Читать книгу Eine erfolgreiche Saison. Historischer Roman - Catherine St.John - Страница 6

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Ende Februar schließlich trafen sie in London ein, in der betagten Reisekutsche der Graythorpes, die mit vier Personen und der Hälfte des Gepäcks restlos überfordert gewesen war. Lucy, die Zofe, folgte mit dem restlichen Gepäck in einem einfacheren Wagen auf dem Fuße.

Dorothy taumelte als erste aus der Kutsche; Cecily vertrug das Fahren sehr schlecht und ihr war unterwegs tatsächlich übel geworden, was die Luft im Wagen nicht unbedingt verbessert hatte.

„Puh!“, machte sie, sobald sie auf dem Bürgersteig vor dem imposanten Haus in der Brook Street stand. „Endlich!“

Bertram half Cecily aus dem Wagen und ermahnte sie, ja nicht an seine kostbare Weste und seinen neuen (noch unbezahlten) Rock in modischem Dunkelblau zu kommen. „Du riechst gar nicht gut!“

„Das ist nur diese entsetzliche Rappelkiste“, schimpfte Cecily mit schwächlicher Stimme, „Papa sollte endlich einmal einen gut gefederten Reisewagen kaufen.“

„Wovon denn?“, fragte Dorothy, die die untadelig schneeweiße Fassade mit den Säulen beifällig betrachtete. Bertram folgte ihrem Blick. „Sieht aus wie etwas aus meinem alten Griechischbuch in der Schule.“

„Korinthische Säulen“, erklärte Dorothy hingerissen, „die Kapitelle bestehen aus Akanthusblättern. Wunderschön!“

„Sehr gut!“, lobte eine kräftige Männerstimme und sie fuhr erschrocken herum. Ein gut aussehender Gentleman in mittleren Jahren stand vor ihr. „Andrew Claremont. Herzlich willkommen in meinem Haus.“

Dorothy knickste höflich und reichte ihm die Hand. „Ich bin Dorothy Mallowe.“

„Ich dachte es mir. Und sehr belesen?“

„Nun ja – ich interessiere mich für derlei Dinge, das ist wahr.“

„Ausgezeichnet.“

Er wandte sich Bertram zu und begrüßte auch ihn höflich, obwohl ihm dessen Reiseanzug doch ein Hochziehen der Augenbrauen entlockte. Vor allem die violett und silbern bestickte Brokatweste schien ihn zu verblüffen, fand Dorothy, nach deren Ansicht sich Bertie mit diesem Scheusal selbst übertroffen hatte. Bertram reagierte auf die Begrüßung mit kühler Höflichkeit.

Dafür umarmte Lady Graythorpe ihren Cousin ganz unzeremoniell. Cecily schaute den Gastgeber nicht an, sondern maulte bloß: „Ich muss mich hinlegen, mir ist immer noch übel.“

„Man sollte eben nicht mit Kindern reisen“, merkte Dorothy halblaut an und weckte damit Cecilys Lebensgeister auffallend – nur mühsam konnte Lady Graythorpe ihre Jüngste daran hindern, der Schwester das Gesicht zu zerkratzen.

Mr. Claremont bat seine Verwandten ins Haus und wies mit einer knappen Handbewegung sein Personal an, sich des Gepäcks anzunehmen.

Dorothy blieb, als sie das Portal durchschritten hatte, so abrupt stehen, dass Cecily gegen sie stolperte und wieder zu zetern begann. Dorothy trat zur Seite, ohne ihre Schwester weiter zu beachten, und schaute einfach weiter.

„Was ist denn, Herzchen?“, fragte ihre Mutter mit recht ungewohnter Liebenswürdigkeit.

„Diese Halle ist einfach phantastisch“, erklärte ihre Tochter, die die Anrede „Herzchen“ offenbar gar nicht gehört hatte. „Sieh doch nur, Mama – diese Statuen! Diese Eleganz – und diese herrliche Strenge in den Farben!“

Lady Graythorpe sah sich pflichtgemäß um, denn sie spürte auch den Blick ihres Cousins auf sich ruhen. Die Halle war achteckig – vier der Nischen enthielten je eine Marmorkopie einer bekannten antiken Statue in anstößiger Nacktheit, wie sie fand, umrahmt von zwei Säulen (ionisch, stellte Dorothy insgeheim fest) von dem Hintergrund grauen Marmors. Drei der anderen vier Nischen öffneten sich zu unterschiedlich langen Fluren, die letzte Nische umrahmte das Portal.

Der Gang genau gegenüber dem Portal führte in ein elegantes Treppenhaus aus hellem Marmor.

