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Annemarie Dorner

In dem Moment, als ich zu Atem kam, den kalten Wind spürte, der um meinen nassen Körper zog, fing mein Körper an zu zittern und die Tränen ließen sich nicht mehr zurückhalten.

Kurz vergaß ich, wer John war und ließ einfach zu, dass mein Körper sich an ihn schmiegte. Ich wollte nicht, dass er mich losließ. Ich fühlte mich sicher an seiner Brust, und drückte mich noch fester an ihn. Meine Instinkte sagten mir, dass er vielleicht doch einer der Guten war.

„Annemarie“, holte mich eine tiefe Stimme aus meinen Gedanken. Ich klapperte mit den Zähnen, und spürte Johns kalte Hand auf meinem Armen. James kniete sich neben uns mit noch einer trockenen Decke eine Decke unter seinem Arm. Neben ihm war ein weiterer Mann, der auch ein rotes Kreuz auf seinem Helm trug. „Kommt, ihr müsst aus den nassen Klamotten raus und euch aufwärmen.“

Ich nickte frierend, begriff die ganze Situation nicht und nahm die vielen Männer um uns herum kaum wahr.

„James“, raunte John, dessen Griff um meinen Körper schwächer wurde. Er starrte erschöpft auf einen Fleck im Gras unter uns. „Es gibt … ein Problem.“

James runzelte die Stirn, während der andere Mann mich vorsichtig von Johns Beinen hob und mir die weiche Decke um die Schultern warf. Mein Blick jedoch blieb auf John, der sich nicht bewegte, sondern sich nur mit dem rechten Arm abstützte. Etwas stimmte nicht, es schien, als hätte er Schmerzen.

Und plötzlich sprang James auf. „Verdammt!“, fluchte er und drehte sich zu den Männern, die verteilt umherliefen. „Baut ein Zelt auf! Und mein Rucksack! Ich brauche meinen Rucksack!“

Als er sich wieder neben John kniete und dieser sich auf den Rücken fallen ließ, stach es mir erst ins Auge.

Auf der nassen, ohnehin schon, dunklen Hose, konnte ich deutlich einen großen Blutfleck ausmachen. Er musste sich schlimm verletzt haben, dort im Wasser, an diesem verflixten Baumstamm.

„Du kannst noch alleine laufen, richtig?“, fragte James John, der die Augen schloss und nickte.

„Mach bloß nicht so einen Aufstand“, brummte John, stemmte sich hoch, hielt dabei die Hand auf die Stelle gepresst, worauf diese sofort rot wurde. „Es ist nur-„

„Nein, es ist nicht nur“, unterbrach James ihn harsch und half ihm hoch. Er stützte John und wandte sich an den anderen Sanitäter. „Ich kümmere mich um ihn, helfe du erst ihr und der Kleinen, dann kommst du zu mir.“

Der Mann, der mich umfasst hielt, nickte James zu und zog mich weg, zu einem provisorischem Unterstand. Ein paar große Baumkronen gaben Schutz vor dem Regen und die Soldaten hatten eine Plane zwischen zwei Stämmen aufgehängt, um einen halbwegs trockenen Platz bekommen. Dorthin ging ich mit dem Sanitäter um er ließ mich vorsichtig auf einem Hocker Platz nehmen.

Ich hatte nicht gemerkt, dass John so stark im Fluss verletzt worden war. Wieso hatte er nichts gesagt? Hieß das nun, dass es meine Schuld war, dass er nun blutete? Mir schossen tausend Gedanken in den Kopf. Ich wollte wissen, was mit ihm passiert war und ob es schlimm war oder nicht.

Doch viel Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht, denn ich wurde von dem Sanitäter auf einen Hocker gesetzt, Katharina saß neben mir in der Wiese. Niemand hatte daran gedacht ihr auch eine Decke zu geben. Sie zitterte wie Espenlaub, hockte mit eng an sich gezogenen Knien dort und versuchte sich mit den Armen selbst zu wärmen. Wollten sie, dass sie erfror?

„Hier“, sagte ich deswegen leise zu ihr und legte ihr meine fleckige Decke um die Schultern. Das Klappern meiner Zähne konnte ich leider trotzdem nicht unterdrücken. „D-Damit du es warm hast.“

D-Du s-sollst es wa-warm haben“, bibberte sie und wollte die Decke ablehnen, doch da lag sie bereits um die dünne Gestalt meiner Schwester. „A-Anne, du fr-frierst.“

Ich versuchte für sie zu lächeln. „Ich habe mein Band gerettet, ich friere nicht mehr.“

Der Sanitäter kniete sich vor Katharina und mich, hielt mir eine Tasse mit dampfendem Inhalt entgegen. „Hier das sollte euch ein bisschen aufwärmen. Ist nur Tee, und leider nur eine Tasse, aber auf die Schnelle gibt es nicht mehr.“

Dankend nickte ich und griff mir die glühend heiße Tasse. Es war nett von ihm, sich um uns zu kümmern. Anscheinend waren nicht alle so wie Major Pattons und ein paar Einzelne der Kerle.

Ich nahm den ersten Schluck von dem heißen Getränk und stellte fest, dass es Kamillentee war. Das war nicht gerade meine Lieblingssorte, aber im Moment gab es bestimmt keine Auswahl. Jedenfalls floss die heiße Flüssigkeit in meinen Magen und von dort aus flutete eine wunderbare Wärme durch meinen Körper. Ich gab die Tasse an Katharina weiter, die sich erst einmal die Hände daran wärmte, und dann genüsslich den ersten Schluck nahm. Bereuen tat ich meinen Sprung ins Wasser trotzdem nicht. Ich konnte unmöglich ohne mein Haarband sein.

„Ja, du hast dein Band gerettet“, ertönte eine bekannte Stimme hinter mir und die Person, zu der sie gehörte, kam näher. Ich wusste sofort, dass es Major Pattons war, der auf uns zuschritt. Er stellte sich nur eine Armlänge von Katharina und mir entfernt hin und hielt die Hände hinter seinem Rücken. Es wunderte mich, dass er so ruhig war und nicht losbrüllte, da ich den Ablauf der Aktion durcheinandergebracht hatte.

„Mutig bist du ja“, sprach er weiter und ich sah ängstlich zu ihm auf, hoffte gleichzeitig, er würde Katharina nicht den Tee wegnehmen. „Das muss ich dir lassen. Einfach so in den Fluss springen … Alleine. Das hätte böse enden können.“

Ich sagte nichts darauf. Ich fürchtete mich zu sehr vor ihm.

Er kniff die Augen zusammen und ich schaute instinktiv auf meine Füße. Sein Blick schüchterte mich ein. Und als ob er meine Gedanken lesen konnte, sagte er: „Ich bin hier, um dir eine Information zu überbringen.“

Langsam sah ich wieder zu ihm auf und schluckte.

Kurz schwieg er noch, versuchte mich wohl mit seinen Augen einzuschüchtern „Nicht nur

Montgomery wurde deinetwegen verletzt, sondern es musste einer meiner Männer in diesem verdammten Fluss sein Leben lassen.“

Oh, nein … Nein, bitte nicht. Das war der perfekte Zeitpunkt, um zu beten. Um zu beten und zu beichten und um Vergebung zu bitten.

Ein mörderisch teuflischer Ausdruck schlich sich auf Major Pattons Gesicht. „Du weißt, was das bedeutet. Bist ja ein schlaues Weib. Richtig?“

Ich schwieg. Ich wusste nicht genau, welche Strafe er sich für mich ausgedacht hatte, aber dass er sich an mir rächen würde, war mir, seinem Gesichtsausdruck nach, sehr klar.

