“

„Ja, gewiss, warum sollte er anders heißen?“

„Nun, er könnte doch einen Titel haben“, erläuterte Mr. Longbourn und musterte Dorothy leicht enttäuscht.

„Nein, den hat er nicht“, schnappte Dorothy, der nicht entgangen war, dass er offenbar nach oben heiraten wollte. Glücklicherweise verklang in diesem Moment auf die Musik; Mr. Longbourn führte seine Partnerin mit gerade noch geziemender Hast zu ihrer Mutter zurück und eilte dann, die Gruppe um Mr. Ridgeley aufzusuchen.

„Was für ein Trottel!“, bemerkte Dorothy und Hannah, die direkt neben ihr saß, kicherte. „Die Anhänger Ridgeleys sind alle etwas seltsam, auch ohne die bunten Halstücher. Naja, eines Tages werden sie vielleicht auch noch erwachsen.“

„Ich habe gerade festgestellt, dass sich mein Bruder auch zu ihnen gesellt hat.“

Das erregte Lady Graythorpes Aufmerksamkeit: „Bertie ist hier? Wo hast du ihn gesehen?“ Sie reckte den Hals, soweit das möglich war, ohne allzu offenkundig Neugier zur Schau zu tragen. „Wer sind diese jungen Männer dort an der Wand, bei denen Bertie steht?“

Dorothy und Hannah erklärten es ihr und sie seufzte erleichtert. „Nun, besser ein Dandy als ein junger Mann, der sich exzessiv gefährlichen Sportarten und Vergnügungen widmet. Bedenke, dass wir für ihn keinen Ersatz hätten, wenn ein Unglück geschähe… Graythorpe fiele dann an Cousin Douglas!“

„Dandy?“, protestierte Dorothy. „Ich dachte immer, Dandys trügen sich besonders elegant und geschmackvoll. Gibt es keine Bezeichnung für Gentlemen, die sich mit Absicht lächerlich ausstaffieren?“

„Sind das nicht Fops?“, wollte Hannah behilflich sein. Lady Graythorpe wollte schon auffahren, bedachte dann aber, dass Lady Holworth ihr noch sehr nützen konnte, wenn sie darauf verzichtete, ihre Tochter zurechtzuweisen.

„Mama, findest du wirklich, dass sich Bertie elegant kleidet?“

„Nun, nun… er ist noch recht jung, nicht wahr? Zweiundzwanzig… bis er in das Alter kommt, sich zu vermählen und Erben in die Welt zu setzen, werden sich diese Torheiten gewiss gelegt haben.“

„Wenn er sich bis dahin mit seinen Kragenspitzen nicht ein Auge aussticht“, murmelte die unbezähmbare Dorothy.

„Mein Kind, nun lass es bitte!“

Dorothy fügte sich und sah sich lieber im Ballsaal um. Im Moment wurde Walzer getanzt – und das hatte Mama ihr noch nicht erlaubt, obwohl sie die Schritte natürlich gelernt hatte.

Der schreckliche Theobald schwenkte eine magere Rothaarige in einem mit Rüschchen und Schleifchen überladenen grellrosa Kleid herum, deutlich neben dem Takt. Mr. Longbourn schien seine Modetheorien nun Suzette auseinanderzusetzen, die sich sichtlich langweilte. Dahinter tanzte ein hochgewachsener Mann in tadelloser schwarzer Abendkleidung mit einer Dame in nachtblauer Seide, offenbar einer verheirateten Frau, denn starkfarbige Seide hätte sich für eine Debütantin gar nicht geschickt – und nachdem es kein Getuschel gab…

Das Paar drehte sich, wie alle anderen auch, und Dorothy erkannte zu ihrer Verblüffung in dem eleganten Herrn Rupert Claremont: Sie hätte ihn eher so eingeschätzt, dass er die Bälle des Adels für alberne Zeitverschwendung hielt!

Womit er eigentlich Recht hatte, fand sie – wenn sie bedachte, welche Herren sie bis jetzt kennen gelernt hatte, konnte man die Vertreter der vornehmen Stände nicht ernst nehmen: farbige Halstücher, zu starke Parfüms und exzessives Spielen, denn jetzt begaben sich die teils hochmodischen, teils eher konservativ gekleideten Herren, die bisher an der Wand gelehnt hatten, zunehmend in die Kartenzimmer.

Rupert Claremont tanzte immer noch und unterhielt sich dabei lebhaft mit der ausnehmend schönen Dame in Nachtblau.

„Mama? Weißt du, wer die Dame in Dunkelblau ist? Diese Farbe ist faszinierend…“

Lady Graythorpe runzelte die Stirn. „Nein… eine sehr unpassende Farbe, finde ich. Geradezu ein Trauergewand – aber dieser Schmuck!“

Lady Holworth wurde aufmerksam. „Dunkelblau? Ach ja… das dürfte die Viscountess Cherington sein. Der Viscount begleitet sie selten, er ist gut doppelt so alt wie sie und kränklich. Nun, warum nicht… die Cheringtons haben drei Söhne und zwei Töchter, also ist sie nun wirklich frei, zu tun, wie ihr beliebt.“

Lady Graythorpe zischelte warnend und rollte die Augen in Richtung der fasziniert lauschenden Mädchen, aber Lady Holworth lachte unbekümmert. „Ich bitte Sie, meine Beste, das ist doch allgemein bekannt! In unseren Kreisen funktionieren Ehen eben nach diesem Muster – Vermögen, Einfluss, Familienbeziehungen. Liebe und Treue sind nicht so wichtig. Solange der Mann sicher sein kann, dass seine Erben wirklich von ihm gezeugt wurden.“

Dorothy quollen die Augen fast aus dem Kopf und Hannah kicherte, während Lady Graythorpe versuchte, nicht allzu schockiert zu erscheinen, denn das war offenbar nicht de rigeur. In unseren Kreisen… das hallte unangenehm in ihr nach: Gehörten die Graythorpes etwa nicht zu diesen Kreisen?

Eine erfolgreiche Saison. Historischer Roman

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