„Ja, sehr hübsch“, antwortete Lady Graythorpe pflichtgemäß, aber unüberzeugt. Die etwas verwohnte Gestaltung ihres Tudor-Landsitzes gefiel ihr eigentlich viel besser.

„Wunderschön!“, erklärte Dorothy noch einmal mit leuchtenden Augen, zu Mr. Claremont gewandt. Der lächelte erfreut. „Ich habe die Ausstattung mit meinem Sohn zusammen ausgewählt.“

„Ach ja, dein – wie heißt er gleich?“, fragte Lady Graythorpe.

„Rupert. Er versteht einiges von Kunst und Architektur.“

„Hm, ja. Ist er in deinem Geschäft tätig?“

„Geschäft?“, wiederholte Mr. Claremont leicht befremdet. „Nun ja, wenn du es so nennen möchtest, Abby? Tatsächlich leiten wir unsere Firma gemeinsam.“

„Abby?“, quiekte Cecily auf.

„Ich denke, dir ist so übel?“, fuhr Dorothy sie missmutig an. „Dann halte doch lieber den Mund, bevor dir hier noch ein Missgeschick passiert!“

„Du blöde Ziege!“

Das war Dorothy keine Antwort wert.

Ihre Mutter erklärte begütigend: „Abby ist doch nur eine Abkürzung für Abigail, mein Kind. Ich glaube, wir bringen dich jetzt auf dein Zimmer, du bist heute gar nicht dein sonst so wohlerzogenes Selbst…“

Dorothy beherrschte sich meisterlich, um nicht abfällig zu prusten – Cecily zeigte sich heute eigentlich recht typisch, fand sie.

Mr. Claremont ließ seine Blicke zwischen den drei Damen und dem geckenhaft ausstaffierten Mr. Mallowe hin und her wandern und setzte ein entschlossenes Lächeln auf. „Ich könnte mir vorstellen, dass die Damen von der Reise etwas ermüdet sind, nicht wahr?“

Alle nickten, außer Dorothy, die am liebsten das ganze Haus erforscht hätte.

„Es ist jetzt zwei Uhr – wäre euch der Tee um halb fünf recht? Oder habt ihr jetzt gleich Hunger?“

Das wehrte Lady Graythorpe sofort nach einem Blick auf die noch etwas bleiche Cecily ab. „Wir hatten einen Proviantkorb dabei, vielen Dank. Der Tee wäre uns dann sehr willkommen.“

Wie durch Zauberhand tauchten drei Hausmädchen auf und geleiteten alle Damen zu ihren Zimmern. Dorothy, heilfroh, Mutter und vor allem Schwester entronnen zu sein, sah sich in dem freundlichen, ganz in Hellblau und ein wenig Silber gehaltenen Schlafzimmer um.

„Wie luxuriös… sogar ein Kaminfeuer brennt hier!“

Das Mädchen knickste. „Gewiss, Miss. Der Herr lässt in der kalten Jahreszeit immer alle Schlafzimmer heizen – und wir haben hier auch sonst allen neuzeitlichen Komfort, sehen Sie nur, Miss!“ Sie öffnete eine diskrete Tapetentür und zeigte Dorothy eine ebenfalls blassblaue Kammer mit einer fest installierten Badewanne und einem Waschtisch mit Schüssel und Kanne.

Dorothy zeigte sich gebührend beeindruckt und versprach, diesen Luxus auch fleißig in Anspruch zu nehmen; daraufhin erfuhr sie noch zusätzlich, dass es tatsächlich in einer Kammer am Ende des Flurs eine ganz neumodische Einrichtung gab, „…wenn Sie mich verstehen, Miss. Keine Nachttöpfe mehr herumzutragen, das ist auch eine große Erleichterung für uns Dienstboten.“

Dorothy beglückwünschte sie zu diesen angenehmen Arbeitsbedingungen und räumte mit dem Mädchen, das Mary gerufen wurde, rasch den Inhalt ihres Gepäcks in den Schrank, denn so verwöhnt hatte man sie auf Graythorpe nicht, dass man ihr dort eine eigene Zofe zugestanden hätte. Sie hatte also Routine, was das Pflegen und Verräumen von Garderobe betraf. Sicher würde Mamas Lucy sich hier um sie kümmern, aber sie war mit dem zweiten Wagen und dem Rest des Gepäcks noch nicht eingetroffen.