Richtig?“

„Ja“, hauchte ich schnell als Antwort und krallte vor Furcht meine Finger in den nassen Stoff meines Kleides. „Ja …“

„Gut.“ Major Pattons wandte sich ausdruckslos von mir ab, sah zu Katharina, dann wieder zu mir. „Vielleicht überlege ich es mir anders, wenn du dich verdammt nochmal nicht widersetzt und nur das tust, was von dir verlangt wird. Du wirst es früh genug erfahren.“

Ich schaute ihm mit wild pochendem Herzen und tief ausatmend hinterher. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich die ganze Zeit die Luft den Atem angehalten hatte, weil ich solche Angst davor hatte, er würde mich in seiner Wut sofort angreifen. Bei ihm rechnete ich mit allem. Major Pattons war für mich zu dieser Zeit der Teufel, der um mich kreiste und bewachte wie ein Hund.

Ich spürte, wie mir von hinten eine Decke um die Schultern gelegt wurde, und ich zuckte erschrocken zusammen, weil ich so in Gedanken versunken war.

Javad tauchte neben mir auf und hielt mir eine weitere dampfende Tasse entgegen. Katharina hatte die andere immer noch zwischen ihren kleinen Händen, deswegen nahm ich sie dankbar entgegen. „Ich kenne Pattons noch nicht lange“, meinte er nachdenklich und leise. „Aber ich glaube, heute wird nichts mehr passieren. Du kannst dich erstmal entspannen.“

Ich konnte seinen Worten keinen Glauben schenken und starrte in die Tasse, aus der mir der heiße Dampf die Wangen wärmte. „Wahrscheinlich wartet er nur auf den richtigen Moment, um seinen sadistischen Plan umzusetzen.“

Javad antwortete daraufhin nichts mehr. Vielleicht gab er mir insgeheim Recht. Schließlich war er schon länger mit seinem Kommandanten zusammen und kannte ihn somit besser. Ich konnte nur hoffen, dass Pattons sich Zeit ließ, und vielleicht … naja wer wusste das schon. Meine Gemütsverfassung war nicht gerade die beste, nach diesem Erlebnis. Ich vermisste meine Eltern. Sie waren mein ganzes Leben lang, der feste Halt für Katharina uns mich. Und nun fühlte ich mich ganz allein.

Es wurde bereits dunkel, der Regen hörte mit der Zeit auf. Die Soldaten hatten in der Zwischenzeit im Wald ein Lager aufgebaut. Trockenes Holz fanden sie unter den dichten Tannen und sammelten es auf. Als es dann dunkel wurde, sah man hier und dort kleine Feuer, die rauchlos brannten. Alle waren müde von der Anstrengung des Tages, und so saßen sie einfach zusammen, aßen ihre Sandwiches und tranken warmen Tee. Die Stimmung war sehr bedrückt, weil wahrscheinlich alle daran dachten, dass einer ihrer Kameraden an diesem Tag gestorben war, ohne mit dem Feind gekämpft zu haben.

Seit einer gefühlten Ewigkeit starrte ich in die lodernden Flammen des Feuers, welches vor Katharina und mir in einem kleinen Steinkreis, brannte. Javad, der Sanitäter und ein paar andere Soldaten, die aber nicht sprachen, saßen bei uns.

Ich hatte diese Gruppe hierhergeführt. Wegen mir musste dieser Soldat sterben. Also war ich schuld. Oder doch nicht? Schließlich wusste ich doch gar nicht den Weg, es war reiner Zufall, dass uns der Fluss dazwischenkam. Aber das Schuldgefühl ließ sich durch diese Überlegungen auch nicht verringern.

Diese Männer, die hier bei uns am Feuer saßen, sollten uns bestimmt bewachen. Doch wohin hätte ich mit Katharina schon gehen sollen?

Plötzlich drang ein lauter, gequälter Schrei aus einem Zelt unweit von uns. Er kam aus dem Zelt, in dem Licht brannte. Es gab eine kleine Lichtquelle, wegen der man von außen die schemenhaften Umrisse von zwei Männern sehen konnte, die sich gebeugt mit irgendetwas beschäftigten.

Dann wieder ein Schrei, diesmal kürzer und erstickter.

Das lenkte mich von meinen düsteren Gedanken ab. Was passierte dort? Und wieso scherte sich niemand darum, außer ich? Absolut keiner von den Männern um mich herum, hielt es auch nur für nötig dorthin zu sehen, von wo aus die leidenden Schreie kamen.

„Anscheinend war es doch schlimmer, als er dachte“, sprach Javad als erstes und ich sah ihn an. Sein Gesicht leuchtete durch das flackernde Feuer, in das er resigniert sah. „Ständig meinte er, es wäre auszuhalten.“ Er lachte bitte auf. „Typisch für ihn.“

„Für wen?“, fragte ich flüsternd. „Und was meinst du?“

„John.“ Nun sah auch Javad zum Zelt. „Er rennt schon seit Tagen mit dieser Stichwunde herum, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich entzünden, und ordentlich schmerzen würde. Jetzt darf er die Konsequenz aus seiner Unvernunft in vollen Zügen genießen.“

John lag dort in diesem Zelt und war derjenige, der vor Schmerzen schrie? Wie grauenvoll musste die Peinigung sein, dass er wirklich so leiden musste? Ich stellte es mir grässlich vor.

Wieder blickte ich zu dem Zelt, aus dem nun ein Mann lief, der sich die Hände über den Bauch hielt und auf uns zukam. Sein Ausdruck verriet, dass er ebenfalls Schmerzen hatte. „Mein Gott“, knurrte er. „Ich hasse diesen Mist.“

Wieder blickte ich zu dem Zelt hinüber, aus dem nun einer der Männer schlüpfte. Er hielt sich gequält die Hände auf den Magenbereich.

„Hey!“ rief ihm Javad zu, während der Mann näher zu unserem Feuerplatz kam. „Was ist? Hat deiner Periode eingesetzt?“

„Wenn es nur das wäre“, antwortet der Sanitäter. „Aber wenn ich bei so einer Operation den Assistenten machen muss, dann schlägt mir das immer auf den Magen. Mir ist kotz übel, und John ist auch nicht der einfachste Patient. Habt ihr noch einen Whisky für mich?“ Der Mann setzte sich in unsere Runde und tatsächlich tauchte aus einer Tasche ein Flachmann auf.

Aber mein Blick schwenkte immer wieder zu dem Zelt, in dem John lag und von wo vorhin die Schmerzensschreie kamen.

„Geh nach ihm schauen“, holte mich Javad aus meiner Starre und ich blickte überrascht zu ihm. Er nickte zum Zelt. Konnte er meine Gedanken lesen? „Na los, geh schon, Pattons muss davon ja nichts erfahren.“

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Wollte er mich testen? Ich kannte diesen Mann nicht, und war mir nicht sicher, ob er mich einfach ins Messer laufen lassen wollte, bekam jedoch kein Ton heraus.

„Mach endlich.“

Er musste es mir kein drittes Mal mehr sagen. Ich blickte zu Katharina, die bereits eingeschlafen war und dann zu Javad, der nickte, um mir deutlich zu machen, dass er auf sie Acht gab.

Ich stand leise auf und ging mit leisen Schritten in Richtung des Zeltes, das ruhig dastand und aus dem kein Laut zu hören war, aber in dem immer noch Licht brannte. Als ich davorstand, musste ich mir Mut zu sprechen. Ich hatte Angst, wusste aber nicht wovor.

Dann schob ich das Laken zur Seite.

Ein Bild wurde mir geboten, indem John nur mit einer der dünnen Decke bedeckt, auf einer Liege lag. Die die Augen hielt er geschlossen, sein Gesicht gegen die Zeltdecke gerichtet. Man erkannte noch Blutreste auf seiner Haut, obwohl die Sanitäter schon das meiste abgewaschen hatten, war es nicht ganz verschwunden. Die Wunde, wegen der er vermutlich geschrien hatte, konnte ich nicht erkennen, da sie fürsorglich abgedeckt worden war.

James, der auf einem Hocker neben dem Feldbett saß, sah überrascht auf, während John aussah, als würde er schlafen. „Annemarie“, sagte James leise und richtete sich etwas mehr auf. „Was tust du hier?“

Ich nahm an, dass John schlief, weil James flüsterte, deswegen dämpfte ich auch meine Stimme, derweil ich einen kleinen mutigen Schritt in das Zelt trat. „I-Ich weiß nicht“, meinte ich unsicher. „Ich wollte … Ich weiß es nicht.“ Mir fiel auf, wie bescheuert es von mir war, einfach in dieses Zelt einzudringen, ohne zu wissen, ob sie es überhaupt wollten, deswegen drehte ich mich sofort wieder um, um zu verschwinden. „Es tut mir leid, ich werde wieder gehen.“

James stand ruckartig auf, musste sich aber etwas ducken, da das Zelt zu klein für seine volle Körpergröße war. „Warte. Du kannst bleiben.“

Ich hielt inne, war mir aber nicht sicher, ob es das Richtige wäre. Sollte ich wirklich bleiben? Was würde Major Pattons davon halten, wenn er mich hier sähe? Bekäme James dafür eine Strafe, weil er mich so nett behandelte?

„Setz dich, Annemarie“, bot James mir an. Ich brauchte bei ihm nicht unsicher zu sein. Er war einfach ein aufmerksamer, freundlicher Mensch. Wie er mir so sanft zulächelte und auf den kleinen Hocker deutete. Das ließ mich erleichtert umdrehen, und näher an das Krankenbett herantreten.

Ich war mir sicher, dass John schlief. Seine Brust bewegte sich regelmäßig und sachte auf und ab. Außerdem fiel mir auf, dass er stark schwitzte, da seine Haut glänzte. Schweißperlen standen auf seiner Stirn und die Haare noch sichtbar nass, die auf seiner Stirn lagen.

Nur vage bekam ich mit, wie James sich einen weiteren Hocker nahm und sich neben mich gesellte, während ich John genau betrachtete.

Sein Körper zeichnete sich unter der dünnen Decke deutlich ab. Meine Augen wanderten von seinem Gesicht, über den kräftigen Brustkorb, der geformt war wie keine weitere Brust, die ich je bei einem Mann gesehen hatte. Seine starken Armmuskeln bis hinunter zur Hüfte und mit den kleinen und ab und zu größeren Narben auf seinem Körper wirkte er wie ein Kämpfer. Wie jemand, der sich meinetwegen große Schmerzen zugefügt hatte, weil ich in die Fluten gesprungen war.

Ich war mir nicht sicher, ob ich behaupten konnte, dass er der schönste Mann war, den ich je traf. Ich schauderte davor. Er war schließlich einer von ihnen, ein amerikanischer Soldat.

„Wie geht es dir?“, unterbrach James meine Gedanken und als ich hörte, dass er eine Wasserflasche öffnete, sah ich zu ihm. Erst jetzt fiel mir auf, dass seine Hände mit getrocknetem Blut beschmiert waren. Es schockierte mich, weswegen ich perplex zusah, wie er sich mit dem Wasser die Hände wusch. „Hat sich Stuart um dich und deine Schwester gekümmert?“, fragte James weiter und wusch inzwischen weiter das Blut von seinen Händen.

Wie erstarrt nickte ich und hauchte: „Ja. Ja, es ist alles okay.“ War das alles Johns Blut?

„Das ist gut.“ James stellte die Flasche weg, rieb sich die letzten Reste von den Händen und trocknete sie an seiner braunen Hose. Er stützte sich auf seine Knie und erst jetzt bemerkte er, dass ich ihn die ganze Zeit beobachtete, weswegen sein Ausdruck sanfter wurde. „Ist … wirklich alles okay?“

Einfach aus Reflex wollte ich wieder nicken, doch wem wollte ich etwas vormachen? Nichts war okay. Katharina und ich waren verschleppt worden, ich hatte mich bereits selber in Lebensgefahr gebracht, und nicht nur mich, sondern noch diesen jungen Mann, der nichts mit meinem unverzichtbaren Haarband zu tun hatte. Ein Mann verlor wegen mir sein Leben und John wurde schwer verletzt. Deshalb schüttelte ich unglücklich den Kopf und wandte mich wieder an James. „Nein“, antwortete ich flüsternd. „Es ist gar nichts okay.“

Daraufhin schwieg James eine Weile.

Das kleine Bunkerlicht, das das Zelt nur mäßig erleuchtet, machte knistertende, leise Geräusche und es brachte einen orangenen Teint in Johns Gesicht. Ich sah seine kantigen Konturen und die Schatten seines Bartes.

Wie sollte ich weitermachen? Es schien bereits alles verloren. Machte es noch Sinn überhaupt etwas zu versuchen? Behielt John Recht mit seiner Aussage, in der er meinte, dass es besser für Katharina und mich gewesen wäre, wenn sie uns gleich erschossen hätten?

„Ich weiß, wie du dich fühlst“, sagte James nach einer kurzen Unterbrechung. Auch er beobachtete John, wobei er natürlich nur seinen Patienten sah. Er wirkte extrem nachdenklich, viel ernster als sonst. „Du glaubst, dass du diesen Weg nicht schaffst? Dass du einen Fehler gemacht hast, als du Pattons dazu brachtest, euch zwei mitzunehmen?“

Ich sagte nichts darauf. Er hatte meine Zweifel in Worten ausgesprochen.

„Wir kommen zwar aus komplett anderen Welten und sind verschiedene Menschen, aber …“ – er stoppte kurz – „Wir, Jonathan, Theo und ich, haben schon etliche Male an uns gezweifelt und gedacht, wir würden es nicht packen.“

Ich sah zu ihm, genau in seine sanften, braunen Augen, die so nachdenklich und bedrückt wirkten, wie ich sie in den paar Tagen, die wir zusammen verbracht hatten, noch nicht wahrnahm.

James wischte sich durch das Gesicht und stützte es in seine Hand. „Wir saßen oft abends in unseren Zelten, manchmal hatten wir nicht einmal ein Zelt, sondern sind beinahe erfroren und … Wir haben uns schon Lebe Wohl gesagt. Es schien aussichtslos für jeden von uns, wir waren uns Tag für Tag sicher, dass nun das Ende gekommen war. Aber weißt du, Annemarie …“ Er sah mich an. „Wir leben noch. Ich bete und ich bete, damit wir weiterleben können. Ich bete auch für dich.“

Seine letzten Worte berührten mich tief, Tränen drückten hinter meinen Lidern.

„Tu mir einen Gefallen und gib dich nicht auf.“ James sah wieder zu John. „Aufgeben ist in dieser Welt das aller Schlimmste, das du tun kannst. Jonathan wäre heute nicht hier, hätte er schon vor Jahren aufgegeben. Und er wird jetzt auch nicht aufgeben. Das hier zerbricht ihn nicht.“

Ich sah auf meinen Finger, die ich miteinander verschlungen hatte. „Er müsste nicht hier liegen, wenn ich nicht …“

„Wenn du nicht mutig gewesen wärst“, vollendete James meinen Satz. „Bitte verschenk diese Gabe nicht zu schnell.“

Unsere Blicke trafen sich.

„Okay?“, fragte James nach, als ich nichts darauf erwiderte.

Ich presste die Lippen aufeinander, wusste nicht genau, was nun die richtige Antwort wäre, ohne zu lügen. Doch trotzdem sagte ich leise: „Okay.“

Er schmunzelte und stand auf. „Ich werde nach draußen gehen. Bleib nicht zu lange hier, John braucht seine Ruhe und wer weiß, wie lange ihm die noch vergönnt ist.“

Mit einem leichten Druck im Magen sah ich James hinterher, wie er aus dem Zelt verschwand und ein leichter Windhauch hereingeweht wurde. Nun war ich mit John allein. Ich schaute ihn an, beobachtete seinen Körper, seine Brust, die sich auf und ab bewegte.

Ich wollte mir seine Verletzung genauer ansehen, sicher gehen, dass sie gut verbunden war, und vielleicht dachte ich, dass es mich beruhigen würde, wenn die Wunde nicht mehr blutete, doch ihn anzufassen, wagte ich mich nicht. Wieso ich es mich überhaupt traute, dieses Zelt zu betreten, war sowieso fraglich. Vielleicht wollte ich mich vergewissern, dass es John gut ging, nachdem er meinetwegen in die Fluten gesprungen war.