Während sie danach ein anderes Kleid heraussuchte und sich in dieser wundervollen Badekammer wusch, hörte sie immer wieder die Stimmen ihrer Mutter und ihrer Schwester – Cecily beklagte sich mit weinerlicher Stimme über ihre Reisekrankheit und ihre Mutter beruhigte abwechselnd ihre Tochter und wies das Dienstmädchen an, wie die Koffer und Truhen auszupacken waren.

Dorothy frisierte sich neu und wählte eine schlichte Frisur, die sie auch alleine zustande brachte: einen einfachen Knoten, der mit wenigen Nadeln hielt, und einige Löckchen in der Stirn. Dazu suchte sie das cremefarbene Musselinkleid mit dem rosaroten Band unterhalb der Brust und den ebenfalls rosaroten Stickereien an den kleinen Ärmeln aus. Ja, fand sie, hübsch, aber schlicht. Das Kleid war nicht neu, aber sie liebte es sehr und hatte beschlossen, es nie Cecily zu leihen. Diese hätte wohl ohnehin kein Interesse daran, denn der neuesten Mode entsprach es nun nicht mehr und es war auch geradezu prüde hochgeschlossen. Cecily präsentierte ihre jugendlichen Reize sehr viel bereitwilliger, als Dorothy das tat.

Aus der kleinen Gobelintasche, die das Mädchen weisungsgemäß einfach auf den Schrankboden gestellt hatte, holte sie das Buch, das sie hier lesen wollte: „Stolz und Vorurteil“, von einer interessanten, aber anonymen Autorin. Es war nicht mehr neu, aber auf dem Land bekam man die Neuerscheinungen nicht so leicht. Sie freute sich schon auf die Buchhandlungen in London – und als erstes würde sie sich einen Band über alle Londoner Sehenswürdigkeiten kaufen, das stand schon fest. Einige Pfund von ihrem Nadelgeld hatte sie gespart, indem sie sich seit dem Spätsommer keinerlei Bänder, Blumen oder ähnliches mehr gegönnt hatte. Hart angekommen war es sie nicht, denn eigentlich gefiel ihr solcher Schnickschnack nicht sehr. Die preisgünstige Schlichtheit, die Lady Graythorpe für das Auftreten ihrer Tochter vorschwebte, traf ausnahmsweise auch Dorothys Geschmack.

Ob so ein Reiseführer teuer war? Und ob man hier ein weiteres Werk von der gleichen Lady bekommen konnte? Sie schätzte diese Autorin sehr, vor allem, weil ihre Geschichten nicht so unwahrscheinlich waren wie die unheimlichen Erzählungen, die immer noch so beliebt waren. Verstand und Gefühl hatte ihr jedenfalls sehr gut gefallen und sie war sicher, dass sich Stolz und Vorurteil, das äußerst vielversprechend begonnen hatte, genauso erfreulich entwickeln würde. Zufrieden legte sie das Buch auf das Tischchen neben ihrem Bett. Mit Kerzenleuchter (echte Wachskerzen!) und Zunderbüchse war hier alles für ausgiebige Lektüre eingerichtet: was für ein wundervolles Zuhause! Wenn sie nur nicht auf Bälle gehen und einen wohlhabenden – und natürlich vornehmen – Ehemann einfangen müsste…

Zur Teezeit wappnete sie sich für die Aufgabe, den Weg zum Salon zu finden – aber das wurde ihr erleichtert, denn es genügte, das richtige Stockwerk zu wählen, ab dann hörte man schon wieder Cecilys Stimme. Offenbar hatte sie sich erholt, denn sie plapperte munter – und nach Dorothys Ansicht sinnlos – vor sich hin. Also eilte Dorothy einfach dem Geräusch nach und fand den Hausherrn, ihre Mutter und beide Geschwister um einen großen niedrigen Tisch versammelt, der sich vor Leckereien nur so bog.

Sie knickste leicht vor Mr. Claremont, was Lady Graythorpe ein Stirnrunzeln entlockte, und lächelte ihn an. „Vielen Dank für das wunderschöne Zimmer, Sir!“

„Es freut mich, wenn es dir hier gefällt, mein Kind“, war die freundliche Antwort.

„Wieso hast du ein schöneres Zimmer als ich?“, wollte Cecily sofort wissen.

„Die Gästezimmer haben alle die gleiche Ausstattung“, begütigte Mr. Claremont, „sie sind nur in unterschiedlichen Farben dekoriert.“

Cecily schmollte trotzdem; Dorothy seufzte insgeheim und verwickelte Mr. Claremont, um ihn von ihrer Schwester abzulenken, in ein Gespräch über die Sehenswürdigkeiten Londons.