Ich fasste schuldbewusst an das Haarband, das ich nun wieder um meinen Zopf gebunden hatte. Ja, er war meinetwegen gesprungen. Und ja, er hätte meinetwegen sterben können. Genauso wie dieser für mich namenlose Soldat aus diesem Zug.

Ich sollte mich auf ewig schuldig fühlen und das tat ich auch.

Plötzlich hörte man einen Mann neben dem Zelt laufen und wie er über etwas stolperte, daraufhin fluchte und weiterging. Es hörte sich in der ansonsten stillen Nacht so laut an, dass ich schnell zu John sah, um mich zu versichern, dass er noch schlief.

Ich wollte nicht, dass er in seinem wohltuenden Schlaf gestört wurde. Und ich wollte mich auf keinen Fall mit ihm unterhalten. Auch sollte er nicht sehen, wie ich neben seinem Bett saß. Ich hoffte, er würde einfach weiterschlafen.

Doch als sich seine Brust jetzt unregelmäßig hob und wieder senkte, und er ein murrendes Geräusch von sich gab, begriff ich, dass er wohl doch von dem Geräusch aufgewacht war.

Ich riss augenblicklich die Augen auf und hielt den Atem an. Vielleicht bemerkte er mich mich nicht, solange er den Kopf nicht zu mir drehen würde.

Sein Gesicht zeigte weiter in Richtung der Decke und ich konnte nun wieder seine Konturen sehen, die von dem flackernden Licht der Kerze beschienen wurden. Seine Augen waren noch geschlossen, auch wenn seine Miene sich verzerrte. Man konnte sehen, dass er Schmerzen erlitt.

Ich kniff mir in den Handballen, als er nun doch sein Gesicht etwas zu mir drehte und langsam die Augen öffnete.

Himmel, ich war so in Schock, dass ich nichts anderes tun konnte, außer ihn anzustarren, während er mich blinzelnd wahrnahm.

Mir sicher sein, ob er verstand, dass ich tatsächlich hier saß, konnte ich nicht, denn in seinem Ausdruck war keine Regung. Er schien noch total schlaftrunken, etwas verwirrt, als er wieder den Kopf zur Decke drehte und sich die Hand an die Stirn hielt.

„Verdammt nochmal“, brummte er leise. „Ich fange an mit offenen Augen zu träumen. Was sind das für furchtbare Schmerzmittel?“ Plötzlich schrie er: „James! Was zur Hölle hast du mir gegeben?“

Ich blinzelte verdutzt, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es kam nichts außer einem leisen Krächzen heraus. Er dachte, er halluziniert? Ich war mir nicht sicher, ob es vielleicht besser wäre ihn einfach in dem Glauben zu lassen und zu verschwinden, aber dann gab ich mir einen Ruck und versuchte erneut etwas von mir zu geben, indem ich mich räusperte. „Also“, fiepte ich leise und zwang mich aufzuhören mit meinen Fingern zu spielen, „eigentlich … bin ich … echt.“

John wandte seinen Kopf wieder zu mir und dieses Mal sah er tatsächlich durcheinander aus. Er betrachtete mich genau, schien nachzudenken und dann traf ihn die Erkenntnis. Zu schnell wollte er sich aufrichten, worauf ich etwas zurückwich, doch er kam nicht weit, stöhnte sofort vor Schmerz auf und ließ sich wieder auf den Rücken fallen, um ein weiteres Mal zu fluchen.

„Du bist echt“, raunte er und legte den Kopf weit in den Nacken, seine Hand lag schützend auf der linken Seite, dort, wo die Wunde war. „Und warum?“ Er schloss die Augen. Der Schmerz und die Schmerzmittel nahmen ihm alle Kraft.

Seine Frage irritierte mich, deswegen wurde ich unsicherer. „Warum ich … echt bin?“, fragte ich erstaunt.

John atmete einmal tief durch und schien sich wieder zu entspannen. „Warum du hier bist.“ Warum ich hier war, wollte er wissen. Ob ich darauf wirklich eine befriedigende Antwort hatte?

Ich konnte es nicht lassen, mit dem Stoff meines Kleides zu spielen, denn das war schon immer eine Angewohnheit von mir, an etwas herum zu knippeln, wenn ich verunsichert war. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich, denn irgendetwas musste ich ja sagen.

„Beantworte mir eine Frage.“

Erwartungsvoll sah ich ihn an, auch wenn er mit geschlossenen Augen mit mir sprach.

„Warum, zum Teufel, wolltest du dich für dieses gottverdammte Stück Stoff umbringen?“

Ich wusste sofort, dass er mit „gottverdammtes Stück Stoff“ mein Haarband meinte und wollte reflexartig wieder zu meinem Zopf greifen, unterließ es aber. „Es ist für mich von großer Bedeutung“, erwiderte ich darauf.

„Es muss eine ziemlich mächtige Bedeutung haben, wenn du“ – Er richtete sich erneut etwas auf, musste sich stützen, um den Schmerz zu ertragen – „dafür alleine ins kalte Wasser springst.“

Ich sah ihm dabei zu, während er die Decke von seinen langen Beinen schob und sich gequält auf die Kante des Feldbettes setzte. Nun konnte ich erkennen, dass er einen weißen Verband um seine Hüfte trug, auf dem man einen roten, großen Blutfleck erkennen konnte. Allein, das zu sehen, brachte eine riesige Schuld in mir hervor.

John stemmte seine Ellen auf seine Knie und an seiner Mimik und den verkrampften Bewegungen merkte man, wie ihm seine Verletzung zusetzte. Er wirkte noch lange nicht ausgeruht, er schwitzte weiterhin stark, seine Haut war bleich.

„Ja“, hauchte ich und versuchte meine Augen von seiner Hüfte zu nehmen. „Es bedeutet mir sehr viel.“

Mit seinem rechten Arm wischte er sich den Schweiß von der Stirn und schloss wieder die Augen, als er sich erneut auf seine Knie stemmte. „Tu das … nie wieder.“

Er sprach so todernst mit mir, dass es mir tief ins Innere drang.

Nun sah er zu mir hoch, sein Gesicht flimmerte durch die Kerze. „Diesmal hattest du Glück. Beim nächsten Mal vielleicht nicht. Verstehst du das?“

Schließlich fand ich meine Stimme wieder. „Aber ich hatte kein Glück … Du …“

„Du kannst dich nicht auf mich verlassen, Annemarie“, unterbrach John mich und sah auf den Boden. „Mach nicht den Fehler und denke, dass immer jemand da sein wird, der dir hilft. Vielleicht bin ich schon morgen nicht mehr da.“ Er blickte mich wieder an. „Vielleicht ist James morgen nicht mehr da, oder deine Schwester oder du. Hier kannst du nur Glück haben. Mehr nicht.“

Ich schluckte schwer. Natürlich war mir klar, dass er Recht hatte, auch wenn ich hoffte, er würde es nur so vor sich hinsagen. Ich versuchte mit aller Kraft optimistisch zu denken, während jeder andere um mich herum jede Hoffnung zunichte machte.

Verunsichert sah ich auf meinen Schoß und versuchte Johns Blick auszuweichen. Ich mochte das Gefühl nicht, mit dem Tod rechnen zu müssen. Es passte nicht zu mir und fühlte sich falsch an, auch wenn es genau hier richtig sein sollte. Etwas in mir sträubte sich heftig dagegen.

Allem zum Trotz hatte ich bereits einen Tod verursacht. Ich wusste nicht, welcher Soldat in dem Fluss ertrunken war und ob ich ihm vielleicht einmal begegnete, aber er war passiert. Und das setzte mir stark zu. Es hätte noch so viel mehr passieren können. Ich hätte Katharina in den Tod reißen können. Oder uns alle.

Deswegen flüsterte ich irgendwann leise vor mich hin: „Danke …“

Kurz schwieg John noch, als würde er nicht verstehen, was ich sagte. Dann fragte er: „Danke?“

Ich blickte zu ihm auf, direkt in seine grünen Augen, die mich verwundert musterten. „Ja. Danke. Für … Dafür, dass du mir erlaubst hier zu sein, anstatt ertrunken in einem Fluss.“

Darauf erwiderte er nichts, hielt bloß meinem Blick stand. Irgendetwas schien er in meinen Augen zu suchen. Vielleicht sah er mir die Schuld an, die Sünde, vielleicht sah er auch meine tiefe Trauer und die Ehrlichkeit. Ich wusste es nicht, er sagte es mir auch nicht. Dann unterbrach er abrupt unseren Blickkontakt, als er sagte: „Wer hat dich hier reingelassen?“

Die Spannung, die eben zwischen uns zu spüren war, löste sich in Luft auf.

„James“, antwortete ich.

„Das dachte ich mir schon fast. Anscheinend weiß er nicht, dass es gruselig sein kann, wenn man beim Schlafen beobachtet wird.“

Sofort starrte ich ihn perplex an. Was?

Zu meiner Überraschung grinste John schief und sah mich kurz frech an. „Was? Das hast du doch getan oder täusche ich mich?“

„Habe ich nicht“, versuchte ich abzuwehren, auch wenn meine Stimme ein bisschen schriller wurde. „Ich wollte nur …“

Er hob eine Braue. Interessiert beobachtete ich sein Minenspiel. Solch einen Ausdruck hatte ich noch nie bei ihm gesehen.

Mein knallrotes Gesicht wollte ich hinter meinen Händen verstecken, aber das würde bloß noch mehr die Scham verraten. „Ich habe dich nicht beobachtet.“

„Verstehe.“ Er lachte ganz leise, rau, tief. Es war ein schönes Lachen. „Wir sind im Krieg, Annemarie. Hier kannst du sagen, was du denkst, am Ende wird sich niemand daran erinnern.“

Wieder spielte er auf das Sterben an, ich ging jedoch nicht darauf ein, sondern seufzte einfach ergeben. „Okay.“ Ich ließ die Schultern hängen. „Vielleicht … ein bisschen.“ Hatte ich das tatsächlich zugegeben?

Wieder ertönte sein fast überhörbares Lachen, derweil er sich im Zelt umschaute. „Und so was von einer deutschen Gefangenen.“

Nun hielt ich mir doch die Hand vor das Gesicht, weil ich die Röte nicht mehr aushielt. Er brachte mein Herz noch wilder zum Klopfen, sein Grinsen war zu schön. „Oh mein Gott“, murmelte ich und konnte ebenfalls ein beschämtes Lächeln nicht unterdrücken.

Für wenige Sekunden ließen wir einfach diesen Moment zu. Einen Moment, der irgendwie anders war, als all die anderen, die wir gemeinsam erlebten. In diesen Sekunden waren wir nicht umringt von Soldaten, Leid, Hass, der Angst zu sterben oder der Barriere zwischen uns, dass er Amerikaner war und ich Deutsche. Wir waren in diesem Augenblick einfach zwei junge Menschen, die gemeinsam feixten.

Doch genauso schnell wie dieser Moment gekommen war, ging er wieder.

Die Erkenntnis, dass wir mitten im Krieg waren, traf uns beide schnell, und drängte sich zwischen uns und wir verstummten. Unsere Mundwinkel senkten sich und ich fragte mich, wie oft sowas John wohl schon passiert war. Bestimmt hatte er schon oft solche Momente erlebt, in denen er lachte und kurz danach wieder sehr ernst wurde, weil es ihm unpassend vorkam. Es musste grausam sein, sein eigenes Lachen zu ersticken zu müssen, weil es unangebracht war.

„Es ist nicht deine Schuld“, unterbrach John die Stille und sah mich an. „Ich kann verstehen, dass du dich schuldig fühlst, aber es war nicht deine Schuld.“

„Was meinst du?“, frage ich ihn, obwohl ich genau wusste worauf er anspielte.

„Dass ich verletzt bin und … wir jemanden verloren haben. Es war ganz sicher nicht deine Schuld.“

Nun war ich diejenige, die wegschaute und den Kopf langsam schüttelte. „Das ergibt keinen Sinn.“

Darauf antwortete er nichts.

„Hätte uns mein Weg nicht über diesen scheußlichen Fluss geführt, wäre gar nichts passiert. Es bleibt mir nichts anderes übrig, außer mich schuldig zu fühlen. Wenn ich mir nur vorstelle, dass Katharina hätte passieren können und … Ich will es mir nicht vorstellen.“

„Doch, es ergibt Sinn.“

Wieder sahen wir uns an.

John wirkte ziemlich ernst, eine Falte war zwischen seinen Brauen entstanden. „Vielleicht verstehst du das jetzt nicht, aber irgendwann wirst du es verstehen. Es ist … Mann.“ Er lachte auf, sah zum Zeltausgang und schüttelte den Kopf leicht. „Was ist das hier?“

Ich blinzelte überfordert, als er sich plötzlich stöhnend aufrappelte und einen Pullover überzog. Ich bemerkte sofort, dass seine Stimmung sich veränderte, und zwar ins Schlechtere.

„Kümmere dich um deine Schwester“, sagte er zu mir, als er aufrecht zum Ausgang ging, als hätte er bis eben nicht noch furchtbaren Schmerz verspürt. „Und dann sehen wir weiter.“

Ich folgte John schwermütig aus dem Zelt und es entfuhr mir ein tiefer Seufzer. Für mich war es schwer, das was John tat und aussprach, zu verstehen. Ich sollte mir nicht die Schuld an dem Tod eines Mannes hier im Fluss geben? Ja, ich konnte ihn wirklich nicht verstehen. Auch wenn er mich mit dem was er sagte entlasten wollte, es funktionierte nicht.

Da es bereits Nacht war, blinkten nur die niedrigen Feuer durch die Dunkelheit. Es wäre gefährlich gewesen, wenn man sie weithin schon hätte sehen können. Deshalb hatten die Soldaten gelernt, „unsichtbares“ Feuer zu machen. Da sich John zu James und Javad setzte, zog es mich auch dort hin. Nicht weit von uns hörte ich andere Grüppchen. Es überlief mich und ich bekam Gänsehaut, als Pattons Stimme einmal, ganz in meiner Nähe, an mein Ohr drang.

Ich spürte Major Pattons strengen Blick auf mir, als ich mich neben Katharina setzte, die bei James lag und schlief. Ich wusste, Pattons würde mich noch für lange Zeit so ansehen. Dieser Mann machte mir große Angst, die sich steigerte, wenn ich daran dachte, dass meine Strafe noch ausstand.

„Was willst du denn hier?“, fragte James John, der genau gegenüber von mir am Feuer saß. Sein Patient versuchte sich nicht anmerken zu lassen, welche Schmerzen er hatte, aber wer genau hinsah, konnte sehen, wie er die Zähne aufeinanderbiss. „Ich sagte, du sollst diese Nacht liegen bleiben.“

„Ich habe vorhin mal kurz geschlafen. Jetzt bin ich wach und werde mit Sicherheit nicht die ganze Nacht im Zelt bleiben“, erwiderte John. „Die Schmerzmittel machen es erträglicher.“

James wollte etwas darauf sagen, wurde aber von einem anderen Soldaten unterbrochen. Walt. „Hey, Annemarie.“ Walts schmierige Stimme erzwang meine Aufmerksamkeit und alleine bei seinem schmutzigen Blick und dem Messer, mit dem er den Dreck unter seinen Fingernägeln entfernte, lief mir ein Schauer über den Rücken. „Setz dich zu mir.“

Ich blieb wie festgefroren sitzen und starrte nur in seine dunklen Augen, die mich nicht losließen. Ich mochte sein Grinsen nicht. Seine braunen Haare waren fettig und sein Kinn stand hervor. Seine ganze Art hatte was von Pattons. Einschüchternd und fies. Vor Walt nahm ich mich von Anfang an in Acht.