Lady Graythorpe wies ihre Jüngste leise, aber entschieden zurecht und verfolgte dann das Gespräch zwischen Dorothy und ihrem Cousin, während Bertram sich schweigend mit den Köstlichkeiten auf den Platten und Etageren vollstopfte.

Mr. Claremont versuchte, ihn ins Gespräch einzubeziehen, aber Bertram gab sich mürrisch. Zwar schnitt er den bürgerlichen Unternehmer nicht direkt, aber er blieb einsilbig und bestritt jegliches Interesse an den Kunstschätzen der Hauptstadt. Bälle wollte er allerdings nach Möglichkeit auch nicht besuchen. „Auf jeden Fall brauche ich ein anständiges Pferd“, verkündete er dann, sich Kuchenkrümel aus dem Gesicht wischend.

„Ich bin sicher, in unseren Stallungen wird sich etwas finden“, blieb Mr. Claremont gelassen.

„Nun, das hoffe ich!“

„Bertie, du bist unverschämt“, tadelte Dorothy. „Warum sollte Mr. Claremont dir ein Pferd stellen? Miete dir doch eins, du bekommst schließlich von Papa genügend Taschengeld.“

„Genügend? Pah!“

„Dann lass die Finger vom Glücksspiel! Und“, fügte sie nach einem kritischen Blick hinzu, „auch von den Törtchen. Deine Weste sitzt schon reichlich stramm.“

Mr. Claremont konnte ein leises Prusten nicht ganz unterdrücken und nahm hastig einen Schluck Tee; Bertram murmelte etwas Unhöfliches und stand auf. Mit einer nachlässigen Verbeugung verließ er den Raum.

„Ich entschuldige mich für meinen Sohn“, wandte sich Lady Graythorpe nicht ohne Verlegenheit an den Gastgeber.

Cecily krümelte an einem Törtchen mit Himbeer-Gelee herum und sprach nichts, Dorothy versuchte, die lastende Stille zu überbrücken und fragte: „Was werden wir morgen unternehmen, Mama?“

„Ich denke, wir werden die Schneiderin aufsuchen, du brauchst schließlich noch Ballkleider. Mindestens fünf Stück – was das wieder kosten wird…“

Ihr rascher Seitenblick zu Mr. Claremont war Dorothy nicht entgangen. „Zwei genügen völlig, Mama. Ich schlage vor, beide auch in Weiß oder Creme – und dazu einige günstige Accessoires aus dem Grafton House. Das hast du doch schon einmal erwähnt, nicht wahr? Wir wollten für mich doch ein schlichtes Auftreten entwerfen, nicht wahr?“ Sie fand selbst, dass sie auffällig beschwörend klang.

„Ach ja, du hast Recht, Dottie. Nun, etwas anderes bleibt uns ja wohl auch nicht übrig.“ Wieder dieser rasche Seitenblick.

Dottie stand auf. „Ich möchte es schlicht haben, Mama! Deine Idee hat mich wirklich überzeugt. Mr. Claremont, gibt es hier eigentlich Tiere?“

„Tiere? Nun ja… die Küchenkatze, vermute ich. Und Rupert hat zwei Spaniels. Du magst Tiere?“

„Oh, und wie! Die Spaniels würde ich gerne einmal sehen, wenn Mr. Rupert nichts dagegen hat.“

„Warum sollte er?“

„Ja, warum sollte ich?“, murmelte Rupert, der in der Bibliothek nebenan die Zeitung studiert hatte. Da die Verbindungstüre einen Spalt offen stand, hatte er das Gespräch beim Tee ohne Schwierigkeiten verfolgen können.

Was für eine verzogene Bande, war sein erster Eindruck. Er wollte noch kein endgültiges Urteil fällen – Vorurteile waren etwas so ausgesprochen Unvernünftiges! -, aber die Mädchen wirkten albern, der Sohn offenbar arrogant und die Mutter, die vornehme Cousine seines Vaters, hatte diesen geradezu angebettelt: Sollte Papa etwa die Ballkleider dieser Göre kaufen? Und deren bescheidenes Getue war doch auch nur Theater: zwei weiße Ballkleider für die ganze Saison, du lieber Himmel! Wer sollte das glauben? Rupert hatte genügend Freunde, die mit Schwestern gesegnet – oder geschlagen – waren: Die Kosten waren immens.

Die einzige Ausnahme war wohl der gute Ferdy Milhouse von Milhouse & Grant, dem traditionsreichen Teehaus: Seine Schwester Wilhelmina wollte nicht auf Bälle gehen, um verheiratet zu werden – sie wollte im Teehandel mitarbeiten, was den alten Milhouse wiederum erboste.