Walt wurde sauer, als er merkte, dass ich nicht reagierte und auch sonst niemand etwas sagte. In der plötzlichen Stille hörte man nur das Rascheln seiner Kleidung. Er richtete sich auf und sah mich böse an. „Du sitzt noch immer dort. Komm schon her.“

Und rein aus Reflex stand ich auf, um langsam zu ihm zu gehen. Ich war froh, dass Katharina schlief. Auch war ich froh, dass ich mit Walt nicht alleine war, denn James, Javad und John ließen uns nicht aus den Augen. Die anderen Soldaten im Kreis grinsten.

Mein Puls ging schneller, als Walt sich auf seinem Hocker gerader hinsetzte und auf sein rechtes Bein klopfte. Das Messer behielt er immer noch in seiner Hand. „Setz dich, Hübsche.

Ich beiße nicht.“

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, als ich ihm immer näherkam. Meine Schritte wurden immer kleiner wurden, weil mein Körper sich so gegen ihn sträubte. Wie erniedrigend war diese Situation? Ich wusste, es würde irgendwann so kommen.

„Nun, los“, drängte Walt ein weiteres Mal und schon zog er mich mit einer Hand auf seinen Schoß. Ich wich angewidert zurück und flog fast zu Boden als er mich gerade noch auffing und in seinem Arm hielt.

Als er mich aufrichtete und ich sein Gesicht sah, wurde mir klar, dass ich sein Grinsen nicht nur nicht mochte … ich hasste es. Es war abstoßend.

„Hm“, machte er und hob sein Messer zu meinem Gesicht. Er strich mir damit eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich glaube, ich muss mir das mit dem „Finger von der Kleinen lassen“ nochmal überlegen. Du bist eine Schönheit.“

Mein Herz pochte so schnell vor Angst, dass ich das Gefühl hatte, mir wird jeden Moment schwarz vor den Augen.

Walt roch fürchterlich. Nach Alkohol und Schweiß. In seinen Händen fühlte ich mich schmutziger denn je und alles, was ich wollte, war verschwinden.

Ich bewegte mich keinen Zentimeter, als plötzlich Walts Hand unter meinem Rock verschwand und sich auf meinen nackten Schenkel legte.

Sofort schob ich sie von mir und wollte aufstehen, mich irgendwie wehren, doch er zog mich ruckartig wieder auf seinen Schoß und lachte.

„Wie sie Angst hat“, feixte er und sah in die Runde. Anscheinend wollte er mich komplett bloßstellen. „Seht ihr das? Sie pinkelt sich ja fast ein.“

Es wurde gelacht und ich wollte mich am liebsten in Luft auflösen. Beschämt schloss ich die Augen und betete, dass er mich loslassen würde. Es sollte aufhören. Ich wollte nicht in die Augen der Männer gucken, die mich auslachten.

„Dachtest du, du würdest einfach so einen netten Aufenthalt bei uns genießen?“, redete Walt weiter auf mich ein, während seine Hand auf meine Hüfte wanderte. „Nee, Kleines, so einfach ist es dann doch nicht.“

Ich öffnete die Augen zitternd und versuchte aus dem Augenwinkel James Blick einzufangen. Er sah einfach ins Feuer und schritt nicht ein. Wieso tat er nichts? Sonst sagte er doch auch immer etwas. Wieso nicht jetzt?

„Sieh‘ mich an.“ Grob drehte Walt meinen Kopf wieder in seine Richtung und sah mich mit zornigen Augen an. „Was ist? Willst du nicht mit mir sprechen?“

„Das Feuer.“

Walt entfernte seine Augen von mir und sah zu John, der das gesagt hatte. „Was?“, zischte Walt.

Unauffällig atmete ich tief ein und aus, weil ich hoffte, John redete, weil er mir helfen wollte. Trotzdem traute ich mich nicht, ihn anzusehen. Ich vertraute ihm einfach.

„Das Feuer“, wiederholte John. „Es ist fast aus. Jemand sollte Holz holen.“

Wütend drückte Walt seine Hand fester in mein Fleisch an der Hüfte und ich spürte, wie er sich anspannte, was mir gleichzeitig eine riesige Angst einjagte. „Dann hol Holz und stör mich nicht.“

Stille trat ein. Stille, in der ich mich doch traute zu John hinüber zu sehen, weil er nichts erwiderte. Würde er weiterhin zulassen, dass Walt mich so anfasste?

Meine Hoffnung wurde größer, als John Walt mit dunklen Augen betrachtete. „Annemarie wird mit mir kommen.“

Nun lachte Walt dreckig auf und griff nach einem Flachmann, der neben ihm lag. „Sprach der Chef, oder was? Fick dich, Montgomery. Sie wird bei uns bleiben, geh alleine.“

Ich verfolgte Johns Bewegungen, als er sich unter Schmerzen aufrappelte und schließlich stand. „Ich diskutiere nicht mit Betrunkenen, also lass sie los. Du kannst sie wann anders haben.“ Und als wäre die Sache schon geklärt, griff John nach einer Pistole, die auf dem Boden lag und steckte sie sich ein. Als ich immer noch nicht reagierte und Walts Griff fester wurde, sagte John: „Annemarie. Los.“

Schnell nickte ich und zu meiner Erleichterung ließ Walt mich widerwillig los, während ich von seinen Beinen aufstand und zu John ging. Ich fühlte mich beschmutzt, doch das war Nebensache. Hauptsache war, dass ich nun mit John fort gehen konnte und ich nicht länger in Walts Nähe sein musste.

Szenen wie diese vergaß ich nie wieder.

„Major Pepper mag tot sein“, sagte Walt mit tiefer Stimme in unsere Richtung, während ich mich unauffällig hinter John versteckte. Er beugte sich nach vorne und sah John genau in die Augen. Man sah ihm an, wie krank er bereits war. „Aber du nimmst nicht seine Position ein, verstanden? Du bist Leutnant, genauso wie ich und jeder andere hier. Vergiss das besser nicht.“

Es dauerte einen Moment, bis John etwas sagte während alle anderen nur teilnahmslos ins Feuer sahen.

„Du bist betrunken“, war alles, was er schließlich darauf sagte und sich dann zu mir wandte. „Geh schlafen, Walt. Du wirst es brauchen.“

John ging an mir vorbei und ich wollte ihm so schnell wie möglich folgen, musste mich aber noch mal umdrehen und über meine Schulter zu Walt blicken, der uns aggressiv hinterher sah und verachtend auf den Boden rotzte, bevor er nochmal einen tiefen Schluck von seinem

Flachmann nahm. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm und ich wollte nicht wissen, was es war. Seine Art, seine Aura, einfach alles erinnerte mich stark an Major Pattons, auch wenn dieser noch eine Menge mehr Furcht in mir auslöste.

Wir sprachen nicht, während wir dem Wald näherkamen, bis John irgendwann langsamer wurde und dadurch neben mir lief. Er hielt mir eine Kerze entgegen. „Lass sie besser nicht fallen“, sagte er und kramte noch etwas aus seiner Jacke, was sich als Streichholzschachtel erwies. „Ich habe nur noch ein Streichholz und der Boden ist noch nass.“

Ich nickte, obwohl ich mir nicht mal sicher war, ob er es wirklich durch die Dunkelheit sehen konnte.

Wahrscheinlich würde ich vor Angst sterben, wenn er nicht bei mir wäre. Nachts im Wald war ich noch nie. Mein Vater hätte so etwas niemals geduldet.

John zündete das Streichholz an und eine kleine Flamme erhellte sein Gesicht, auch wenn sie nicht sonderlich groß war. Er blieb stehen und hielt seine Hand schützend um das Feuer, dann lachte er etwas, weil ich weiterlaufen wollte. „Du musst schon stehenbleiben, damit ich die Kerze anmachen kann.“

Auf Kommando blieb ich stehen und spürte direkt, wie ich rot anlief. Vor ihm war mir vieles unangenehm und ich wusste auch, dass ich bei ihm nicht vor Wut, Angst oder anderem rot anlief. Es war einfach diese Scham, die er in mir verursachte.

Ich hielt ihm stumm die Kerze hin und er kam einen Schritt näher auf mich zu, um mit dem Streichholz vorsichtig den Docht zum Brennen zu bringen.

Ich konnte nicht anders, außer in sein Gesicht zu sehen, während er nicht mal einen halben Meter vor mir stand und die Flamme an die Kerze hielt, mich aber nicht ansah. Er war so viel größer als ich, was ihn stark aussehen ließ. Außerdem wusste ich, dass er stark war, sonst hätte er mich nie aus dem Fluss retten können.

Alleine die Tatsache, dass er mich überhaupt aus dem Wasser rettete, zeugte von seiner Stärke.

Und ich musste auch zugeben, dass ich sein Gesicht mochte. Seine Lippen waren wohlgeformt, hatten ein paar Risse, seine Haut war schmutzig und eine kleine Narbe zierte sein Kinn. Auch fehlte ein Stück in seiner Augenbraue, weil er auch dort eine Narbe hatte. Im Allgemeinen sah er abgekämpft aus, doch noch lange nicht am Ende. Ansonsten stände er nicht mit einer schweren Verletzung vor mir, nachdem er mich aus Walts dreckigen Fingern gerettet hat.

„Die Luftfeuchtigkeit sollte nicht mehr allzu hoch sein“, sagte er, erwiderte immer noch nicht meinen Blick. Ich konnte meinen nicht von seinem nehmen. „Deswegen hält die Kerze eine Weile. Damit sollten wir auskommen.“ Und als er schließlich in meine Augen sah, schoben sich seine Brauen etwas zusammen. „Stimmt was nicht?“

Ich sah von seinen grünen Augen zu der kleinen Flamme zwischen uns und schüttelte – erneut beschämt – den Kopf. Mein Kopf konnte kaum röter werden. „Nein, es … Alles okay.“

Für ein paar Augenblicke blieben wir noch zu stehen, er sah mich an, ich ihn jedoch nicht mehr, denn ich hatte Angst, er könnte zu viel aus meinen Augen lesen.

Dann nahm er mir langsam die Kerze aus der Hand, worauf ich wieder zu ihm aufsah. Man merkte ihm an, dass er skeptisch wurde, doch seine Gedanken nicht laut aussprechen wollte. Deswegen ging er zwei Schritte von mir weg, sah sich in der Gegend um, leuchtete mit der Kerze umher.

Ich holte tief Luft, aber so, dass er es nicht mitbekam. Seine Augen waren so schön, so neu für mich. Wie sollte ich es je unterlassen können, nicht hineinsehen zu wollen? Es fiel mir schwer, diesem geborgenen und beschützten Gefühl, das er mir vermittelte, zu widerstehen.

„Das mit Walt“, begann John ein Gespräch, was mich überraschte, derweil ich ihm folgte und auf den Boden unter uns sah. „Es wird öfter vorkommen.“

Meine Laune änderte sich schlagartig und ich ließ die Schulter hängen. „Ja … Damit hatte ich gerechnet.“

„Dagegen kann niemand etwas tun. Frauen … oder Mädchen waren nie eine sonderlich hoch eingestufte Spezies in unserem Trupp. Und er war nie sonderlich nett.“

Ich gab darauf nichts zurück. Ich wusste nicht, was ich sagen könnte, ohne direkt tottraurig zu klingen. Trotzdem wollte ich irgendetwas sagen. Ich wollte ein Gespräch mit John führen, ein ganz normales. Abgesehen von dem Krieg und abgesehen von dieser ganzen Situation. Ich vermisste es, normal zu denken, ich vermisste es wirklich sehr. Aber dafür fühlte ich mich noch nicht bereit und John mit Sicherheit auch nicht. Ob er überhaupt in den letzten Jahren ein normales Gespräch geführt hatte? Komplett außerhalb des Krieges?

John bückte sich ein paar Minuten später nach Holz, zischte auf, weil er Schmerzen hatte und ich half ihm wie selbstverständlich. Gesprochen wurde erneut nicht.

Ab und zu trafen sich unsere Blicke, doch sie sagten nichts aus. Es schien immer wieder Zufall gewesen zu sein, deswegen interpretierte ich nichts hinein, wäre auch Schwachsinn gewesen.

„Das sollte reichen“, sagte John nach einer ganzen Weile durch die Dunkelheit, als er und ich bereits eine Menge Stöcke im Arm hatten. „Wir sind sowieso schon viel zu weit vom Rest entfernt, das kann ziemlich schlimm enden.“

Er ging wieder voran, diesmal in die Richtung, aus der wir gekommen waren und ich lief ihm wieder hinterher. „Ich habe das Gefühl, vieles das hier gesprochen wird, endet mit Verdacht auf den Tod.“ Diesen Satz hatte ich mir bereits seit zehn Minuten im Kopf zusammengebastelt, weil er mir schon lange auf der Zunge lag.

„Weil es nun mal so ist“, sagte John darauf. „Es kann ziemlich schlimm enden.“

„Aber … „

Und mit einem Mal blieben wir stocksteif stehen und mir fielen die Stöcke aus dem Arm.

Zuerst hörte ich die Schüsse. Dann das Gebrüll.

Und dann fiel mir erst auf, dass der eigentlich schwarze Himmel in einem dunklen orange getränkt war.

Ich wollte John fragen, was in unserem Lager los war, wollte versuchen, irgendetwas zu sagen, doch dazu kam ich nicht einmal. Plötzlich fielen Schüsse und ich wurde stocksteif vor Schreck.

Innerhalb von Millisekunden kam mir nur ein Gedanke in den Kopf. Katharina.

„Zurück in den Wald“, drängte John, behielt seinen Blick weiterhin starr geradeaus, von wo man eine riesige Rauchwolke erkennen konnte. Er ging langsam einen Schritt zurück, schien total konzentriert. „Sie kommen.“

Auf Anhieb verstand ich nicht, wer er mit „Sie“ meinte und wieso wir uns in den Wald zurückziehen sollten, deswegen blieb ich versteinert auf der Stelle stehen. Ich kannte

Situationen wie diese nicht, John schon. Und genau deswegen kam er einen schnellen Schritt auf mich zu und zog mich ohne Vorsicht mit sich zurück in den Wald, bis ich jedoch wieder zu Sinnen kam und er mich losließ, weil ich begriffen hatte, dass es wohl von dringender Not war, hier im Wald versteckt zu sein.

Und vor allem verstand ich es, als ich über meine Schulter zurückblickte. Aus der

Rauchwolke kamen zwei riesige Panzer zum Vorschein, ringsherum viele Männer mit Waffen in den Händen. Sie waren keine amerikanischen Soldaten.

Es war die Hölle. Es war die pure Hölle, in der wir uns befanden.

Ruckartig blieb John stehen und in nur wenigen Momenten zog er mich hinter einen Baum, der umgeben war von Büschen, setzte sich zu Boden und drückte mich neben sich, sodass ich einen Schmerz in meinem Steißbein spüren konnte.

Johns Atem ging schnell, als er sich umsah, man von Weiten den Motor der Panzer und das Gebrüll hörte. Ab und zu fiel wieder der ein oder andere Schuss. Mein Herz trommelte so heftig, dass ich das Schlagen davon fast mit den Schüssen verwechselte. Es passierte alles so schnell, es fiel mir sehr schwer mich zu konzentrieren oder die Situation zu verstehen, als ich meinen Rücken gegen das Holz presste und meine Finger in das Moos unter mir krallte.

„Gib keinen Ton von dir“, befahl John und sah hinter dem Baum hervor. „Sie werden uns nicht sehen, wenn wir leise sind.“ Er drückte seinen Rücken wieder an das Holz, genauso wie ich, und zog seinen Revolver aus der Jacke, machte sie scharf.

Ich drückte meinen Augen so fest ich konnte zu, wünschte, ich könnte das mit meinen Ohren genauso machen, um gar nichts mehr mitzubekommen. Es fühlte sich an wie das Ende, das uns immer näherrückte, dabei war es doch erst der Anfang. In dem Moment, in dem ich bereits die Schritte der Soldaten hören konnte, die durch den Wald zu uns heran raschelten, betete ich, ich würde träumen.