Natürlich waren die Veranstaltungen innerhalb der Kaufmannschaft und generell der City-Prominenz nicht mit den Noblen in Mayfair zu vergleichen, aber das System war doch das gleiche, man tauschte Töchter gegen Vermögen, politische Beziehungen, geschäftliche Verbindungen oder Landbesitz – wer wollte schon so verheiratet werden?

Immerhin konnte er sicher sein, dass sein Vater keine solche zweifelhafte Verbindung für ihn arrangieren würde. Aber wenn er noch Schwestern hätte, die man unter die Haube bringen musste, dann müsste er sie auf die Gildenbälle und Privateinladungen begleiten, die mit dem Pomp des Adels wetteiferten, sogar auf die Bälle des Adels, denn sowohl Papa als auch er selbst hatten recht gute Beziehungen… Papa müsste gewaltige Ausstattungen finanzieren… Mädchen waren eigentlich recht lästig, wenn man es genauer betrachtete.

Er sah aus dem Fenster und lächelte vor sich hin. Nun ja, es gab auch Dinge, für die Mädchen – Frauen – unentbehrlich waren: aber dafür gleich heiraten? Dafür gab es doch Geliebte, die wussten, wie man einen Mann erfreute. Das war mit der Miete für ein kleines Haus in einer respektablen Gegend und einer ausreichenden monatlichen Zuwendung nicht zu teuer bezahlt. Und seine gute Freundin Amelia Ramsworth beriet ihn, wenn er wieder einmal weibliches Denken nicht nachvollziehen konnte.

Wie friedlich war das Leben hier gewesen – Vater und Sohn, sonst niemand. Papa hatte bestimmt auch eine Geliebte, schließlich war er erst knapp über fünfzig und ein kräftiges, gesundes Mannsbild, das den Freuden des Lebens nicht abgeneigt war. Empfängliche Witwen in bescheidenen Verhältnissen gab es wahrhaftig genug in London.

Heiraten würde er selbst vielleicht mit fünfunddreißig. Eine intelligente Frau, mit der man sich unterhalten konnte. Keinesfalls einen hübschen Hohlkopf wie wahrscheinlich diese beiden unerwünschten Besucherinnen im Salon nebenan. Man musste sich ja nur überlegen, wie solche Hühnchen ihre Kinder erziehen würden!

Eine kluge, gebildete, gut erzogene Frau aus dem Bürgertum, nicht frisch aus dem Schulzimmer, sondern in den frühen Zwanzigern. Eine erwachsene Frau.

Ein grässlicher Gedanke durchzuckte ihn: Was, wenn Papa erwartete, dass er diese unerfreulichen Gäste auf Bälle begleitete? Nichts war gegen den einen oder anderen Ball auch in der vornehmen Gesellschaft einzuwenden, aber auf die lästige Verwandtschaft dabei aufzupassen war sein letzter Wunsch.

Unwillkürlich warf er einen Blick in den Spiegel über dem Kamin. Nun ja, er war tatsächlich vorzeigbar. Gutaussehend? Das konnte man wohl kaum selbst entscheiden. Wohlhabend war er dafür unbestreitbar. Sogar reich – der Handel mit den mechanischen Geräten, die Claremont zum großen Teil auch selbst produzierte, blühte ausgesprochen, und er hätte sich schon längst selbst ein vornehmes Stadthaus leisten können. Im Übrigen war Papa sogar das Gerücht zugetragen worden, er könne für seinen Beitrag zur britischen Wirtschaft und seine großzügigen Spenden für das Armenwesen demnächst geadelt werden. Sir Andrew Claremont… das hörte sich nicht schlecht an, musste er zugeben. Oder erwartete man dann von ihnen beiden, sich eines adeligen Lebensstils zu befleißigen? Zu spielen, zu jagen, Geld zu verschwenden?

Er schnaubte und hielt dann erschrocken inne – hoffentlich hatte man das nebenan nicht gehört? Er hatte nicht das geringste Verlangen, mit diesen Graythorpes - oder besser gesagt Mallowes - beim Tee Konversation zu betreiben.

Nun, genau genommen pflegten die Herren Claremont auch nicht gerade einen bescheiden-kleinbürgerlichen Lebensstil. So viel würde sich durch eine Nobilitierung wohl gar nicht verändern…

Er mochte Veränderungen überhaupt nicht, musste er sich eingestehen. War er also konservativ? Oder doch nur bequem?

Eine erfolgreiche Saison. Historischer Roman

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