Nein, ich war in diesem Moment nicht im Krieg. Nein, ich musste nicht denken, dass Katharina erschossen wurde und nein, ich bangte gerade nicht um mein Leben und saß neben einem amerikanischen Soldaten, der Mitglied einer Truppe war, die mich gefangen hielt.

Mein Griff in das Moos wurde immer fester, ich zerquetschte es bereits in meinen Handflächen. Nichts hiervon wollte ich wahrhaben.

„Ich sagte doch, wir schaffen das!“, ertönte plötzlich eine männliche Stimme und was mich am meisten überraschte war, dass sie deutsch sprach.

Ich öffnete die Augen, lauschte weiter den Schritten, die uns näherkamen.

John drehte ganz leicht seinen Kopf zu mir, prüfte mich beinahe. „Ruhig, Annemarie“, flüsterte er ganz leise.

Doch ich konzentrierte mich nur auf die Stimmen der Soldaten, die sprachen.

„Hätte mir eigentlich klar sein müssen, dass die Amerikaner die größten Feiglinge sind!“

„Habt ihr das kleine Mädchen gesehen? Hat einer das kleine Mädchen erschossen?“

Ich spitzte hoffnungsvoll die Ohren.

„Sie haben sie mitgenommen, ich habe es gesehen!“, rief wieder einer und ich war mir sicher, sie waren nicht mehr als zwei Meter von uns entfernt.

Sie kamen von links und würden jeden Moment hinter uns vorbeilaufen, ohne uns jedoch zu entdecken, wenn wir uns nicht bewegten. Aber ich wusste nun, dass sie deutsch waren.

Ein riesiger Konflikt startete in meinem Kopf, während immer mehr Soldaten an uns vorbeiliefen und ich spüren konnte, dass John den Atem anhielt, die Augen schloss und wartete.

Ein Schrei hätte mich retten können, hier und jetzt. Diese Männer hinter mir waren meine Landesleute, ich könnte schreien und sie würden mich retten. Mich und Katharina. Sie würden uns nicht hassen, weil wir deutsch waren, nein sie würden uns einfach nur helfen und vielleicht zu unserem Vater bringen.

Mit jeder Sekunde wurde ich immer nachdenklicher. Ich wusste nicht, was mich davon abhielt zu schreien, ich wollte unbedingt frei sein. Ich wollte Major Pattons nicht mehr erleben, nicht mehr dieses Leid erleben, ich wollte frei sein. Ich sollte –

Etwas landete plötzlich genau vor uns im Gebüsch und John und ich schnappten gleichzeitig entsetzt nach Luft, hielten nun beide den Atem an.

„Man, du Penner!“, kam uns eine noch junge Stimme gefährlich nahe und die dazu gehörenden Fußstapfen, die durch die Büsche schleiften, genau in unsere Richtung.

Ein junger Mann lief direkt an uns vorbei und ich riss die Augen auf, während mein Herz zu meinen Fußsohlen rutschte. Auch John versteifte sich.

Ich beobachtete den Jungen, der leise fluchend in dem Gebüsch wühlte und dann schließlich ein Buch daraus zog, es kopfschüttelnd betrachtete. „Sie können es einfach nicht lassen.“

„Du bist so eine Memme!“, schrie ihm jemand zu und anscheinend war der deutsche Trupp ihm schon ein ganzes Stück voraus. „Sieh zu, dass du herkommst!“

Und als der Junge wieder an uns seufzend vorbeisah, ergriff ich meine Chance.

Ich war mir nicht sicher, ob es eine geplante Handlung war oder eher ein Reflex, als ich so laut ich konnte zu kreischen begann, aber ich tat es einfach. Ich wollte frei sein, einfach nur frei sein.

Doch genauso schnell wie ich schrie, wurde mein Schrei auch schon von einer großen, schmutzigen Hand bedeckt und darin erstickt.

John drückte mich gewaltsam an seine Seite und ich versuchte mich vergeblich zu wehren.

Ich hatte keine Chance gegen ihn, er war zu stark, aber ich rief trotzdem gegen seine Hand:

„Hilfe! Bitte! Hier!“

Wie vom Blitz getroffen drehte der deutsche Junge sich zu uns um und sah uns genau an. Er war noch jung, man erkannte es sofort, vielleicht so alt wie ich, weswegen er so überfordert schien, aber ich wusste, er konnte mir helfen. Er hatte immerhin eine Schnellfeuerwaffe um die Schulter hängen.

Auch wenn ich nicht wollte, dass er John erschoss. Er sollte mir einfach nur helfen.

„V-Verdammt!“, fluchte der Junge und zog, als würde er es zum ersten Mal tun, seine Waffe vor seine Brust und schien noch mehr Angst zu haben, als ich. „Wer – Wer seid ihr?“ Er kam uns langsam näher und ich konnte seinen zittrigen Atem hier hinhören, so nervös war er.

John drückte mich noch fester an sich und seine Finger griffen sich mehr in meine Wangen, sodass es schmerzte. Er machte keine Anstalten aufzustehen, er ließ einfach zu, dass der deutsche Soldat seine Taschenlampe hervorziehen konnte, um uns vorsichtig anzuleuchten.

Er leuchtete erst in mein Gesicht, ich sah ihn furchterfüllt und bittend an, dann leuchtete er in Johns Gesicht. Kurz verweilte er in seinem Gesicht, um einen Moment später das Licht auf Johns Brust zu leuchten, auf der sein Abzeichen zu sehen war.

Anschließend schluckte der Junge.

Ich spürte, wie John sich etwas bewegte und merkte dann wie er seinen linken Arm nach oben hielt. Er hielt in seiner Hand seinen geladenen Revolver.

Und mit einem Mal erstarrte der deutsche Soldat und ging angsterfüllt einen halben Schritt zurück, leuchtete dennoch weiterhin in unsere Richtung.

Ich wollte schreien, dass John ihn nicht erschießen sollte, aber mir blieb nichts anderes übrig, außer zu versuchen seine Hand von meinem Gesicht zu entfernen, laut zu wimmern und zu jammern. Johns Griff wurde daraufhin nur noch energischer und schließlich konnte ich mich gar nicht mehr bewegen.

„Schließ die Augen“, sagte John leise und ich wusste, er sagte es nur zu mir. Der deutsche Soldat hatte den Mund geöffnet, sah nur wie ein verlorener Welpe in den Lauf von Johns Revolver.

Ich schüttelte den Kopf und spürte, wie mir eine Träne über die Hand lief. Bitte … er sollte ihn nicht erschießen.

Dem Soldaten konnte man die Panik in den Augen ablesen, als er eingeschüchtert eine Hand hob. „Bitte … Bitte nicht. I-Ich werde dich nicht verraten, bitte …“

„Tu es für dich“, sprach John wieder zu mir und ich verstand, dass ich nicht die Macht hatte, ihn aufzuhalten.

Mir blieb nichts anderes übrig, außer die Augen zu schließen und mein Weinen von seiner Hand ersticken zu lassen.

Ich hörte, wie John nachlud, es machte klick und dann schoss er.

Sofort begann ich zu schluchzen, traute mich keine Sekunde die Augen zu öffnen, als der Ton von einem zu Boden fallenden Körpers, erklang. Genau vor unsere Füße.

John ließ mich los und ich hatte nicht einmal mehr die Kraft vor ihm wegzurennen, das wollte ich auch nicht. Es machte keinen Sinn, er würde mich bekommen. Deswegen zog ich einfach nur meine Beine vor meine Brust und weinte in meine Knie.

Nicht nur wegen der Tatsache, dass dieser junge, deutsche Kerl, der das Leben noch nicht von allen Seiten sehen durfte, getötet worden war, sondern weil all dies tatsächlich passierte. Das hier war kein Traum, ich musste um mein Leben bangen, ich musste Angst um Katharina haben und wir waren mitten im Krieg. Und ja, ich saß neben einem amerikanischen Soldaten, der Mitglied einer Truppe war, die uns gefangen hielt.

John schob seinen Revolver zurück in seine Jacke und stand auf. „Wahrscheinlich haben sie den Schuss gehört. Steh auf.“

Einer von ihnen

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